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Subjektorientierung als uneingelöste Perspektive der Fachdidaktik

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Subjektorientierte politische Bildung

Part of the book series: Schriften zur politischen Didaktik ((POLDID,volume 26))

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Zusammenfassung

Bisher wurde gezeigt, daß der selbständige, reflektierte Umgang mit vielfältigen (politischen) Orientierungsmöglichkeiten und Handlungsformen in einer sich individualisierenden Gesellschaft zunehmend zu einer Art ‚Allgemeinbildung‘ geworden ist. Eine stärkere Subjektorientierung im Sozialkundeunterricht scheint solche reflexiven Lern- und Orientierungsprozesse anzustoßen und die komplizierte Phase der psychosozialen Umstrukturierung während der Adoleszenz anregen und unterstützen zu können.

All die hohen Begriffe, Freiheit, Autonomie, Selbstverwirklichung, werden erst wirklich durch den Gebrauch im Alltag.

Christa Wolf

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Literatur

  1. Mit der Auffassung, politische Bildung sei Teil der Allgemeinbildung, knüpfe ich an bildungsorientierte fachdidaktische Konzeptionen an. Im Kern vertreten sie die Auffassung, daß jeder Mensch imstande sein müsse, sowohl sich selbst als auch seine Beziehungen zur Umwelt in Ordnung zu bringen (Litt). In der Allgemeinen Didaktik vertritt Klafki ein Konzept der Allgemeinbildung, das mit der Konzentration auf epochaltypische Schlüsselprobleme manchem Lehrplan für das Fach Sozialkunde sehr nahe kommt (vgl. Klafki 1991 a).

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  2. Selbstverständnis und Aufgaben der Fachdidaktik Gesellschaftswissenschaften werden in der Literatur unterschiedlich beschrieben. Wie die Allgemeine Didaktik haben auch fachdidaktische Disziplinen zwei grundsätzlich zu unterscheidende Komponenten: Zum einen den Aspekt der Unterrichtsforschung, der insbesondere von Grammes betont und eingeklagt wird (vgl. Grammes 1990). Daneben ist sie konzeptionell tätig, fragt also nach den Möglichkeiten ‚besseren‘ Sozialkundeunterrichts. Diesen Aspekt formuliert z.B. Claußen: Danach ist Fachdidaktik die „Filterung von Fachwissenschaft unter den Gesichtspunkten von Spezialisierung der professionellen Pädagogik und von Qualifikationsmerkmalen der tatsächlichen oder potentiell Lernenden“ (Claußen 1987: 16), ohne daß sie sich als ‚Vereinfachungsinstanz‘ etwa der Politischen Wissenschaft betätigen sollte, die lediglich ‚wissenschaftlichen Starkstrom‘ in ‚pädagogischen Schwachstrom‘ (Nohl) verwandelt. Sie sollte als eine Art Schaltstelle zwischen Gesellschaft, Wissenschaft und Schule fungieren. Die von mir vorgelegte Arbeit ist konzeptioneller Art und folgt der Aufgabenbestimmung, wie sie Claußen formuliert.

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  3. Ein Schlaglicht auf die Problematik der politischen Bildung in den neuen Bundesländern wirft der Ausspruch der Schauspielerin Steffi Spiera, die sich im November 1989 bei einer Kundgebung auf dem Alexanderplatz für die Zukunft zweierlei wünschte, nämlich daß ihre Urenkel nie mehr an Fahnenappellen und nie mehr am Staatsbürgerkundeunterricht teilnehmen müßten. Unbehagen gegenüber dem Sozialkundeunterricht ist auch im ‚alten‘ Bundesgebiet verbreitet. Schörken sieht eine wesentliche Ursache der hartnäckigen Widerstände darin, daß letztlich eine „unpolitische politische Bildung“ (Schörken 1987: 289) gewünscht wird, die sich aber begrifflich und konzeptionell nicht artikulieren könne. Diese Vermutung erhält ihre Plausibilität u.a. aus der langen Tradition des Wunsches, Politik aus der Schule herauszuhalten (vgl. Sander 1989).

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  4. Die Unzufriedenheit mit der politischen Bildung ist nicht neu. Als Karl Jaspers 1958 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt, kritisierte er, daß die politische Erziehung im westlichen Nachkriegsdeutschland noch kaum in Gang gekommen sei, und der Politologe Gerhard Möbus gelangte 1959 zu der Feststellung, die politische Bildung in der Bundesrepublik befinde sich auf dem Nullpunkt (vgl. Kühr 1980: 68).

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  5. In der politischen Erwachsenenbildung ist das Bild ähnlich: Nur 1% der westdeutschen Bevölkerung zwischen 19 und 64 Jahren besucht 1988 eine der Veranstaltungen zur politischen Bildung; 1985 waren es noch doppelt so viele. Im Angebot des Deutschen Volkshochschulverbandes sinkt im Laufe dieser Entwicklung der prozentuale Anteil des Arbeitsgebietes ‚Gesellschaft/Geschichte/Politik‘ von 1,7% (1987) auf 1,4% im Jahre 1990 (vgl. Hufer 1993: 126 mit entsprechenden Literaturhinweisen).

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  6. Gefragt nach ihren Lieblingsfächern nennen Schülerinnen und Schüler im Jahr 1990 in den neuen Bundesländern das Fach Staatsbürgerkunde so gut wie nie, in den alten Bundesländern rangiert Sozialkunde hinter den Fächern Sport, Mathematik, neue Fremdsprachen, Deutsch, Kunst und Biologie (vgl. Schülerstudie,90: 124). Die Mehrheit der Sozialkundelehrerinnen und -lehrer im alten Bundesgebiet (53,3%) schätzt, daß das Fach bei den Schülerinnen und Schülern eher unbeliebt ist (vgl. Witsch-Rothmund 1990: 181); im neuen Bundesgebiet vermuten 50,5% eine schwache oder sehr schwache Wertschätzung, 28% wissen dies nicht einzuschätzen, und nur 18% vermuten eine starke oder sehr starke Wertschätzung des Faches bei den Schülerinnen und Schülern (vgl. Cremer/George 1992: 48). Unter Schülerinnen und Schülern gilt Sozialkunde entweder als ‚Laber- oder Schwafelfach‘ (vgl. Dorn/Knepper 1987: 150, Schor 1992: 128; Schüler in Weißeno 1989: 176) oder als uninteressante Tabellen- und Zahlenbüffelei (vgl. Schülerinnen und Schüler in Weißeno 1989, z.B. S. 142 f; S. 187ff). Die Sozialkundelehrerinnen und -lehrer sind überwiegend der Überzeugung, das Fach genieße bei Eltern und Kollegen nur geringes Ansehen (vgl. Harms/Breit 1990: 142). Bei der Einschätzung des Geschichtsunterrichts durch Lehrer und Schüler zeigen sich erhebliche Differenzen zwischen beiden Gruppen hinsichtlich der Kommunikationsund Mitgestaltungsanteile der Schüler und Schülerinnen. Während die Gruppe der Schüler die Problemorientierung des Unterrichts und ihre eigenen Einflußmöglichkeiten auf das Unterrichtsgeschehen als kaum oder nur mangelhaft verwirklicht sehen, sieht die Gruppe der Lehrkräfte dies wesentlich positiver. Von Borries fragt sich, ob hier eine illusionäre Selbstwahrnehmung der Lehrer vorliegt oder aber eine unfaire Fehleinschätzung durch die Schüler (vgl. v. Borries 1993: 138).

