Zusammenfassung
Insgesamt zeigt die Entwicklung in Preußen und Österreich das Ziel, in einer grundgesetzlichen Regelung die Staatsgewalt an bestimmte vorgegebene Zwecke der bürgerlichen Gesellschaft zu binden und dem Bürger einen gewissen Rechtsbereich der Freiheit (bürgerliche Freiheit) zu gewährleisten. Diese rechtsstaatlichen Bestrebungen wurden nunmehr auf das Privatrecht übertragen. Das Privatrecht ist nach der Auffassung der Gesetzgebung der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts der „Inbegriff aller Gesetze, wodurch die wechselseitigen Rechte und Pflichten der Einwohner des Staates unter sich bestimmt werden“ (WGGB I § 9)89. Sofern die Theorie zwischen dem Naturstand des Menschen und dem darin geltenden Naturrecht und dem bürgerlichen Stand des Menschen und dem darin geschaffenen bürgerlichen Recht unterschied, war das Privatrecht, soweit es von der Gesetzgebung geregelt wurde, bürgerliches Recht90. Svarez versteht unter dem bürgerlichen Recht die Normen, die „entweder die Verhältnisse der Untertanen gegen den Staat oder die Verhältnisse der Untertanen untereinander“ bestimmen. Das Letztere ist bürgerliches Privatrecht und enthält die Gesetze, „welche die Rechte und Pflichten zwischen den Bürgern des Staats in Ansehung ihrer Privatangelegenheiten bestimmen91.“
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Entwurf Martinis (Harrasowski, Der Codex Theresianus und seine Umarbeitungen, V, S. 5), I, 1, § 3. Der Inbegriff der Gesetze, durch welche die Rechte, Pflichten und Obliegenheiten aller Bürger und Landeseinwohner unter sich bestimmt werden, macht eigentlich das Privat-, Civil- oder bürgerliche Recht aus; solches wird nun für alle deutschen Erbländer des österreichischen Staats in diesem Gesetzbuche vorgetragen.
Martini, Staatsrecht, § 80, unterscheidet verschiedene Arten bürgerlicher Gesetze: „Jene, welche den Zustand des Staates, in so fern er eine sittliche Person vorstellt, betreffen, werden öffentliche, jene hingegen, welche sich auf einzelne Personen und ihr Vermögen beziehen, Privatgesetze genannt: Andere, welche über die Rechte der Sachen, über das Eigentum und über die Art, mit demselben zu verfahren, bestimmen, heißen insbesondere bürgerliche Privatgesetze: Andere endlich, welche gegen Verbrechen, nämlich gegen Handlungen, die aus List oder Verschulden begangen werden, Strafen verhängen, sind unter dem Namen peinlicher Gesetze bekannt.“
C. G. Svarez, Vorträge, S. 580.
WGGB I, § 9. Der Inbegriff aller Gesetze, wodurch die wechselseitigen Rechte und Pflichten der Einwohner des Staates unter sich bestimmt werden, macht das bürgerliche Privatrecht desselben aus. Franz Edler von Zeiller, Das natürliche Privatrecht, Wien 18193, § 14, unterscheidet zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht. In einem Vortrag vom 21. Dezember 1801 hat Zeiller folgende Hauptzweige des Rechtes und der Gesetze unterschieden: „Das Staatsrecht stelle das Subjekt der obersten Macht, die Regierungsform dar. Die politische Gesetzgebung habe das Verhältnis der Einzelnen zum Ganzen, sie habe die Mittel zur Aufrechterhaltung der äußeren und inneren Sicherheit, die Vervielfältigung der Nahrungszweige, die Behebung und Verwaltung der Staatseinkünfte zum Gegenstande. Das Criminalrecht schütze die Rechte der öffentlichen Verwaltung und der Privaten gegen unmittelbare vorsätzliche Angriffe durch tätig angedrohte Strafen. Das bürgerliche Recht bestimme die gegenseitigen Privatrechte der einzelnen Einwohner, und die bürgerliche Gerichtsordnung bezeichne die gesetzlichen Wege, sie im Staate geltend zu machen.“ Excurse über österreichisches allgemeines bürgerliches Recht. Beilagen zum Commentar von Leopold Pfaff und Franz Hoffmann, 1. Band, 1. Heft, Wien 1877, S. 36/37. Auch J. G. Schlosser, Briefe über die Gesetzgebung usw., S. 124, bezeichnet das Zivilgesetz als „eine Entscheidung der verschiedenen Meinungen der Menschen über die Rechte und Verbindlichkeiten, welche sie gegen einander haben.“
Hierzu kritisch J. G. Schlosser, a. a. O., S. 141 ff.; F. von Zeiller, a. a. O., S. 43/44, unter Berufung auf Schlosser.
