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Konflikte um die äußere Natur — Der Widerstand gegen ‘Genfood’ in Großbritannien

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Streitfall Natur
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Zusammenfassung

In der folgenden Fallstudie soll gezeigt werden, dass die in Kapitel 2 im größeren historischen und sachgebietsübergreifenden Raster entwickelte Heuristik für die Deutung von Technik- und Umweltkonflikten auch primäranalytisch tragfähig ist und einen feinkörnigen diskursanalytischen Aufschluss gegenwärtig ablaufender Technik- und Umweltkonflikte ermöglicht. Als Beispiel habe ich die Auseinandersetzung um gentechnisch modifizierte Lebensmittel gewählt, die unter Experten, von den NGOs und in den Medien vor allem als Risikokonflikt — in Bezug auf Gesundheits- und Umweltaspekte — verstanden wird. Dabei handelt es sich jedoch — in meiner Deutung — um einen zunächst vor allem aus alteritätsorientierten Motiven angestoßenen Konflikt, denn konkrete, im Sinne des utilitären Interesses habhafte Risiken für Leben, Gesundheit und Eigentum waren bei der Gentechnik anfangs nicht nachweisbar. Der in Kapitel 2.5. skizzierten Deutung folgend soll hier konkret gezeigt werden, wie alteritätsorientierte Motive an Durchschlagkraft gewinnen, in transformierter Form in den hegemonialen utilitären Diskurs eindringen, und diesen dabei deutlich modifizieren. Gerade bei der Analyse des diesbezüglichen Laiendiskurses ist aber auch zu fragen, inwieweit hier nicht auch Aspekte eines identitätsorientierten Ordnungskonfliktes zu finden sind. In Kapitel 2.8 und in Kapitel 4 habe ich die These aufgestellt und zu illustrieren versucht, dass sich identitätsorientierte Konflikte in modernen Gesellschaften vor allem auf die Gestaltung der inneren Natur beziehen.

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Literatur

  1. Zur Interpretation vgl. Bode 1993 und Firchow 1984.

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  2. Zur ‚schwarzen Romantik’ vgl. generell Praz 1988.

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  3. Diese wird besonders deutlich anhand der in Großbritannien sehr beliebten Hobbygärtnerei, die in letzter Zeit verstärkten Zulauf gerade bei jungen Leuten gewinnt. Bezeichnend ist die Aussage des Moderators der Fernsehsendung ‘Real Gardens’ auf Channel 4: “We have all become very sophisticated about design and lifestyle: what we eat, what we wear, where we live. And that has extended to the garden. But another factor, which I think is much more interesting, is that more and more people are growing up aware of their environment, of things living and growing. People care more about the planet, but the only way they can express that — their only stake in the planet — is with their own back garden. It is a sort of hippydom, but with a much more mainstream edge.” (Jane Shilling : “Is gardening the new interior decorating, which was the new cooking, which was, of course, the new sex?”, Times v. 13.8.99: 37)

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  4. Im Vergleich zu Deutschland fällt auf, dass in Großbritannien die älteren und genuin konservativeren Organisationen, wie etwa der National Trust, viel stärker sind als die jüngeren, eher kampagnenorientierten Organisationen (vgl. Tab. 5.2 und Tab. 5.3).

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  5. Quelle: Zusammenstellung aus Grove-White 1994: 191–202

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  6. Quelle: Zusammenstellung in Die Woche vom 13.12.1996, S.34

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  7. Das ist gegenwärtig (1999) noch Zukunftsmusik. Die erste und derzeit umkämpfte Generation von genmanipulierten Pflanzen bringt im Fall der männlichen Sterilität nur Vorteile für die Saatguthersteller, im Fall der Herbizid- und Insektenresistenz nur Vorteile für die Landwirte und im Fall der Reifehemrnung nur Vorteile für die Lebensmittelindustrie — oder ‘konstruktivistisch’ ausgedrückt: Es ist der Industrie bisher nicht gelungen, angebliche Vorteile für Verbraucher und Umwelt erfolgreich zu kommunizieren.