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  7. Wörtlich bewertet Roloff den Sozialkundeunterrricht als „Leiche“, an deren weiterer Existenz ihm nicht gelegen sein könne (Roloff 1990: 18). Hättich stellt dem Sozialkundeunterricht ein ‚Armutszeugnis‘ aus (Hättich 1990: 33). Kritisch zur Krisenstimmung innerhalb der fachdidaktischen Disziplin äußert sich Fischer (1987).

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  8. Das schlechte Image des Faches wird gelegentlich — wie in dem Beitrag einer Schülerin zur Schulentlassung — überspitzt und insofern auch unzutreffend — so beschrieben: „Schüler, die in den sozialkundlichen Kurs gehen, haben einen unterdurchschnittlichen Intelligenzquotienten. Daher werden sie auch im Schüler- und LehrerVolksmund als ‚Sozialkakerlaken‘ bezeichnet. Hieran kann man schon erkennen, daß unsere Schülerschaft geschichtet ist: Da ist erst einmal die Oberschicht, die mathematisch-naturwissenschaftlich Interessierten. Dieser mit Abstand intelligentesten Schicht folgt eine Mittelschicht, die Fremdsprachler. Wiederum mit deutlichem Abstand folgt eine Unterschicht, die Sozial- und Wirtschaftskundler. Die Angehörigen dieser Schicht gehören zumeist zu den sozial Verachteten. Hier finden wir diejenigen, die von Natur aus nicht zum Lernen befähigt sind oder die sich in der Schule ausruhen wollen“ (zit. nach Uekötter 1981: 165).

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  9. Über die Wirkungen der schulischen politischen Bildungsarbeit bestehen in der fachdidaktischen Diskussion kaum Illusionen. Wenn Schmiederer ‚bescheiden‘ anvisiert, durch politische Bildung in der Schule ‚Handlungsbereitschaft‘ fördern zu wollen, also Verhalten zu ändern (Schmiederer 1972: 179), so ist dies ein anspruchsvolles Unterfangen angesichts des geringen Stundenkontingents. Gagel will solche Erwartungen in die Wirkung des Sozialkundeunterrichts dämpfen, besteht aber zumindest auf einer wichtigen Aufgabe: „Er kann dafür sorgen, daß keiner hinterher sagen kann: Wir haben es nicht gewußt...“. Außerdem solle der Unterricht „die Gewohnheiten und falschen Gewißheiten erschüttern“ (Gagel 1990: 19).

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  10. Als fachdidaktische Konzeptionen gelten theoretisch konsistente, systematische Aussagen über die politische Bildung, die wissenschaftlich hergeleitete Antworten auf Entscheidungsfragen und Probleme zu geben versuchen, die mit der Reflexion, Planung und Durchführung (meist schulischer) politischer Bildungsveranstaltungen auftreten. Wie in der Allgemeinen Didaktik stellen sich hier fachspezifisch Fragen nach den Zielen des Lehr-Lernprozesses und ihrer Legitimation, nach den Lernvoraussetzungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, der Auswahl der Lehr- bzw. Lerngegenstände sowie der Unterrichtsmethoden. Vor allem in den 60er und 70er Jahren sind für das alte Bundesgebiet eine Vielzahl fachdidaktischer Konzeptionen ausgearbeitet worden, z.B. von Wolfgang Hilligen, Bernhard Sutor, Kurt Gerhard Fischer, Rolf Schmiederer, Hermann Giesecke.

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  11. Der Politologe Kurt Sontheimer hat bereits zu Beginn der 60er Jahre darauf hingewiesen, daß die Qualität politischer Bildung nicht vorrangig auf didaktische Konzeptionen zurückzuführen sei, sondern immer auch maßgeblich von den vorhandenen gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen beeinflußt werde. Die politische Bildung in der Weimarer Republik hat sich nach Sontheimer unter Umweltbedingungen vollzogen, die weder an der Weiterentwicklung noch an der Aufrechterhaltung der parlamentarischen Demokratie interessiert waren, so daß sich die damalige politische Bildung nur im Rahmen dieser Bedingungen vollziehen konnte (vgl. Sontheimer 1963). Auch nach Giesecke spiegelt die gegenwärtige Krise der politischen Bildung „nur die Krise wider, in der sie stattfindet“ (Giesecke 1993: 15). Zwar stimme ich prinzipiell mit diesen Sichtweisen überein, bin aber der Auffassung, daß — wenn auch nur in kleinen Schritten und mittels hartnäckiger Kleinarbeit — in der Schule der Versuch unternommen werden sollte, Ansätze zur Krisenbearbeitung zu verdeutlichen.

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  12. Als weitere Rahmenbedingungen des Unterrichtsfaches wären etwa die empirische politische Sozialisationsforschung, die Kooperation zwischen den Fachdisziplinen, Fort- und Weiterbildungsbedingungen für die Lehrkräfte usw. zu nennen. Diese werden hier nur benannt, um die Untersuchung nicht unangemessen auszudehnen.

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  13. Diesen Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit der demokratischen Gesellschaft faßt Hildegard Hamm-Brücher in die Worte: „Alle Macht geht vom Volke aus — und kehrt nie mehr zurück“ (in: Süddeutsche Zeitung v. 1.4.1992). Sarcinelli spricht von der Gefahr, daß die Volkssouveränität zur ‚Zuschauersouveränität‘ verkommt (vgl. Sarcinelli 1990: 108), in der Presse wird über die „Entmächtigung des Souveräns zum Stimmvieh“ (Tageszeitung vom 17.10.1994: 10) geklagt. In der Bundesrepublik lebende ausländische Staatsbürger haben bislang kein Wahlrecht, so daß ihnen (immerhin ca. 10% der Bevölkerung) wesentliche Möglichkeiten der politischen Mitwirkung verschlossen sind.

