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Theoretische Grundlagen

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Streitfall Natur
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Zusammenfassung

Was bedeutet es, wenn man Umwelt- und Technikkonflikte als Konsequenz divergierender Naturvorstellungen betrachtet? Heißt das, die Realität von Natur und Technik zu leugnen? Die Cultural Theory, auf die mein eigener Ansatz aufbaut, gibt hier eine relativ eindeutige Antwort: Selbstverständlich sind Natur und Technik — und entsprechende Bedrohungen — nicht bloß virtuell, aber wenn sich die Akteure selbst darüber streiten, was faktisch wahr und was normativ angemessen ist und was nicht, dann können wir als Sozialwissenschaftler auch keine bessere Antwort auf diese Fragen liefern; wir können allerdings untersuchen, welche kulturellen Grundlagen und Motive dazu führen, Deutungsspielräume, wie sie zumindest bei einer komplexen, widersprüchlichen und inkonklusiven Faktenlage — also fast immer — gegeben sind, in die eine oder andere Richtung auszudehnen und welche (oft hinter ‘Sachrationalität’ versteckten) Werte und Normen darüber entscheiden, was als wünschenswert und was als bedrohlich thematisiert wird.

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Literatur

  1. Vgl dazu und im Folgenden: Alexander/Smith 1996, Beck 1996, Callon/Latour 1992, Catton/Dunlap 1978, Dunlap/Mertig 1996, Gill 1999, Hannigan 1995, Hayles 1995, Krohn/Krücken 1993, Luhmann 1986, Renn 1996, Rosa 1998, Scharping/Görg 1994, Soper 1995, van den Daele 1996a, Wehling 1989, Wynne 1996.

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  2. Vgl. zum Überblick über die Entwicklung der Wissenschaftssoziologie hier und im Folgenden: Jasanoff et al. 1994, Felt et al. 1995, Schimank 1995, Hasse et al. 1994. Zur wissenssoziologischen Einordnung der soziologischen Gesellschaftstheorien der Nachkriegszeit vgl. Alexander 1994.

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  3. Im Starnberger ‘Finalisierungsprojekt’ war zu dieser Zeit — mit eher sozialdemokratischem, administrativ-planerischem Impetus — zwischen freischwebender Grundlagenforschung und zielgerichteter Anwendungsforschung unterschieden worden; letztere könnte man, anstatt sie dem Markt zu überlassen, gezielt für sozialstaatlich legitimierte Zwecke einsetzen (Böhme et al. (1978). Nachdem das Starnberger Projekt vornehmlich aufgrund politischen Widerstands gescheitert war, wurden seine Lehren in der Forschungspolitik der christ-liberalen Koalition der 1980er Jahre gleichwohl beherzigt: Die Grundlagenforschung wurde ausgedünnt zugunsten einer politisch ausgerichteten Anwendungsforschung — letztere wurde nur eben nicht an demokratisch legitimierten, sondern an privatwirtschaftlichen Belangen orientiert.

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  4. Die Idee etwa, dass menschliche Körper nicht der Schwerkraft unterliegen, wrde sich relativ schnell selbst eliminieren, weil ihre Träger in den nächstbesten physischen Abgrund fielen (vgl. unten, Kap. 1.4.5).

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  5. Selbstverständlich soll damit nicht die Theorie gegen die Empirie abgedichtet werden. In der ‘Zirkularität’ des qualitativen Forschungsprozesses soll die Theorie selbstverständlich auch durch den induktiven Umgang mit Empirie angereichert werden. Aber indem von Deutungsstrukturen und einer überschaubaren Zahl von Typen ausgegangen wird, werden die verwendeten Deutungsmuster explizierbar gemacht (vgl. Kap. 2.6.3).

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  6. Dies gilt für die in der Risiko- und Umweltsoziologie breiter rezipierten Texte. In Mary Douglas ethnologischen Texten (z.B. Douglas 1982) findet sich eine breiter angelegte Diskussion der Kosmologien, die allerdings auf Natur und Umwelt kaum Bezug nimmt.

