Zusammenfassung
Die Verteidigung einer Gemeinschaft ist zu allen Zeiten als eine Hauptaufgabe jeder politischen Ordnung anerkannt worden. In der Tat haben, wenn man die Hauptmotive untersucht, die zu Kriegen geführt haben, das Motiv der Selbsterhaltung und damit das der Verteidigung, wie bereits bemerkt, eine entscheidende Rolle gespielt1. In der Moderne kann man zwischen politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und religiösen Motiven unterscheiden 2. Aber es ist zu Kriegen nur deshalb gekommen, weil eine bestimmte Gemeinschaft bereit war, ihre Frauen, ihr Territorium oder ihre Unabhängigkeit gegen einen Angreifer, der sie dieser Dinge berauben wollte, zu verteidigen. In politischer Perspektive kann man deshalb sehr verschiedene Motive letztlich unter dem Begriff der Verteidigung zusammenfassen. Diese allgemeine Feststellung wird durch das, was wir über Kriege in primitiven Gesellschaften wissen, erhärtet. Zwar scheinen die Forschungen von Ethnologen sehr oft darauf hinzudeuten, daß eine Angreifermentalität der bestimmende Faktor solcher Kriege gewesen ist. Aber wenn man die Motive genau untersucht, wird ein allgemeines Muster (pattern) sichtbar. Damit soll nicht geleugnet werden, daß in dieser Hinsicht sich sehr beträchtliche Unterschiede zwischen primitiven Völkern finden; es gibt unter ihnen zweifellos besonders kriegerische und solche, die friedliebend sind. Aber eine genauere Untersuchung ergibt, daß jedes der oft genannten Vorhaben letztlich mit der Verteidigung einer Gemeinschaft zusammenhängt. Zuweilen werden Kriege auch geführt, um die Macht benachbarter Stämme zu verringern und damit die eigene Sicherheit zu erhöhen.
We shall not flag or fail.... We shall defend our island, whatever the cost may be, ... We shall never surrender...
Winston Churchill, 4. Juni 1940
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Literatur
Q. Wright, 1942, S. 74 ff. und 131 ff. Diese Studie ist bis heute die eingehendste Untersuchung menschlicher Erfahrung in diesem Bereich geblieben. Man vgl. jedoch daneben jetzt Aron, 1962, und Stanley Hoffmann, 1965. Demnächst erscheint außerdem
Q. Wright, 1942, S. 273 ff. Siehe auch Huntington, 1957. Mair, 1934; Kenyatta, 1953; Fortes und Evans—Pritchard, 1940; Busia, 1951; M. G. Smith, 1960; Nadel, 1942; Coon, 1931; A. Musil, 1928.
Im Sinne der Wertanalyse, wie sie in Friedrich, 1967, Kap. 3, geboten wird, ist es möglich, diese Situation als eine solche zu charakterisieren, in der eine Werthierarchie herrscht, deren a höchster Wert eine besondere Art der Machtgestaltung darstellt.
Clausewitz, 1832, Bd. I, S. 18; siehe auch Bd. III, S. 121. Rothfels, 1920; vgl. auch Rothfels, A, 1943, wo ausgeführt wird, daß Clausewitz den politischen Zielen in einem
Die gegenteilige Ansicht von Rothfels (s. seinen Beitrag zu dem Buch von 1943) läßt sich nicht halten, denn ob militärische oder politische Überlegungen wichtiger sind, muß letztlich doch politisch entschieden werden.
