Zusammenfassung
Sollte nicht der Hauptgrund unsers ganzen moralischen Verderbens — Verachtung des ehelichen Lebens von einer und die durch den Luxus, und andere unglückliche Beziehungen unsers Zeitalters verursachte Unmöglichkeit dareinzutreten von der andern Seite, sein? — Hierdurch wird jedes Individuum gleichsam isoliert — alle edleren geselligen Empfindungen unterdrückt — Vaterlandsliebe, Menschenliebe, Mitleid — Liederlichkeit befördert, besonders Verschwendung, weil es der Hauptzweck eines jeden werden muß, nur auf die Tage seines Lebens recht viel zu genießen, so viel an sich zu reißen als er kann. — Daher Verachtung, und eben dadurch Verderbung des weiblichen Geschlechts — (dieser ist nicht entgegen der galante Ton gegen dieses Geschlecht — er am meisten zeigt es eben an, wie sehr wir sie verachten) Tyrannei der höhern, und Unterdrückung der niedrigern, besonders des landbauenden Standes (weil durch Liederlichkeit jede menschenfreundliche Neigung unterdrückt ist —) Sultanism der Regenten, unnatürliche Laster, Entkräftung des ganzen Geschlechts, Elend und Untergang. — Entsteht ein solcher Ton bei einem vorzüglich verfeinerten Volke, so entspringt daraus der verdrehte, widersprechende Charakter, daß Einsichten mit dem Herzen und den Sitten in ewigem Widerspruch liegen, und daß die Dekrete des Verstandes endlich nichts werden, als ein leerer Wortschall. — Die erstaunenden Widersprüche, und die unbegreifliche Absurdität unsrer Gesetze, nebst ihrer Ohnmacht, z. E. Bevölkerung — und Behandlung derer, die unehelich gebären. Religion und unsre Sentiments davon im gemeinen Leben. — Wäre es nicht weit gescheiter, wenigstens konsequenter, wir schafften die Religion ganz ab? — Salzmann in Carl von Carlsberg 2 will das sagen, aber es fehlt ihm an Nachdruck: er redet nur davon her. In Hallo’s glücklichem Abend 3 ist vieles davon besser und nachdrücklicher gesagt. — Hätte er die Kunst verstanden seine Moral auch in lebendige Leiber einzuhüllen! Wer liest ihn, und wer glaubt seiner Predigt? In Lienhard u. Gertrud 4 ist’s am besten, aber er hätte noch weitergehen: auch die höhern Stände ein bißchen beleuchten sollen.
Aus Fichtes Nachlaß. Zu Lebzeiten nicht veröffentlicht.
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Literatur
Ch. G. Salzmann; Carl von Carlsberg oder über das menschliche Elend, Karlsruhe 1784-88.
Ch. Sintenis; Hallos glücklicher Abend. Leipzig 1783.
J. H. Pestalozzi; Lienhard und Gertrud. Ein Buch für das Volk. Teil 1: Berlin u. Leipzig 1781, Teil 2: Frankfurt und Leipzig 1783.
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Fichte, J.G., Willms, B. (1967). Zufällige Gedanken in einer schlaflosen Nacht. In: Willms, B. (eds) Schriften zur Revolution. Klassiker der Politik, vol 7. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-02908-3_1
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