Zusammenfassung
Im Zentrum der vorliegenden Forschungsarbeit steht eine Untersuchung heute bestehender sozialkultureller Varianten ehrenamtlichen sozialen Engagements. Anhand der Biographieverläufe ehrenamtlicher Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen werden Verlaufsformen und Sinnorientierungen des Engagements in Tätigkeitsfeldern des sozialen Bereichs untersucht. Ergebnis der Fallrekonstruktionen ist die Erarbeitung einer Typologie ehrenamtlichen Engagements.
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Referenzen
In einer vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (1986) herausgegebenen Publikation wird das ehrenamtliche Engagement als “freiwilliges soziales Engagement” bezeichnet; Wirth (1980) spricht von “Laienarbeit”. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen werden als “freitätige Mitarbeiter” (Bock/Lowy/Pankoke-Schenk 1980) oder “freiwillige Helfer” (Priepke 1982; Schmachtenberg 1980) bezeichnet.
Dies wird auch von den Autoren des Bandes Ehrenamtliche soziale Dienstleistungen (Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit 1989, 22) kritisch angemerkt.
Das “Elberfelder System” entstand 1853 als die neue Armenordnung der Gemeinde Elberfeld und wurde in den folgenden Jahren von zahlreichen Städten und Gemeinden übernommen. Kennzeichnend waren Prinzipien einer Dezentralisierung und Individualisierung der Armenfürsorge: Jeder einzelne Fall wurde von einem ehrenamtlichen Armenpfleger überprüft, Leistungen sollten entsprechend der individuellen Situation des Hilfebedürftigen gewährt werden. In den Bezirksversammlungen, die von einer Gruppe von Armenpflegern gebildet wurden, wurde über die Anträge auf Unterstützung entschieden (vgl. G. Berger 1979, 45 ff.).
“Du sollst Deinen Nächsten lieben wie dich selbst” (Matth. 22, 39).
Anknüpfend an Luthers Gedanken vom ‘Priestertum aller Gläubigen’ formulierte Wichern (1808–1881) Aufgaben einer inneren Mission, in denen er Pfarrer und Laien zur ‘Tat der christlichen Liebe’ aufforderte (Wichern 1962). Beeinflußt vom Pietismus sah Wichern die Armut weiter Teile der Bevölkerung nicht nur in einem Mangel an materieller Versorgung, sondern vor allem in einer religiös-sittlichen Verwahrlosung. Er forderte eine Rückkehr zu christlichen Lebensprinzipien (für ‘Reiche und Armen’). Dies implizierte sowohl die Verbreitung christlicher Glaubensinhalte als auch die soziale Tat der christlichen Nächstenliebe (“mehr noch als die Lehre gehört ihr die helfende, dienende Tat”, ebd. 184), zu der er die Gemeindemitglieder aufrief. Organisatorisch fanden seine Bemühungen in der Gründung der Inneren Mission (1849) als dem protestantischen Wohlfahrtsverband ihren Ausdruck
Zur Geschichte der kirchlichen Armenpflege vgl. Ratzinger (1868).
Während die Gruppen die Frauen zunächst nur für ehrenamtliche Tätigkeiten qualifizieren sollten, gewannen sie zunehmend Bedeutung fur die Vorbereitung auf eine berufliche Arbeit in der Wohlfahrtspflege. Alice Salomon, Vertreterin der bürgerlichen Frauenbewegung, war wesentlich an der Institutionalisierung und Verberuflichung der sozialen Dienste als Arbeitsfeld für Frauen beteiligt (zu ihrer Biographie vgl. Salomon 1983).
Marie Bernays, Soziologin und Schülerin Max Webers, spricht von der ehrenamtlichen und beruflichen Sozialarbeit als zwei getrennten Arbeitsfeldern, “die, beide gleichnotwendig und gleichwertig in unserem sozialen Leben sind, aus verschiedenen Motiven hervorgehen, eine verschiedene Arbeitsgesinnung erzeugen und darum mit abweichenden Arbeitsmethoden andersartige Ziele zu erreichen suchen” (Bernays 1916, 393) .