Ratzel, 1923, S. 59 ff., von dem die Lehren der Schule der Geopolitik zum Teil herstammen. Neuerlich hat Carl Schmitt, 1950, ähnlich argumentiert, daß „Landnahme“, d. h. das Nehmen oder Besetzen von Land, die Grundlage des Völkerrechts sei. So liest man: „Alle Völker aller Zeiten, die in neue Räume aufbrachen und auf ihren Wanderungen seßhaft wurden, griechische, italienische, germanische, slawische, magyarische und andere Sippen, Stämme und Gefolgschaften, haben Landnahmen vollzogen, und die gesamte Kolonialgeschichte ist ebenfalls nur eine Geschichte raumhaft bestimmter Gründungsvorgänge, in denen Ortung und Ordnung sich verbinden.” (S. 50) Schmitt betont in diesem Zusammenhang die Etymologie des Wortes nomos, das sich von nemein herleitet. Da nomos ursprünglich, so in Homer, ein Futterplatz oder eine eingezäunte Weide für Vieh war, so ist zuzugeben, daß hier ein wichtiger Zusammenhang aufgedeckt worden ist, zumal nomos
selber schließlich die Bedeutung nicht nur von Sitte, sondern von Recht bekam. Treitschke, 1897, 1. Bd., S. 25 ff. und 54 ff.; und Seeley, 1896, S. 53–76. Vgl. auch Mackinders Werk, bes. 1919, der mit organischen Begriffen arbeitet. Eine kritische Analyse geopolitischer Schriften bei Whittlesey, 1939, Dorpalen, 1942, und Spykman, 1942.
Siehe auch Whittlesey, A, 1943. Murphy (Hrsg.), 1945, bes. S. 3–50; siehe dagegen Lorenz, 1964.
Schmitt, 1932, passim, hat am eindrücklichsten die These vertreten, daß Politik ihrem Wesen nach in der Freund-Feind-Beziehung bestehe. Siehe dazu neuerdings Julien Freund, 1965. Scharf abgelehnt wird diese Auffassung von vielen anderen; man vgl. Sternberger, 1961.
Siehe hierzu Sorel, 1930, 1. Aufl. 1907, in dem mit Recht auf den Bürgerkrieg abgestellt 1 a ist. Clausewitz, 1832, 1857, 1937, Buch I, Kap. 1.
Grob, 1949, hat einen kritischen Überblick über di sehr unterschiedliche Verwendung
dieses Begriffes im Völkerrecht geboten. Q. Wright, 1942, Bd. I, Teil II, bes. Kap. IV. Vgl. auch Waltz, 1959, für eine Analyse der
Beziehung zwischen Ätiologie und Ideologie. Diese Tatsache veranlaßte William James, in einem berühmten Essay ein „moralisches Äquivalent für den Krieg“ zu fordern. In diesem Essay erklärte James, ein überzeugter Pazifist: „militarism is the great preserver of our ideals of hardihood, and human life with no use for hardihood would be contemptible” (S. 317). Er fügte hinzu, daß „there is a type of military character which everyone feels that the race should never cease to breed, for everyone is sensitive to its superiority“. Er glaubte, daß dieser Charakter eines Kriegers „can be bred without war” (S. 326). Anstatt gegen Menschen zu kämpfen, würde die Jugend dafür gewonnen werden, die Natur zu bekämpfen. Die in diesem Gedanken ausgesprochene Vorstellung eines Arbeitsdienstes hat in der Sozialreform eine gewisse Rolle gespielt. Dafür besonders bemerkenswert Rosenstock—Huessy; siehe insbesondere sein Werk von 1956–1958, bes. I, S. 232.
Siehe hierzu auch die Arbeit von Huntington, 1957, der dem anarchischen Durcheinander einer kleinstädtischen amerikanischen Geschäftsstraße die Ordnung der Kasernen einer Kadettenanstalt gegenüberstellt. Er bemerkt dazu, daß „the spirit of West Point is in the great, gray Gothic Chapel...“, was an Henry Adams Aussage über Mont-Saint-Michel erinnert, in der er von der Einheit des militärischen und des religiösen Geistes sprach.
