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An den Grenzen des Rechts

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An den Grenzen des Rechts

Part of the book series: Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen ((AFLNW,volume 128))

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Zusammenfassung

Unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus ging der Blick der deutschen Juristen (ebenso wie der der Theologen und Philosophen) auf die Suche nach überpositiven Rechtsgrundsätzen. Man forschte nach einem ideellen Maßstab, der die effektiv-wirksamen Anordnungen der obersten Staatsmacht erst zum verpflichtenden Recht machen kann, — einem Maßstab, „an dem gemessen das Unrecht Unrecht bleibt, auch wenn es in die Form eines Gesetzes gegossen ist“, wie Radbruch 1947 schrieb 1. Diese Nachforschungen f ührten zu zahlreichen naturrechtlichen Reprisen, von denen die meisten die gleichen konstitutionellen Schwächen aufwiesen, die das Naturrecht schon fr üher unglaubw ürdig gemacht hatten, weil sie allzusehr die eigenen subjektiven W ünsche in die Dinge hineintrugen, um sie dann als (scheinbar) objektive Normen aus ihnen wieder herauszuholen. Aber auch dann, wenn man von solchen Mängeln absieht, blieb auf jeden Fall ein wichtiger Gesichtspunkt unber ücksichtigt: Nach einem rechtsstaatlichen Prinzip, das der Kriminalist Paul Anselm von Feuerbach um 1800 erstmalig formuliert hatte und das Art. 103 unseres Grundgesetzes erneut mit verfassungsrechtlichen Garantien umkleidet hat, darf eine Tat nur dann bestraft werden, wenn die Strafbarkeit vor ihrer Begehung gesetzlich angeordnet war: nulla poena sine lege. Es ist also nicht genug damit getan, überpositive Rechts grundsätze zu finden, nach denen die im dritten Reich begangenen Untaten Strafe verdienten. Um sie heute bestrafen zu können, muß, solange wir an dem Grundsatz nulla poena sine lege festhalten, feststehen, daß sie schon vor ihrer Begehung auf Grund positiver Rechtssätze strafbar waren. Da Hitler sie jedoch auf Grund eines Geheimbefehles nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten hatte, geht es in diesen Prozessen primär um den Umfang des positiven Rechts als solchen und nur sekundär um die Frage nach den übergesetzlichen Rechtsprinzipien. Die lichtvollste Antwort auf die zweite Frage trägt zur Beantwortung der ersten nichts bei.

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Literatur

  1. Die Wandlung, 2. Jahrgang (1947), S. 9.

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  2. Bockelmann,Gesetzesrecht und autonomes Recht, Vortrag am 7. Oktober 1953 bei den Hochschulwochen f ür Staatswissenschaftliche Fortbildung in Bad Salzschlirf, Verlag Gehlen, Bad Homburg, S. 13.

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  3. Neue Juristische Wochenschrift 1964, S. 1658 (1660).

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  4. Hans Buchheim, Die SS ¡ª das Herrschaftsinstrument, Befehl und Gehorsam, 1965, S. 328 f.

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  5. Neue Juristische Wochenschrift 1964, S. 133; dazu Welzel, ebenda, S. 521; Adolf Arndt, ebenda, S. 487; vgl. auch Baumann, ebenda, S. 1403.

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  6. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 1925, S. 335 f. ¡ª In diesem Zusammenhang ist auch die Ansicht Walter Burckhardts zu erwähnen, daß das Recht in einem sozialistischen Staat nicht in abstrakten Rechtssätzen, sondern lediglich in konkreten Dienstanweisungen be stehen könnte, welche durch Gebote der Rechtssicherheit nicht beengt wären, so daß die befehlende Behörde jederzeit im Einzelfall durch gegenteilige Anweisung aufheben könne, was sie vorher generell angeordnet habe. Allerdings macht Burckhardt im Gegen satz zu Kelsen den entscheidenden Vorbehalt, daß auch die Dienstinstruktionen des sozialistischen Staates unter der Idee der Gerechtigkeit stehen m üßten. Vgl. Walter Burckhardt, Methode und System des Rechts, 1936, S. 220 ff.

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  7. Kelsen bei Franz Martin Schmoelz, Das Naturrecht in der politischen Theorie (Inter nationales Forschungszentrum f ür Grundfragen der Wissenschaft in Salzburg) 1963, S. 148.

