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Typologie der Naturvorstellungen und der korrespondierenden gesellschaftlichen Orientierungen

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Streitfall Natur
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Zusammenfassung

Kein Akteur, so könnte man die These des vorigen Kapitels zugespitzt zusammenfassen, zweifelt ernsthaft an der Materialität von innerer und äußerer, erster und zweiter Natur — Bauch und Kopf, Flüssen und Antilopen, Herzschrittmachern und Kernkraftwerken. Worauf es allerdings ankommt, ist die Deutung und Bedeutung der Materialität, die der Aufmerksamkeit gegenüber Sinnesdaten immer vorausgeht. Mit Saint-Exupéry gesprochen: Wenn die Sehnsucht nach dem Meer in die Herzen eingepflanzt ist, werden die Leute Holz mit anderen Augen betrachten. Die Bedeutung materieller Entitäten im Objektbereich konstituiert sich also aus subjektiven Wünschen und Befürchtungen, die ihrerseits zwar auf natürlichen Grundbedürfnissen beruhen mögen, in ihrer konkreten Form aber stets kulturspezifisch sind. Die Bedeutung ergibt sich also nicht allein aus den materiellen Eigenschaften des Objekts, sondern zugleich aus der Kosmologie, also der Gesamtsicht der Welt, der die Akteure gerade folgen.

“Wenn Du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Leute zusammen, um Holz zu sammeln, sondern wecke in ihnen die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.” (Antoine de Saint-Exupéry)

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Literatur

  1. Man findet zu diesem Punkt widersprüchliche Ausführungen. Wolfgang Krohn (1981: 65) bemerkt (ohne nähere Quellenangabe): “Nach Aristoteles ist die Technik gezwungene Natur und daher technische Erkenntnis eine Erkenntnis darüber, wie die Natur nicht an sich selbst ist — und daher a limine keine Naturerkenntnis.” Im Historischen Wörterbuch der Philosophie wird mit akribischen Quellenverweisen ausgeführt (zum Stichwort Natur): “Aristoteles reagiert mit seinem Begriff von Physis (...) gegen die Überordnung von (göttlicher) Techne, Gesetzlichkeit und demiurgischem Wirken über alle, insbesondere die sichtbare Natur bei Platon: Nicht die Physis ahmt die Techne nach, sondern umgekehrt die Techne die Physis, wobei die menschliche Kunst nur das noch ergänzen kann, was die Physis ihr übriglässt. So führt Aristoteles an verschiedenen Stellen mit deutlicher Spitze gegen Platon aus.” (Hager 1984: 430) Weiter unten heißt es zwar: “Mehrfach wird dieser Grundbegriff der Physis [als der Wesen, die das Prinzip ihrer Bewegung und Ruhe in sich selbst tragen], welcher im engen Zusammenhang mit dem aristotelischen Substanzbegriff steht, im Gegensatz zum Begriff der Techne und vor allem der Artefakten, die kein eigenes Prinzip der Bewegung in sich haben, entwickelt.” (431) Hier wird aber lediglich zwischen selbstbewegten und durch Techne bewegten Wesenheiten unterschieden. Von einer Gleichsetzung von Techne mit erzwungener Bewegung kann aber auch hier keine Rede sein. Ganz eindeutig wird das beim Eintrag zum Stichwort Kunst (techne): “Kunst, weit davon entfernt, Beherrschung der Natur zu sein, vermag nichts ohne deren Legitimation. Dies auf die Formel ‘ars imitatur naturam’ gebrachte Prinzip der Strukturidentität von Naturproduktion und menschlichem Herstellen glaubt Aristotels erstmals aus den dunklen Worten Heraklits herauszuhören (...). Das Nachahmungsprinzip erweitert Aristoteles jedoch durch das der Ergänzung: Kunst und Bildung füllen die Lücken aus, die die Natur noch bestehen ließ, wobei es für das Produkt gleichgültig ist, ob Kunst oder Natur es hervorbrachte.” (Müller 1976: 1360)