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  7. So hat z.B. Walter Müller (1998) in einer Untersuchung über klassenspezifisches Wahlverhalten gezeigt, dass man bessere Entsprechungen erhält, wenn man die Dienstklasse, die bisher pauschal dem rechten Lager zugeordnet wurde, in administrative und soziale Dienste unterteilt — letztere wählen, wie man auch aus der Alltagsanschauung weiß, eher rot-grün als schwarz.

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  8. Dass ich mit den folgenden Bemerkungen keine allseits offenen Türen einrenne, zeigt folgendes Beispiel: In einem Sammelband des renommierten französischen Sozialanthropologen Philippe Descola schildert Edvard Hviding (1996) die Sicht der Ureinwohner einer Südseeinsel über Meeresschildkröten, wie er sie im Rahmen seiner Feldstudien kennengelernt hat. Seinen Informanten schildert er als ausgewiesenen Spezialisten für diese in seinem Stamm nützlichen und rituell wichtigen Tiere. Sein Informant ist der Meinung, dass die Schildkrötenjungen der in Rede stehenden Spezies 21 Tage nach der Eiablage schlüpfen. Konfrontiert mit der Sicht westlicher Wissenschaftler, die hier von 50 bis 60 Tagen zeitlicher Distanz berichten, anwortet der Informant: “That is either a lie, or they are different turtles!” (ebd.: 176) Auf die Behauptung Hvidings, es handele sich tatsächlich um dieselbe Spezies, stellt der Informant empirisch sehr genaue und für den westlichen Verstand ohne besondere hermeneutische Umstände nachvollziehbare Überlegungen an, warum sich die Wissenschaftler wohl geirrt haben: “They haven’t seen it, I think. Maybe, one of them went to one island and found a nest and put a mark on that nest. But he didn’t watch over that nest day and night all the time. No, he had to go back to his office, and then when he came back to check on the nest he had marked some other turtles had disturbed the mark.” (ebd.: 177) So wie Hviding den Fall schildert, ist überhaupt nicht erkennbar, warum hier von ‘alternativen Paradigmen’ (ebd.: 178) die Rede sein soll. Der Informant antwortet nämlich auf den Widerspruch in genau der gleichen Weise, wie auch ein westlicher Wissenschaftler reagiert hätte. Ein divergierender kultureller oder sozialer Bias ist hier weder auf Seiten des Informanten noch auf Seiten der westlichen Wissenschaftler erkennbar. Es ist vielmehr wahrscheinlich, dass entweder Hviding die Schildkrötenspezies verwechselt oder der Informant Recht hat und sich die westlichen Wissenschaftler einfach irren. Bei aller Arroganz, die Wissenschaftler im Umgang mit anderen Wissensformen an den Tag legen mögen: Irrtümer bei der Beobachtung sind im Konzept westlicher Wissenschaft als Fehlerquelle nicht ausgeschlossen. Dessen sollte man sich erinnern, bevor man zu komplizierteren Erklärungen greift.

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  9. ‘Beobachtung erster Ordnung’ soll heißen: Akteure beobachten die Welt (Beispiel: Agrar- und Gesundheitsminister beobachten ‘BSE’). ‘Beobachtung zweiter Ordnung’: Personen in handlungsentlasteter Einstellung (z.B. Sozialwissenschaftler) beobachten Akteure bei ihren Beobachtungen erster Ordnung.

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  10. ‘Wahrheit als regulative Idee’ (Jürgen Habermas) bedeutet: Die Akteure müssen an der Idee einer intersubjektiven Wahrheit festhalten, um sinnvoll miteinander argumentieren zu können. Das heißt nicht, dass irgendwer letztgültig entscheiden könnte, was wahr und was falsch ist.

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  11. Die Frage ist nicht ganz einfach zu entscheiden, weil es eine komplexe methodologische Kontroverse darum u.a. aufgrund von Übersetzungsproblemen gibt (Wyler 1992).