Zutreffend auch O. Peterka, a. a. O., S. 144.
C. G. Svarez, Vorträge, S. 581.
A. a. O., S. 601/02.
Martini, Staatsrecht, §§ 78/79.
C. G. Svarez, Vorträge, S. 628.
F. v. Zeiller, Beilage zum Vortrag vom 19. Januar 1808, a. a. O., S. 62: „Immer aber war man zugleich besorgt, die gefährliche Klippe einer ängstlichen, weitschweifigen und doch nie befriedigenden Kasuistik zu vermeiden, von der man weder das römische noch das preußische Gesetzbuch frei sprechen kann. In diesen Fehler der Gesetzgebung muß man notwendig verfallen, wenn man so, wie das preußische Gesetzbuch, den Richter an eine buchstäbliche Anwendung des Gesetzes binden und ihn in eine rechtsprechende Maschine verwandeln will. Dagegen wird in dem nebenliegenden Entwurfe dem Richter eine freiere, doch vernünftig beschränkte Macht in der Auslegung und Anwendung der Gesetze zugestanden“. — Hierzu Einleitung zu C. G. Svarez, Vorträge, S. XVIII, und FN. 8.
Siehe oben S. 31.
Für einen Einfluß von Sonnenfels auf diese Vorschrift S. Adler, a. a. O., S. 122/23.
Vgl. jetzt Hermann Conrad, Freiherr vom Stein als Staatsmann im Übergang vom Absolutismus zum Verfassungsstaat (Osteuropa und der Deutsche Osten. Reihe I, Buch 4), Köln-Braunsfeld 1958, S. 17ff.
C. G. Svarez, Vorträge, S. 261 ff.
WGGB I, § 31. Diese Naturrechte bleiben unverändert auch im Kreise der bürgerlichen Gesellschaft, denn was nach diesen Rechten einem Menschen erlaubt ist, dies kann andern nicht verboten, und was einem Menschen verboten ist, kann andern nicht erlaubt sein. § 32. Anders verhält es sich in Ansehung der erworbenen Rechte: diese sind nach Verschiedenheit der Erwerbung verschieden. Aus diesem Grunde ist in Rücksicht auf Glücksgüter und andere zufällige Vorrechte ein gewisser Abstand unter den Menschen unvermeidlich, ja sogar notwendig. § 33. Aber aus eben dieser Verschiedenheit leuchtet das Vorzügliche einer bürgerlichen Gesellschaft hervor: durch ihren gemeinschaftlichen Willen, und durch ihre vereinigten Kräfte wird der Schwache gegen Stärkeren geschützt, und der Ohnmächtige gegen den Mächtigen verteidigt, auch werden dadurch alle übrigen sowohl angeborenen als erworbenen Rechte sichergestellt. — Dem entsprechen I, 2, §§ 4/6, Entwurf Martinis, Harrasowski, a. a. O., S. 17.
Dies entsprach im wesentlichen der Auffassung Martinis (vgl. Staatsrecht, §§ 91/92). Irrig daher O. Peterka, a. a. O., S. 44, der in den Bestrebungen Josephs II. nach rechtlicher Gleichstellung seiner Untertanen die Auswirkungen einer entsprechenden Forderung der Naturrechtslehrer, insbesondere Martinis, sehen wollte. Martini hat eine solche Gleichstellung niemals gefordert. Vgl. auch J. G. Schlosser, Briefe über die Gesetzgebung usw., S. 131/32: „... daß alle Menschen gleiche Rechte und Pflichten gegeneinander haben, außer wo die Menschen selbst ungleich sind, und weil diese Ungleichheit bloß durch den gesetzmäßigen Stand eingeführt werden kann.“
Harry Westermann, Person und Persönlichkeit als Wert im Zivilrecht (Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen. Geisteswissenschaften, Heft 47), Köln und Opladen 1957.
