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Universalisierung des bürgerlichen Familienmodells

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Modernisierung der Privatheit

Part of the book series: Studien zur Sozialwissenschaft ((SZS,volume 110))

Zusammenfassung

Hinsichtlich ihres Familienleitbildes ist also die Gesellschaft Deutschlands im 19. Jahrhundert als «bürgerlich« zu bezeichnen. Gleichwohl war sie durch eine der sozialstrukturellen Differenzierung entsprechende Vielfalt an Familienformen charakterisiert. Nachdem bereits die „familienstrukturellen Wurzeln“ (Rerrich 1988, 83) des bürgerlichen Familienmodells aufgezeigt wurden, soll im folgenden der gesellschaftliche Differenzierungsprozeß in seinen Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der Familie idealtypisch in groben Zügen skizziert werden. Die vielschichtigen Veränderungen können nicht immer umfassend und im Detail nachgezeichnet werden.1 Es soll vor allem die in der bundesrepublikanischen Nachkriegsentwicklung endgültig zu beobachtende Herausbildung und Durchsetzung eines relativ einheitlichen, bürgerlichen Familienmodells betrachtet werden.

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Literatur

  1. Dies liegt auch in den Forschungsdesideraten in bezug auf die Familienentwicklung im 20. Jahrhundert begründet. Soweit ich sehe, ist bislang auch die gerade unter den Gesichtspunkten der Genese und Entwicklungsdynamik der bürgerlichen Familie hochinteressante Periode der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus unterbelichtet. Interessant ist die qualitative Studie von Meyer/Schulze (1988) zu den Folgen der Kriegseinwirkungen auf das Geschlechterverhältnis. Diese belegt am Beispiel der häuslichen Arbeitsteilung, daß trotz eines Selbständigkeitszuwachses der Frauen in der Nachkriegszeit die traditionellen Rollenmuster wiederhergestellt wurden. Nach bisherigen Befunden kann die Restaurierung der Familie nach dem Zweiten Weltkrieg als Versuch verstanden werden, an das bürgerliche Familienverständnis anzuknüpfen und dies als generelles Leitbild vorzugeben. Es ist davon auszugehen, daß trotz des Einbruchs des Nationalsozialismus die normativen Grundlagen des bürgerlichen Familienmodells keinesfalls gebrochen waren. Diese kamen vielmehr erst in den Nachkriegsjahrzehnten voll zur Entfaltung (Wurzbacher 1969 ).

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  2. Es soll noch einmal präzisiert werden, daß es hier weniger um die Familie der bürgerlichen Schichten geht als um die spezifische Formbestimmtheit der Familie in einer Gesellschaft bürgerlichen Typs. Es wird also darauf abgehoben, daft das zuerst im Bürgertum sich etablierende Familienmodell zum allgemeinen Familienideal für alle Bevölkerungruppen wurde. Diese erst klassenunspezifische, generell spezifisch bürgerliche Formbestimmung wird auch von eher marxistisch orientierter Seite anerkannt (etwa Cramer 1985, 205; Landowicz 1989 ). Allerdings werden dort natürlich zugleich die klassenspezifisch gebrochenen Unterschiede in den konkreten Inhalten des familialen Reproduktionsgeschehens betont

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  3. Der Anteil der Beschäftigen in der Landwirtschaft verminderte sich von 31% (1925) auf 18% (1955) und 5% (1985). Die sich schnell durchsetzende Trennung von Wohn-und Arbeitstätte kommt auch in bezug auf den alten Mittelstand zum Ausdruck. Die Selbständigen gingen von ca. 17% (1925) auf ca. 14% (1955) und ca. 9,5% (1985) zurück (Statistisches Bundesamt, 1987a, 30f.). Aber auch für die weiterhin durch integrierte berufliche Tätigkeiten gekennzeichneten Familien sind in Anlehnung an die gesellschaftlichen Familienleitbilder die Trennungsversuche zwischen privater und beruflicher Sphäre - unter erschwerten Bedingungen - unübersehbar. Dies wird etwa an der sich verändernden Wohnungsarchitektur bei den bürgerlich selbständigen Schichten bereits im 19. Jahrhundert und später auch beim bäuerlichen Wohnen sichtbar.

