Zusammenfassung
Es bedeutet ein nicht unerhebliches Fehlurteil, wenn in Kautz’ Geschichte der Nationalökonomie zu lesen ist, daß der ökonomische Liberalismus Adam Smiths während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in keinem Lande so anerkannt und hochgestellt wurde wie in Deutschland. Nicht nur, daß die deutschen Staaten des aufgeklärten Absolutismus dem Eindringen des liberalen Gedankens nachhaltigen Widerstand entgegensetzten. daß die Philosophie des Idealismus Fichtes und Schleiermachers, Schellings und Hegels den deutschen Geist zu einer Ganzheitsschau der staatlich-gesellschaftlichen Gebilde hinleitete und die politische Romantik sich alsbald zu einer eindringlichen Protestbewegung gegen die individualistische Interessenökonomie Adam Smiths erhob; auch das ökonomische Schrifttum setzte sich vielfach mit nicht geringer Distanzierung von der durch die Klassiker geübten Dogmatisierung ihrer Prinzipien ab. Zu den an Adam Smiths „Wealth of nations“ anknüpfenden Schriften sind Kraus’ „Staatswirtschaft“ (1808/11), Schlözers „Anfangsgründe der Staatswirtschaft“ (1805/07), Lueders „Über Nationalindustrie und Staatswirtschaft“ (1800/04) und Reinhardts „Grundriß der Staatswirtschaft“ (1808) zu rechnen. Doch wie schon die überwiegend angewandte Bezeichnung Staatswirtschaft, offensichtlich ein Vermächtnis aus der merkantilistischen Zeit, schließen läßt, ist die Perspektive, von der sie ausgehen, eine andere als die der staatslosen und staatsfeindlichen Ökonomie der Klassiker, deren negativistische Auffassung des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft sie zumeist nicht teilen, wie sie auch die Gefahren des ungehemmten Erwerbsstrebens und des unbeschränkten Freihandels zwischen in der wirtschaftlichen Entwicklung abgestuften Ländern nachdrücklich hervorheben. Die grundsätzliche Hinneigung zur Wirtschaftsfreiheit ist ihnen sämtlich eigen, doch ebenso die Erkenntnis, daß sie zum Schutze der Gesamtheit der zügelnden Ordnung bedarf. „Der letzte und einzige Grundsatz“, heißt es in Sartorius’ „Abhandlungen, die Elemente des Nationalreichtums und die Staatswirtschaft betreffend“ (1806), „ist die vollkommene Freiheit für alle, solange sie nicht die Gesetze der Gerechtigkeit übertreten.“ Aber andererseits ist sich Sartorius darüber klar, „daß bei der verstatteten freiesten Konkurrenz einzelne, ganze Klassen, Städte und Länder zugrunde gehen können“.
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© 1955 Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler, Wiesbaden
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Muhs, K. (1955). Die nachklassische Volkswirtschaftslehre im deutschen Raum. In: Kurzgefaßte Geschichte der Volkswirtschaftslehre. Gabler Verlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-02652-5_9
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