Zusammenfassung
Der Ausgang der Bundestagswahl 1994 war denkbar knapp. Die christlich-liberale Koalition konnte insgesamt 48,4 Prozent der Stimmen für sich verbuchen, während SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die PDS zusammen auf 48,1 Prozent kamen. Da die PDS nur 4,4 Prozent erreichte und damit unter der Fünf-Prozent-Hürde blieb, hätte das Ergebnis zu einer klaren Mandatsmehrheit der bisherigen Koalition führen müssen. Doch der Teufel steckt im (Wahlrechts-)Detail. Zwei wahlrechtliche Eigentümlichkeiten, die auf der Erststimme gründen, beeinflußten das Ergebnis maßgeblich. Die Zweitstimme war diesmal nicht allein für den Wahlausgang verantwortlich. Da die PDS insgesamt vier Direktmandate gewann, war sie wegen der Grundmandats- oder Alternativklausel von der Fünf-Prozent-Hürde befreit und zog mit 30 Mandaten ins Parlament ein. Dadurch wäre der Vorsprung der Koalition auf ganze zwei Mandate geschrumpft. Doch ein anderes wahlrechtliches Spezifikum vergrößerte den Abstand der Koalition insgesamt auf zehn Mandate. Die Union erhielt nämlich 12 Überhangmandate, die SPD deren vier. Sowohl die Regelung zur Grundmandatsklausel als auch — und vor allem — die zu den Überhangmandaten löste eine heftige politische und wissenschaftliche Diskussion aus. Eine Paradoxie liegt darin, daß die Regelung zu den Überhangmandaten weitaus stärker ins Kreuzfeuer der Kritik gerieti als die zur Grundmandatsklausel, obwohl deren Wirkung, wie gezeigt, deutlich größer ausgefallen ist.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Backhaus, Ralf, Neue Wege beim Verständnis der Wahlgleichheit? Besprechung des Überhangmandate-Urteils des Bundesverfassungsgerichts, in: Deutsches Verwaltungsblatt, 112/1997, S. 737–744.
Becht, Ernst, Die 5%-Klausel im Wahlrecht. Garant f’ür ein funktionierendes parlamentarisches Regierungssystem?, Stuttgart u.a.: Richard Boorberg 1990.
Bücking, Hans-Jörg, Der Streit um Grundmandatsklausel und Uberhangmandate, in: Eckhard Jesse/Konrad Löw (Hrsg.), Wahlen, Berlin: Duncker & Humblot 1998 (im Erscheinen).
Frowein, Jochen, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Wahlrecht, in: Archiv des öffentlichen Rechts, 99. Jg. 1974, S. 72–110.
Heintzen, Markus, Rechtsgutachten zu Fragen des Bundestagswahlrechts im Hinblick auf die Wahl zum 14. Deutschen Bundestag, erstattet im Auftrag der Reformkommission zur Größe des Deutschen Bundestages, Reformkommission zur Größe des Deutschen Bundestages: Kommissions-Drucksache 9 (unveröffentlicht; als Manuskript vervielfältigt).
Heintzen, Markus, Die Bundestagswahl als Integrationsvorgang. Besprechung des Grundmandatsurteils des Bundesverfassungsgerichts, in: Deutsches Verwaltungsblatt, 112. Jg. 1997, S. 744–749.
Helms, Ludger, Das Prinzip der Wahlgleichheit. Zum Streit über die Überhangmandats-Regelung, in: Recht und Politik, 31. Jg. 1995, S. 72–76.
Hobe, Stephan, Die Verfassungsmäßigkeit von Grundmandatsklausel und Überhangmandaten, in: Juristische Übungsblätter, 28. Jg. 1996, S. 391–395.
Hoppe, Werner, Die Verfassungswidrigkeit der Grundmandatsklausel (§ 6 Abs. 6 Bundeswahlgesetz), in: Deutsches Verwaltungsblatt, 110. Jg. 1995, S. 265–273.