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  4. Innerhalb der Sozialgeschichtsschreibung ist umstritten, ob es einen grundsätzlichen Abbau der Klassenspezifik gegeben hat. Weitere wichtige Faktoren, die zu berücksichtigen wären, sind etwa die zunehmenden Partizipationschancen, die Ausdehnung der Freizeitkultur, die Massenkommunikationsmittel und die Spaltung der Arbeiterbewegung. Auf die Diskussion kann hier nicht näher eingegangen werden. Hinsichtlich der Familienstrukturen scheint dies aber nach dem aktuellen Forschungsstand noch am ehesten unstrittig zu sein.

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  5. Dies drückt sich sehr deutlich an der schichtenübergreifenden, breiten Streuung langfristiger Konsumgüter wie Waschmaschine, Fernseher, Kühlschrank und - mit einer zeitlichen Verzögerung - Auto und Telephon (“ubiquitäre Einrichtungsgegenstände”, Lepsius 1974, 274) aus.

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  6. Als Indikatoren nennt Mooser (1987) insbesondere die Einkommensverbesserung, die Freizeitzuwächse, das gehobene Konsumniveau, die allgemeinen Mobilitätserfahrungen und die erheblich verbesserte allgemeine Wohnsituation in den letzten Jahrzehnten. Diese bewirkte neben weiteren Verbesserungen für die höheren Schichten deutliche Verbesserungen für die unteren Mittel-und oberen Unterschichten sowie leichte positive Veränderungen für die Unterschichten. Die ungleichgewichtige Partizipation der Schichten am gestiegenen Wohnniveau führte dazu, daß sich die Ungleichheitskluft insgesamt weiter vergröBerte (Vaskovics 1988, 37ff.). Generell kann gleichwohl die Herausbildung von relativ einheitlich gehobenen Wohnstandards als ein Beleg für die Erosionsprozesse ausgeprägt traditioneller, klassen-und regionalspezifischer Besonderheiten interpretiert werden.

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  7. Neben der ausgezeichneten Untersuchung von Mooser (1984) zur familialen Verbürgerlichung der Arbeiterschichten vgl. auch: Kem/Schuhmann (1982); Mooser (1983) und eher kritisch Rosenbaum (1982, 485ff.). Interessante Befunde zur Entwicklung der privaten Haushaltseinkommen und der abnehmenden Unterschiede zwischen den Arbeiterhaushalten einerseits und Angestellten-und Beamtenhaushalten andererseits finden sich auch bei Zapf u.a. (1987, 26ff.). Aufschlußreich zu den hier vorgetragen Überlegungen ist auch die 1949 erschienene Publikation von Geiger mit dem einschlägigen Titel “Klassengesellschaft im Schmelztiegel”. In dieser wird bereits die tendenziell ‘mittelständische’ Lebenslage beim Gros der Arbeiterschaft festgestellt.

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  8. Hier ist nicht zuletzt an die - unter der konservativen Observanz Schelskys stehende -Familiensoziologie zu denken.

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  9. Angeknüpft werden konnte hier aber auch an die im BGB gesetzlich festgeschriebene - und bis zur Familienrechtsreform 1977 (!) gültige - Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau nach dem Leitbild der sogen. “Hausfrauenehe”.

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  10. Der ausgeprägte Privatismus des Nachkriegslebens als Reaktion auf den totalitären Nationalsozialismus ist in der politischen Kulturforschung immer wieder hervorgehoben worden (z.B. Reigrotzki 1956; Preuss-Lausitz 1983).