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  2. Formal gibt es auch Ähnlichkeiten zu Karl Marx, der einerseits das blinde Kräftespiel kapitalistischer Konkurrenz als ‘naturwüchsig’ verdammt, andererseits im Kommunismus aber die Verwirklichung des Menschen als eines natürlichen Gattungswesens anstrebt (vgl. Sandkühler 1978). Hier liegen auch Wurzeln für den ‘wissenschaftlichen Materialismus’, in dem Politik auf Natur zurückgeführt und folglich autoritär begründet wird. Entsprechende Parallelen zwischen katholischer Kirche und kornmunistischer Partei sind in dieser Hinsicht nicht ganz zufällig. Im Kern aber ist der Sozialismus als utilitätsorientiert einzuschätzen — mit rornantisch-alteritätsorientierten Elementen beim jungen Marx, sowie bei Georg Lukács, Ernst Bloch, Walter Benjamin, Theodor Adorno und Herbert Marcuse (siehe unten, Kap. 2.4).

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  3. Der erste Debattenbeitrag in ‘Die Zeit’ stammte von dem Biologen Dieter E. Zimmer, der vor allem auf das mit dem Klonen verbundene Inzuchtproblem und entsprechende Gefahren für den menschlichen Genpool hinwies.

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  4. Hier hat die psychoanalytische Betrachtung, wie sie sich in den 1970er Jahren zumindest in gebildeteren Kreisen allgemein durchgesetzt hat, die Zurechnungsmöglichkeiten — und damit den Verantwortungsdruck füür die Eltern und die (Selbst-)Infantilisierungsmöglichkeiten für die adoleszenten Kinder — enorm gesteigert. Erwachsenwerden heißt seither, sich selbst als unbedingt und daher frei zu setzen, d.h. von Zurechnungsmöglichkeiten auf Gesellschaft und Elternhaus freiwillig abzusehen und sich stattdessen auf die im Rahmen von Anlage, Erziehung und eigenen biografischen Vorentscheidungen gegebenen Spielräume zu konzentrieren. Ein Abdunkeln ist also auch dann möglich, wenn ein technischer Eingriff — wie im Fall der Erziehung schon immer und unausweichlich — stattgefunden hat. Selbstverständlich sollte das nicht als Argument für reproduktives Klonen verstanden werden, das aber ohnehin nur auf pathologischer Eitelkeit beruhen kann und deswegen ein wahrscheinlich nicht besonders realistisches Diskussionsbeispiel füür die neuen Möglichkeiten der Biotechnologie ist.

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  5. Parallelen zur gegenwärtigen Rede von der Auflösung der Grenze zwischen Natur und Gesellschaft bei Bruno Latour (1995), Donna Haraway (1995), Antony Giddens (1996), Ulrich Beck (1986, 1988) und Christoph Lau (1999) sind vielleicht nicht ganz zufällig. Bemerkt wird heute, dass die Dominanz der Naturvorstellung des Industriezeitalters zu Ende geht.

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  6. Insofern sind, entgegen den im Selbstverständnis der modernen Naturwissenschaften betonten Brüchen zur Vormoderne, durchaus auch deutliche Kontinuitäten zu erkennen. Viele Naturwissenschaftler in der frühen Neuzeit, wie z.B. Gottfried Wilhelm Leibniz, waren zudem nicht, wie Bacon, primär auf Nutzen aus, sondern wollten in den Wirkungen der Natur Gott schauen; sie werden daher als Physikotheologen bezeichnet (vgl. Krolzik 1990; Groh/Groh 1991b).

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  7. In diesem Sinne ist es richtig, dass Natur und Gesellschaft in der Moderne voneinander getrennt sind (Latour 1995: 22ff.). Insgesamt stellt sich das Bild aber schon für den utilitätsorientierten Diskurs komplizierter dar, siehe dazu die Bemerkungen am Schluss dieses Unterkapitels. Außerdem sind auch spezifisch alteritätsorientierte Trennungsformen zu berücksichtigen, die der Gesellschaft eine unberührte, wilde Natur positiv entgegensetzen (siehe nächstes Unterkapitel).

