Zusammenfassung
Wie einleitend (§ 1.4) gefordert, sollte die „unsoziologische“ Betrachtungsweise in der Tradition der analytischen Handlungstheorie schrittweise überwunden werden, bis wir schließlich (in § 6) zur Analyse institutioneller Handlungssysteme übergehen. Hier sollen zunächst (in § 4.1) wesentliche Unterschiede zwischen einer soziologischen Auffassung des Handlungsbegriffs (bei Weber) und bestimmten Auffassungen dieses Begriffs in der analytischen Handlungstheorie herausgearbeitet werden, um dann Fragen nach der Verantwortlichkeit und Rationalität des Handelns systematisch anschließen zu können. Die Frage nach der Verantwortlichkeit führt auf die Frage nach den (Typen von) Handlungssubjekten zurück, die ihre Handlungskompetenzen nur in bestimmter Weise und relativ zu einer sozialen Ordnung erwerben und ausüben und insofern nur unter sozial eingespielten Zuschreibungspraktiken für ihr Handeln verantwortlich gemacht werden können (§ 4.2). Die in der Soziologie im allgemeinen wie in der Tradition der analytischen Handlungstheorie im besonderen gestellte Frage nach der handlungspraktischen Wirksamkeit der Rationalitätsannahme ist dagegen so zu reformulieren, daß das widerspruchsvolle Handeln von Individuen gerade auch in Institutionen als Handeln unter Maximenkonflikten analysiert werden kann (§ 4.3). Einer solchen Analyseperspektive kann eine personalistische Theorie der Einzelhandlung ebensowenig genügen wie ein systemtheoretischer Ansatz, der von vornherein den Begriff der Handlungsrationalität durch den der Systemrationalität ersetzen möchte.
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Literatur
Vgl. auch Habermas ( 1981, Bd.l: 377ff.), der bei Weber zwischen einer offiziellen und inoffiziellen Version unterscheidet und aus dieser Gegenüberstellung u.a. seine Begündungen für den von ihm vorgeschlagenen Paradigmenwechsel vom teleologischen zum kommunikativen Handlungsmodell ableitet.
Symptomatisch ist etwa auch der von Meggle (1977) in seinem Sammelband gegebene Überblick über “Grundbegriffe der rationalen Handlungstheorie”, die er dann auch schnurstracks als “rationale Entscheidungs-und Spieltheorie” ausgibt.
Von diesem Ausnahmecharakter lebt gerade die Geschichte vom Hauptmann von Köpenick.
Schütz unterscheidet weiterhin zwischen einer Verwendung des Ausdrucks Verantwortung in der dritten (oder zweiten Person) und in der ersten Person, woran er die Unterscheidung des subjektiven und objektiven Sinns der Verantwortung anschließt, mit der er nach eigener Auffassung eine “unglückliche, aber heute allgemein anerkannte Terminologie der Sozialwissenschaften” verwendet, die bereits oben (in §§ 3.3 und 3.7) Schwierigkeiten bereitete.
Vgl. oben (§ 2.3) und Churchland (1970/77: 309ff.), ebenso Rayfield (1968/77: 84f.).
Vgl. Weber (1921/72: 6f.), Schütz (1932/74: 278ff.), Schütz/Luckmann (1975/79, Bd.l: 113ff.), von Wright (1963/79: 49f.), Rescher (1967/77: 2), Brennenstuhl (1975: 25ff.).
Die Unterscheidungen von Handlungssubjekten und ihre Begründungen betreffen unmittelbar das Problem der Wahl der Theoriesprache und damit den Theorieaufbau im ganzen, vgl. dazu Koerfer 1991.
Vgl. z.B. die Berichterstattung sowie die Kommentare zum Rücktritt von Verteidigungsminister Stoltenberg in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung vom 31.3.1992 und 1.4.1992 sowie die Berichterstattung zum Mißtrauensantrag gegenüber Oberbürgermeister Reuschenbach in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung vom 14.12.1988 (W03/02). Aus der inzwischen umfänglichen Literatur zum Problem der (Mit-)Verantwortung im Rahmen einer Diskursethik sei hier lediglich auf Apel (1992) verwiesen.
Vgl. zum Stellenwert und Umfang von handlungspraktischen wirksamen Idealisierungen aus der Sicht verschiedener Wissenschaftstraditionen z.B. Schütz (1953/71: 12ff.), Cicourel (1970/73: 175ff.), Habermas (1971: 118), Soeffner (1984: 196ff.), Meggle (1981: 148ff.), Lanz (1987: 142ff.).
Der Verfasser hat selbst im Rahmen eines Projekts zur Hochschulkommunikation (vgl. Gosau/Koerfer/Zeck 1977) derartige Krisenexperimente in Seminaren durchgeführt, die ein entwickeltes Vertrauensverhältnis voraussetzen, um die vielfältigen Kommunikationsstörungen und Irritationen der Teilnehmer einigermaßen schadlos abfedern zu können.
Vgl. von den in Schnädelbach (Hg.) (1984) versammelten Beiträgen besonders den Beitrag von Acham (1984), der einen kritischen Überblick über verschiedene Rationalitätskonzeptionen in den Sozialwissenschaften gibt, die hier nicht weiter berücksichtigt werden können, sowie Lanz (1987) und Hollis (1991) für eher handlungstheoretische Rationalitätsbegriffe, Peters (1991) und Kneer (1992) für eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Systemrationalität.
Diese Definition steht im Kontext der Diskussion der utilitaristischen Theorie, die die Wahl und die Beziehung zwischen Zwecken nicht erklären kann; von dieser Theorie distanzieren sich sowohl Parsons (1937/68: bes. 63ff.) als auch Schütz (1940/77: 31ff., 42ff.), der aber in der weiteren Einführung von normativen Elementen und Werten in der von Parsons eigens so bezeichneten voluntaristischen Theorie lediglich eine Residualkategorie erkennt.