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  11. eine kontinuierliche Zunahme weiblicher Erwerbstätigkeit - auch verheirateter Frauen und Mütter - zu verzeichnen. Aber im Anschluß an Sommerkorns (1988) Sekundäranalyse empirischer Materialien ist festzuhalten, daß im Gefolge der historischen Hypothek des kulturellen Imperativs -“die Mutter gehört zu ihren Kindern” (vgl. Schütze 1986) - “auch noch Ende der 60er Jahre tradierte, familienorientierte Frauenstereotypen zu den herrschenden Vorstellungen von der Rolle der Frau und Mutter gehörten” (Sommerkorn 1988, 132f.).

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  12. Schulz u.a. (1980) belegen die für alle Schichten gültige, vor allem an affektiv-emotionalen Gesichtspunkten orientierte Bedeutung der Ehe.

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  13. Dort wird insbesondere der Familismus in seinen problematischen persönlichkeitsstrukturellen Folgewirkungen hinsichtlich der Teilnahmebereitschaft ani gesellschaftlichen und politischen Leben hervorgehoben.

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  14. Die Heiratstafeln für die Jahrhundertwende zeigen noch einen relativ hohen Anteil an Ledigen. In den 60er Jahren wurde das Heiraten zum nahezu einzigen biographischen Privatheitsmuster (Braun/Proebsting 1985).

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  15. Grundsätzlich ist bei der (makroperspektivisch geleiteten) Rede von der sich institutionalisierenden bürgerlichen Normalfamilie die immer wieder Mißverständnisse verursachende Trennung zwischen kulturell-normativer und empirischer Einzelfall-Betrachtung zu beachten. Die mit Recht formulierten Einwände gegen die vollständige Durchsetzung des bürgerlichen Famlientyps widersprechen eben nicht dessen - zumindest für die 60er Jahre - gesellschaftsweit durchgängig gültigem Deutungsmonopol bei der Festlegung familialen Normalverhaltens. Familie als Institution meint ein System kultureller Erwartungen, dessen normativer Gehalt schon in den pejorativen Gegenbildern, z.B. der unvollständigen Familie, der wilden Ehe oder den Schlüsselkindern zutage tritt. Dem entspricht, daß die Familien, denen die Realisierung des vorgegebenen Ideals nicht gelang, sich oft selber als abweichend definieren und anstreben - zumindest nach außen hin - den Schein bürgerlicher Familiennormalität zu bewahren.

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  16. Im Anschluß an Ernie Durkheim sind alle kollektiven Glaubensvorstellungen und durch die Gesellschaft festgesetzten Verhaltensweisen als Institutionen zu begreifen. Sie gelten als sozial sanktionierte Handlungsmuster durch die die grundlegenden Probleme des gesellschaftlichen Zusammenlebens geregelt werden. Ehe und Familie gelten gemeinhin als herausragendes Beispiel eines als Institution zu begreifenden Normenkomplexes. Es dürfte deutlich geworden sein, daB nach dem hier in Anlehnung an Reimann (1975, 148ff.) verfolgten Begriffsverständnsis neben der normativen Sollensdimension auch deren als statistisches Durchschnittsverhalten erkennbare Realisierung Institutionen kennzeichnen.

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  17. Bekanntermaßen gründet das ‘Geheimnis’ der Wirksamkeit von Institutionen nicht auf bloßer Äußerlichkeit oder Zwang, sondern in der individuellen, zwanglosen Übernahme und selbstverständlichen sowie freiwilligen inneren Identifikation mit den sozialen Erwartungen im Verlauf der Sozialisation.

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  18. Neben der hier immer schon betonten Entlastungsfunktion der Institution Familie sind in Anlehnung an Modelmog (1989) aber auch die mit ihr verknüpften imaginären Komponenten hervorzuheben. Denn mit der Familie werden immer auch Projektionen, Wünsche und Idealisierungen verknüpft, denen sie realiter kaum gerecht werden kann. Aber die fortdauernde und ungebrochene Ausstrahlungskraft der Familie - trotz der sie schon immer auch begleitenden Kritik und Krisenhaftigkeit - zeigt, daß auch “die Einbildung, realitätskonstituierend wirken kann und somit als Tatsächliches Geltung hat” (ebd., 231 ).