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  8. Natürlich haben alle Kulturen ihr physisches Überleben sichern müssen und selbstverständlich findet man entsprechend auch bei allen Kulturen dafür geeignete Instrumente. Aber erstens gibt es bei allen uns bekannten, also auch den sog. primitiven Kulturen, reine Kultobjekte, d.h. vom utilitätsorientierten Standpunkt her betrachtet völlig nutzlose Dinge, und zweitens haben viele materiell nützliche Dinge zugleich auch eine kultische Bedeutung. Zum Utilitätsdenken selbst in der ‘Kulturwissenschaft’ Ethnologie und zur entsprechenden Verkennung der kultisch-symbolischen Dimension von Gebrauchsgegenständen vgl. Suhrbier 1998.

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  9. Man muss hier zwischen analytisch-synthetischen und deskriptiv-taxonomischen Naturwissenschaften unterscheiden. Erstere gehören alle zur Physik (Mechanik, Hydraulik, Optik etc.) oder gründen auf Physik, wie z.B. die Chemie. Sie reduzieren Natur auf mathematisierbare Grundelemente und setzen diese neu zusammen. Insofern entsprechen sie vollständig dem Baconschen Ideal: Indem die Physik dem Ideal exakter Quantifizierbarkeit und Reproduzierbarkeit — beherrschter Natur — am nächsten kommt, gibt sie das schlechthinnige Vorbild ab. Die deskriptiv-taxonomischen Disziplinen dagegen beschreiben Natur lediglich in ihrer konkreten Gestalt, wie etwa die Botanik, Zoologie, Geologie und Klimatologie. Diese (aber nur diese) sind, wie Wolfgang Lepenies (1976) gezeigt hat, vom statischen Bild der Schöpfungsordnung zum Denken in naturgeschichtlichen Termini übergegangen. An der Biologie können wir gegenwärtig beobachten, wie sich eine ehemals deskripitiv-taxonomische Disziplin nun — mittels Gentechnik, die ihrerseits auf Chemie und Physik gründet — teilweise in eine analytisch-synthetische Disziplin verwandelt (Winnacker 1987; Hohlfeld 1988). Theoretisch ist hier denkbar, dass man eines Tages Lebewesen molekular vollständig neu zusammensetzen kann, und insofern auf Mikrobiologie, Botanik und Zoologie als Wissenschaften vom natürlichen ‘Ausgangsmaterial’ kaum mehr angewiesen sein würde.

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  10. Vgl. etwa Emile Durkheim (1977: 273ff.) mit Verweis auf das Weber-Fechnersche Gesetz der Wahrnehmungspsychologie. Zur Rezeption desselben in der zeitgenössischen Nationalökonomie vgl. auch Max Weber (1951: 384ff.).

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  11. Für eine Reagrarisierung, zumal auf einem ohne Technisierung niedrigen Niveau der Flächenproduktivität, schien Deutschland zu dicht besiedelt — daher auch die Parole vom ‘Volk ohne Raum’ (vgl. Heuser 1991). Die Expansion war aber nicht ohne militärische Aggression möglich. Deshalb blieb schon aus militärischen Gründen die Bindung an industrielle Rationalität erforderlich.

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  12. Max Weber weist in der ‘Protestantischen Ethik’ auf den Unterschied zu den mittelalterlichen Kasteiungen hin: “Dem Leib soll gewährt werden, was er bedarf, sonst wird man sein Knecht” (1996: 145, FN 294)

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  13. Ein ähnliches Motiv stellt die schon sehr früh vorgenommene Entgegensetzung von verderbtem Stadt- und sittlich wohlgefälligem Landleben dar (Williams 1973).