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  8. Adolf Merkel, in: Holtzendorffs Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, 5. Aufl., 1890, Bd. 1, S. 13, 89 f.

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  9. Carl Theodor Welcker, Letzte Gr ünde von Recht, Staat und Strafe, 1813. ¡ª Welcker rechtsphilosophisch „wiederentdeckt“ zu haben, ist das Verdienst von Hans-Ludwig Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, 1966.

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  10. Zu Ernst Rudolf Bierling und zu Rudolf Laun, vgl. Hans-Ludwig Schreiber, Der Be griff der Rechtspflicht, 1966. Zu Laun auch Welzel, Gesetz und Gewissen; in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, 1960, Bd. 1, S. 383 ff.

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  11. Das Einverständnis ist jederzeit aufhebbar; das Gewissen oder gar das Gef ühl ist höchstpersönlich.

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  12. Ullrich Scheuner, Jahrreiss-Festschrift, 1964, S. 365.

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  13. J.Bremer, Die authentische Interpretation von Gesetzen, Jahrbuch des gemeinen deut schen Rechts, herausgegeben von Beleleer und Muther,Bd. 2 (1858), S. 284.

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  14. Hiergegen erhob Kelsen (in seinen „Hauptproblemen“, S. 365) den scheinbar naheliegenden Einwand, den Seligmann schon in seinen „Beiträgen zur Lehre vom Staatsvertrag”, Bd. 1, (Der Begriff des Gesetzes), 1886, S. 129, geltend gemacht hatte: „Wie können die Unter tanen von der Unverbr üchlichkeit überzeugt sein, wenn sie erst infolge der Überzeugung eintritt?“ Hierauf gibt die Anerkennungstheorie die gleiche Antwort, die Kelsen auf die Frage nach der Bedingung der Geltung einer Rechtsnorm gegeben hat, nämlich die Rechtsnorm m üsse wirksam sein, d. h. „im großen und ganzen angewendet und befolgt werden” (s. u. S. 16). Nur unternimmt die Anerkennungstheorie über Kelsen hinaus, der diese Frage ausklammert, auch eine Beschreibung und Deutung der Effektivität oder Autorität des Rechts (die gerade nicht von der Anerkennung durch den Einzelnen ab hängt). ¡ª Allerdings leistet die Anerkennungstheorie nicht auch das, was von ihr viel fach erwartet wurde und was auch Kelsen ihr unterstellte, nämlich die Verpflichtungs kraft des Rechtes zu erklären (s. u. S. 21).

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  15. Georg Jellinek, Die rechtliche Natur der Staatenverträge, 1880, S. 16 f.

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  16. OskarBillow, Gesetz und Richteramt, 1885, S. 3 f.

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  17. Adolf Merkel, Gesammelte Abhandlungen aus dem Gebiete der allgemeinen Rechts lehre und des Strafrechts, 1890, Bd. 2.

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  18. Adolf Merkel, a.a.O., Bd. 2, S. 590 f.

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  19. Hold v. Ferneck, Rechtswidrigkeit, Bd. 1, S. 188, 97.

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  20. Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., S. 334, Anm. 1.

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  21. Zuerst in seiner Stammler-Kritik, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 1951, S. 345 ff.

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  22. Max Weber, Wissenschaftslehre, S. 468, 473; Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitik, 1924, S. 477; Wirtschaft und Gesellschaft, 1956, S. 181, 188, 398 ff; Rechtssoziologie, 1960, S. 53; vgl. auch Winkelmann, ebenda, S. 22, Anm. 5.