Einen ausfüührlichen Literaturüberblick gibt Olk (1987).
Dies wird auch von Kosmale (1967, 22) bemerkt.
Vgl. etwa: Selbsthilfe und ihre Aktivierung durch die soziale Arbeit (1976); Deutscher Evangelischer Frauenbund (1977); Soziale Arbeit in den 80er Jahren (1983).
Vgl. dazu etwa Finks (1990, 56 ff.) Ausfüihrungen zu einer ‘neuen Kultur des Helfens’
Die wissenschaftliche Thematisierung sozialer Ehrenamtlichkeit in den 80er Jahren stellt zunächst eine Reaktion auf die sozialpolitische Auseinandersetzung dar.
Vgl. auch Hegner (1985, 113); Bock (1988, 305); Sachße (1988, 55).
Auf die Relevanz von Weiterbildungs und Qualifizierungsangeboten für ehrenamtliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen weist die Untersuchung von Kammerer und Deutsch (1986) hin, in der die Bildungsprogramme der Wohlfahrtsverbände analysiert werden. Eine “Verfachlichung des Ehrenamts” wird in einer Untersuchung ehrenamtlichen Engagements in der Altenhilfe beobachtet (Schmidt, 1991): Während 1976 etwa 30 Prozent der Ehrenamtlichen in der Altenarbeit über fachspezifische Kenntnisse verfügten, waren es 1987 bereits 39 Prozent.
Vgl. auch Bendele (1988, 84); Rauschenbach/Müller/Otto (1988, 236).
Von dieser Entwicklung ist der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV) ausgenommen, denn in ihm sind zahlreiche Selbsthilfegruppen und Initiativen organisiert.
Auch Franz (1988) diskutiert das heutige Erscheinungsbild ehrenamtlichen Engagements im Zusammenhang mit einem ‘ Wertewandel’ .
Erste Überlegungen dazu formuliert Münchmeier (1988). Er kritisiert die Ausrichtung der Diskussion an quantitativen Aspekten (Abnahme der Zahl Ehrenamtlicher, Zunahme sozialer Probleme usw.) und setzt dem Ausfihrungen zur “theoretisch-symbolischen Bedeutung” des Ehrenamtes für den Sozialstaat entgegen. Dabei geht er auf historische Aspekte etwa im Hinblick auf das dem ehrenamtlichem Engagement zugrundeliegende Gemeinschaftsverständnis ein.
Es liegen jedoch keine genauen empirischen Daten vor. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege spricht schon seit mehr als zehn Jahren von einer geschätzten Zahl von 1, 5 Millionen ehrenamtlichen Mitarbeitern, wobei regelmäßig und ebenso lang andauernd eine rückläufige Tendenz des ehrenamtlichen Engagements beklagt wird (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege 1981, 1983, 1985, 1987). Die Angaben der Wohlfahrtsverbände zur Zahl ihrer Ehrenamtlichen sind wenig verläßlich. Oppl (1990) weist darauf hin, daß die “quantitativen Relationen” nicht stimmen; es “wird von mehr Ehrenamtlichkeit gesprochen, als es tatsächlich gibt”. Auch über die Gesamtzahl ehrenamtlich Tätiger lassen sich keine eindeutigen Aussagen machen. Die vorliegenden quantitativen Erhebungen ermitteln — je nach dem Verständnis ehrenamtlichen Engagements — Ergebnisse eines Anteils ehrenamtlich Tätiger an der Bevölkerung, die sich zwischen fnf Prozent (Institut fiür Demoskopie Allensbach 1985) und 42 Prozent (Braun/Röhrig 1986, 1987) bewegen. In der zuletzt genannten Erhebung wurden ehrenamtliche Tätigkeiten und Selbsthilfeaktivitäten zusammengefaßt.
