Zusammenfassung
Wahlsysteme prägen Parteiensysteme außerordentlich stark, und an der Formung sowie der Analyse des jeweiligen Wahlmodus erweist sich gerade die Politikwissenschaft als angewandte, „praktische Wissenschaft“ (Hennis). Hier kann sich der Politikwissenschaftler, sofern er möchte und sofern man ihn läßt, als „politischer Ingenieur“ betätigen. Man wird daher Sartori (1976: 92) zustimmen können, wenn er die Formung eines Wahlsystems als „political engineering“ bezeichnet, das die „Struktur der Möglichkeiten“ (a.a.O.: 93) der Politik bestimmt1. Auch und gerade die finanziellen Möglichkeiten, die den Parteien vor und zwischen Wahlen zur Verfügung stehen, hängen. jedenfalls in Israel. mit dem Wahlsystem zusammen.
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Anmerkungen — Teil IV
Allerdings neigt Sartori dazu, die allgemeinpolitische Bedeutung des Wahlsystems etwas zu überschätzen, denn zum Beispiel in der Weimarer Republik hätte auch eine Fünf-Prozent-Klausel den Aufstieg der NSDAP wohl kaum verhindern können. Hier zeigen sich deutlich die Grenzen der Tätigkeit von politischen Ingenieuren, zumindest in bezug auf die Prägung des Wahlsystems.
Da die Entscheidungen von Wählern für Parteien auf der lokalpolitischen Ebene das Parteiensystem auf der nationalen Ebene bislang weitgehend unberührt ließen, was auch strukturelle Gründe hat, werden Kommunalwahlen im Abschnitt über die Lokalpolitik gesondert erörtert.
Bei den Wahlen von 1965 stand der persönlich alles andere als charismatische Ministerpräsident Levy Eshkol an der Spitze der Mapai, während „der“ charismatischste Politiker Israels, David Ben-Gurion, die Rafi-Liste führte und unterlag. Aber auch Eshkol gehörte zu den „Gründungsvätern“ des Staates und der Partei. Ihn umgab daher das Charisma dieser Politiker-Generation. 1965 befand sich Israel zwar ebenfalls in einer Krise, allerdings „nur“ in einer Wirtschaftskrise, deren Kennzeichen vermindertes, nicht mehr, wie vorher, dynamisches Wachstum war. Die Wahlen von 1965 können deshalb nicht, wie von Arian (1971: 259) behauptet, als Übergang von einem charismatischen zu einem rationalen Führungsstil betrachtet werden.
Campbell (1966: 63ff.) spricht von „realigning elections“, die er abhebt von „maintaining“ und „deviating elections“. Bei „maintaining elections“ bleibt die seit Jahren feststellbare Kräftekonstellation im Parteiensystem bestehen.
Butler/Stokes (1969: 293) errechneten mit Hilfe dreier Panel-Gruppen eine „Stabilitätsrate“ von 70% zwischen 1959 und 1963, 1963 und 1964 von 64% sowie 1965 und 1966 von 74%. Kaltefleiter (1976: 4) beziffert die Zahl der Wechselwähler in der Bundesrepublik Deutschland mit rund einem Drittel. Das Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie (Noelle-Neumann, 1977: 138) zeigt, daß die im Juni 1976 Befragten zu 56% konstant gewählt, 30% gewechselt haben. Bei der Bundestagswahl 1976 wechselten rund 27% zwischen den drei Bundestagsparteien (Kaltefleiter, a.a.O.: 35). V.O. Key (1966) nennt für die USA in der Zeit von 1936 bis 1960 eine Stabilitätsrate von 80% bis 87,5%. Bei den Erdrutsch-Wahlen von 1964 und 1972 war sie jedoch weit niedriger.