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  23. Im Sinne der generellen Anerkennungstheorie haben sich abgesehen von den im Text erwähnten Schriftstellern weiterhin geäußert: Ernst Beling, Revolution und Recht, 1923, S. 18; Festschrift f ür Heck, R ümelin, Schmidt, 1931, S. 11; Paul Bockelmann, Einf üh rung in das Recht, 1963, S. 104; E. W. Böckenförde, Collegium Philosophicum, 1965, S. 297; Helmut Coing, Grundz üge der Rechtsphilosophie, 1950, S. 237; Georg Dahm, Deutsches Recht, 2. Aufl., 1963, S. 33; Alex. Graf zu Dohna, Kernprobleme der Rechts philosophie, 1940, S. 49 ff; Martin Drath, Grund und Grenzen der Verbindlichkeit des Rechts, 1963, S. 40 f.; Hermann Drost, Das Ermessen des Strafrichters, 1930, S. 1; Karl Engisch, Zeitschrift f ür die ges. Strafrechtswissenschaft, Bd. 75, S. 610; 0. A. Germann, Grundlagen der Rechtswissenschaft, 1950, S. 22; Nicolai Hartmann, Probleme des geisti gen Seins, 3. Aufl., 1962, S. 275; Hermann Heller, Allgemeine Staatslehre, 1934, S. 191 ff., 222 ff., 243, 258 f.; Heinrich Henkel, Einf ührung in die Rechtsphilosophie, 1964, S. 442 f.; Alex. Hold von Ferneck, Die Rechtswidrigkeit I (1903), S. 97, 188; Hans Huber, Ober die Geltung des Völkerrechts, Schweiz. Jahrbuch f ür Internationales Recht, 1951, S. 55 ff.; Gerhard Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, 1925, S. 72 f.; Hermann Jahrreiss, Berechenbarkeit und Recht, 1927, S. 19 f.; Karl Larenz, Methodenlehre der

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  24. Rechtswissenschaft, 1960, S. 144, 148 f.; Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Ge setz, 1925, S. 65; Max Ernst Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, 1903, S. 18; Hans Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, 2. Aufl., 1948, S. 19; Max R ümelin, Die bindende Kraft des Gewohnheitsrechts, 1929; Ulrich Scheuner, Zeitschrift f. Ausländisches öffent liches Recht und Völkerrecht, Bd. 13 (1950), S. 569; Staatsverfassung und Kirchenord nung, Festgabe f ür R. Smend, 1962, S. 253; Festschrift f ür Hermann Jahrreiss, 1964, S. 365; Jahrbuch f ür Internationales Recht, Bd. 12 (1965), S. 21 f.; Felix Soml6, Juristi sche Grundlehre, 1917, S. 103; Rudolf Stammler, Theorie der Rechtswissenschaft, 1911, S. 13; Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 1928, S. 168; Reinhold Zippelius, Wertungs probleme im System der Grundrechte, 1962, S. 131 ff.; abweichend jedoch ders., NJW, 1964, S. 1981 ff. (1986). Vgl auch O. A. Germann, Probleme und Methoden der Rechts findung, 1965, S. 17 ff.

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  25. Typisch z. B. Ernst Beling, Revolution und Recht, 1923, S. 18, Anm.

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  26. Vgl. mein „Naturrecht und materiale Gerechtigkeit“, 4. Aufl. 1961, S. 164 f; Hans-Ludwig Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, 1966.

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  27. Kelsen,Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 1911, S. 212 ff.; Binder, Rechtsnorm und Rechtspflicht, 1912.

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  28. Binder, Grundlegung zur Rechtsphilosophie, 1935, S. 141.

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  29. Binder, Rechtsnorm und Rechtspflicht, 1912, S. 47.

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  30. Binder, Rechtsnorm und Rechtspflicht, S. 45; Rechtsphilosophie, 1925, S. 353, 745; Der Adressat der Rechtsnorm, 1927, S. 73.

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  31. Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., 1960, S. 125.

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  32. Binder, Rechtsphilosophie, S. 745; ähnlich schon Ihering, Der Zweck im Recht, Bd. 1, S. 338: Rechtssätze sind „lauter Regulative f ür die Handhabung der staatlichen Zwangs gewalt“.

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  33. Alf Ross, Towards a Realistic Jurisprudence, Kopenhagen, 1946, S. 75; ebenso mein Aufsatz „Gesetz und Gewissen“, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, 1960, I, S. 387.

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  34. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 124, Anm.

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  35. Ein Beispiel siehe bei Germann, Grundlagen der Rechtswissenschaft, 1950, S. 9.

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  36. Hermann Heller, Allgemeine Staatslehre, S. 269.

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  37. Walter Burckhardt, Methode und System des Rechts, 1936, S. 186.

