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Staat und Nation: Souveränität und ihre Grenzen

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Book cover Politik als Prozeß der Gemeinschaftsbildung
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Zusammenfassung

Staat und Nation sind siamesische Zwillinge, die die Kultur des Abendlandes hervorgebracht hat. Sie haben die moderne Politik geprägt und bilden die politische Gemeinschaft der Gegenwart und deren Ordnung. Während sie indessen in Europa, ihrem Ursprungsland, fraglich geworden sind, streben noch immer in der ganzen Welt Menschen mit politischen Zielsetzungen danach, Staaten und Nationen zu begründen. Auch die bisher vorhandenen Ansätze zu einer Weltordnung sind ein Zusammenschluß von „Nationen“. Der Nationalismus, mit Nation und Staat untrennbar verbunden, zählt zu den mächtigsten Emotionen der Zeit 1. Zuweilen wird er sogar zu einer Art Pseudo-Ideologie, obgleich in der Praxis die Entstehung einer Nation der Herausbildung jeder echten Ideologie vorausgeht. Denn Ideologien sind an das Vorhandensein verschiedener Parteien innerhalb eines Nationalstaates oder, wie es wohl richtiger hieße, einer Staatsnation gebunden. Zumeist steht die Staatsgründung an erster Stelle, und erst innerhalb des politischen Rahmens eines Staates bildet sich die Nation heraus oder gelangt sie zumindest zur vollen Entfaltung. Diese historische Reihenfolge sollte heute beachtet werden, da wir Zeugen neuer Staatsgründungen sind, deren Herrscher große Mühe darauf verwenden, die in diesen Staaten zusammengefaßten Bevölkerungsgruppen zu Nationen zusammenzuschweißen. In der westlichen Welt ist die Untrennbarkeit beider Begriffe so sehr zu einer Selbstverständlichkeit geworden, und der überlieferte nationale Mythos ist so weit verbreitet, daß oft zweifelnd gefragt wird: Wie können diese neuen Staaten ihr Ziel erreichen, wenn keine Nation vorhanden ist, um ihnen Halt zu geben? Gab es denn aber eine britische, eine französische, eine amerikanische oder gar eine Schweizer Nation, als alle diese Staaten entstanden? Auf Ausnahmen, scheinbare Ausnahmen, wie Italien und Deutschland wird unten noch näher einzugehen sein. In ihrer typischen Form entstehen Staat und Nation zwar in Verbindung miteinander, aber der Staat ist die aktive Kraft oder vielmehr die Herrscher des Mittelalters waren seine Erbauer. Eine ausschließliche Betonung der Leistungen dieser Monarchen führt jedoch leicht zu falschen Schlüssen und kann dann eine Art von „Blut- und Eisen-Realismus“ aufkommen lassen, der durch die geschichtlichen Erfahrungen der Vereinigten Staaten und der Schweiz widerlegt wird. Hier diente eine föderative Vereinigung als funktionsfähiger Staat, in dessen Rahmen sich eine Nation entwickeln und geeint werden konnte2. Diese Präzedenzfälle sind wichtig angesichts der Schwierigkeiten, denen sich Indien und eine Reihe afrikanischer und europäischer Staaten gegenübersehen. Die Behauptung, es müsse zunächst eine europäische Nation entwickelt werden, bevor eine europäische politische Ordnung geschaffen werden kann, ist unzutreffend. Ebenso ist es die Ansicht, daß eine solche Ordnung nicht funktionsfähig sein werde, wenn sie kein starker „Gründer“ vom Range Bismarcks schafft 3.

Nations have lost their old omnipotence; the patriotic tie does not hold. Nations are getting obsolete, we go and live where we will.

R. W. Emerson

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Literatur

  1. T. Kohn, 1955; Deutsch, 1962.

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  2. Für das erste Fehlurteil siehe besonders Coudenhove-Kalergi, 1953; für das zweite sind

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  3. Napoleons und Hitlers Europapläne typisch.

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  4. Vgl. Friedrich, 1968 I, S. 11 ff., und die dort angegebene Literatur. Siehe z. B. die unüberwindlichen Schwierigkeiten bei dem Versuch, Verfassungen für Pakistan und Israel zu schaffen; beide sind Nationen, in denen religiöse Orthodoxie eine große Rolle spielt. Zu Pakistan vgl. Binder, 1961, und Newman, 1956; zu Israel Dunner, 1950, Kap. 8; Hurewitz, 1950; Halpern, 1961, schildert den zionistischen Hintergrund.

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  5. Aristoteles, Politik, I. 1; Cicero, De Republica, 1. 25.

