Zusammenfassung
Im Jahre 1804 meinte Jean Paul, daß es in seiner Zeit von nichts so sehr wimmele als von Ästhetikern1. In der Tat hatte das philosophische Fach „Ästhetik“ einen großen und zunächst kaum erwartbaren Aufschwung genommen, seit es 1750 von Alexander Gottlieb Baumgarten unter diesem Titel in die Philosophie eingeführt worden war. Hat Baumgarten einer alten Sache, der philosophischen Reflexion auf Kunst und Phänomene des Schönen, nur einen neuen Namen gegeben, oder signalisiert der neue Fachtitel auch eine neue theoretische Problematik? Über diese Frage herrscht alles andere als Konsens: Auf der einen Seite gibt es Abhandlungen mit Titeln wie „Ästhetik der Antike“, des „Mittelalters“, in einer Darstellung über Institutionen in „primitiven Gesellschaften“, von namhaften Ethnologen verfaßt, findet sich ein Abschnitt mit der Überschrift „Asthetik“2. Solche Titel wollen suggerieren, daß es in der Geschichte der Menschheit ein kontinuierliches Thema gibt: Kunst und Schönes, über das dann unterschiedliche Meinungen vorgebracht wurden; die Sache selbst aber sei identisch, sie habe also eine kontinuierlich nacherzählbare Geschichte. Der polnische Philosoph Wladislav Tatarkiewicz, der eine materialreiche Geschichte der Ästhetik publiziert hat, meint etwa:
„Wenn die Geschichte der Ästhetik einzig das umfasste, was unter dem Namen, ‚Ästhetik‘ auftrat, dann würde sie sehr spät beginnen, denn diese Bezeichnung verwendete bekanntlich als erster Alexander Baumgarten im Jahre 1750. Aber man hatte dieselben Fragen unter anderen Namen schon viel früher behandelt. Der Name ist unwichtig.“3
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Literatur
Jean Paul: Sämtliche Werke. Bd. 18. 3., verm. Aufl. Berlin 1861, S. 12.
Vgl. Edmund R. Leach: Ästhetik. In: Institutionen in primitiven Gesellschaften. Frankfurt/M. 1967, S. 31 ff.
Wladislaw Tatarkiewicz: Geschicnte der Ästhetik Bd. 1. Basel/Stuttgart 1979, S. 22.
Rosario Assunto: Die Theorie des Schönen im Mittelalter. Köln 1963, S. 15.
Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge. Frankfurt/M. 1971, S. 17.
Ernst H. Gombrich: Leonardo da Vinci. In: Neue Zürcher Zeitung. Fernausgabe vom 27.1. 1989, S. 37.
Denis Diderot: Enzyklopädie. München 1969, S. 184 f.
Aristoteles: Poetik. Übers. und hrsg. v. M. Fuhrmann. Stuttgart 1982, S. 29.
Augustinus: De vera religione. XXXII, 59. Zit. Tatarkiewicz. Bd 2. Basel/Stuttgart 1980, S. 73.
Zit. Hermann Diels: Fragmente der Vorsokratiker. Hamburg 1957, S. 19.
Exemplarisch beobachtbar bei Karl Philipp Moritz, der die Kunst eine ihrerseits als Kunstwerk begriffene „Welt-Schönheit“ nachahmen läßt. Vgl. K.Ph.M.: Über die bildende Nachahmung des Schönen. In: Schriften zur Ästhetik und Poetik. Hrsg. v. H.J. Schrimpf. Tübingen 1962, S. 73 f.
Arnold Hauser: Sozialgeschichte der Kunst und Literatur. München 1953, S. 566 ff.
Johann Christoph Gottsched: Schriften zur Literatur. Stuttgart 1972, S. 63.
Vgl. Verf.: Kunst und juristischer Diskurs. In: J. Fohrmann/H. Müller (Hrsg.): Diskurstheorien und Literaturwissenschaft. Frankfurt/M. 1987, S. 330 ff.
Simon N. Linguet: Betrachtungen über die Rechte des Schriftstellers und seines Verlegers. Frankfurt/M. 1778, S. 48.
Edward Young: Gedanken über die Original-Werke. Leipzig 1760, S. 25.
Johann Caspar Lavater: Ausgewählte Werke. Hrsg. v. E. Staehlin. Bd. 2. Zürich 1943, S. 200.
Novalis: Werke und Briefe. Hrsg. v. A. Kelletat. München 1962, S. 502.
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Plumpe, G. (1993). Vor der Ästhetik: Die Künste und das Schöne. In: Ästhetische Kommunikation der Moderne. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-01433-1_2
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