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  38. Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, 1925, S. 66. Darum begreift Leibholz die aus einer Revolution entstandene Neuordnung von dem Augenblick an als eine Rechtsordnung, in dem ihre tatsächliche Durchsetzbarkeit mit dem Gef ühl der Norm adressaten von ihrer Gebundenheit verkn üpft ist: „Hierdurch wird die Norm erst zur Rechtsnorm und die bisher mehr oder weniger vorhandene und befolgte Ordnung zu einer spezifischen Rechtsordnung gestempelt.“ Solange dieser Zustand nicht erreicht ist, solange also zwei Ordnungen noch um ihre Existenz ringen, herrscht rechtlich noch Chaos und ist eine positive Rechtsordnung noch nicht vorhanden.

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  39. Max Weber, Wissenschaftslehre, S. 470.

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  40. Vgl. besonders Hermann Heller, Allgemeine Staatslehre, S. 191 ff.

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  41. So Rudolf Stammler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 1928, S. 161.

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  42. Max Weber, Soziologie und Sozialpolitik, S. 477 f.

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  43. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 212 ff.

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  44. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 218; ähnlich Felix Soml¨®: Rechtsnorm ist die „Norm einer gewöhnlich befolgten, umfassenden und beständigen höchsten Macht“. Juristische Grund lehre, 1917, S. 105.

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  45. Adolf Merkel, Gesammelte Abhandlungen II, S. 590.

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  46. Hermann Heller, Allgemeine Staatslehre, S. 191; ebenso Hans Huber, Über die Geltung des Völkerrechts, Schweizerisches Jahrbuch f ür Internationales Recht, 1951, S. 79 f.

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  47. Graf zu Dohna, Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 50.

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  48. Diese dabei weitgehend auf Grund der Vorarbeit durch die Rechtslehre; s. auch die folgende Anm. 53.

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  49. Die Gerichte haben „das Recht in der Weise fortzubilden, daß Gesetzesl ücken geschlos sen und die positiven Rechtsnormen von ihren Grundgedanken her im Sinne einer An passung an die berechtigten Bed ürfnisse einer sich ständig wandelnden gesellschaftlichen Wirklichkeit ausgelegt werden“. BGH NJW 1959, S. 2262. ¡ª Vgl. dazu im ganzen Adolf Arndt, Gesetzesrecht und Richterrecht, NJW 1963, S. 1273 ff. Grundlegend: Esser, Grundsatz und Norm, 2. Aufl., 1964; Wieacker, Gesetz und Richterkunst, 1957.

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  50. Die juristische Geltung der Konkretionen abstrakter Rechtssätze beschränkt sich auf die einzelne Gerichtsentscheidung. Werden Konkretionen gleichsinnig in „ständiger Recht sprechung“ vollzogen, so entsteht ein bestimmter „Gerichtsgebrauch”. Ein solcher Ge richtsgebrauch selbst hat nur eine soziologische, aber keine juristische oder Rechtsgeltung. Rechtsgeltung hat die in dem betreffenden Gerichtsgebrauch enthaltene Interpretation f ür ein späteres Urteil stets nur insoweit, als dieses die Interpretation deshalb übernimmt, weil es sie als die rechtlich gewollte und verbindliche anerkennt. Dagegen hat die Übung

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  51. als solche f ür ein späteres Urteil keinerlei Rechtsgeltung, auch keine „faktische“ (außer wenn sie zum Gewohnheitsrecht erstarkt ist, wie es z. B. bei der Interpretation der Teil nahmevorschriften i. S. der extremen Akzessorietät bis zum Jahre 1943 der Fall war). ¡ªDarum ist es äußerst verwirrend und irref ührend, wenn BGHZ 23,S. 184, 187 (ähnlich auch Larenz, Methodenlehre, S. 271, 302) bei einem Gerichtsgebrauch von „faktischer Rechtsgeltung” spricht. Der Gerichtsgebrauch ist eine rein soziologische, d. h. statistische Tatsache ohne Anspruch auf Bindung. Faktische Rechtsgeltung dagegen ist die mit dem Anspruch auf Verbindlichkeit auftretende und darin akzeptierte Forderung eines Rechts satzes oder einer Gewohnheit. Von ihr ist das Element des (sog.) „Normativen“ im Sinne des Verpflichten-Wollens und des als verpflichtend Anerkannten unabtrennbar. Darum ist die Unterscheidung von „faktischer” und „normativer“ Rechtsgeltung in der Art, wie sie BGH 23, S. 187, vornimmt, irref ührend. Zu fragen war vielmehr, ob der Gesetzgeber im konkreten Falle den Gerichtsgebrauch durch seine spätere Gesetzgebung bestätigt hat, wie er es z. B. in den Metallverkehrsgesetzen bez üglich der Interpretation des inneren Tatbestandes der Hehlerei getan hat (vgl. Frank, ¡ì 259, V 1). ¡ª Ob der faktisch er hobene und anerkannte Verpflichtungsanspruch einer Norm (d. h. ihre positive Rechts geltung) auch legitimiert (echt gesollt) ist, so daß sie eine echte, innere Verpflichtung (nicht nur ein Verpflichtungsanspruch) auferlegt, das ist eine über die positive Rechts geltung hinausgehende, selbständige Frage. Dar über weiter unten im Text.

