Zusammenfassung
In Kap. 2 wurde das Desiderat der deutschen Medienwirkungsfor-schung herausgestellt: ein integrativer Ansatz, der sowohl das Kausal-denken als auch den nutzenorientierten Rezipienten ‘aufhebt’.
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Außerhalb Deutschlands erkannte man schon Früher, daß ein integrativer Ansatz bisheri-ge Kommunikator- und Rezipientenzentriertheit aufheben sollte. Eine besonders deutliche und frühe Befürwortung vieler einzelner Postulate des dynamisch-transaktionalen Ansat-zes findet sich bei Bamlund [1970]. Vgl. auch Bauer [1964], Davison [1959], Kraus/Davis [1976], Lin [1977], McLeod/Becker [1974], Nordlund [1978] und Windahl [1981].
Von den beiden Grundgedanken ‘Interdependenz’ und ‘Prozeßhaftigkeit’ war auch für das Involvement-Konstrukt bereits die Rede.
Früh [1991: 156] gibt ein einleuchtendes Beispiel: Die genaue Wiederholung einer TV Sendung (A) ändert die Attraktivität, den Informationsgehalt usw. der Sendung (a). Der Medieninhalt wirkt also auf sich selbst zurück, doch nicht ‘objektiv’, sondern nur aus der Perspektive des Rezipienten (B), der von der Sendung erreicht wird (A wirkt auf B) und der ihr diese Merkmale zuschreibt (B wirkt auf A).
Dieser Kardinalpunkt ist freilich zugleich Angriffspunkt wichtiger Kritik, wonach der Ansatz“[...] bezogen und beschränkt [bleibt] auf kognitionspsychologische Prozesse [...]” [Renckstorf 1989: 324].
Habitualisierte Mediennutzung, die nicht mehr auf einzelne Entscheidungen, sondern auf Sozialisation und Selbstbild des Rezipienten zurückgeht, ist dagegen Pseudo-Aktivität.
Huysmans [1994: 189], wohl als Vertreter der Nutzentheorie zu nennen, behauptet dagegen: Der dynamisch-transaktionale Ansatz habe ein viel beschränkteres Verständnis von Rezipientenaktivität als der Nutzenansatz, denn im dynamisch-transaktionalen Ansatz umfasse sie nur medienbezogenes, im Nutzenansatz dagegen jegliches soziale Handeln.
Siehe Donsbach [1992: 59] als induktive Bestätigung dieser Selbstselektion.
Dies entspricht älteren Forderungen bei Merten [1982: 41], der von einer integrativen Theorie verlangte, daß sie auch direkte und linear-kausale Wirkungen mitberücksichtige.
Dieser explizite Rekurs auf den Kritischen Rationalismus erzeugt zugegebenermaßen eine Paradoxie. Der Forderung, einen Ansatz zwecks seiner Konkurrenzfähigkeit und seiner komparativen Bewährung dem herrschenden Paradigma zu unterstellen, wird durch eben jenen Kritischen Rationalismus widersprochen. Denn ihm zufolge gibt es eben keine Erkenntniskumulation innerhalb einer paradigmatischen Tradition. Vielmehr geht Popper von permanenten Umbruchprozessen aus, die dadurch entstehen, daß Daten paradigmenfrei erhoben werden können. Diese Paradoxie wird dadurch noch verstärkt, daß sich Unterstützung für meine Forderung an den dynamisch-transaktionalen Ansatz bei Kuhn [1979: 156f.] fiindet, der sich eigentlich in Opposition zu Popper versteht:.“Die vorgeschlagene Konstruktion verschiedener Prüfungen und Theorien [muß] aus der einen oder anderen auf einem Paradigma beruhenden Tradition heraus geschehen [, weil es] kein wissenschaftlich oder empirisch neutrales System der Sprache oder der Begriffe geben kann“.
Oder etwas plastischer Popper [1995: 299]:“[...] wir müssen anderer Leute Theorien [...] verwenden, wenn wir welche erzeugen wollen. ‘Verwenden’ heißt hier in erster Linie ‘verdauen’, wie bei den Bienen [...]” — wenn sie Honig produzieren.
