Zusammenfassung
Arbeitsmobilität ist in der traditionalen Gesellschaft weitgehend unbekannt. Die geographische Mobilität (Mobilität bezüglich des locus) ist einmal dadurch erschwert, daß die Siedlungsgemeinschaften meist auf verwandtschaftlichen Beziehungen beruhen und der temporäre oder permanente Austritt einzelner Personen aus dieser Gemeinschaft aus sozialen Gründen kaum möglich ist. Sowohl bei den Ibo wie bei den Yoruba kommt es vor, daß sich Verwandtschaftsgruppen abspalten, wenn die Gruppe zu groß wird und entweder kein Wohnraum oder keine Felder mehr beschafft werden können, und sich in einem anderen Teil der Stadt oder des Dorfes ansiedeln oder in ein anderes Dorf, bzw. in eine andere Stadt ziehen; dabei sind unter Umständen Verbindungen von verschiedenen verwandtschaftlichen Gruppen möglich (1). Diese Migrationen stellen keine Arbeitsmobilität im eigentlichen Sinne dar, können aber als eine Vorform angesehen werden, die einen ersten Schritt auf die heute übliche Abwanderung von Einzelpersonen darstellt. Eine weitere Erschwerung der geographischen Mobilität in der traditionalen Gesellschaft besteht darin, daß in einer Subsistenzwirtschaft ohne oder mit nur sehr schwach entwickeltem verkehrswirtschaftlichen Sektor die Voraussetzungen für eine geographische Mobilität nicht gegeben sind: einmal fehlen die Gründe für die Anwanderung aus der Produktions- und Konsumtionseinheit, der man seit Geburt angehört, und zum anderen fehlen die Möglichkeiten, anderswo Arbeit zu finden. Die Voraussetzungen für die Pendelwanderung und für die endgültige Abwanderung in andere Teile des eigenen Stammesgebietes oder in fremde Stammesgebiete wurden erst mit der allgemeinen Einführung des modernen Geldes und der Lohnarbeit geschaffen. Inwiefern die traditionale Yoruba-Gesellschaft eine Ausnahme bildet, läßt sich heute nicht mehr genau feststellen, da Zahlenangaben über Migrationen vor der Kolonialzeit fehlen. Möglicherweise gab es eine starke Land–Stadt–Wanderung. Auch die Berufsmobilität ist in der traditionalen Gesellschaft kaum entwickelt. Es gibt drei Hauptgruppen: landwirtschaftliche, handwerkliche und händlerische Berufe. Der größte Teil der Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig; auch die Handwerker und Händler sind im Nebenberuf meist Landwirte. Es ist üblich, den Beruf zu ergreifen, in den man hineingeboren ist, d. h. den Beruf des Vaters. Bei vielen Handwerken gibt es kaum die Möglichkeit, sie zu erlernen, wenn man nicht einer Familie angehört, die dieses Handwerk seit Generationen ausübt; diese Handwerke schützen sich durch eine Gildenorganisation, die offiziell anerkannt ist und oft politische Privilegien besitzt. Der Zutritt zu einer solchen Gilde ist nur unter Zustimmung der Mitglieder möglich; mit dem Beitritt bindet sich die Familie meist für die Zukunft an dieses Handwerk, und eine weitere Mobilität ist damit ausgeschlossen. Gilden entwickelten sich besonders in größeren Städten wie Benin, Bida und in den Yoruba-Städten (2).
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Seibel, H.D. (1968). Arbeitsmobilität. In: Industriearbeit und Kulturwandel in Nigeria Kulturelle Implikationen des Wandels von einer traditionellen Stammesgesellschaft zu einer modernen Industriegesellschaft. Ordo Politicus, vol 9. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-02968-7_6
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