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  52. So Bockelmann, Einf ührung in das Recht, S. 105; vgl. auch die besondere Betonung der Gerichte bei Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 148.

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  53. Vgl. etwa BGHSt 4, S. 24, bez üglich der Bestimmungsmensur oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts NJW 1960, S. 1409, betr. Automatenverkauf von Gummi schutzmitteln. ¡ª Besonders interessant ist die Aufnahme der von einer starken öffent lichen Meinung geforderten Anerkennung der sozialen Indikation bei freiwilligen Steri lisationen in BGHSt. 20, S. 81, durch die konstruktive Annahme einer (angeblichen) Gesetzesl ücke. Aber wohl noch eindrucksvoller zeigt sich die Abhängigkeit der ¡ª durch die Gerichte zu vollziehenden ¡ª juristischen Geltung von der soziologischen Unterlage in den Fällen, in denen die Anwendung einer „geltenden“ Norm durch Unterstellungen im subjektiven Tatbestand abgelehnt wird, wie es im Jahre 1932 in den Prozessen gegen die sog. ostpreußische Bauernnotbewegung und in den Jahren 1951 und 1952 bei der Streikdrohung zur Durchsetzung des Mitbestimmungsrechts und bei dem sog. Zeitungs streik geschah. In den erstgenannten Prozessen lagen eindeutig Vergehen nach ¡ì 129 und ¡ì 240 StGB und nach ¡ì 270 Pr.StGB vor. Das Reichsgericht (v. 28. 4. 1932 ¡ª 2 D 945/31) sprach jedoch im Einklang mit einer starken Volksmeinung in der Endphase der Weimarer Republik frei, weil die ostpreußischen Bauern sich in Putativ-Staatsnot stand befunden hätten; dabei erörtert es nicht einmal die Einschränkung, die es sonst beim Putativnotstand machte (RG 62 S. 137), nämlich ob die Bauern bei Annahme des „Staats notstands” die pflichtmäßige Pr üfung seiner Voraussetzungen vorgenommen hatten! Die Streikdrohungen der Jahre 1951/52 unterfielen nach der weitaus herrschenden Lehre dem

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  54. Tatbestand der Parlamentsnötigung (S 105). Eine Strafverfolgung unterblieb jedoch, weil die Täter nach Meinung des weisungsberechtigten Bundesjustizministers sich im un vermeidbaren Verbotsirrtum befunden hatten (obwohl ¡ª im Zeitungsstreik ¡ª der Bun deskanzler Adenauer den damaligen DGB-Vorsitzenden Fette vorher auf die Verfas sungswidrigkeit des Streikes aufmerksam gemacht hatte!) Vgl. dazu Gerd Geilen, Der Tatbestand der Parlamentsnötigung, 1957, S. 126 f.

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  55. Ernst Beling, Revolution und Recht, 1923, S. 18. ¡ª Hans Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, 2. Aufl., 1948, S. 19.

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  56. Nicolai Hartmann, Das Problem des geistigen Seins, S. 275; ebenso die Neuhegelianer Binder (Grundlegung der Rechtsphilosophie, 1935),Larenz (Methodenlehre der Rechts wissenschaft); jetzt auch Heinrich Henkel (Einf ührung in die Rechtsphilosophie, 1964); Zippelius (Wertungsprobleme in System der Grundrechte, 1962,S. 131 ff.).