Vgl. Weber (1922/72: 2ff.) und oben (§ 2.1 und 4.1).
Vgl. Schütz (1943/72: 41), wo er ausführt, daß man nicht von einer isolierten rationalen Handlung, sondern nur von einem System des rationalen Handelns sprechen könne, und an dieser Stelle auf den Abschnitt “Systems of Action and Their Units” (in Parsons 1937/68, Kap. XIX, 731ff.) verweist, vgl. auch Schütz (1943/72: 36 u. 47).
Wir haben es hier zugleich mit einem ausgezeichneten Studienmaterial für Phänomene des Mißverstehens und Aneinander-vorbei-Redens in wissenschaftlichen Diskussionen zu tun, obgleich die Debatte im schriftlichen Briefwechsel geführt wurde und sie also im Vergleich zur mündlichen Diskussion eher kontrollierbar war.
Vgl. im einzelnen Schütz/Parsons (1940ff./77: bes. 43ff., 90ff., 97ff., 101ff., 114, 131ff.).
Vgl. zu diesem Aspekt der Zeitperspektive, die ja bereits in Schütz (1932/74) eine zentrale Rolle einnimmt, die Kontroverse in Schütz/Parsons (1940ff./77: 45, 49, 92, 120, 130ff.).
Vgl. Habermas ( 1981, Bd.1: 150f.) und Habermas (1986: bes. 362ff., 401f. Anm. 60, 61, 63), wo es ihm in einer nachträglichen Klarstellung um die Ausräumung von Mißverständnissen geht, denen seine Kritiker (wie z.B. Berger 1986: 265ff.) teils wegen der von ihm selbst verschuldeten Unklarheiten aufsäßen.
Vgl. insgesamt zur Begründung der Rolle des virtuellen Teilnehmers Habermas (1981, Bd.l: 167ff.), wobei die insbesondere gegen Schütz eingenommene Position nicht unbedingt klar wird. Auch bei Habermas klingt der von Schütz beschriebene Unterschied bzw. der postulierte Wechsel von der natürlichen zur wissenschaftlichen Einstellung als grundsätzliches Problem der Distanzierung von naiven und spezifisch lebensweltlich gebundenen Alltagsurteilen immer wieder durch, vgl. z.B. Habermas (1981, Bd.1: 176, Bd.2: 179, 549 und 1986: 349 ).
Vgl. etwa zu dieser Kontroverse zu einer formalen versus materialen Diskursethik Bubner (1982: 295ff.), Bubner (1984) und Taylor (1986) sowie die Entgegnungen von Habermas (1984), (1986: 333ff.) und (1991: 119ff.); vgl. weiterhin Peters (1991: 227ff) sowie die Beiträge in Apel/Kettner (Hg.) (1992), insbesondere den Beitrag von Cortina, die die mangelnde Reichhaltigkeit der bloß formalen Diskursethik bzw. Verfahrensrationalität vehement kritisiert; vgl. speziell zur Begründung einer materialen Diskursethik in der Medizin Koerfer/Köhle/Obliers 1993).
Vgl. besonders zur Frage der unfruchtbaren oder auch nur überflüssigen systemtheoretischen Anleihen z.B. Joas (1986) und McCarthy (1986) sowie die Replik von Habermas (1986).
Luhmann (1968/73: 15) verweist lediglich auf denselben Abschnitt in Parsons (1937/68) wie schon Schütz (vgl. oben Anm. 13) sowie auf Schütz (1943/72: 40f.), zu dem er bemerkt, daß dieser noch weitergehende Formulierungen in die Richtung mache, die er selbst (Luhmann) vertreten werde, was von Luhmann leider nicht näher ausgeführt wird, so daß wir im einzelnen nicht erfahren, worin der Phänomenologe den Systemtheoriker noch übertroffen haben könnte.
Die strikte Handhabung der beiden obigen Restriktionen hieße in letzter Konsequenz, daß jede Handlung rational wäre. Wenn wir aber keine irrationalen Handlungen mehr ausmachen können, erübrigt sich der Rationalitätsbegriff selbst.
Vgl zum problematischen Zusammenhang von Unterrichtsorganisation und schulspezifischem Zeitrhythmus allgemein die Beiträge in Luhmann/Schorr (Hg.) (1990).
So ist es unter dem Aspekt von institutionell begrenzter Zeit nicht verwunder-lich, daß etwa auch im Falle einer Themenaushandlungsphase in einem Hochschulseminar nach fünfzehn (sic!) Minuten ein x-beliebiger Einstieg in die thematische Phase gegenüber einer Fortsetzung der Themenaushandlung favorisiert wird (vgl. Koerfer/Zeck 1983 ). Auch hier wird ein Maximenkonflikt auf eine spezifische Weise gelöst: Angesichts der fortgeschrittenen Seminarzeit scheint der “willkürliche” Themeneinstieg durch einen Teilnehmer dem Diskussionsleiter bzw. der ganzen Gruppe “rationaler” zu sein als die noch so “rationale” Fortsetzung einer Verfahrensdebatte, die allerdings im nachhinein ad absurdum geführt wird: Indem die Seminarteilnehmer einen x-beliebigen Einstieg ratifizieren, erweist sich die Themenaushandlung im nachhinein als überflüssig oder mit anderen Worten: als “verlorene” Zeit.
Zu den allgemeinen Schwierigkeiten der Explikation dessen, was wir unter einem guten Gespräch verstehen vgl. z.B. Ungeheuer (1978/1987).
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Koerfer, A. (1994). Verantwortung und Rationalität beim institutionellen Handeln. In: Institutionelle Kommunikation. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-01486-7_4
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