Erst die Untersuchung von Braun und Röhrig erbrachte Zahlen: Danach sind 50 Prozent der männlichen Bevölkerung ehrenamtlich und in Selbsthilfegruppen aktiv, gegenüber 35 Prozent der weiblichen Bevölkerung (Braun/Röhrig 1989, 191) . Im Sozialund Gesundheitsbereich dominieren die Frauen: 58 Prozent der in diesem Bereich ehrenamtlich Engagierten sind Frauen, 42 Prozent Männer. Bei den organisatorisch leitenden Tätigkeiten in diesem Bereich überwiegen die Männer: 59 Prozent dieser Aufgaben werden von Männern ausgeführt, 41 Prozent von Frauen (Braun/Röhrig 1987, 59).
Vgl. etwa die Beiträge in dem Band “Erst war ich selbstlos...” (1987).
Notz’ Standpunkt wird bereits in ihrer begrifflichen Herangehensweise deutlich. Sie betont den Begriff der “ehrenamtlichen Arbeit” und wendet sich gegen einen Terminus wie etwa ‘soziale Ehrenamtlichkeit’ . Sie begründet dies damit, “daß es sich bei ehrenamtlicher sozialer Arbeit um gesellschaftlich notwendige, ja unabdingbare Arbeit handelt, die, wie jede andere Arbeit, meßbar, bezahlbar, abgrenzbar, teilbar und verteilbar ist” (Notz 1989, 14).
Die Typenbildung basiert auf einer Untersuchung, die Notz (1987, 1989) anhand von drei Gruppen ehrenamtlicher Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vorgenommen hat. Problematisch ist ihr methodisches Vorgehen, bei dem sie dem Konzept einer “Aktionsforschung” folgt. Sie war zugleich Leiterin oder zumindest Mitdiskutierende sowie teilnehmende Beobachterin und Forscherin während der Gruppentreffen. Ihr Eingreifen in den Forschungsprozeß und daraus resultierende Folgen für Verlauf und Ergebnisse der Untersuchung werden von ihr nicht reflektiert.
Kleemann (1977, 14) selbst weist darauf hin, daß ihre Untersuchung nicht den Anforderungen nach Repräsentativität im quantitativen Sinn entspricht. Die Untersuchungsergebnisse repräsentieren weder die Situation der im Frauenrat zusammengeschlossenen Organisationen noch die Gesamtheit ehrenamtlich tätiger Gruppen und Verbände. (Kritisch zur Rezeption des Konstrukts der ‘typischen’ ehrenamtlichen Mitarbeiterin vgl. Vogt 1987, 152 ff.)
37 Prozent der befragten ehrenamtlichen Funktionsträger sind Beamte, 29 Prozent Selbständige (die Vergleichszahlen in der Bevölkerung: 8,7 Prozent Beamte, 7 Prozent Selbständige). Zwei Drittel der Untersuchungspopulation gehören diesen beiden Gruppen an (Winkler 1988, 107). Zwei Drittel der Funktionsträger in den Sportverbänden sind auch Mitglieder und z.T. auch Inhaber ehrenamtlicher Amter in anderen Organisationen (ebd., 124). Angehörige der protestantischen Konfession sind unter den Funktionsträgern in den Sportverbänden überproportional vertreten: 56,5 Prozent der Funktionsträger sind Protestanten (gegenüber 42 Prozent der Gesamtbevölkerung) (ebd., 134). Nur 9 Prozent der ehrenamtlichen Funktionsträger sind Frauen, davon sind 66 Prozent berufstätig, 24 Prozent sind Hausfrauen (ebd., 94).
60 Prozent der Befragten nennen Kontaktmotive (Suche nach Kontakten und Freundschaften) als Ausgangspunkt für ihr ehrenamtliches Engagement, 56 Prozent führen Motive der Selbstentfaltung an (Möglichkeit der Selbsterfahrung und des ‘Dazulernens’), 38 Prozent Betroffenenmotive (“weil ich selbst betroffen bin”), 37 Prozent religiöse Motive, 21 Prozent sozialkritische Aspekte und 3 Prozent kompensatorische Motive (wie z.B. “weil mich mein Haushalt nicht ausfüllt”) (Braun 1987, 26).