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  8. “Cookery as a domestic art, contributing to the comfort and luxury of the private life, had made considerable progress in England before the Reformation; which event threw it back some centuries.” (zit. n. Hughes 1995:786)

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  9. Bemerkung am Rande: In der Times (31.1.98, Weekend p.2) erfahren wir auch von einem ehemaligen Leibkoch, dass Prinz Charles, im deutlichen Unterschied zur Queen, ein ausgesprochener Feinschmecker und überdies Liebhaber des organischen Landbaus ist. Zugleich ist er der prominenteste Gentechnik-Kritiker in Großbritannien.

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  10. 1996 entfielen, laut Eurostat, in Großbritannien 19,9 % der Ausgaben auf ‘Nahrung, Getränke, Tabak’ (D: 14,2%, USA: 11,4%, IRL: 30,7%). 1957 gab der durchschnittliche britische Haushalt noch ca. ein Drittel für Nahrungsmittel aus (Gibson/Smout 1993: 11).

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  11. Quellen: Nature Biotechnology, 1996, vol.14: 1627; Financial Times 7/8.12.96, Joe Rogaly: Beans and genes. Kommentar: Das gilt allerdings im strengen Sinne nicht für die Herbizidresistenz, die zwar im Anbau von Vorteil sein mag, aber für die Weiterverarbeitung keine Verbesserungen bringt. Die Lebensmittelindustrie hat dagegen Interesse an Veränderungen, die — wie z.B. die Reifehemmung von Tomaten (‘flavr savr’) — Transport, Lagerfähigkeit und Verarbeitungsbedingungen erleichtern oder eine Diversifikation des Angebots erlauben. Entsprechend haben Nestlé und Unilever die Einführung der Gentechnik bei Lebensmitteln grundsätzlich unterstützt.

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  12. Gefunden unter http://agbio.cabweb.org/NEWS/Public.htm

  13. Die Presse-Berichterstattung zum Thema findet man archiviert unter http://www.gene.ch:80/archives.html. Einschlägig außerdem die Website von Genetix Snowball: http://www.gn.apc.org/pmhp/gs/, sowie der gemeinnützigen Organisation ‘Millennium-Debate’: http://www.millennium-debate.org/gmfoods.htm — bei letzterer sehr viele, immer aktuelle ‘links’ zu weiteren Web-Ressourcen. Da die Verbindung zu den Webseiten und deren Inhalte im Lauf der Zeit verloren gehen können, habe ich wichtige Dokumente heruntergeladen und auf Festplatte gespeichert.

  14. ‘Ersatzvornahme’ bedeutet im administrativen Jargon, dass der Staat aufgrund von Pflichtversäumnissen von Privaten tätig wird. Quelle: Statements in http://www.gn.apc.org/pmhp/gs/campaign. htm#state (Genetix Snowball)

  15. Das Eurobarometer ermittelt für 1999 in Großbritannien den Anteil der ‘Gegner transgener Lebensmittel’ in der Bevölkerung mit 53 Prozent — gegenüber 33 Prozent bei der Umfrage von 1996 (Gaskell et al. 2000: 938). In Deutschland ist im gleichen Zeitraum der Anteil der Gegner von 44 auf 51 Prozent gestiegen. 1999 war die Gegnerschaft in der EU am stärksten ausgeprägt in Griechenland (mit 81 %), der niedrigste Anteil von Gegnern wurde für die Niederlande verzeichnet (mit 25%).

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  16. Times v. 28.2.00, Mick Hume: Blair’s policy shift on GM foods, widely welcomed as proof of the greening of his government, looks more like evidence that it has turned yellow.