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  14. Daß ‚Politikverdrossenheit‘ in der Öffentlichkeit als ein nicht unerhebliches Problem gilt, zeigt die ‚Auszeichnung‘ dieses Begriffes als ‚Wort des Jahres 1992‘.

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  15. Neuere Umfragen ergeben, daß 40% der Zwölf- bis Siebzehnjährigen,keiner Partei‘ ihre Stimme geben würden. Zum Vergleich: die Regierungskoalition CDU/CSU/FDP kommt auf 15%. Um gerade junge Leute stärker für politische Fragen zu interessieren, schlägt Hurrelmann (1992) vor, bereits Jugendlichen das Wahlrecht zuzuerkennen. Gleichzeitig mit der Zunahme von Nichtwählern ist die Zahl der Wechselwähler stark gestiegen, und zwar von 1980 bis 1991 von 24 auf 43% (Hans-Joachim Veen, Konrad-Adenauer-Stiftung in FR v. 5.2.1992). Als Ursache für die wachsende Zahl von Wechsel- und Nichtwählern gilt u.a. die zunehmende Auflösung von ‚Milieus‘ (vgl. 2.3), aber auch erhebliche Unzufriedenheit mit Politikern und Politikformen.

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  16. Die Glaubwürdigkeit mancher Politiker bei der Verurteilung rechtsradikaler Parolen und Taten leidet m. E. dadurch, daß als Begründung nicht humanitäre Aspekte im Vordergrund stehen, sondern das Ansehen der Bundesrepublik im Ausland und die möglicherweise zu erwartenden wirtschaftlichen Einbußen. So zogen bereits Ende der 50er Jahre antisemitische Schmierereien vor allem deshalb eine Neuorientierung und Ausweitung der politischen Bildungsarbeit nach sich, weil diese Taten dem Ansehen der Bundesrepublik im Ausland erheblich geschadet hatten (vgl. Giesecke 1993: 19).

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  17. Der damalige Bundeskanzler Adenauer bezeichnete die Gegner der Wiederbewaffnung öffentlich als „Dummköpfe ersten Grades“; Wirtschaftsminister Ludwig Erhard nannte kritische Intellektuelle „Pinscher“. Solche Beschimpfungen und Herabsetzungen dürften sich gerade auf die Beteiligungsbereitschaft der ‚schweigenden Mehrheit‘ dämpfend ausgewirkt haben.

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  18. Zur Illustration des politischen ‚Klimas‘ mag der Bericht zweier ausländischer Besucherinnen dienen. Die in Österreich lebenden Frauenforscherinnen Cheryl Benard und Edit Schlaffer schreiben über ihren Besuch in Hamburg im Dezember 1978: „Es ist ein langer Einkaufssamstag, und die Straßen der Innenstadt sind dicht gedrängt mit Leuten und Dekorationen. In dissonanter Weise beteiligt am vorweihnachtlichen Einkaufsbild ist ein Großaufgebot an Polizei in schwerer Kampfausrüstung. Es handelt sich um eine illegale Anti-Schah-Demonstration... Kaum haben wir den Zusammenhang zwischen bewaffneter Polizei und den mobilen Kleingruppen parolenrufender Demonstranten erfaßt, beginnt auch schon ein Polizist ohne sichtbaren Anlaß auf eine ältere Dame einzuschlagen. Kleinfamilien geraten in Panik, Ehepaare zerren die Kinder in verschiedene Richtungen..., die Tore von C&A schließen sich hinter schutzsuchenden Einkäufern und Demonstranten. Letztere werfen noch mutig ein paar Flugblätter in die Menge, während erstere beim Versuch, ihre Einkäufe zu bezahlen, von der Polizei an den Kassen mit Schlagstöcken vertrieben werden. Gebannt und fassungslos stehen wir vor diesem für Österreicher erstaunlichen Einblick in die politische Gegenwart des Nachbarlandes BRD (bei unserer letzten Demonstration ‚daheim‘ wurden wir von Blasmusik begleitet, und die österreichische Gendarmerie winkte vom Straßenrand)...“ (Benard/Schlaffer 1980: 81 f).

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  19. Da ferner das Versammlungsrecht an Auflagen gebunden ist (Anmeldung, Benennung eines Veranstalters, Ordner usw.), wird das spontane Demonstrieren (wie z.B. die Leipziger Montagsdemonstrationen) zu einer riskanten Angelegenheit. Obwohl der ‚Kalte Krieg‘ inzwischen vorüber ist und die sozialistischen Staaten zusammengebrochen sind, zeigt sich die deutsche Demokratie nach außen wie nach innen abwehrbereit. Die restriktiven Vorschriften des Grundgesetzes etwa hinsichtlich des militärischen Engagements der Bundeswehr wurden in der jüngsten Vergangenheit zielgerichtet uminterpretiert, „um Präzedenzfälle und Gewöhnung zu schaffen“ (Sachse 1992: 41).

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  20. Daher wird derzeit für die politische Bildung die Frage wieder aktuell, die Gottschalch vor über zwanzig Jahren stellte: „Das Kernproblem politischer Bildung mit emanzipatorischer Absicht heißt deshalb: Wie können Kinder zu politischer Bildung motiviert werden, wo sie doch sehen, daß ihre Eltern ohne jeden wirksamen Einfluß sind?“ (Gottschalch 1971: 94 f).

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  21. Die Parteien sind nicht nur Repräsentanten der politischen Willensbildung (Art. 21 GG), sondern sie haben sich „den Staat zur Beute gemacht“, wie Richard v. Weizsäcker vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten kritisiert. Zwar sind nur knapp 4% der Wahlberechtigten Mitglied einer der Parteien; trotzdem bestimmen die Parteien das gesamte staatliche Handlungsspektrum. Eine wirksame Gewaltenteilung scheint nicht mehr gesichert; die wichtigsten Entscheidungen fallen in ‚Küchenkabinetten‘, Expertengruppen und anderen informellen Gremien (vgl. Beck 1988).

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  22. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Heiner Geißler konstatiert eine weltweite Handlungs- und Entscheidungskrise der Regierenden, nämlich das Nichthandeln. Angsichts einer Vielzahl ungelöster und wahrscheinlich auch unlösbarer Probleme (Bevölkerungswachstum, Umweltkrise, Migration, Kriegsgefahr usw.) spüren die Menschen, daß Entscheidungen notwendig, aber konzeptionelle Antworten nicht in Sicht sind. Geißler bezeichnet das Nichthandeln als Wu-Wei-Syndrom: Für die Taoisten die höchste Tugend, nämlich die Gelassenheit, tritt hier als Lähmung der nationalen und internationalen Politik angesichts vielfältiger Problemgebirge zutage (vgl. Geißler 1994: 54).