Sartori (1976: 44) nimmt in seine Definition lediglich den Wettbewerb zwischen den Parteien auf. Mir scheint jedoch, daß der Wettbewerb zwischen den Parteien unter anderem vom parteiinternen Wettbewerb bestimmt wird. Die Definition von Lehmbruch (1970: 864), für den ein Parteiensystem die „Gesamtheit der regelmäßigen Interaktionen zwischen den Parteien in einem politischen System“ ist, dürfte zu mager sein. Kaack (1971: 11) definiert ein Parteiensystem als „die Gesamtheit der politischen Kräfte, die im Parlament vertreten sind oder wenigstens eine Vertretung im Parlament anstreben, in Anzahl, Größenordnung, Struktur und politischen Relationen zueinander“. Anti-System-Parteien, die nicht ins Parlament wollten, aber doch zweifellos mit beziehungsweise gegen die anderen Parteien handeln (also „interagieren“), würden von dieser Definition nicht erfaßt werden. Die von Kaack genannten Variablen ließen sich mit Sicherheit noch ergänzen (vgl. die in dieser Studie vorgeschlagenen Merkmale). „Politische Relationen zueinander“ setzen definiendum und definiens gleich, denn ein System ist durch das Verhältnis der Elemente zueinander schon definiert. Entsprechend der vorgeschlagenen Definition eines Parteiensystems kann es auch kein „Einpartei-System“ geben, da zu einem System zumindest zwei Elemente gehören, die interagieren und interdependent sind. Es kann also durchaus ein politisches System geben, in dem kein „Parteiensystem“ existiert und wo nur eine politische Organisation das Parteienmonopol besitzt. Wohlgemerkt: Diese Partei wiederum kann durchaus als „System“ angesehen werden, indem es zu Interaktionen und Interdependenzen kommt. Selbst in Monopolparteien gibt es miteinander rivalisierende Gruppen, also Systemelemente (vgl. zur Kritik des Begriffs „Einpartei-System“ auch Sartori, 1976: 42ff.). Unsinn ist es, von einem „Ein-Parteien-(Plural!)System“ zu sprechen. Richtig muß es heißen: „Einpartei-Regime“; oder auch: Politisches System mit Monopolpartei.
Arian (1973: Kap. 2) faßt die Kommunisten im Mitte-Links-Block zusammen. Dadurch wird diese Kategorie meines Erachtens zu heterogen, zumal sich die Kommunisten (in ihrer Mehrheit) dem zionistischen Basiskonsens entziehen. Die arabischen Minderheiten zählt er zu den „anderen Parteien“. Smith (1972: 63ff.) nennt fünf Parteiblöcke und als sechste Gruppe die mit der Mapai/IAP verbundenen Arabischen Listen. Die fünf sind: die drei großen (im Sinne Sartoris „relevanten“) sowie die Kommunisten und die ndpren Parteieni“
1977 waren es bei den Nicht-Maarah-Wählern vornehmlich sozialpolitische und allgemeininnenpolitische Probleme. die als vorrangie betrachtet wurden (vel Arian 1979–74)
Shils (1961: 117 ff.) spricht von „Zentrum“ und „Peripherie“, also ein ähnlicher Grundgedanke.
Die Anwendung dieses Modells hat sich meines Erachtens auch in bezug auf die Weimarer Republik sowie das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland bewährt (vgl. Schwickert / Wolffsohn, 1978).
De Swaan (1973: 295) nennt die Mapai ebenso wie die Christlichen Demokraten in Italien eine „pivotal party“.
Am 3. März 1959 wurde Nahum Nir von der Ahdut Haawoda mit 53 gegen 41 Stimmen für den Mapai-Kandidaten, Berl Locker, zum Präsidenten der Knesset gewählt (vgl. Louvish, 1974: 123). Hier wurden regierungsinterne Rechnungen beglichen, aber zu einem „konstruktiven Mißtrauen“ (das es in Israel nicht gibt) gegen die Mapai und für eine andere Regierungskoalition reichte es nicht. Ähnlich die Situation 1961, als sich Ahdut Haawoda, Mapam und Progressive weigerten, weiter einer von Ben-Gurion geführten Regierung anzugehören. Nach den Wahlen vom August 1961 schloß sich dieser „Verweigerungsfront“ auch die NRP an („Vierer-Klub“ wurde diese Gruppe genannt), aber schließlich konnte Eshkol (!) die AH doch noch überreden, sich der von Ben-Gurion gebildeten Regierung anzuschließen (a.a.O.: 127f.). Eigentlich war die Mapai auch schon vor 1948 die Staatspartei einer nichtstaatlichen Nation (Jischuw).
Durch den Austritt von Frau Geula Cohen sowie des ehemaligen Shlomzion-Politikers Jitzhak Jitzhaki sind es noch weniger.
Unmittelbar nach den Wahlen haben Diskin und ich (Diskin/Wolffsohn, 1977: 836) schon diese offenbar zutreffende Prognose aufgestellt.
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Wolffsohn, M. (1983). Das Parteiensystem als Funktion des Wahlsystems; oder: Wie Entscheidungen für Parteien das Verhältnis und die Aktionen zwischen ihnen bestimmen. In: Politik in Israel. Schriften des Deutschen Orient-Instituts. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-05763-5_5
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