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  12. Zur Diskussion dieses Themas in der Politikwissenschaft vgl. z.B. Mayer-Tasch 1991a, 1991b; Saretzki 1989. Zur Diskussion in der Ökonomie vgl. z.B. Immler 1984.

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  13. Statt von ‘Verstehen’ und ‘Erklären’ könnte man in heutiger Terminologie auch von ‘doppelter’ und ‘einfacher’ Hermeneutik sprechen (Reckwitz 1997: 34f.). Es sei auch darauf hingewiesen, dass in der methodologischen Kontroverse die einstmals oft harsche Opposition von ‘Verstehen’ und ‘Erklären’ heute zumindest ein Stück weit abgeschliffen ist (ebd.: 107ff.; vgl. Meinefeld 1995).

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  14. Reckwitz (1997: 160ff.) erläutert diesen Sachverhalt z.B. an der Lohn-Preis-Spirale, die manchen ja als ein ‘ehernes Gesetz’ erscheinen mag, in Wirklichkeit aber auf der Konstanz bestimmter Einstellungen beruht: die Gewerkschaften müssen auf höhere Preise nicht mit Lohnforderungen reagieren, die Arbeiter müssen den Einkommenszuwachs nicht ausgeben, sondern können ihn auch sparen.

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  15. Z.B. gibt es in Mitteleuropa ca. seit Mitte des 19. Jahrhunderts (in Friedenszeiten) keine endemischen Hungersnöte mehr: Durch Rückgriff auf die Kolonien, durch die überlegene Kaufkraft im zunehmenden Welthandel und durch technisch verbesserte Landwirtschaft konnte die Wirkung von Klimaschwankungen, Schädlingsbefall etc. aufgefangen werden. Die Eliten konnten durch die Wahl der Wohn- und Urlaubsorte auch den anthropogen erzeugten Umweltbeeintrchtigungen der zunehmenden Industrialisierung ausweichen, weil diese anfangs vor allem lokal gebündelt auftraten — betroffen waren vor allem die Unterschichten. Durch den Bau immer höherer Schornsteine — im direkten wie übertragenen Sinne — wurden die Umweltbeeinträchtigungen auch zunehmend räumlich exportiert (Gill 1999).

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  16. Die Actor-Network-Theory von Bruno Latour (1995) ist nicht ganz einfach einzuordnen: Naturwissenschaft, Technik und Umweltzerstörung werden hier durch Vernetzungsprozesse von menschlichen und nicht-menschlichen Aktanden hergestellt. Insofern handelt es sich nicht wie im Konstruktivismus um Vorstellungen von Wirklichkeit, sondern ganz substantiell um die Herstellung derselben. Diese Vernetzung geschieht jedoch nicht — wie im Realismus angenommen — aufgrund von universell gültigen Naturgesetzen, sondern aufgrund von kontingenten Ereignissen (Latour 1996a). Da Latour von der Ethnomethodologie Garfinkels und dem Laborkonstruktivismus ausgeht, passt die ActorNetwork-Theory dennoch eher zu den in Abbildung 1.4 dargestellten Ansätzen der konstruktivistischen Wissenschafts-, Technik- und Umweltsoziologie. Ähnliches gilt für Donna Haraway (1995).

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  17. Ulrich Becks Risikosoziologie ist hier nicht klar zuzuordnen, weil sie weder eindeutig ‘realistisch’ noch eindeutig ‘konstruktivistisch’ ist (vgl. z.B. Beck 1998).

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  18. Insofern verbietet sich auch die Kopplung von Gesellschaft und Umwelt zu einem Gesamtsystem und dessen prognostische Modellierung, solange nicht die Binnensicht der Akteure sowie deren Veränderbarkeit einbezogen wird (vgl. z.B. Bühl 1986; Fischer-Kowalski/Weisz 1998).

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Gill, B. (2003). Theoretische Grundlagen. In: Streitfall Natur. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-07784-8_3

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-07784-8_3

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-531-13838-1

  • Online ISBN: 978-3-663-07784-8

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