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  6. Zum Beispiel Sir Thomas Smith, 1583; Bodin erkannte die „Stände“ ebenso an wie Smith, v obwohl er den Gedanken einer möglichen Teilung der Souveränität verwirft.

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  7. Bodin, 1586, Buch I, Kap. 8; zu dem Problem der Unterschiede der lateinischen und französischen Ausgabe vgl. Mesnard, 1935, Buch IV, Kap. 3, S. 473 ff., und McRae, 1962, 2 Einleitung.

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  8. Princeps vero, populusque, in quibus majestas inest, rationem rerum gestarum nemini

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  9. praeterquem immortali Deo reddere coguntur.” Bodin, 1586. Dies ist der entscheidende

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  10. Satz, dessen Echo man durch die Jahrhunderte bis zu John Austin, 1832, verfolgen kann. i s Vgl. oben, Kap. 9.

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  11. Die berühmte Formel Georg Jellineks von der Kompetenz- Kompetenz, 1900, 1914, bezog sich jedoch hauptsächlich auf die Frage nach der Souveränität in einem föderativen System. Vgl. Emerson, 1928, Kap. II, insbes. S. 59 ff.

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  12. A. G. Meyer, 1957; Tucker, 1961; Friedrich und Brzezinski, 1965; und Friedrich, A, The Nation: Growth or Artefact?, der demnächst erscheint.

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  13. Germino, 1959; Gentile, 1925; Mussolini, 1933. Für die komplexere Auffassung des Nationalsozialismus siehe Hitler, 1924; und die Analyse in Friedrich und Brzezinski, 1965, Kan. 8 und 9.

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  14. De Gaulle, 1956, S. 183 ff,; Debré, 1947 und Debré, 1957; Debré spricht in dem ersten Buch vom „Tod des Staates“.

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  15. Zu den Vertretern des Pluralismus gehören Laski, Lindsay und Duguit, die auf den historischen Untersuchungen von Gierke, Maitland und Figgis und anderen aufbauen; sie werden bestätigt durch die Schriften Bentleys und seiner Schule. Laski, 1917, und Laski, 1921; Lindsay, 1943; Duguit, 1901, und Bentley, 1908, sind klassische Darstellungen dieser Lehren. Vgl. dazu die abgewogene Skizze über Pluralismus von Francis W. Coker in der

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  16. Encyclopaedia of the Social Sciences. Dies ist der berühmte Satz, mit dem Treitschke seine Politik, 1898, S. 13, beginnt. Treitschke verwendet den Ausdruck „Volk“, aber in der Bedeutung von „Nation”.

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  17. Bauer, 1907; Renner, 1907; Cobban, 1945; Hugelmann, 1934, S. 242 ff.; Meinecke, 1922, 1928, S. 3 ff. und die dort angegebene Literatur. Zur Idee einer Kulturautonomie, wie sie von Renner und Bauer vertreten wurde, im Gegensatz zur Territorialautonomie vgl. unten, Kapitel 24. Das „Millet-System“ der Türken sah eine solche „Kulturautonomie“ der Nicht-Moslems auf nicht-territorialer Grundlage vor. Vgl. Gibb und Bowen, 1950, Bd. I, Teil II

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  18. Kap. 14. Max Weber, A, 1913, S. 50, wie von Kohn, 1944, Kap. I, Anm. 13, zitiert. Vgl. ebenso Webers Erörterung in 1922, S. 627 ff. Er erklärt hier, daß „Nation“ nicht nach empirisch ermittelten, gemeinsamen Eigenschaften der ihr angehörenden Menschen definiert werden

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  19. könne; seine Diskussion ist allerdings Fragment geblieben.

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  20. Projet de Constitution pour la Corse (hrsg. von Vaughan), 1915, S. 33. Vgl. oben, Kapitel 20.

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  21. Deutsch, 1953, S. 78, und Kap. 5–8.

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  22. Ibid., S. 146. Deutsch macht auf die adjektivische Natur von Nationalitätssymbolen aufmerksam und bemerkt dazu, daß „Nationalbewußtsein wie jedes andere Bewußtsein nur das Bewußtsein von etwas sein kann, das existiert“. Es mag „vorhandene Tatsachen verfälschen… doch hinter den Verdrehungen… gibt es Gegebenheiten, auf die sie zurückgeführt werden können…“ Dies ist sehr zutreffend; die Nation ist kein Produkt der Einbildung, ebensowenig wie das menschliche Individuum. (Vgl. Friedrich, 1967, Kap. 3 und 5.)

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  23. Ibid., S. 151 ff.