Jesse, Eckhard, Wahlrecht zwischen Kontinuität und Reform. Eine Analyse der Wahlsystemdiskussion und der Wahlrechtsänderungen in der Bundesrepublik Deutschland 19491983, Düsseldorf: Droste 1985.
Jesse, Eckhard, Wahlen. Bundesrepublik Deutschland im Vergleich, Berlin: Colloquium 1988.
Jesse, Eckhard, Die institutionellen Rahmenbedingungen der Bundestagswahl vom 2. Dezember 1990, in: Hans-Dieter Klingemann/Max Kaase (Hrsg.), Wahlen und Wähler. Analysen aus Anlaf der Bundestagswahl 1990, Opladen: Westdeutscher Verlag 1994, S. 15–41.
Kautz, Steffen, Überhangmandate und die Gleichheit der Wahl, in: Neue Juristische Wochenschrift, 48. Jg. 1995, S. 1871–1873.
Klingemann, Hans-Dieter/Max Kaase (Hrsg.), Wahlen und Wähler. Analysen aus Anlaß der Bundestagswahl 1990, Opladen: Westdeutscher Verlag 1994.
Lange, Erhard H. M., Wahlrecht und Innenpolitik. Entstehungsgeschichte und Analyse der Wahlgesetzgebung und Wahlrechtsdiskussion im westlichen Nachkriegsdeutschland 1945–1956, Meisenheim am Glan: Hain 1975.
Lenz, Christofer, Die Wahlrechtsgleichheit und das Bundesverfassungsgericht, in: Archiv des öffentlichen Rechts, 121. Jg. 1996, S. 337–358.
Lenz, Christofer, Ein einheitliches Verfahren für die Wahl des Europäischen Parlaments. Unverwirklichte Vorgabe der Gemeinschaftsverträge, Baden-Baden: Nomos 1995.
Lenz, Christofer, Die Vorschläge der Reformkommission zur Änderung des Bundeswahlgesetzes, in: Zeitschrift f’ür Rechtspolitik, 29. Jg. 1996, S. 345–349.
Lenz, Christofer, Grundmandatsklausel und Uberhangmandate vor dem Bundesverfassungsgericht, in: Neue Juristische Wochenschrift, 50. Jg. 1997, S. 1534–1537.
Linck, Joachim, Sperrklauseln im Wahlrecht, in: Juristische Ausbildung, 9. Jg. 1986, S. 460–465.
Löwer, Wolfgang, Aktuelle wahlrechtliche Verfassungsfragen. Rechtsgutachten erstattet dem Deutschen Bundestag, Reformkommission zur Größe des Deutschen Bundestages: Kommissions-Drucksache 10 (unveröffentlicht; als Manuskript vervielfältigt).
Mager, Ute/Robert Uerpmann, Überhangmandate und Gleichheit der Wahl, in: Deutsches Verwaltungsblatt, 110. Jg. 1995, S. 273–280.
Mann, Gerald H., Die unumgängliche Umkehr bei der Berechnung von Überhangmandaten: Reformvorschläge, in: Zeitschrift f’ür Parlamentsfragen, 27. Jg. 1996, S. 398–404.
Meyer, Hans, Wahlsystem und Verfassungsordnung. Bedeutung und Grenzen wahlsystematischer Gestaltung nach dem Grundgesetz, Frankfurt a.M.: Metzner 1973.
Meyer, Hans, Demokratische Wahl und Wahlsystem, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, Heidelberg: C.F. Müller 1987, S. 249–267.
Meyer, Hans, Wahlgrundsätze und Wahlverfahren, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, Heidelberg: C.F. Müller 1987, S. 269–311.
Meyer, Hans, Der Überhang und anderes Unterhaltsames aus Anlaß der Bundestagswahl 1994, in: Kritische Vierteljahresschrift f’ür Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 77. Jg. 1994, S. 312–362.
Nicolaus, Helmut, Demokratie, Verhältniswahl & Überhangmandate. Eine Studie zum Wahlverfassungsrecht, Heidelberg: Manutius 1995.