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  14. “Sein Streben nach Unmittelbarkeit, nach Einheit und Totalität wird immer auch und zugleich als imaginär reflektiert.” Warning, dessen Interpretation ich hier mit einigen Abschwächungen gefolgt bin, will darin eine ‘postmoderne Aktualität’ (1990: 91) Rousseaus erblicken, während Groh/Groh (1991a: 140) lediglich eine Säkularisationsbewegung in Ablösung zur Physikotheologie konstatieren, bei der an die Stelle der Totalität der Gottes-Natur die Totalität des Subjekts trete.

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  15. Vgl. Kapitel 5.1.1.

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  16. Bei Honneth (1990) finden sich auch weitere Hinweise auf den ‘romantischen Antikapitalismus’ (insbesondere Literatur S.11/FN 4) und das romantische Erbe des Marxismus. Außerdem weist er auch auf das Erbe Rousseau’s bei Claude Lévi-Strauss hin (93ff.).

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  17. In fast immer rückwärtsgewandter Stoßrichtung sind dagegen die folgenden Gegensatzpaare anzutreffen: Landbesitzer versus Kapitalisten, Land versus Stadt, Gemeinschaft versus Gesellschaft, Vergangenheit versus Zukunft (vgl. Mannheim 1964). Zur Stellung des Konservativismus als Mischtypus vgl. oben, Kap. 2.4.1.

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  18. Zum englischen Sensualismus vgl. Campbell (1987).

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  19. Man kann Hans Robert Jauß (1990: 213) wohl zustimmen, wenn er behauptet, die romantische Ästhetik der Natur habe die unideale, die bloße Triebnatur ausgeschlossen. Mit dieser utilitaristischen und speziell darwinistischen Form der Naturdarstellung hatte sie tatsächlich nichts im Sinn.

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  20. Marx, obwohl selbst unvermeidlich in die Kreise wenig etablierter Journalisten verstrickt, habe Distanz zu wahren versucht und entsprechend die Bohème als ‘Lumpenproletariat’ aufgefasst (ebd.: 115).

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  21. Sie zitiert in diesem Zusammenhang auch Malcolm Cowley: “The bohemian ideals of self-expression and paganism ‘encouraged a demand for ... modern furniture, beach pyjamas, cosmetics [and] coloured bathrooms with toilet paper to match. Living for the moment meant buying an automobile, radio or house, using it now and paying for it later. Female equality was capable of doubling the consumption of products — cigarettes, for example — that had formerly been used by men alone.”’ (ebd.: 124)

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  22. Charles Larmore (1999) zeigt, wie die Idee eines rationalen Plans die Vorstellungen der Philosophen vom guten Leben bis in unsere Tage — hier namentlich bei John Rawls — bestimmt hat: “That attitude is the view that a life is something we are to lead and not something we should allow to happen to us.” (ebd.: 96f.). Er setzt dem entgegen, dass viele Überraschungen im Leben glückliche Ereignisse sein können, die auch unsere Sichtweisen und Kriterien verändern und damit einen ein für allemal gefassten festen Plan absurd werden lassen.

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  23. Wilson spielt hier natürlich auf Max Weber an, auf die Schlusspassage in der ‘Protestantischen Ethik’ (Weber 1996: 153). Weber spricht dort vom Kapitalismus, und nicht wie Wilson von Moderne. Ich wiederum benutze den Ausdruck hier als Sinnbild des Utilitarismus, der dominanten Logik der Industriemoderne.

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  24. Vgl. dazu unten, Kap. 2.5., das entsprechend starke Engagement in der Umweltbewegung im Kampf gegen besonder schwer zu definierende Risiken.

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  25. Da unsere Idealtypen aber auch nicht ganz ‘ideal’, d.h. auf ein einziges begriffliches Prinzip reduziert sind (vgl. Kapitel 2.6), sondern ihrerseits schon reale historische Elemente enthalten, ist bei der Zusammenführung von zwei Idealtypen mehr als ein Mischtyp möglich, weil unterschiedliche Aspekte des Idealtyps betont werden können.

