Zusammenfassung
Von den drei Typen der Räte*, die wir in Übereinstimmung mit Peter von Oertzen unterscheiden können1: Räte als Kampforgane, als systemkonforme Interessenvertretungen, als Lenkungsorgane des politischen Gemeinwesens, soll hier vor allem der letzte Typ interessieren. Es hat sich erwiesen, daß sich Räte als Kampforgane revolutionärer Bewegungen während des Prozesses der Revolution durchaus bewähren können. Ihr konsequent demokratischer Charakter — alle Führungspositionen werden durch Wahl besetzt, alle führenden Funktionäre können jederzeit von den Wahlkörperschaften abberufen werden — befähigt sie zu einem steten, engen Kontakt mit den revolutionären Massen. So können mit Hilfe der Rätedemokratie sehr schnell die ganze Arbeiterschaft der Betriebe oder die Bewohner der Kommunen erfaßt und organisiert werden. Auch jene Bürokratisierungstendenzen in Parteien und Gewerkschaften, die Robert Michels veranlaßten, von einem »ehernen Gesetz der Oligarchiebildung« zu reden2, vermögen sich in Rätebewegungen nicht so schnell und wirksam durchzusetzen wie in anderen Organisationsformen. Hinzu kommen noch andere Vorzüge, vor allem das Prinzip der Offentlichkeit der Verhandlungen der Räte, das den Wählern ermöglicht, die politischen Entscheidungsprozesse zu kontrollieren. Schließlich sind die gewählten Vertreter nicht frei, sondern an Wähleraufträge gebunden. Besser als Parteien und Parlamente sind also demokratische Räte zur Selbstorganisation der Massen geeignet, wenn diese nur, wie das in revolutionären Situationen der Fall ist, ausreichend zur Selbstorganisation motiviert sind.
This is a preview of subscription content, log in via an institution.
Buying options
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Learn about institutional subscriptionsPreview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Anmerkungen
Diese Arbeit enthält einige Absätze aus meiner Schrift »Rätedemokratie und Parlamentarismus«, Berlin 1968.
Peter von Oertzen: Betriebsräte in der Novemberrevolution, Eine politikwissenschaftliche Untersuchung über Ideengehalt und Struktur der betrieblichen und wirtschaftlichen Arbeiterräte in der deutschen Revolution 1918/19, Düsseldorf 1963, S. 11.
Robert Michels: Soziologie des Parteiwesens, Stuttgart 1957, S. 351 ff.
Otto Stammer: »Gesellschaft und Politik«, in: Handbuch der Soziologie, Hrsg. von Werner Ziegenfuß, Stuttgart 1955, S. 602.
Ernst Forsthoff: Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I., München, Berlin 1956, S. 35, Anm. 4.
Eberhard Kolb: Die Arbeiterräte in der deutschen Innenpolitik 1918-1919, Düsseldorf1962, S. 359.
René König: »Grundlagen der soziologischen Forschungsmethoden«, in: Sozialwissenschaftund Gesellschaftsgestaltung, Festschrift für Gerhard Weisser, Berlin 1963, S. 32
Ich lehne mich hier sehr eng — zum Teil wörtlich — an den Katalog von Peter von Oertzen (a. a. O., S. 10) an, den ich an einigen Stellen freilich verändere. Der wesentliche Unterschied zwischen Peter von Oertzen und mir besteht darin, daß er, wie auch Udo Bermbach in seinem Aufsatz: »Ansätze zu einer Kritik des Rätesystems«, in: Berliner Zeitschrift für Politologie, 9. Jg., Nr. 4, 1968, S. 23, den stufenförmigen Aufbau der Rätedemokratie und die damit verbundenen indirekten Wahlen unberücksichtigt ließ.
Dieter Schneider, Rudolf Kuda: Arbeiterräte in der Novemberrevolution. Ideen, Wirkungen, Dokumente. Frankfurt am Main 1968, S. 26.
Hermann Heller: Rechtsstaat oder Diktatur?, Tübingen 1930, S. 32.
Internationales Arbeitsamt Genf (Hrsg.): Die Arbeiterselbstverwaltung in den Betrieben Jugoslawiens, Genf 1962, S. 5.
Max Cohen: »Der Rätegedanke im ersten Revolutionsjahr«, in: Sozialistische Monatshefte, Jg. 25, 1919, S. 1043 ff.; derselbe: Rätesystem und Reichsverfassung. Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der SPD in Weimar vom 10.-15. Juni 1919, Berlin 1919, S. 421 ff.
Karl Marx: Kritik des Hegelschen Staatsrechts, in: Marx/Engels: Werke, Bd. 1, Berlin (Ost) 1957, S. 248 f.
A. a. 0., S. 249.
Alfred Grosser anläßlich des Zehnten Europäischen Gesprächs in Recklinghausen zum Thema »Sachverstand und Politik in der Demokratie«, Protokoll hrsg. von Heinz Köppers, Düsseldorf 1962, S. 81.
A. a. O., S. 193.
A. a. O., S. 194.
A. a..0, S. 258 f.
Peter von Oertzen: »Freiheitlich-demokratische Grundordnung und Rätesystem«, in: Politische Bildung, Jg. 1969, S. 18.
Jürgen Habermas: Student und Politik, Neuwied 1961, S. 31.
Vgl. hierzu Habermas, a. a. O., S. 38.
Author information
Authors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 1971 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Gottschalch, W. (1971). Modelltheoretische Darlegungen zum Problem der Rätedemokratie. In: Probleme der Demokratie heute. Politische Vierteljahresschrift (Sonderheft 2), vol 2/1970. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-02848-2_5
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-02848-2_5
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-663-00935-1
Online ISBN: 978-3-663-02848-2
eBook Packages: Springer Book Archive