Zusammenfassung
Nicht zufällig stehen diese Marxschen Sätze aus der ‚Einleitung zur Kritik der Politischen Ökonomie‘ in einem Zusammenhang, in dem es um die Entstehung der ökonomischen Kategorie ‚abstrakte Arbeit‘ geht — ein Zusammenhang, der auch für die im folgenden behandelte Frage nach dem Verhältnis des Begriffs ‚Arbeit‘ in Physik und Ökonomie von Bedeutung ist. Die begriffliche Analyse eines Phänomens, sagt Marx, wird immer beim handgreiflich Gegebenen, historisch Konkreten ansetzen, weil sie in ihm den unverfälschten Ausdruck der wirklichen Verhältnisse sieht. Im weiteren Verlauf der Untersuchung allerdings wird sie dieses Konkrete hinter sich lassen, um zu allgemeineren, zugleich aber auch immer dünneren und abstrakteren Bestimmungen vorzudringen, die es erlauben, das ursprünglich unmittelbar gesetzte Konkrete abzuleiten und auf diese Weise seine historische Entstehung einsichtig zu machen. Dem Denken erscheine es deshalb so, daß die allgemeinen und abstrakten Bestimmungen auch die eigentlich ersten und grundlegenden gewesen seien — obwohl dies historisch keineswegs der Fall zu sein brauche. Historische Genese und begriffliche Rekonstruktion der heute gültigen Begriffe, so Marx, müssen durchaus nicht zusammenfallen, im Gegenteil: Was von der begrifflichen Perspektive her als ‚logischer‘ Prozeß der Vermittlung einer unübersichtlich wirkenden Mannigfaltigkeit von Erscheinungen durch einen abstrakt allgemeinen, aber einfachen Begriff erscheint, erweist sich in historischer Perspektive als Prozeß der Herausbildung dieses abstrakten, aber auch nivellierenden Begriffs. Wenn die wissenschaftliche Analyse allzu leichtfertig davon ausgehe, daß die von ihr aufgefundenen Kategorien immer schon die allgemeinsten und grundlegenden gewesen seien, dann müsse die historische und zugleich erkenntnis-kritische Methode noch einmal darauf hinweisen, daß diese angeblich primären Kategorien erst auf dem Gipfelpunkt einer geschichtlichen Entwicklung entstanden sind.
„Das Konkrete ist konkret, weil es die Zusammenfassung vieler Bestimmungen ist, also Einheit des Mannigfaltigen. Im Denken erscheint es daher als Prozeß der Zusammenfassung, als Resultat, nicht als Ausgangspunkt, obgleich es der wirkliche Ausgangspunkt und daher auch der Ausgangspunkt der Anschauung und Vorstellung ist.“1
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Literatur
K. Marx, Einleitung zur Kritik der Politischen Ökonomie (1857), Marx-Engels-Werke Bd. 13, Berlin 1974, S. 632.
Handwörterbuch der Sozialwissenschaften Bd. I, Tübingen 1956, S. 229.
Ebd.
Vgl. K. Marx, Das Kapital Bd. I (MEW-Bd. 23), Berlin 1970, S. 57.
So eine von Leibniz häufig verwendete Metapher, vgl. hierzu Alexandre Koyré: Von der geschlossenen Welt zum unendlichen Universum, Frankfurt 1980, S. 214.
H. Breger, Die Natur als arbeitende Maschine. Zur Entstehung des Energiebegriffs in der Physik 1840–1850, Frankfurt a.M. 1982.
Breger, a.a.O., S. 151 f.; Hervorhebg. v. Verf.
Erschienen in: ders., Stone Age Economics, New York 1972, S. 1–39; dt. erschienen als M. Sahlins: Ökonomie der Fülle — Die Subsistenzwirtschaft der Jäger und Sammler, in: Technologie und Politik 12, Reinbek 1978, S. 154–204.
R. Mayer, Die Idee aus Heilbronn: Umwandlung und Erhaltung der Energie, Heilbronn 1978, S. 151; hier zitiert nach Breger, a.a.O., S. 151. Das von Mayer zur Abgrenzung genannte Beispiel des ‘bloßen’ Haltens eines Gewichts könnte nur dann als Arbeit zählen, wenn man unter ‘Arbeit’ nicht die Aufbietung einer Kraft längs eines Weges, sondern während eines Zeitraumes verstanden hätte. Zu diesem Punkt vgl. F. Giese (Hrsg.), Handwörterbuch der Arbeitswissenschaft, Bd. I, Halle 1930, S. 181, die Ausführungen über ’Wegarbeit’ und ’Zeitarbeit’.
Vgl. hierzu Breger, a.a.O., S. 83 ff.
Erst heute beginnt man unter dem Stichwort der ‘Thermodynamik offener Systeme’ die prinzipielle Nichterfüllbarkeit auch dieser Voraussetzung zu erkennen: Es gibt, wie die Quantentheorie gezeigt hat, schon aus prinzipiellen Gründen kein System, das man vollständig gegen die Außenwelt abschließen könnte.
Dieses ‘Energie-Erhaltungsprinzip’ — ein fundamentales Prinzip auch der modernen Elementarteilchenphysik — hieß Mitte des vorigen Jahrhunderts noch ‘Gesetz von der Erhaltung der Kraft’, so etwa in Robert Mayers erster Veröffentlichung von 1842.
J. Grehn (Hrsg.), Metzler Physik, Stuttgart 19882, S. 157.
H. v. Helmholtz, Vorträge und Reden, 2 Bde., Braunschweig 1896, 1. Bd., S. 227.
J. Grehn, a.a.O., S. 163.
Vgl. hierzu H.W. Dickinson und R. Jenkins, James Watt and the Steam Engine, Moorland Publishers Ashbourne (UK) (1927) 1981, S. 353 ff.
Vgl. hierzu Kurt Mauel, Arbeit und Leistung. Ihre Bestimmung und Messung in der Technik seit dem 18. Jahrhundert, in: Technik-Geschichte, hrsg. von U. Troitzsch und C. Wohlauf, Frankfurt 1980, S. 269–301, hier insbes. 270.
H. Breger, a.a.O., S. 150.
F. Giese (Hrsg.), a.a.O., S. 180.
K. Marx, Einleitung, a.a.O., S. 635.
Vgl. K Marx, Das Kapital Bd. I, a.a.O., S. 52 bzw. 61.
Mit dieser Gegenüberstellung von ‘Produktion’ und ‘Schöpfung der Arbeit’ lehne ich mich an eine von Serge Moscovici im „Versuch über die menschliche Geschichte der Natur“, Frankfurt 1982, S. 60 ff. entwickelte Unterscheidung an.
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Kutschmann, W. (1990). Die Kategorie der Arbeit in Physik und Ökonomie. In: König, H., von Greiff, B., Schauer, H. (eds) Sozialphilosophie der industriellen Arbeit. LEVIATHAN Zeitschrift für Sozialwissenschaft, vol 11. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-01683-0_14
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