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  26. Huber (1999) geht es im Kern um die Aufrechterhaltung der räumlichen Dichotomie des Industriezeitalters: hier Zivilisation, dort Natur. Insofern knüpft er emphatisch an die auch im Rahmen von Konstruktionen nationaler Identität mobilisierte Naturschutzidee an (vgl. Nash 1983). Bezeichnend ist, dass er die Befassung mit Fernfolgen und mit Ungewissheit kategorisch zurückweist — auf diese Wiese lassen sich die Dichotomien von ‘Zivilisation vs. Natur’ sowie ‘sicher vs. unsicher’ ohne größere Mühe aufrechterhalten (vgl. unten in diesem Abschnitt). Huber selbst nennt sein Buch ‘Hard Green’ ein ‘konservatives Manifest’. In modernerer Fassung befasst sich der Utilitarismus sehr wohl auch mit Fernfolgen und mit Ungewissheit — aber auch hier besteht die Möglichkeit, mit mehr und ‘besserer’ Wissenschaft und Technik auf die bisherigen Wissenschafts- und Technikfolgen zu reagieren.

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  27. Deswegen etwa die auch von dieser Seite vorgebrachte Sorge wegen des Artensterbens und des Erhalts Biologischer Vielfalt — sie wird, ebenso wie das indigene Wissen, für die Saatgut- und Pharmaforschung benötigt. Zu den entsprechenden Motiven und Interessenkonstellationen beim Biodiversity-Abkommen, wie es auf dem Welt-Umwelt-Gipfel 1992 in Rio de Janeiro beschlossen wurde, vgl. Heins 1996.

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  28. Zur schwarzen Romantik in der Belletristik vgl. Praz 1988.

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  29. Vgl. etwa die statitischen Aufrechnungen bei Morone/Woodhouse 1986: 161f.

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  30. Vgl. dazu auch die Diskussion über Ungewissheit und Nicht-Wissen in der Ökonomie und in der Risikosoziologie. Während in der Ökonomie versucht wird, nun auch sogenannte ‘hard uncertainty’ durch versicherungsmathematische Kalküle und Portefolio-Techniken in den Griff zu bekommen (Vercelli 1998), werden in der Risikosoziologie heute zunehmend alle rationalistischen Kontrollversuche zurückgewiesen und die institutionen- und theoriesprengende Wirkung von Ungewissheit und Nicht-Wissen hervorgehoben (Wehling 2000).

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  31. Das verkennt Schimank (1983), wenn er die Umweltbewegung nur als ‘neo-romantische Protestbewegung’ beschreibt. Er bersieht dabei die Überlebensrhetorik und die szientistisch-rationalen Elemente des neuen Umweltdiskurses.

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  32. ‘Alltag’ wird hier als für Laien verfügbare Routine begriffen — im Unterschied zum Außeralltäglichen, Nicht-Routinierten oder ausschließlich professionell Zugänglichen (vgl. Soeffner 1989).

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  33. Vgl. z.B. die Interpretation von qualitativen Interviews zur Einschätzung der Gentechnik in verschiedenen Anwendungsfeldern bei Michael Zwick (1999: 104ff.). Man erfährt hier, dass die Bewertung sich nicht abstrakt auf ‘die Gentechnik’ bezieht, sondern vom Anwendungsfeld — embryonale Eingriffe, Genfood oder medizinische Anwendungen — abhängt und dort sehr verschieden ausfällt, dass sie zumeist recht ambivalent ist, und dass für die verbreitete Skepsis vor allem die Furcht vor Missbrauchspotentialen verantwortlich ist, während Risiken eine nachgeordnete Rolle spielen (S.119f.). Dieser Befund ist für anwendungsorientierte Akzeptanzforschung — die nicht zwangsläufig auf Manipulation abzielen muss, sondern bessere Verständigung zum Ziel haben kann — weiterführend (und ist auch in diesem Kontext entstanden), indem einigen dort gepflegten Missverständnissen widerspro- chen wird. Es ist aber nicht erkennbar, wie man hier — bottom up — systematisch an allgemeinere sozialwissenschaftliche Diskussionen anknünfen tkönnte