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  19. Hervorzuheben ist bereits hier der später noch zu vertiefende Sachverhalt, daß sich, maßgeblich bedingt durch die Institutionalisierung der Normalfamilie, ein kollektives Lebenslaufprogramm herausbildete, welches die Struktur und Ablauflogik familialen Handelns standardisierte und chronologisierte (Kohli 1985).

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  20. Weitere historisch-empirische Befunde zur Homogenisierung der Formen familialen Zusammenlebens und zur Bestätigung der Segmentierungsthese finden sich bei Rothenberger (1987).

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  21. Diese beiden Funktionen werden bei allen sonstigen Differenzen ziemlich durchgängig in der Diskussion familialer Funktionen hervorgehoben. Neidhardt (1975) etwa erwähnt noch drei weitere spezifisch familiale Funktionen: Plazierungsfunktion, Haushalts-und Freizeitfunktion (69ff.). Ohne die auch nach dem Prozeß funktionaler Spezialisierung festzustellende funktionale Vielfalt in Abrede zu stellen, soll hier auf die gerade in historisch vergleichender Sichtweise systemspezifischen und gesellschaftlich zentralen intim-expressiven und sozialisatorischen Funktionen abgehoben werden (Kaufmann 1976; Tyrell 1979; SchumacherNollmer 1982). Auf die im Rahmen der Diffenzierungstheorie - sicherlich nicht unstrittig - als zweitrangig einzustufende, vertikale Dimension der Gesellschaft und damit zugleich auf das Problem der sozialen Plazierung wurde bereits verwiesen. Es mag dahingestellt bleiben, ob der funktionalen Differenzierung gegenüber der vertikalen Differenzierung in modernen Gesellschaften tatsächlich das Primat zukommt. Es ist bekannt und auch für die Familiensoziologie von Interesse, daß Habermas (1981, Bd. 2, 576) aus kommunikationstheoretischem Blickwinkel heraus ebenfalls die neuen Konfliktlinien jenseits der traditionellen Verteilungsproblematik “an Fragen der Grammatik von Lebensformen” festmacht.

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  22. Geläufig ist, daß auch die gegenwärtig vordergründig auf Gefühl und Zuneigung basierende Partnerwahl hinterrücks sozialstrukturell gebrochen wird, d.h. zumeist nach den Gesichtspunkten der Homogamie erfolgt. Denn die durch den Selektionsmechanismus Liebe bewirkte Individualisierung der Partnerwahl verhindert nicht, daß die meisten Ehen zwischen statusähnlichen Partnern geschlossen werden. So “(verbleiben die Arbeitertöchter zwischen nahezu 60% für die Facharbeiter und nahezu 75% der Kinder ungelernter Arbeiter auch durch ihre Heirat im Arbeitermilieu” (Mayer 1977, 179). Ungeachtet dessen widerspricht dies dem allgemeinen Ideal und oft auch der subjektiven Vorstellung und wird nur akzeptiert, indem die Übereinstimmung mit den individuellen Bedürfnissen unterstrichen wird. Eine gleichsam offizielle Einforderung der Homogamie gegen den Willen der Beteiligten wäre somit schlechterdings unvorstellbar und mit dem Ideal der freien Partnerwahl nur aus Liebe nicht zu vereinbaren. lm Unterschied zur Herkunft verliert aber die Religionszugehörigkeit an Bedeutsamkeit. Die Anteile der konfessionell einheitlichen Eben sind seit Jahrzehnten rückläufig.

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Meyer, T. (1992). Universalisierung des bürgerlichen Familienmodells. In: Modernisierung der Privatheit. Studien zur Sozialwissenschaft, vol 110. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-01679-3_4

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