Nicolaus, Helmut, Wahlgesetzwidrigkeit der 16 Überhangmandate im 13. Bundestag. Fehlerhafte Gesetzesanwendung als Ursache der wundersamen Vermehrung der Überhangmandate, in: Neue Juristische Wochenschrift, 48. Jg. 1995, S. 1001–1004.
Nicolaus, Helmut, Wahlunrecht und Ausgleichmandate, in: Zeitschrift f’ür Rechtspolitik, 28. Jg. 1995, S. 251–256.
Nicolaus, Helmut, Grundmandatsklausel, Überhangmandate & Föderalismus. Fünf Studien, Heidelberg: Manutius 1996.
Nicolaus, Helmut, Die unzulängliche Rechtfertigung der Überhangmandate: Aufklärungsversuche, in: Zeitschrift f’ür Parlamentsfragen, 27. Jg. 1996, S. 383–393.
Nohlen, Dieter, Wahlrecht und Parteiensystern, 2. Aufl., Opladen: Leske + Budrich 1990.
Paech, Norman, Verfassungswidrigkeit der Grundmandatsklausel?, in: Neue Justiz, 50. Jg. 1996, S. 617–622.
Papier, Hans-Jürgen, Überhangmandate und Verfassungsrecht, in: Juristen Zeitung, 51. Jg. 1996, S. 265–274.
Poschmann, Thomas, Wahlrechtsgleichheit und Zweistimmensystem. Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit von Überhangmandaten, in: Bayerische Verwaltungsblätter, 41. Jg. 1995, S. 299–302.
Roberts, Geoffrey K., Neglected Aspects of the German Electoral System, in: Representation, 33. Jg. 1995, S. 125–133.
Roth, Gerald, Mit drei Direktmandaten in den Bundestag? Zur Verfassungswidrigkeit der Grundmandatsklausel, in: Neue Juristische Wochenschrift, 47. Jg. 1994. S. 3269–3272
Schreckenberger, Waldemar, Zum Streit über die Verfassungsmäßigkeit der Überhangmandate, in: Zeitschrift f’ür Parlamentsfragen, 26. Jg. 1995, S. 678–683.
Schreiber, Wolfgang, Handbuch des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag. Kommentar zum Bundestagswahlgesetz unter Einbeziehung der Bundeswahlordnung, der Bundeswahlgeräteverordnung und sonstiger wahlrechtlicher Nebenvorschriften, 5. Aufl., Köln u.a.: Heymanns 1994.
Schreiber, Wolfgang, Die Neueinteilung der Wahlkreise für die Wahl zum 14. Deutschen Bundestag — verfassungswidrig?, in: Zeitschrift f’ür Rechtspolitik, 30. Jg. 1997, S. 105–110.
Schwarz, Karl, Die Ursachen der Überhangmandate bei Bundestagswahlen und Möglichkeiten zu ihrer Beseitigung, in: Die Öffentliche Verwaltung, 15. Jg. 1962, S. 373–378.
Unterpaul, Klaus, Zunehmende Zahl der Überhangmandate unbedenklich? Zur Verfassungswidrigkeit der Überhangmandate, in: Neue Juristische Wochenschrift, 47. Jg. 1994, S. 3267–3272.
Wenner, Ulrich, Sperrklauseln im Wahlrecht der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt a.M.: Peter Lang 1986.
Wrege, Wolf Reinhard, Ende der Überhangmandate im Bundestag?, in: Juristische Ausbildung, 19. Jg. 1997, S. 113–116.
Editor information
Rights and permissions
Copyright information
© 1998 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Jesse, E. (1998). Grundmandatsklausel und Überhangmandate. Zwei wahlrechtliche Eigentümlichkeiten in der Kritik. In: Kaase, M., Klingemann, HD. (eds) Wahlen und Wähler. Schriften des Zentralinstituts für sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin, vol 85. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-07812-8_2
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-07812-8_2
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-531-13296-9
Online ISBN: 978-3-663-07812-8
eBook Packages: Springer Book Archive