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  34. So heißt es zum Beipiel bei Weber (in den ‘Soziologischen Grundbegriffen’): “Für die typenbildende wissenschaftliche Betrachtung ... wird [z.B.] bei einer politischen oder militärischen Aktion zunächst zweckmäßigerweise festgestellt: wie das Handeln bei Kenntnis aller Umstände und aller Absichten der Mitbeteiligten und bei streng zweckrationaler, an der uns gültig scheinenden Erfahrung orientierter, Wahl der Mittel verlaufen wäre. Nur dadurch wird alsdann die kausale Zurechnung von Abweichungen davon zu den sie bedingenden Irrationalitäten möglich. Die Konstruktion eines streng zweckrationalen Handelns also dient in diesen Fällen der Soziologie, seiner evidenten Verständlichkeit und seiner — an der Rationalität haftenden — Eindeutigkeit wegen, als Typus (‘Idealtypus’), um das reale, durch Irrationalitäten aller Art (Affekte, Irrtümer) beeinflusste Handeln als ‘Abweichung’ von dem bei rein rationalen Verhalten zu gewärtigenden Verlaufe zu verstehen.” (Weber 1951 b: 530f., Herv. i. Orig) Es ist klar, dass der Forscher bei dieser Vorgehensweise dauernd ‘Irrtümer’ kons- tatieren muss: Einerseits ist in natürlichen Handlungssituationen die partielle Unkenntnis der “Umstände und Absichten der Mitbeteiligten” sowie der zweckrational geeignetesten Mittel völlig normal und auch bei größerer Anstrengung nicht zu ergründen, zumal im Allgemeinen unter Zeitdruck gehandelt wird. Zum zweiten ist unklar, wieso ausgerechnet die Erfahrung des Forschers Zweckrationalität verbürgen soll (“bei streng zweckrationaler an der uns gültig scheinenden Erfahrung orientierter Wahl der Mittel”) — die vermeintlichen Irrtümer der Beteiligten können genausogut Irrtümer der Forscher sein. Und schließlich stellt Weber sogar die Wahl der Zwecke als letztlich affektuell begründet dar (vgl. nächste Fußnote).

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  35. Im Kontext seiner im zweckrationalen Handeln als dem rationalsten Typus gipfelnden Typologie bestimmt Weber (1951b: 551ff.) die Zwecke als “subjektive Bedürfnisregungen” in einer “Skala von bewusst abgewogener Dringlichkeit” (S.553) — dann ist allerdings unklar, woher der Forscher bei der idealtypischen Herangehensweise das Handlungsziel kennen soll. Naheliegend ist, dass er unkontrolliert utilitaristische Motive unterstellt. Wie ist diese Stelle aber theoretisch einzuschätzen? Gegen Habermas (1987/I: 378ff.), der in seiner Weber-Rekonstruktion auch eine Rationalisierung der Zwecke ins Auge fasst, ist eher der Einfluss von Nietzsche auf Weber geltend zu machen — und damit von der Vielfalt möglicher Zwecksetzungen auszugehen. In der ‘Protestantischen Ethik’ charakterisiert Weber auch selbst das im Kapitalismus historisch zur Blüte gebrachte zweckrationale Handeln als irrational. An der Spitze von Webers Rationalitätshierarchie stände dann paradoxerweise — pure Irrationalität! Die Einheit der Mittel würde letztlich doch von der Vielheit der Zwecke übertrumpft. Habermas ist in seiner ‘Theorie des kommunikativen Handelns’ tendenziell den anderen Weg gegangen: Die gleichberechtigte Vielheit der Typen des Handelns — kognitiv-instrumentell, moralisch-praktisch, ästhetisch-expressiv — wird in der Einheit des kommunikativen Handelns zusammengeführt.

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Gill, B. (2003). Typologie der Naturvorstellungen und der korrespondierenden gesellschaftlichen Orientierungen. In: Streitfall Natur. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-07784-8_4

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