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  23. In der Bevölkerung wirken sich diese Krisenerscheinungen in Form eines Rückzugs aus der Politik aus: Angesichts von Waffenlieferungen, Drogentoten, Morden, Hunger- und Umweltkatastrophen, Flüchtlingselend usw. wächst die Sehnsucht nach Harmonie und Schönheit im Privatbereich. Mißstände werden wohl analysiert und angeprangert, aber die Initiative, sie zu bekämpfen, wird nicht vorgelebt.

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  24. Der Abgeordnete Huys, CDU, bemerkte 1968 während einer Debatte über die politische Bildung: „Die erste Forderung für uns alle muß bleiben, selbst ein gutes Vorbild für politisches Verhalten zu geben“ (zit. nach Roloff 1988: 12). Sutor (1988: 27) fordert, die politischen Repräsentanten sollten „genügend intensiv über die Wirkung ihres eigenen politischen Stils auf die politische Kultur der Gesellschaft und besonders auch auf die junge Generation nachdenken“. Bei der Befragung durch Harms/Breit geben die Sozialkundelehrerinnen und -lehrer als Gründe für die Krise ihres Faches vor allem die geringe Berücksichtigung in der Stundentafel, den Bedeutungsverlust gegenüber dem Fach Geschichte und die Erteilung des Unterrichts durch Fachfremde an. In freien Anmerkungen werden jedoch auch die Skandale in der Politik und die Unglaubwürdigkeit der Politiker genannt (vgl. Harms/Breit 1990: 64).

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  25. Hinsichtlich der Schülerdemonstrationen gegen den Golfkrieg und der Lichterketten gegen Ausländerfeindlichkeit sind die Einschätzungen, ob sich dabei politische Proteste Jugendlicher artikuliert hätten, unterschiedlich. Zweifel werden dahingehend geäußert, daß Jugendliche, die sich an den Lichterketten beteiligten, ‚Trocken-Engagement‘ ohne jedes persönliches Risiko praktiziert hätten. Ihr mangelndes Problembewußtsein zeige sich in ihrem konkreten Handeln, indem sie sich eben nicht schützend vor eine ausländische Mitschülerin stellen, die wegen ihrer Aussprache gehänselt und ausgelacht wird (vgl. Czisch 1994: 172).

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  26. Vgl. ähnlich H. v. Hentig in,Die Zeit v. 20.9.1985: „Kinder erfahren heute, daß die Erwachsenen selbst nicht mehr Herr über das System sind, das sie geschaffen haben.“ Von Hentig sieht diese Ohnmacht der Erwachsenen als eine wichtige Ursache für das politische Desinteresse der Jugendlichen an. Ohnmachtsgefiihle, die auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zurückgeführt werden, scheinen eine lange Tradition zu haben. 1850 erschien z.B. die Klage von Alexander Herzen, der sich wie gelähmt fühlte durch sein politisches Umfeld: „Ich kenne in der Geschichte keine Zeit, die erstickender auf den Menschen lastete, als die unsrige. Früher gab es Kämpfe, man litt... Wir haben nichts, wofür wir sterben, nichts, wofür wir leben können“ (Herzen 1850: 33, zit. nach Matzen 1989).

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  27. Die Vorbehalte gegenüber anspruchsvollen Zielformulierungen und Aufgabenbestimmungen werden bekräftigt durch Untersuchungsergebnisse über demokratische Orientierungen, politisches Wissen und Engagement von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die immer wieder den geringen Stellenwert und ‚Erfolg‘ des Sozialkundeunterrichts belegen, denn viele Schülerinnen und Schüler verfügen nur über minimales politisches Wissen (vgl. Habermas u.a. 1961; Jaide 1971; Rothe 1993), dagegen über eine ausgeprägte Gleichgültigkeit gegenüber Politischem, eine Indifferenz, die in den 60er Jahren noch als ‚unpolitische Zustimmung zur Demokratie‘ gewertet wurde (Becker u.a. 1967; vgl. 2.), die inzwischen aber, gerade vor dem Hintergrund politischer Ambitionen der 70er Jahre und der gegenwärtigen Politikabstinenz Jugendlicher, verbunden mit rechtsradikalen Orientierungen, als besorgniserregend gilt.

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  28. Gerade die Curriculumreform hat deutlich gemacht, daß ein Widerspruch zwischen kleinschrittigen Lehr-Lernverfahren und dem Lernziel Emanzipation besteht.

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  29. Ich gehe nicht so weit, diesen Widerspruch als ‚Doppelbindungs-Situation‘ oder als ‚Beziehungsfalle‘ zu kennzeichnen. Die Doppelbindungs-Hypothese (double-bindhypothesis) soll schizophrenes und neurotisches Verhalten erklären. Voraussetzung für eine ‚Beziehungsfalle‘ und eine daraus folgende Erkrankung ist die Einbindung in eine lebenswichtige Beziehung, aus der heraus widersprüchliche Botschaften empfangen werden. So erzeugt eine Mutter gegenüber ihrem Kind eine DoppelbindungsSituation, wenn sie seine Annäherungen schroff zurückweist und sich ihrerseits dem Kind nur zuneigt, nachdem es sich aufgrund der Zurückweisung zurückgezogen hat. Die neuerlichen Annäherungen des Kindes werden wiederum zurückgewiesen usw. Da das Kind nicht verstehen kann, was die Mutter meint und sich nicht,richtig‘ verhalten kann, folgt aus einer solchen Beziehung Kommunikationsunfähigkeit und letztlich Krankheit. — Da das schulische Konzept der ‚Erziehung zur Freiheit‘ nicht mit einer derart lebenswichtigen Beziehung gekoppelt ist, fehlt hier eine wesentliche Bedingung für die Doppelbindungs-Hypothese.

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  30. Die Umgangsformen zwischen Lehrern und Schülern haben sich zwar in den vergangenen Jahrzehnten durchaus gelockert, aber die Lehrverfahren zielen noch immer vorwiegend (mit 92% der Unterrichtszeit) auf intellektuelle Fähigkeiten und Wissenserwerb; das lehrergelenkte Unterrichtsgepräch umfaßt etwa die Hälfte der Unterrichtszeit, die freie Diskussion 2%, Gruppenarbeit gut 7% (vgl. Hage u.a. 1985: 46 ff; für den Geschichtsunterricht aus Lehrer- und Schülersicht vgl. v. Borries 1995). Wegen der Bedeutung der Schulabschlüsse fur die Berechtigung zur Weiterbildung und damit — potentiell — zum Statuserwerb sind die Selektionsverfahren verfeinert und verrechtlicht worden.