Wir sagen „nicht-defensiv“ anstatt „aggressiv”, weil der Ausdruck weniger an Vorurteil enthält und außerdem alle nichtdefensiven Kriege nicht gleich aggressiv sind, wie auch Speiers Kategorie eines agonistischen Kampfes deutlich zeigt. Vgl. dazu Delbrück, 1900 und später, passim, und Craigs Kritik in Earle (Hrsg.), 1943, Kap. XI.
Diese allgemeine Aussage enthält meines Erachtens den entscheidenden Einwand gegen Henry Kissingers Vorstellungen eines begrenzten Krieges; siehe sein Buch von 1957.
Mahan, 1890, 1892, passim; siehe außerdem den Kommentar bei M. T. Sprout, in Earle Hrsg.), 1943, Kap. 17. Die Zitate sind diesem Kapitel, S. 418, entnommen.
Siehe z. B. Mackinder, 1930, Kap. 20. Vgl. Strauß-Hupé, 1942. Lamb, 1958.
Vgl. für eine sorgfältige Analyse des Wertes bzw. Unwertes der Bombardierung von Indu- striezentren The Strategic Bombing Survey, 1946. Die Schlußfolgerungen sind nie ernstlich bezweifelt worden und haben neuerlich durch die Erfahrungen im Vietnam-Krieg eine dramatische Bestätigung erfahren.
Kissinger, 1957, Kap. 5 und 12 sowie die angeführten Dokumente und die Bibliographie; vgl. auch Bush, 1949, und Osgood, 1957. Clausewitz’ Definition lautet wie folgt: „Die Taktik ist die Lehre vom Gebrauch der Streitkräfte im Gefecht, die Strategie die Lehre vom Gebrauch der Gefechte zum Zweck des Krieges“, 1857, Buch II, Kap. 1, S. 89.
In der weiteren Diskussion weist Clausewitz dann auf die vielen zusätzlichen Aufgaben hin, die heutzutage als Logistik bezeichnet werden und die nach Ansicht Clausewitz’ weder zur Taktik noch zur Strategie gehören. Im Zeitalter der Technik ist diese Auffassung unhaltbar geworden. Logistische Aufgaben gehören zu beiden oder, um es anders auszudrücken, die Logistik hat ihre eigene Strategie und Technik.
Ibid., Buch VI, Kap. I, S. 143, verweist auf das Paradox, daß der Eroberer „oft friedliebend“ ist, da er gern einen fremden Staat friedlich übernehmen würde. Clausewitz bezieht sich hier auf Napoleons in diese Richtung gehenden Erklärungen.
Ibid., Buch VI, Kap. I, S. 124–125. Clausewitz, 1857, S. 144. Man darf wohl annehmen, daß Clausewitz auch die Marine und die Luftwaffe miteinbeziehen würde. Der Gegensatz dieser beiden Strategien ist von Delbriick entwickelt worden, insbesondere in seinem Werk von 1890. Es ist dazu zu bemerken, daß er dies im Gegensatz zu und in der Auseinandersetzung mit Clausewitz’ Betonung der Strategie der „Niederwerfung“ tat. Vgl. hierzu Craig, A, 1943, S. 272 ff. Das Zitat stammt dorther.
Für Beispiele siehe Delbrück, 1900, Bd. I, S. 101 f. und Bd. II, S. 394.
Kissinger, 1957, Kap. 2–7. Kissinger hat inzwischen seine Meinung geändert; siehe sein Werk von 1961.
Machiavelli, Dell’Arte della Guerra (1521); siehe Delbrück, 1900, Bd. IV, Kap. 6. Dieser Gedanke taucht nicht nur bei Rousseau auf, sondern auch in Kants „Zum ewigen Frieden“, wo behauptet wird, ein stehendes Heer sei eine ständige Einladung zum Kriege, während ein bewaffnetes Volk gegen ihn sein würde.
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Friedrich, C.J. (1970). Verteidigung und Expansion der politischen Gemeinschaft. In: Politik als Prozeß der Gemeinschaftsbildung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-02720-1_16
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