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  17. Die folgende Interpretation dieser Plakate beruht methodisch auf einer Zusammenfassung der dort aufgeführten Schlagworte zu Sinneinheiten, wie man sie in Kenntnis der einschlägigen Literatur zum Thema Grüne Revolution, Saatgut und Biodiversität, und der entsprechenden Initiativen von Ökologie- und Dritte-Welt-NGOs sowie von Dritte-Welt-Regierungen zusammenstellen kann (z.B. Flitner et al. 1998). Im Allgemeinen wurde dabei zur näheren Bestimmung der Wortbedeutung jeweils auch die Antipode auf der anderen Seite des Plakats zu Rate gezogen — die Bedeutung von ‘lokal’ links oben im linken Plakat wird präzisiert durch den Gegenbegriff ‘global market’ links oben im rechten Plakat. Das geht aber nicht immer: ‘sustainable’ vs. ‘statistic’, ‘wholesome’ vs. ‘control’, ‘security’ vs. ‘monopoly’ ergeben zwar im Kontext ihrer jeweiligen Plakatseite sehr wohl einen Sinn, kaum aber als Gegensatzpaar (weshalb in den folgenden Fußnoten die semantisch nicht zugehörigen Antipoden eingeklammert sind).

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  18. http://www.gn.apc.org/pmhp/gs/handbook/index.htm

  19. Bei dieser Darstellung handelt es sich um eine vereinfachende Zuspitzung: Die Thematisierung betriebswirtschaftlicher Transaktionen und der Nature-Nurture-Debatte wird besonders intensiv in der Times betrieben, im Guardian ist sie nur in abgeschwächter Form zu finden. Die Medienanalyse von Bauer et al. (1998a: 166f.) deutet darauf hin, dass diese Art der Berichterstattung für die gesamte Vorzeit des Konflikts typisch ist.

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  20. Vgl. v.a. John Vidal/John Carvel: Lambs to the gene market, The Guardian 12/11/94: 25. Sowie Colin Spencer: Designer genes, The Guardian 24/9/1994: 58.

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  21. Dass der Tenor der Berichterstattung auf das Urteil des Medienrezipienten keinen Einfluss hat, wurde jüngst von Peters (1999) gezeigt. Über die angesprochene Wirkung der Form des Argumentationsflusses liegen (mir) keine empirischen Untersuchungen vor.

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  22. Das zeigt sich auch daran, dass diese Einstellungen zur Natürlichkeit der Nahrung und die daraus resultierende Abwehr gegen transgene Nahrungsmittel in Fokusgruppen-Interviews bereits vor dem Ausbruch des Konflikts in Großbritannien ermittelt wurden (Grove-White et al. 1997).

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  23. Vgl. z.B. auch Winnacker, E.L.: Der 8. Tag der Schöpfung, in: Bild der Wissenschaft 2/1987, S.40ff.

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  24. In den eindeutig auf Biotechnologie bezogenen Artikeln des Guardian ist BSE 1994 einmal und selbst 1997 erst zweimal erwähnt (der Höhepunkt der BSE-Krise war 1996/97). Für 1998 sind dann 18 und bis Ende September 1999 17 Nennungen zu verzeichnen. Die Tatsache, dass die Reaktion gegenüber ‘Frankenfood’ in Großbritannien seit 1996 immer heftiger wurde und in ihrer Heftigkeit alle europäischen Partnerländer übertraf, die Reaktion gegenüber BSE andererseits nach 1996 abflaute, obwohl erst seit diesem Zeitpunkt allmählich klar wurde, welche massiven Folgen für die menschliche Gesundheit zu befürchten sind und wie die Öffentlichkeit systematisch getäuscht worden war, ist eventuell als ‘Übersprungshandlung’ zu deuten: BSE war hausgemacht und ein Angriff auf ‘British Beef, d.h. ein Nationalheiligtum. Zudem war hier ‘das Kind schon in den Brunnen gefallen’, das meiste infizierte Fleisch schon gegessen und insofern die Vorstellung naheliegend, dass die Übertragung auf den Menschen schon stattgefunden haben würde — wenn sie denn in dem befürchteten Maße stattgefunden haben sollte. Das könnten Gründe gewesen sein, BSE doch lieber wieder in den Hintergrund zu drängen. Transgene Soja, transgene Pflanzen und Nahrungsmittel insgesamt kamen dagegen überwiegend von außen. Man musste auf nichts verzichten, wenn man sie boykottierte. Und man konnte Einfuhr, Anbau und Verbreitung noch verhindern, weil sie im Wesentlichen erst bevorstanden. Zudem werden BSE und ‘Frankenfood’ als Symbol für die gleichen fehlgeleiteten Agrarstrukturen gesehen. Man kann also ‘Nonsanto’ peitschen und BSE meinen, ohne sich dabei allzu sehr ins eigene Fleisch zu schneiden.