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  31. Das demokratische Verhalten umfaßt verschiedene Komponenten: Zum einen das soziale Verhalten, also die Fähigkeit zum Dialog, zur Formulierung der eigenen Interessen, zur Wahrnehmung und Berücksichtigung anderer Interessen, zum Austragen von Konflikten, zur Formulierung oder begründeten Verweigerung von Kompromissen usw.. Eine andere Komponente des demokratischen Verhaltens ist das politische Handeln oder Unterlassen im engeren Sinne, und zwar bezogen auf staatliche und gesellschaftliche Institutionen. Das ‚soziale‘ und das ‚politische‘ Handeln können in Widerspruch zueinander geraten: Während sich das soziale Verhalten z.B. durch Toleranz, Kompromißfähigkeit und kommunikative Kompetenz auszeichnet, erfordert das institutionenbezogene politische Verhalten auch (vor allem?) Durchsetzungsvermögen, strategische Fähigkeiten, Machtbewußtsein usw.

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  32. Wenn Schülerinnen und Schüler ihre Schule beurteilen, dann äußern sich viele dahingehend, daß sie „eigentlich nur der geselligen Kontakte wegen gern in die Schule gehen“ (Czerwenka u.a. 1990: 139), daß sie langes Zuhören und Abschreiben, Frontalunterricht und Lehrermonologe kritisieren und sich Unterrichtsformen mit Kooperationsmöglichkeiten und der Möglichkeit des sozialen Miteinander wünschen. 33 Als in Frankreich zu Beginn dieses Jahrhunderts der Religionsunterricht in staatlichen Schulen abgeschafft wurde, erhielt Emile Durkheim 1905 von der Regierung den Auftrag zu untersuchen, wie es gelingen könne, Kindern auch ohne Rückgriff auf die Religion Moral ‚beibringen‘ zu können. Durkheim war davon überzeugt, daß die Soziologie dies leisten könne und erreichte, daß sie als Hauptfach an den Schulen eingeführt wurde (vgl. Berger/Berger 1976: 25 f). — Hinsichtlich der Möglichkeit, erst durch schulischen Moralunterricht Werte wie Solidarität und Mitmenschlichkeit vermitteln zu können, äußert sich hingegen Walter Benjamin (1973) skeptisch; seiner Meinung nach wird damit eine seltsame Art staatsbürgerlicher Erziehung betrieben: „Man glaubt, die sittliche Motivierung durch rationalistische Beispiele ersetzen zukönnen, und sieht nicht, daß darin die Sittlichkeit schon wieder vorausgesetzt ist. Etwa wenn man dem Kinde am Frühstückstisch die Nächstenliebe nahelegt, indem man ihm die Arbeit der vielen schildert, denen es erst seinen Genuß verdankt. Es mag traurig sein, daß das Kind derartige Einblicke ins Leben oft erst im Moralunterricht erhält. Aber Eindruck übt diese Ausführung doch nur auf ein Kind aus, das Sympathie und Nächstenliebe schon kennt. Nur in der Gemeinschaft, nicht im Moralunterricht, wird es diese erfahren“ (ebd.: 11; vgl. ähnlich Prange 1981). Gerade deshalb genügt es nicht, in der Schule, die ja auch eine Gemeinschaftsveranstaltung darstellt, Moral nur lehren zu wollen; moralische Prinzipien müssen vor allem im Umgang miteinander praktiziert, Probleme damit im Unterricht verbalisiert und ins Bewußtsein gehoben werden.

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  33. Die Tendenz zur Verrechtlichung und Vereinheitlichung des Bildungswesens hat aus Schülerinnen und Schülern mehr und mehr Objekte von Richtlinien gemacht; deren Antwort sind Ohnmachtsgefühle, gekoppelt mit einer diffusen Aggressionsbereitschaft. Negt spricht von einer wachsenden „Demotivierung des Lernverhaltens von Schülern“ (Negt 1982: 116), da die Schule dem Motivationsüberschuß der Kinder, ihrer Neugierde und Bewegungsfreude, nicht gewachsen sei.

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  34. Diese Kritik hat bereits eine lange Tradition (Wagenschein, Bernfeld). Das im 18. und 19. Jahrhundert erkämpfte Recht auf Bildung ist inzwischen mit der Schulpflicht zum Schulzwang mutiert, unter Pädagogen wird gelegentlich von ‚Folter‘ in der Schule gesprochen, da sie mit einem ‚Pflichtrestaurant mit Aufeßzwang‘ (vgl. Würtl 1987) verglichen werden könne. Um ein,Ja‘ der Kinder zum Lernen und zum Unterricht bekommen zu können, müsse auch das,Nein‘ zugelassen werden.

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  35. In dem Verfahren, durch Fremdbestimmung und Unterordnung letztlich zur Fähigkeit der Selbstbestimmung zu gelangen, muß nicht von vornherein eine Paradoxie gesehen werden. So gilt beim Militär etwa der Grundsatz, daß, wer befehlen wolle, zuerst das Gehorchen lernen müsse.

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  36. Aufgrund solcher insgesamt eher als lern- und interessenhemmend eingeschätzter Faktoren arbeitet z.B. die Umweltschutzorganisation Greenpeace ausdrücklich nicht mit Schulen zusammen, sondern konzentriert sich auf die außerschulische Kinderund Jugendarbeit. Sie hegt mit Recht die Befürchtung, daß der heimliche Lehrplan der Schule auch die spannendsten Themen in Lehrstoffe verwandelt und sie so ihrer Faszination beraubt.

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  37. Bisher war das Leben nur regional bzw. begrenzt auf einzelne Gruppen bedroht. Durch Atomwaffen und Umweltgefahren wird die Vernichtung der gesamten Menschheit möglich, wie dies z.B. der ‚Club of Rome‘ thematisiert und Beck (1986) mit dem Theorem der ‚Risikogesellschaft‘ gefaßt hat.

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  38. In der Nachkriegszeit konnte sich das neue Fach Gemeinschaftskunde in Schulen nur durch Verdrängung herkömmlicher Schulfächer etablieren und erhielt — auch aufgrund einer schwachen ‚Lobby‘ — nur einen bescheidenen Platz in den Stundentafeln. Ein Beispiel: An bayerischen Gymnasien wird in den Klassen fünf bis elf Sozialkunde nur in der 10. Jahrgangsstufe mit einer Wochenstunde unterrichtet, was bedeutet, daß in sieben Schuljahren weniger als 0,5% der Gesamtstundenzahl an die politische Bildungsarbeit fällt (vgl. Grosser 1985: 157).

