Zusammenfassung
An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert finden wir erste Bemühungen, die Jugendzeit auf wissenschaftlicher Basis erklären zu wollen. Warum und in welcher Weise geschieht dies gerade in diesem Zeitraum?
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Literatur
Für eine Analyse von Jugendkultur im Roman s. Ewers (1994).
Zur Rezeption dieser Theorien von Hall s. Demos & Demos (1969).
Eine solche Systematisierung hat vor allem Remplein versucht (1965).
„Da meine Jugend mir viele Schwierigkeiten bereitet hatte, dachte ich, diese Periode böte vielleicht einen guten Ansatz zum Studium des Lebens...“ (Bühler, 1972, S. 23)
Diesen strengen Parallelismus hat Charlotte Bühler später revidiert (s. die Einleitung der Wiederauflage 1967)
Damit ist auch eine Pädagogik vorgezeichnet, die von Spranger, Nohl und Flitner weiter entfaltet wurde. Spranger hat den entwicklungspsychologischen Zusammenhang gestiftet, Nohl den allgemeinpädagogischen, indem er das pädagogische Handeln im Umkreis der Humanentwicklung und der Kulturgemeinschaft lokalisiert, und Flitner verdanken wir einen umfassenden bildungs- und schultheoretischen Wurf, indem er die Kulturbereiche kanonisiert und in Lehrpläne des Gymnasiums umsetzt.
Dies mag wohl ein Strukturproblem der Kulturübertragung in der Schule sein. Es ist aber auch denkbar, daß hier Spranger die didaktische Unfähigkeit der damaligen autoritären Lernschule Wilhelminischer Prägung zu diesem Konflikt zwischen jugendlicher Seelenstruktur und innerer Geschlossenheit der Kultur uminterpretiert.
Dies hat schon Stern bissig kommentiert: „...es liegt...zur Zeit noch ein empfindlicher Mangel an gesichertem, wissenschaftlich brauchbarem Tatsachenmaterial vor. Und darum . sollten wir uns gerade hier davor hüten, solche empirische Kleinarbeit als überflüssig oder nebensächlich abzuweisen und uns mit dem zu begnügen, was die Alltagserfahrungen und eine gewisse Intuition über die Jugend historischer Persönlichkeiten an Einbücken in Pubertätserscheinungen vermittelt. Es ist nicht zu verkennen, daß die verstehende Psychologie hierzu neigt. Und wenn bei einem Geist hohen Ranges die Feinheit der Intuition und die Durchleuchtung des intuitiv Geschauten mit kulturphilosophischen Gesichtspunkten einen Ersatz für die fehlende Breite und Festigkeit der empirischen Basis zu bieten scheint, so Hegt doch für diejenigen, die mit geringerem Geist auf diesem Wege nachzufolgen suchen, die Gefahr einer Verflachung und eines selbstzufriedenen Verharrens in einem bequemen hochgestimmten Schematismus nicht fern“ (Stern, 1927, S. 4f.).
Es ist vielleicht kein Zufall, daß aus dieser Jugendpsychologie kein Widerstandspotential gegenüber dem Dritten Reich entstanden ist. Die Vorrangstellung des Ganzen, des objektiv Werthaften gegenüber den „subjektivistischen“ und „individualistischen“ Ansprüchen des einzelnen, die Ausrichtung auf große Taten und auf Führertum, auf eine einheitliche sinnstiftende politische Willensbildung waren vielmehr Strukturelemente einer Jugendpsychologie, die sich durch ein totalitäres politisches Regime politisch ausbeuten leß.
Siehe für die im Hintergrund stehende grundlegende Auseinandersetzung mit der platonischen Lehre von den materialen Wesenheiten und ihren politischen Implikationen Poppers Buch über die „Offene Gesellschaft und ihre Feinde“ (1957).
Daß die Konzeption von Spranger und die von Bühler auch unter dem Gesichtspunkt der politischen Implikationen zu würdigen wären, erscheint auf den ersten Blick nicht einleuchtend zu sein. Es könnte aber sein, daß sie politische Grundhaltungen spiegeln, die angesichts des „kritischen Tests“ des Dritten Reiches zum Tragen gekommen sind. Bühlers Theorie ist ausgesprochen unpolitisch, sie konzentriert sich sehr stark auf die individuellen Entfaltungsprozesse. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen tauchen gelegentlich als gegebene Größen auf. Akzentuiert politisch bedeutsam ist dagegen die Konzeption von Spranger, mit einer klaren positiven Wertung der „kristallisierten Kultur“, des „objektiven Geistes“. Damit ist eine grundsätzlich affirmative Haltung zu Staat, Kultur und Tradition grundgelegt. Beinahe in tragischer Konsequenz ist die Familie Bühler vom Dritten Reich, insbesondere vom Einmarsch Hitlers in Österreich, überrascht und unvermutet zur Emigration gezwungen worden. Spranger selber hatte große Mühe, die Faktizität des Staates der Nationalsozialisten abzulehnen, in ihm grundlegende abendländische Werte verletzt zu sehen (wie z.B. die Lehrfreiheit an den Universitäten). Es kostete ihn große Kämpfe, den affirmativen Reflex gegenüber einem Staatswesen zugunsten der Erkenntnis von Verletzungen universaler Rechte abzuwehren.
Diesen Konflikt hatte schon Spranger formuliert, aber in einer für ihn typischen Variante. Er hat im Fertigen der Kultur, die dem Jugendlichen in der Schule begegnet, eine Bedrohung des spontanen Schaffenstedürfnisses der Jugend gesehen.
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Fend, H. (2001). Jugend als Werk der Natur — Die Suche nach dem inneren Entwicklungsprogramm. In: Entwicklungspsychologie des Jugendalters. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-06721-4_2
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