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  24. Ibid., S. 151. Deutsch ist der Ansicht, Wille „may be described as the set of constraints acquired from the memories and past experiences… applied to the selection and treatment of items in its later intake, recall, or decisions“, und er fügt hinzu, daß „will is the

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  25. Kohn, 1950, Kap. I, insbes. S. 21. „Der Nationalismus unserer heutigen Auffassung hat seinen Ursprung in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts. Seine erste große Offenbarung war die Französische Revolution…“ Das nächste Zitat auf S. 41–42; eine gegenteilige Ansicht und eine Bestätigung unserer Auffassung findet sich bei Shafer, 1954

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  26. der gutes Beweismaterial bringt.

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  27. Rosenstock-Huessy, 1931, passim. Vgl. auch unten, Kapitel 25. Zur Sprachgemeinschaft im allgemeinen vgl. Deutsch, 1944, S. 25–28: „Eine Sprachgemeinschaft ist eine Gemeinschaft von Informationsträgern.“ Deutsch bietet interessantes Kartenmaterial und gibt weitere Hinweise. Vgl. auch Jesperson, 1946, Kap. III, insbes., S. 71–73, und S. 105–108.

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  28. Man kann selbst sehr gebildete Menschen sagen hören: „Nur ein Franzose kann Fauré spielen“ oder,Nur ein Deutscher kann voll und. ganz Bach verstehen. Ähnliche Äußerungen findet man zum Beispiel bei Spengler, 1923, Bd. II, S. 62 ff.; Keyserling, 1922, Bd. I, S. 16 f., 244 ff., 358 ff.; Bd. II, S. 629 f., 856 f.; und Madariaga, 1951, S. 18 ff. (engl. 1950 und 1967).

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  29. Kohn, 1950, S. 268. Zur Dialektik der Freiheit siehe oben, Kapitel 12–13.

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  30. Huxley, 1932; Orwell, 1949; man hat diese negativen Utopien distopias genannt, aber das geht nicht, weil das entscheidende U ( Nichtplatz) dabei verloren geht. Will man ein Wort, so

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  31. müßte es Disutopien heißen. Über Utopien siehe Friedrich, 1967 I, Kap. 6, und die dort angegebene Literatur — die

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  32. meistens den im Text ausgeführten Irrtum begeht. Über Morus vgl. Friedrich, 1967 I, Kap. 6, Fn 24; über Campanella siehe Paladino, 1920; de Mattei, 1934, gibt eine Liste von Ausgaben des Sonnenstaats, S. 83 ff. Vgl. die Studie über

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  33. das politische Denken Campanellas vom gleichen Autor, 1927, und die von P. Treves, 1930. Über die Diggers siehe Sabine, 1941, Einleitung, und Petegorsky, 1940. Die Diggers werden gewöhnlich „Kommunisten“ genannt, doch ist diese Bezeichnung irreführend, denn sie sind Anarchisten und gegen einen großen Regierungsapparat. Sabine kommentiert dazu: „Der Kommunismus Winstanleys ist geistig eigenständig in der politischen Philosophie des 17. Jahrhunderts gewesen. Er sprach mit der authentischen Stimme eines proletarischen Utopismus...” Solch „proletarischer Utopismus“ war damals anarchischer Natur und ist es seither geblieben; er ist immer für die kleine Gemeinschaft gewesen.

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  34. Brzezinski, 1960; Kap. 3, 9, 12 und passim.

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  35. Brzezinski, 1960, S. 59, hat die Bemühungen beschrieben, um die völkische Verschiedenartigkeit durch ideologische Einförmigkeit zu überwinden, sowie die mit diesen 4e Bemühungen verbundene Gefahr einer „ideologischen Erosion“.

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  36. Inkeles und Bauer, 1959, Kap. XV, S. 372 (Hervorhebung von mir). Das Kapitel baut zum 49 Teil auf Pipes, 1954, und Reshetar, 1952, auf.

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  37. Siehe Kohn, 1953; Mehnert, 1952; und Barghoorn, 1956, sowie den Kommentar hierzu in Friedrich und Brzezinski, 1956, S. 66 ff.

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  38. Vgl. Johannet, 1923; Janowsky, 1945; Hugelmann u. a., 1934; Jaszi, 1929. Das grund-

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  39. legende Werk ist jedoch Renner, 1907, 1918. Vgl. ebenso Znaniecki, 1952. W. Friedmann, 1943, insbes. S. 163 ff. „.. der vorherrschende Trend der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kräfte von heute führt vom Nationalstaat weg.“

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  40. Dies ist die These dieser guten Studie. Deutsch, 1953, S. 165.

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Friedrich, C.J. (1970). Staat und Nation: Souveränität und ihre Grenzen. In: Politik als Prozeß der Gemeinschaftsbildung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-02720-1_23

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