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  39. Auch in Berlin existiert ein Kombinationsfach Geschichte/Sozialkunde, wobei der Anteil von Sozialkunde auf ein Drittel festgelegt wurde (vgl. Grammes 1990: 195), im Einzelfall jedoch vermutet wird, daß in dem Doppelfach „die Sozialkunde vernachlässigt wurde“ (Hembd/Kuhn 1993: 53); in Bayern wurde Sozialkunde zugunsten der Wirtschafts- und Rechtslehre zurückgedrängt (vgl. Grosser 1985: 152).

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  40. Von Sozialkundelehrerinnen und -lehrern wird neben der Benachteiligung des Faches in der Stundentafel insbesondere seine untergeordnete Stellung gegenüber Geschichte als Grund für die Krise des Faches gesehen; vgl. Harms/Breit 1990: 64

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  41. Ob und inwieweit gerade durch fächerübergreifenden sozialwissenschaftlichen Unterricht Probleme der jeweiligen Einzelfächer und ihrer Fachdidaktiken behoben werden könnten, vermag ich hier nicht zu beurteilen. Skepsis scheint mir insofern angebracht, als wohl in allen beteiligten Fachdidaktiken „schmerzliche Widersprüche“ angesichts der Kluft zwischen den Ansprüchen an das jeweilige Fach und der Wirklichkeit der Schulpraxis konstatiert werden müssen (für das Fach Geschichte vgl. v. Borries 1990). Es ist nicht auszuschließen, daß die Brisanz solcher Widersprüche im Falle der Fächerintegration noch zunimmt. — An Hamburger Gesamtschulen ist der Geschichtsunterricht mit politischer Bildung gekoppelt, so daß hier die Chance bestünde, von den heute zur Lösung anstehenden gesellschaftlichen Problemen ausgehend historische Analysen und Betrachtungen anzustellen. Ansatzpunkte durch ‚alternative Schulbücher‘ dafür sind zwar da (z.B. zu den Themenbereichen Umwelt- und Frauengeschichte), allerdings erweist sich bisher der ‚unangreifbare Stoffkanon‘ als zählebiges Reformhindernis (vgl. v. Borries 1990: 24 f). Auf der Ebene der Fachdidaktik können sich die verschiedenen Perspektiven sinnvoll ergänzen, z.B. in dem gemeinsamen Bildungsziel, im Zuge der historisch-politischen Bildung auch Prozesse der Identitätsbildung zu unterstützen (vgl. ebd.).

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  42. Nur rd. 20% der Lehrerinnen und Lehrer, die in Rheinland-Pfalz an Hauptschulen Sozialkunde unterrichten, verfügen über eine entsprechende Lehrbefähigung (vgl. Witsch-Rothmund 1990); ähnliches gilt für Bayern (vgl. Schor 1992).

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  43. Die im Rahmen der politischen Bildung vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten erweisen sich zum Teil selbst innerhalb der Politik als wenig brauchbar: Als der Gemeinschaftskundelehrer Brunner Mitglied des Bayerischen Landtags wurde, „erwiesen sich meine politologischen Kenntnisse als untauglich und ich mußte erfahren, daß die praktische Politik... ganz anders ist, als sich die Theorie der Politik im Unterricht darstellt. Ich werde seither die Befürchtung nicht los, daß der Politikunterricht nur wenig von den tatsächlichen Vorgängen vermittelt, durch die dem Bürger die ihn bestimmenden Leitlinien politisch gesetzt werden. So wußte ich z.B. auch vorher, daß die Lehre von den geteilten drei Gewalten so nicht praktiziert wird, wie sie in der Verfassung (und auch in unseren Lehrbüchern) steht, aber ich war doch (und bin heute noch) schockiert von der Erkenntnis, mit welcher Selbstverständlichkeit durch parteipolitisch gelenkte Personalpolitik die Gewaltenteilung unterlaufen wird (Brunner 1990: 14).

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  44. Diese Äußerung stammt von dem 19-jährigen Philipp Dofflein, Mitglied der Jungen Union, in: Zeitmagazin Nr. 14 v. 2.4.1993

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  45. Gagel unterscheidet zwischen dem Thema des Unterrichts und dem Inhalt: Mit dem Inhalt ist bereits eine bestimmte Intention verbunden; er stellt das politische Problem dar. Erst wenn der gewählte Inhalt begründet werden kann (unter Verwendung der Schlüsselfrage: „Welche didaktische Perspektive enthält der gewählte Unterrichtsgegenstand?“ ist es möglich, sich schrittweise dem Thema anzunähern, und zwar mithilfe der Sachanalyse (vgl. Gagel 1983: 569 ff). Anhand der bei Gagel vorgeführten verschiedenen Schrittfolgen läßt sich anschaulich die komplexe Aufgabe der Unterrichtsplanung, wie sie in fachdidaktischen Konzeptionen vorgesehen ist, verdeutlichen.

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  46. Auf dieser allgemeinen Ebene differieren die Ziele jeweils nur um Nuancen (vgl. 1): Die Rahmenrichtlinien NRW bestimmen als ‚oberstes‘ Lernziel für die Sekundarstufe I ‚Emanzipation‘ als Befreiung von Unmündigkeit; für die Sekundarstufe II ‚Selbstverwirklichung in sozialer Verantwortung‘ (vgl. Richtlinien NRW 1987); nach anderen Formulierungen soll die Schule politisch denkende und verantwortlich handelnde Bürger heranbilden (Schultheiß 1990: 23), also eine Integration von Denken und Handeln leisten. Ebenso wird die Notwendigkeit der Verknüpfung von Wissen und Handeln in den meisten neueren Konzeptionen und didaktischen Entwürfen betont: So hat nach Sander politische Bildung „die Aufgabe, in der Auseinandersetzung mit Schlüsselproblemen politisches Orientierungswissen sowie politische Urteils- und Handlungsfähigkeit zu vermitteln“ (Sander 1993: 175); sie „bildet sozusagen einen Gegenpol zur wachsenden Undurchschaubarkeit der gesellschaftlich-politischen Realität“, indem sie Schneisen durch das Dickicht der unübersichtlichen Vielfalt medial vermittelter Informationen schlägt (ebd.: 176) und als zentrales Element allgemeiner Bildung einen Diskurs über Lebensfragen der Gesellschaft anbahnt (ebd.: 176). In einer anderen Version werden die Aufgaben und Ziele der politischen Bildung zusammenfassend so umrissen: „Politische Bildung hat in hochindustrialisierten Gesellschaften die Aufgabe, die Menschen zu befähigen, daß sie ihren Standort und ihre Interessen erkennen, über politische Problemfelder urteilen und dann handeln können. Dazu ist es erforderlich, die politischen, sozialen, wirtschaftlichen und geistigen Prozesse zu durchschauen und den Zusammenhang zwischen Interessen und Politik und die Ursachen und Funktionen von Ideologien aufzudecken. So sollen die Herrschaftsverhältnisse in Wirtschaft, Gesellschaft und Staat durchsichtig werden. Ziel Politischer Bildung ist: kritisches Bewußtsein, selbständiges Urteil und politisches Engagement.... Politisches Bewußtsein bildet sich dabei im Erkennen der eigenen Interessen und der gesellschaftlichen Widersprüche, Konflikte und Herrschaftsverhältnisse. Der politisch bewußte und aufgeklärte Mensch soll nicht erleidendes Objekt der Politik sein, sondern als Subjekt in die Politik eingreifen, um sich in Freiheit weitgehend selbst zu bestimmen“ (Neumann 1989: V).