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  57. So Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 148, im Anschluß an Nicolai Hartmann.

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  58. Walter Schönfeld, Ober den Begriff der dialektischen Jurisprudenz, 1929, S. 12.

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  59. So schon mein Aufsatz in NJW 1964, S. 521, mit seiner grundsätzlichen Unterscheidung von Durchsetzbarkeit und faktischer Geltung; in der Sache ebenso Adolf Arndt, NJW 1964, S. 487. Ferner OLG Frankfurt vom 12. B. 1947; Höchstrichterliche Entscheidungen, Bd. 1, S. 67 ff. = S üddeutsche Juristen-Zeitung, Bd. 2 (1947), Sp. 621 ff. mit Anm. Rad bruch, und (wohl auch) das Urteil des Frankfurter Auschwitz-Prozesses nach Kogon, NJW 1965, S. 1901.

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  60. Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 334, Anm. 1.

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  61. Welzel, Macht und Recht, in: Hugelmann-Festschrift, Bd. 2, S. 841.

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  62. Im Anschluß an Axel Hägerström insbesondere Lundstedt, Alf Ross, Theodor Geiger u. a.

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  63. SO Theodor Geiger, besonders in seinen Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, 1947, S. 239 ff.

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  64. Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 334, Anm. 1.

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  65. Siehe unten, S. 29.

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  66. Theodor Geiger, a.a.O., S. 267.

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  67. Das verkennt E. W. Böckenförde, Die historische Rechtsschule und das Problem der Geschichtlichkeit des Rechts, Colloquium Philosophicum, 1965,S. 29.

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  68. Max Weber, Wissenschaftslehre, S. 127, Anm. 1; Kelsen, Hauptprobleme der Staats rechtslehre, S. 7; Reine Rechtslehre, 2. Aufl., S. 5.

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  69. Ernst Beling,Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 1923, S. 17; Hermann Heller, Allgemeine Staatslehre, S. 385.

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  70. Ulrich Klug, in der Kelsen-Festschrift: Law, State and International Order, 1964, S.154 f.; vorher schon Franz Achermann, Das Verhältnis von Sein und Sollen als ein Grund problem des Rechts, 1955.

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  71. Hans Kelsen, Hauptprobleme, S. 226.

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  72. Kelsen, Hauptprobleme, S. 228.

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  73. Kelsen, Hauptprobleme, S. 228.

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  74. „Autorität“ (authority) ist enger und mehr als „Effektivität”; sie beruht auf dem „Legi timitätseinverständnis“. Vgl. dazu (z. T. abweichend) Arnold Ehrhardt, Geltendes Recht, Festschrift f. Julius v. Gierke, 1950, S. 326 f.

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  75. Im gleichen Sinne sogar auch Adolf Merkel, Holtzendorffs Enzyklopädie, I, S. 90.

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  76. Georg Simmel, Einleitung in die Moralwissenschaft, 1892/93, S. 12 f.

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  77. Radbruch, Rechtsphilosophie, 3. Aufl., S. 9; vgl. Rickert, System der Philosophie, Bd. 1, S. 150: „Die Geltung ethischer, ästhetischer, religiöser und anderer atheoretischer Kul turwerte ist jedem wissenschaftlichen Beweise entzogen“.

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  78. Rickert, System, S. 151 f.

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  79. Max Weber, Wissenschaftslehre, S. 494.

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  80. Zur Geschichte des Wertrelativismus vgl. Arnold Brecht, Politische Theorie, 1961.

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  81. Rickert, System, S. 407.

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  82. Max Weber, Wissenschaftslehre, S. 493. ¡ª Von Max Weber geht der rechtsphilosophische Relativismus des 20. Jahrhunderts aus; er erscheint dann bei Hermann Kantorowicz in seinem Aufsatz „Probleme der Strafrechtsvergleichung“, Monatsschrift f ür Kriminal psychologie und Strafrechtsreform, Bd. 4 (1908), S. 102: „Die Wahl der verschiedenen Standpunkte kann die Wissenschaft niemandem abnehmen”. Sie geht über in Radbruchs Rechtsphilosophie, 1. Aufl., 1914, und findet sich in fast gleichlautenden Formulierungen

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  83. bei Kelsen, so z. B. in seiner Reinen Rechtslehre, 2. Aufl., S. 442, daß „die Entscheidung der Frage, was gerecht ist und was ungerecht ist, von der Wahl der Gerechtigkeitsnorm abhängt, die ... sehr verschieden beantwortet werden kann“ und „daß diese Wahl nur wir selbst, jeder einzelne von uns, und daß sie niemand anderer, nicht Gott, nicht die Natur und auch nicht die Vernunft als objektive Autorität f ür uns treffen kann”.

