Zusammenfassung
Im ersten Kapitel seines Romans Winterspelt gelingt es Andersch durch ein kompliziertes Netz von Querverbindungen zwischen Fiktion und Dokument, den Lesern nahezulegen, für die weitere Lektüre ihre hergebrachten Vorstellungen von beiden aufzugeben. Dabei verläßt sich Andersch nicht nur auf die Faulheit seiner Leser, denen es zum größten Teil sicher unmöglich wäre, am Ende des Kapitels richtig beantworten zu können, welche Offiziere, welche Divisionen, welche Aufenthaltsorte der jeweiligen Divisionen zu verschiedenen Zeitpunkten dokumentarisch belegt und welche freie Erfindung sind. Dokumente und fiktive Elemente sind zwar in einer Fülle und Vermischung zusammengestellt, die es nötig machen würde, sich Details zu notieren, um sie der jeweiligen Sparte zuordnen zu können, ließen sich aber doch immer eindeutig zuordnen. Wer sich diese Mühe macht, gibt jedoch bald nicht entmutigt, aber angesichts der Irrelevanz dieses Unterfangens kleinlaut auf. Beim flüchtigen Lesen haben sich die Grenzen schon bald durch das reine Nebeneinander von belegten und erfundenen konkreten Zahlen und Namen verwischt, wer sich aber standhaft durch genaues Lesen dem Ineinanderfallen der beiden Kategorien widersetzt, wird feststellen, daß Andersch durch zwei Strategien zum Ausdruck bringt, daß die Unterscheidung selbst eine Fiktion ist, da er als Erzähler vorführt, wie er einem fiktiven Element dokumentarischen Charakter geben kann.
Das Gedichtete behauptet sein Recht, wie das Geschehene.1
Weil Dincklage erfunden wurde, gibt es ihn jetzt.2
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Literatur
Johann Wolfgang von Goethe zitiert nach Erhard Schütz, “Eis(kunst)läufer - Bemerkungen zu Andersch und Jünger”, Text und Kritik - Alfred Andersch 61–62 (1979): 68.
Alfred Andersch, Winterspelt (Zürich: Diogenes, 1974 ). Alle weiteren Bezüge auf dieses Buch sind im Text als (W Seitenzahl) ausgewiesen.
Der Seesack. Aus einer Autobiographie“, Literaturmagazin VII, ed. Nicolas Born und Jürgen Manthey ( Reinbek: Rowohlt, 1977 ): 124.
Wie Hans Geulen argumentiert, “Alfred Andersch. Probleme der dargestellten Erfahrung des,deutschen Irrtums’’, Gegenwartsliteratur und Drittes Reich, ed. Klaus Wagner ( Stuttgart: Reclam, 1977 ) 205–221.
Diese Meinung vertritt Irene Heidelberger-Leonard, Alfred Andersch. Die ästhetische Position als politisches Gewissen ( Frankfurt am Main: Peter Lang: 1986 ) 210.
Keinesfalls jedoch um der Erzählung selbst Objektivität zu verleihen, wie dies behauptet wird von Peter Bekes, “Wie man sich weigert - Gedanken zum Verhältnis von Kunsttheorie und ästhetischer Praxis”, Text und Kritik - Alfred Andersch 61–62 (1979): 55.
Vgl. Bertelsmann Volkslexikon, hg. Lexikon Institut Bertelsmann ( Gütersloh: Bertelsmann Lexikon-Verlag) Spalte 1823.
Eine Dokumentation zu Anderschs Gedicht gegen die Berufsverbote (“Artikel 3(3) befindet sich in Das Tintenfaß 12 (1976): 265–297.
Vor einem halben Jahrhundert“, abgedruckt in Die Blindheit des Kunstwerks und andere Aufsätze (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1965) 7–15; hier 15.
Zitiert nach Ursula Reinhold, Alfred Andersch - Politisches Engagement und literarische Wirksamkeit (Berlin, DDR: Akademie Verlag, 1987 ) 215.
Norman Mailer, Heere aus der Nacht zitiert nach Hrair Pischdovdjian, Menschenbild und Erzähltechnik in Alfred Anderschs Werken ( Zürich: Juris, 1978 ) 129f.
Roland Barthes, “Literatur oder Geschichte”, Literatur oder Geschichte ( Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1969 ) 11–35.
Vgl. Alfred Andersch, “Vorwort”, Mein Lesebuch oder Lehrbuch der Beschreibungen ( Frankfurt am Main: Fischer, 1978 ) 8.
Zeichensysteme: Ein (ergebnisloser) Exkurs über ihre Verschiedenheit“, Öffentlicher Brief 123–142; hier 123.
Zitiert nach Gerd Haffmans, hg., Über Alfred Andersch ( Zürich: Diogenes, 1980 ) 5.
Paul Klee zitiert nach Friedhelm Kröll, “Winterspelt, Bauhaus, Polyphonie”, Zu Alfred Andersch,hg. Volker Wehdeking (Stuttgart: Klett, 1983) 66–76; hier 67.
Vgl. Ulrich Fries und Günter Peters, “Zum Verhältnis von Kunsttheorie und ästhetischer Praxis bei Alfred Andersch”, Text und Kritik - Alfred Andersch 27–53; hier 30.
Die Blindheit des Kunstwerks“, Norden Süden rechts und links - Von Reisen und Büchern 1951–1971 (Zürich: Diogenes, 1972) 142–153; hier 146. Dieser Satz findet sich nicht im früheren Abdruck des Aufsatzes in Die Blindheit des Kunstwerks.
Mein Verschwinden in Providence“, Mein Verschwinden in Providence (Zürich: Diogenes, 1971) 255.
Peter Handke, Wunschloses Unglück ( Salzburg: Residenz Verlag, 1972 ) 22.
Vgl. Alfred Andersch, “Kann man ein Symbol zerhauen”, Texte und Zeichen 1:3 (1955) 378384; hier 378.
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Weidauer, F.J. (1995). Alfred Anderschs Winterspelt: Erzählen als Erkenntnis. In: Widerstand und Konformismus. Literaturwissenschaft. Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-01633-5_2
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