Wie wichtig dies für Erkenntnisfortschritt ist, verdeutlicht Popper [z.B. 1969: 220] historisch an bahnbrechenden Theorien, die jeweils ihre Vorläufer ‘unifiied and superseded’ hätten. Genau dies leistet auch der dynamisch-transaktionale Ansatz — genau wie Newtons Dynamik die irdische Physik Galileis mit der Himmelsphysik Keplers verband, indem sie diese gleichzeitig enthielt, berichtigte und aufhob [vgl. Popper 1995: 206ff.].
Der empirische Bewährungsgrad resultiert laut Popper [1982: 30; vgl. auch 1995: 18] genauer aus folgenden Kriterien:“[...] wie die Theorie ihre Probleme löst; der Grad ihrer Prüfbarkeit; die Strenge der Prüfungen, der sie unterzogen wurde; und wie sie diese Prüfungen bestanden hat.”
Vgl. Merten [1985], Renckstorf [1989: 323ff.], Schönbach/Weischenberg [1984, 1987].
Der Umkehrschluß gilt jedoch nicht: Empirische Aussagen sind nicht zwingend Basissätze [vgl. Popper 1969: 386].
Früh/Schönbach spezifiizieren den dynamisch-transaktionalen Ansatz beispielsweise zum dynamisch-transaktionalen Modell, das außerdem um einen molaren, ökologischen Kontext erweitert wird. Empirieleitend wird dieses Modell in verschieden Studien. Vgl. Früh [1991: Teil III].
Früh weist selbst bereits auf zwei Dilemmata der Parzellierung der Komponenten (statt der zwischen ihnen stattfindenden Prozesse) hin: Erstens zöge die Isolierung von nichtsdestoweniger transagierenden Variablen Zuordnungsprobleme nach sich. Außerdem wären die analysierten Relationen entgegen den Annahmen des dynamisch-transaktionalen Ansatzes statisch und entsprächen eben nicht dem spezifischen Verlauf von Wirkung [vgl. Früh 1991: 64, 75f., 161f.].
Wenn der dynamisch-transaktionale Ansatz aber keine eigenständige Bedeutung mehr hat, hindert nichts beispielsweise Renckstorf [1989: 324] daran, die Transaktion stets als symmetrischen, gleichberechtigten Austausch mißzuverstehen und folglich als unvollständig zu kritisieren. Und sobald sich Wirkung nicht mehr auf bewährte Komponenten bezieht, deren Relationierung jedoch ohne Bedeutung bleibt, können andere Kritiker vermuten, der Wirkungsbegriff sei gleich ganz aufzugeben [vgl. Schulz 1990: 36].
Seltenes Vorbild ist das Konzept der ‘Handlungsrelevanz’. Es ist keiner der Komponenten zuzuordnen, sondern verweist auf die spezifische Transaktion zwischen Kommunikator und Medium. Genauso drückt die ‘Kommunikationsdistanz’ ausschließlich die spezifische Relation zwischen Kommunikator und Rezipient aus. Vgl. Weischenberg/Scholl [1989].
52“1. Welche Filter sind im Wirkungsprozeß aktiv? 2. In welcher Weise lassen sich diese Filter durch Inputs verändern? 3. Welche ‘eigengeschichtliche’ Wirkung entfalten diese Filter? 4. In welchem Zusammenhang stehen diese Filter mit kognitiven Strukturen des Wissens, der Erfahrung und mit affektiven (motivationalen) Filtern?” [Merten 1991: 55].
Dieser (gemessen am heuristischen Gehalt) relativ schwache empirische Gehalt wurde bereits in Abschnitt 3.2.1 gezeigt.
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Halff, G. (1998). Braucht die Medienwirkungsforschung das Involvement-Konstrukt?. In: Die Malaise der Medienwirkungsforschung: Transklassische Wirkungen und klassische Forschung. Studien zur Kommunikationswissenschaft, vol 28. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-07803-6_5
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