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  47. Die Begriffe des Fundamentalen, Elementaren und Exemplarischen verwende ich hier, um an die frühen 60er Jahre zu erinnern, als Hilligen (1975) und K.G. Fischer (1972) diese Termini aus der Allgemeinen Didaktik (Klafki) übernahmen und damit eine Ablösung der Fachdidaktik von ihrer traditionellen Bezugswissenschaft, der Politikwissenschaft, einleiteten. Seinerzeit ermöglichten diese ‚Anleihen‘ bei der Allgemeinen Didaktik die Formulierung eigenständiger fachdidaktischer Fragen und die Entwicklung von Kriterien für entsprechende Antworten, um zu einer Verdichtung der prinzipiell unbegrenzten Lerngegenstände zu gelangen. Heute strebe ich an, durch eine Subjektorientierung erneut die Weiterentwicklung der fachdidaktischen Disziplin in Gang zu setzen.

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  48. Die Begriffe der ‚curricularen‘ Stoffvermittlung, des ‚curricularen‘ Lernens und der ‚curricularen‘ fachdidaktischen Ansätze dienen hier als Chiffre zur Kennzeichnung eines spezifischen Lern- und Arbeitsarrangements, das im Zuge der Verwissenschaftlichung von Schule und Unterricht (Curriculumreform) an Bedeutung zugenommen hat. Dieses Arrangement ist — holzschnittartig gegenübergestellt — durch bestimmte Verfahren gekennzeichnet: Lehrplankommissionen bestimmen Unterrichtsziele und wählen die Unterrichtsinhalte aus, die Lehrerinnen und Lehrer suchen aus den Inhalten verschiedene Themen heraus, arrangieren und steuern die Lernprozesse. Die Lernenden fügen sich in dieses Programm ein. Curriculares Lernen ist im wesentlichen vorausbedacht, es soll ein geordneter Lernzusammenhang geschaffen werden, der in einer bestimmten Reihenfolge zu durchlaufen ist. Im Unterschied zu curricularem Lernen sehe ich persönlich bedeutsames Lernen (vgl. Bürmann 1992), das nicht einer zuvor durchdachten Regulierung folgt, sondern sich aus bestimmten Gelegenheiten ergibt und situativ von Lehrenden und Lernenden gestaltet wird (vgl. Schulze 1979 (1985): 46 ff; Kap. 5).

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  49. Als wichtigste Aufgabe der Fachdidaktik bestimmen die meisten ihrer Vertreter die Festlegung von Maßstäben dafür, was als ‚mitteilungsnotwendig‘ erachtet werden kann. Didaktische Konzeptionen wählen unterschiedliche Ansatzpunkte, um aus der Vielfalt von Problemfeldern und Themen diejenigen herauszufiltern, die als bildungsrelevant gelten sollen: Giesecke hat den Begiff der didaktischen Kategorien eingeführt (Giesecke 1971), Hilligen den der ‚Optionen‘ (Hilligen 1985); K.G. Fischer fragt nach den Kenntnissen und ‚Einsichten‘, die für die Beurteilung von und die Mitwirkung am gesellschaftspolitischen Leben notwendig sind (vgl. Fischer 1975); Sutor legt der Auswahl normative Bezüge zugrunde (vgl. Sutor 1984).

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  50. Der spektakuläre Streit innerhalb der fachdidaktischen Disziplin und in der Öffentlichkeit in den 70er Jahren drehte sich zwar im wesentlichen um die Durchsetzung unterschiedlicher wissenschaftstheoretischerPositionen, wobei grob ein ‚linksliberales‘ (Fischer, Hilligen, Giesecke, Roloff) und ein ‚liberal-konservatives‘ Lager (Sutor, Oberreuter, Grosser) unterschieden werden konnte. ‚Quer‘ zu diesem Streit entwikkelte sich die polarisierende Diskussion um Schüler- und Lernzielorientierung (vgl. Schmiederer 1977).

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  51. Der Begriff der Kategorie wird unterschiedlich verwendet. Sutor will sie „als Brücke zwischen Lernendem und Sache“ sehen, die beim Lernenden zu Einsichten in Grundsachverhalte führen oder „eine differenzierte kognitive Struktur“ aufbauen sollen (vgl. Sutor 1984, Bd. II: 74).

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  52. Giesecke berichtet mit einer gewissen Verwunderung, daß allein in seiner häuslichen Bibliothek zu den Fragen des „Was“ und „Warum“ der politischen Bildung Bücher und Schriften in einem Umfang von sechs Metern vorhanden seien, wobei einschlägige Zeitschriften und fachwissenschaftliche Literatur (Politische Wissenschaft, Soziologie, Wirtschaftswissenschaft)nicht berücksichtigt wurden (vgl. Giesecke 1993: 9). Er bezweifelt, ob der intellektuelle Aufwand in einem vernünftigen Verhältnis zum schulischen Klärungsbedarf steht. Zu ähnlichen Tendenzen in anderen fachdidaktischen Disziplinen vgl. Otto 1983: 522).