Helmut Coing, Der Rechtsbegriff der menschlichen Person und die Theorien der Menschenrechte. Beiträge zur Rechtsforschung, hg. von Ernst Wolff, Sonderveröffentlichung der Zeitschrift für Ausländisches und Internationales Privatrecht, Berlin und Tübingen 1950, S. 191 ff.; Hermann Conrad, Individuum und Gemeinschaft in der Privatrechtsordnung des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts (Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe. Schriftenreihe, Heft 18), Karlsruhe 1956.
Hierzu H. Conrad, a. a. O., S. 13; Die geistigen Grundlagen des Allgemeinen Landrechts, S. 28.
F. von Zeiller, Das natürliche Privatrecht, § 41: Jedes sinnlichvernünftige Wesen, weil es als Selbstzweck, als ein Subjekt von Rechten und Pflichten, betrachtet werden muß, ist eine Person. Ohne Zweifel müssen also alle Wesen, welche die für uns erkennbaren äußeren Zeichen der Menschheit, d. i. des möglichen Vernunftgebrauches haben, obschon ihnen, wie den Ungebornen, den Unmündigen, Blödsinnigen, Wahnsinnigen, der gegenwärtige Gebrauch der Vernunft mangelt, dennoch, weil sie zur Erreichung des vollständigen höchsten Gutes, der Sittlichkeit und Glückseligkeit, berufen sind, als Personen geachtet und Rechte bei ihnen anerkannt werden.“ Hierzu auch H. Conrad, Individuum und Gemeinschaft, S. 21 ff.
Hierzu F. v. Zeiller, Vortrag vom 21. Dezember 1801, a. a. O., S. 42: „Gleichheit der Rechte in dem Sinne, daß jeder Bürger so viel als der andere, daß der Unfähige, der Träge, der Verdienstlose ebensoviel als der Fähige, der Emsige, der Mann von Verdiensten besitzen soll, sei eine unsinnige und höchst widerrechtliche Forderung. Allein, daß man in jedem Mitgliede der Gesellschaft die von dem Begriffe eines vernünftigen Wesens und von dem Begriffe eines Staatsbürgers unzertrennbaren Rechte respektiere, daß man jedem die rechtlichen Arten zu erwerben offen lasse, daß man die persönliche Sicherheit, die Ehre und die Eigentumsrechte der untersten Bürgerklassen ebenso heilig achte als jene der ersten, mächtigsten und angesehensten Stände — diese Gleichheit sei eine unerläßliche Grundbedingung des Staatsvereins, die man auch bei der Civilgesetzgebung nie aus den Augen verlieren dürfe, und die nach dem schon bestehenden nachahmungswürdigsten Systeme unserer Gesetzgebung so allgemein und in so vollem Maße anerkannt werde, daß selbst die Rechtsstreitigkeiten über die Privatrechte der Landesfürsten nach dem nämlichen Grundsatze beurteilt werden müßten.“ Zeiller deutet demnach wohl WGGB I, § 1, 31/33, in einem nichtständischen Sinne, was auf Bedenken stößt. Vgl. oben, S. 43 und FN. 104/5. Nach seinem Natürlichen Privatrecht, § 40, gehören zu den Urrechten des Menschen das Recht der gesetzlichen Freiheit und das Recht der gesetzlichen Gleichheit. Ober den Einfluß Kants auf diese Lehren H. Conrad, Individuum und Gemeinschaft, S. 22ff. Zu den Rechtsstreitigkeiten über Privatrechte des Landesfürsten siehe ABGB § 20.
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Conrad, H. (1961). Die neue Grundlegung des Privatrechtes. In: Rechtsstaatliche Bestrebungen im Absolutismus Preußens und Österreichs am Ende des 18. Jahrhunderts. Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, vol 95. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-02888-8_4
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-02888-8_4
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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