Darauf weisen verschiedene Berichte hin: vgl. Lukatis/Naß (1981, 220); Backes (1987, 204–205); Hamburger (1982, 40); Niklaus (1985).
Appelt (1986) hat 37 Frauen, die in der Altenarbeit des Deutschen Roten Kreuzes in Offenbach ehrenamtlich tätig sind, befragt.
Auf Selbsthilfeaspekte im Zusammenhang mit dem ehrenamtlichen Engagement weisen auch Heck (1985, 116), Kneerich (1984, 33), Nokielski (1981, 155) und Priepke (1976, 216) hin.
Balke, Mitarbeiter der Nationalen Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen, bestimmt die Arbeit von Selbsthilfegruppen folgendermaßen: “Jeder Teilnehmer geht in die Gruppe aus eigener Betroffenheit, aus eigenem Entschluß, um gemeinsam Probleme, Schwierigkeiten, Anliegen, Wünsche zu bereden, anzugehen, zu lösen, um sich selbst zu helfen und nicht in erster Linie, um anderen zu helfen, oder sich selbst in einem professionellen Sinn helfen zu wollen.” (Balke 1987, 44)
Eine derartige Thematisierung findet sich etwa bei Braun/Röhrig (1986, 96), Hamburger u.a. (1982, 115), auch Geiger (1982, 179 f.).
M. Fuchs’ (1982) Arbeit ist Teil einer ‘Oral-History’-Forschung.
Heine u.a. (1984) befragten ehrenamtlich Tätige in einem Ortsverein der AW sowie in einzelnen Ortsverbänden von SKF und SKM.
Auf der Basis einer Analyse der Biographieverläufe jugendlicher DLRG-Mitglieder werden in der Studie vier Typen verbandlichen Engagements herausgearbeitet. In einer Kontrastierung mit den Ergebnissen meiner Untersuchung der Verlaufsformen und Sinnorientierungen ehrenamtlichen Engagements erfolgt im Kapitel “Überlegvngen zur Vollständigkeit der Typologie” eine ausführliche Darstellung der vier ‘DLRG-Typen’.
Nokielski (1981, 155) zieht aus seiner Untersuchung organisierter Nachbarschaftshilfen den Schluß, daß die “Motivationsstruktur” der Mitarbeiter und Initiatoren nur aus deren Biographie verstehbar werde — weitere Untersuchungsschritte unterbleiben allerdings. Thiersch (1988, 14) spricht füür die Notwendigkeit des Einbezugs des Alltags fr eine Analyse sozialer Ehrenamtlichkeit; ein Verständnis ehrenamtlichen Engagements sei nur im Zusammenhang mit den Erfahrungen der Mitarbeiter und ihrem Lebensumfeld möglich.
Dies sind Kennzeichen einer Sozialforschung, die in der Tradition des interpretativen Paradigmas steht (vgl. dazu etwa Hoffmann-Riem 1980).
Eine Analyse weiblicher und männlicher Muster ehrenamtlichen Engagements geht von einem Verständnis aus, wonach sich die Aneignung von Geschlechterrollen als “soziale Konstruktion” (Gildemeister 1988; vgl. auch Hagemann-White 1984, 1988) vollzieht. Anhand vorfindlicher sozialer und kultureller Muster von Männlichkeit und Weiblichkeit werden Identitäten konstituiert. Was als weibliche oder männliche Identitätsmuster gilt, ist von den jeweiligen kulturellen und gesellschaftlichen Vorgaben abhängig.
Auf diesen Sachverhalt weist Krüger (1991) in ihren Ausführungen zur Veränderung von Familien- und Beziehungsformen sowie deren Auswirkungen auf das Ehrenamt hin.
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Jakob, G. (1993). Soziale Ehrenamtlichkeit als Diskussions- und Forschungsgegenstand. In: Zwischen Dienst und Selbstbezug. Biographie und Gesellschaft, vol 17. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-07671-1_1
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