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  25. Bis heute ist die Situation nicht geklärt. In einer Presserklärung vom 4.1.2000 sagt die American Corn Grower Association eine Reduzierung der Anbaufläche in den USA für transgene Pflanzen um 25% voraus und weist zugleich auf viele ungeklärte Fragen hin, u.a.: “Who is legally responsible for contamination of a neighbor’s field? Will farmer begin suing farmer over cross-pollination or will the liability rest with the seed corn companies where it belongs? On the issue of segregation and certification, who will bear the financial burden of testing crops and the added expense of keeping GMOs separate from non-GMOs?” Die US-amerikanischen Landwirte sehen sich hier “caught in the middle of this dispute between seed dealers, chemical companies, grain exporters and processors, foreign consumers and U.S. trade policy.” (http://www.acga.org./news/). Nachtrag im Mai 2001: Den aktuellsten Gesamtüberblick gibt eine Studie des Generaldirektorats Landwirtschaft der EU-Kommission (EU-Kommission 2001). Darin wird deutlich, dass die Entscheidung über die Marktgröße von transgenen versus nicht-transgenen Pflanzen — insbesondere bei Mais und Soja — sehr stark vom Futtermittelmarkt abhängt (s.u.).

  26. Vgl. im Folgenden besonders: Freezer store cold shoulders genetically modified food (Guardian, 19.3.98: 2); Food with modified genes sold unlabelled (Sunday Times, 24.5.98: 5); Testing times for firms that say no to gene foods (Observer, 7.3.99: 4); Environment: Retail ethics: Model trade (Guardian, 17.3.99: 10); Iceland sales rise 9 per cent after the ban on GM foods (Observer, 21.3.99: 1); Profits surge as Iceland freezes out GM foods (Guardian, 24.3.99: 24); Stockwatch/Business (Observer, 30.5.99: 6); Rivals maul Sainsbury GM ad (Guardian, 19.8.99: 20); ‘Green’ Iceland goes online (Guardian, 8.9.99: 24).

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  27. Inwieweit diesbezüglich aus dem Einzelfall weitergehende Schlüsse über die Einflussmöglichkeiten von Protestakteuren gerade unter Bedingungen wirtschaftlicher Globalisierung zu ziehen sind, habe ich (zusammen mit Marion Dreyer) an anderer Stelle analysiert (Dreyer/Gill 2000b).

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  28. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Ergebnis der 1999 europaweit durchgeführten Eurobarometer-Umfrage: 53 % lehnen transgene Lebensmittel ab, 25 % sind ‘risiko-tolerante’ Unterstützer und 22 % unterstützen sie vorbehaltlos. Überraschend ist nun, dass auch diejenigen, die die Gentechnik generell unterstützen, überwiegend der Meinung sind, dass transgene Lebensmittel ‘trotz Vorteilen fundamental unnatürlich’ seien (57%) und dass sie ‘die natürliche Ordnung gefährden’ (54%). Bei den generellen Gegnern der Gentechnik liegen die entsprechenden Werte selbstverständlich noch höher — 92% und 89% (Gaskell et al. 2000: 937).

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  29. Times v. 28.2.00, Mick Hume: Blair’s policy shift on GM foods, widely welcomed as proof of the greening of his government, looks more like evidence that it has turned yellow.

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Gill, B. (2003). Konflikte um die äußere Natur — Der Widerstand gegen ‘Genfood’ in Großbritannien. In: Streitfall Natur. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-07784-8_7

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-07784-8_7

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-531-13838-1

  • Online ISBN: 978-3-663-07784-8

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