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  84. Radbruch, Rechtsphilosophie, 3. Aufl., S. 10 f. Auf das Gewissen stellte schon Max Weber 1904 ab: Wissenschaftslehre, S. 150.

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  85. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 81.

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  86. Radbruch, Rechtsphilosophie, 4. Aufl., hg. von Erik Wolf, S. 179.

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  87. Max Weber, Wissenschaftslehre, S. 149 f.

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  88. Von diesen Konsequenzen aus gewinnt das scharfe Urteil von Leo Strauss über Max Webers „edlen Nihilismus“ einige Berechtigung. Vgl. Strauss, Naturrecht und Geschichte, 1950, S. 50.

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  89. Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, S. 7; Reine Rechtslehre, 2. Aufl., S. 5.

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  90. Zitat nach George Edward Moore, Principia Ethica, 1922, S. 7.

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  91. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 5, Anm. 1. ¡ª Der Einwand D. Laktinens, Zum Aufbau der rechtlichen Grundlagen, Helsinki, 1951, S. 63, daß Kelsen das Wort Sollen nirgends „definiere“, ist daher nur bedingt richtig. Es ist in der Tat undefinierbar und nur „auf zeigbar”. Aber Kelsen läßt den beim Aufzeigen gewonnenen Inhalt sofort wieder fal len!

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  92. Arthur N. Prior, Logic and the Basis of Ethics, Oxford, 1944, S. 18.

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  93. Vgl. z. B. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 7, 110, 212.

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  94. Kelsen, Hauptprobleme, S. 367.

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  95. Auch hierin ist Max Weber vorangegangen: In seiner Stammler-Kritik (1907) sagt er vom „Gelten“ eines Rechtssatzes im „juristisch-idealen Sinne”, es sei „ein f ür das wissen schaftliche Gewissen desjenigen, der juristische Wahrheit will, verbindliches gedank liches Verhältnis von Begriffen zueinander: ein Gelten-Sollen bestimmter Gedanken gänge f ür den juristischen Intellekt“. Max Weber, Wissenschaftslehre, S. 347.

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  96. Kelsen bei Schmoelz, Das Naturrecht in der politischen Theorie (Internationales For schungszentrum f ür Grundfragen der Wissenschaft in Salzburg) 1963, S. 119.

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  97. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 224.

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  98. Theodor Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, 1947, S. 206.

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  99. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 221.

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  100. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 9.

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  101. Nach dem Ausdruck von Arnold Brecht; s. o. Anm. 82.

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  102. Hans Ryf fel, Sinn und Unsinn des wissenschaftlichen Wertrelativismus; Studia Philoso phica, Jahrbuch der Schweiz. Philosophischen Gesellschaft, Bd. 22, S. 191 f.

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  103. Vgl. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 4. Aufl., 1962, S. 236 ff.

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  104. So Binder, Grundlegung zur Rechtsphilosophie, S. 160.

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  105. Vgl. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 4. Aufl., S. 236 ff.; Gesetz und Ge wissen, in: „100 Jahre deutsches Rechtsleben“, Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, 1960, I,S. 383 ft.

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  106. Vgl. auch Streit der Fakultäten II 9 (Philos. Bibliothek, Bd. 46 d, S. 139): „Nicht ein immer wachsendes Quantum der Moralität in der Gesinnung, sondern Vermehrung der Produkte ihrer Legalität in pflichtmäßigen Handlungen ...,d. i.in die guten Taten der Menschen, die immer zahlreicher und besser ausfallen werden, also in die Phäno mene der sittlichen Beschaffenheit des Menschengeschlechts wird der Ertrag (das Resul tat) der Bearbeitung desselben zum Besseren allein gesetzt werden können.“

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Welzel, H. (1966). An den Grenzen des Rechts. In: An den Grenzen des Rechts. Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, vol 128. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-04275-4_1

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