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  53. Die Festlegung politischer Orientierungen als Ziel der Bildungsarbeit ist heftig umstritten. Wenn etwa Hilligen bezüglich politischer Bildungsprozesse in den neuen Bundesländern das Ziel formuliert, „die nachzuholende Identifikation mit dem Staat des Grundgesetzes zu verbinden mit der konstruktiven Kritik an dessen nicht eingelösten Forderungen und an der Lebensweise in der alten BRD“ (Hilligen 1991: 38), so enthält dies m.E. eine Tendenz zur politischen Bevormundung der Jugendlichen. Gesinnung und Verhalten der Schülerinnen und Schüler sowie Ziele und Inhalte von Grundrechten, Gesetzen und Institutionen sollen zwar im Sozialkundeunterricht thematisiert, kritisiert und gerechtfertigt werden, ohne sie aber auf dem Wege politischer Erziehung vorschreiben zu wollen (Verbot der Indoktrination) (vgl. Weiler 1985). Hier gilt es gerade, einerseits unterschiedliche Sichtweisen durch Thematisierung nachvollziehbar zu machen, andererseits aber auch die Grenze derartigen Relativierens zu erarbeiten, etwa in der Frage der Menschenwürde. Auch solche Zielvorstellungen wie Mündigkeit, Urteils-, Kritik- und Handlungsfähigkeit, Zivilcourage, Mitverantwortlichkeit usw. werden gelegentlich als unzulässige Bevormundung ( ‚Agitation‘) kritisiert (vgl. Weiler 1985), da sie mit den Grundrechten der Schülerinnen und Schüler sowie denen ihrer Eltern kollidieren könnten. Demgegenüber findet man sich auf sicherem Terrain, wenn man sich auf die Forderung beschränkt, lediglich die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten zu betreiben, die notwendig erscheinen, um die jeweiligen politischen Probleme „geordnet beurteilen zu können“ (Weiler 1987: 56). Hier sehe ich allerdings — gerade auch vor dem Hintergrund der Diskussion von Bildungserfordernissen in der ‚Risikogesellschaft‘ — die Gefahr, daß schulisches Lernen, das sich in dem Versuch erschöpft, „die Masse der politischen Informationen, denen die Schüler ausgesetzt sind, mit ihnen ein wenig methodisch-systematisch zu ordnen... (und) vergleichend zu prüfen“ (ebd.) allein nicht ausreicht, um Zukunftsgefährdungen adäquat zu begegnen. Insofern sehe ich eine auf politisch reflektierte Handlungsfähigkeit hinzielende Bildungsarbeit als unverzichtbar an.

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  54. Der Streit um die Hessischen Rahmenrichtlinien zog Parlamentsdebatten über Ziele und Inhalte der politischen Bildung nach sich und verursachte letztlich den Sturz des damaligen hessischen Kultusministers v. Friedeburg. — Die Anforderung, die didaktischen Entscheidungen ausführlich zu begründen, führt dazu, daß Richtlinien für das Fach Gesellschaftslehre den Umfang eines Romans hatten. Ein kompliziert aufgebauter und umfangreicher Lehrplan ist z.B. der in Nordrhein-Westfalen. Dieser sieht vor, daß die Themenwahl, die Wahl der Methoden und die Unterrichtsgestaltung eine Angelegenheit der Lehrer(innen) und Schüler(innen) ist. Um dennoch gewisse Vorgaben zu geben, werden die obersten Lernziele oder Richtwerte wie folgt aufgefächert: Der Richtwert Emanzipation wird z.B. in zwölf Qualifikationen konkretisiert, u.a. Eintreten für die Demokratie, sich an der Austragung von Konflikten beteiligen, sich für menschenwürdige Bedingungen im Arbeitsleben einsetzen usw.. Diese zwölf Qualifikationen werden nun jeweils in Lernfeldern konkretisiert, und zwar gibt es vier verschiedene Lernfelder (Gesellschaft; Wirtschaft; Öffentlichkeit; nationale und internationale Beziehungen); jedes dieser Lernfelder hat drei inhaltliche Schwerpunkte, diese sind im Lernfeld Gesellschaft: Soziales Verhalten in unterschiedlichen Rollen; Verhaltensprägung und -steuerung durch Gruppen; Gesellschaftsstrukturen und sozialer Wandel. Diese inhaltlichen Schwerpunkte sind mit Themenvorschlägen versehen, die wiederum aufgefächert sind. Der Themenvorschlag ‚Die Gesellschaftsstruktur der Bundesrepublik Deutschland‘ ist ein Vorschlag aus dem inhaltlichen Schwerpunkt ‚Gesellschaftsstrukturen und sozialer Wandel‘. Ihm werden wiederum verschiedene Inhalte und Probleme zugeordnet: Formen sozialer Ungleichheit, Gesellschaftspolitik usw. (vgl. Richtlinien Politik NRW, 3. Aufl. 1987).

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  55. Gegenüber derart umfassenden Ansprüchen an die politische Bildungsarbeit in der Schule wird inzwischen Skepsis geäußert (vgl. Roloff 1988: 8; Hartwich 1990: 34). Ich gehe davon aus, daß die in didaktischen Modellen formulierten Ziele im großen und ganzen auch realisierbar sein müssen, weil andernfalls Frustration, Wissenschaftsfeindlichkeit und Apathie der Praktiker die Folge sind.

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  56. Kurt Georg Fischer spricht z.B. von ‚wissenschaftstheoretisch überladenem Geschnatter‘ (vgl. Fischer 1987). Wenn in der fachdidaktischen Diskussion schwer verständliche Texte beklagt werden, wird meist Claußen zitiert, der sich einer besonders komplizierten Sprache bedient, etwa hier: „Während traditionelle Theorien Praxis zum Gegenstand des immanenten Verstehens oder Erklärens nehmen und vor allem seitens des empirisch-analytisch orientierten neopositivistischen Kritischen Rationalismus nur die unmittelbaren und konkreten Elemente von Praxis — die Erscheinung, das Gegebene — Quellen ‚reiner‘ Erkenntnisse sind, versucht die Kritische Theorie des Subjekts durch eine Interaktion von Verstehens- und Erklärungsprozessen der Dialektik von Wesen und Erscheinung ihres Gegenstands gerecht zu werden (im Original mit Literaturverweis — H.H.), durch Synchronisation von makro-, meso- und mikrostrukturellen Analysen die Eingebundenheit konkreter Praxis in politisch-gesellschaftliche Zusammenhänge aufzuzeigen und als eine Theorie der Praxis durch Einflußnahme auf den Verwertungszusammenhang ihrer Erkenntnisse wie auch durch die Methodologie der Erkenntnisprozesse selbst insofern auf die Praxis einzuwirken, als sie sich für Prozesse der Befreiung engagiert (im Original mit mehreren Literaturverweisen — H.H.)“ (Claußen 1980 b: 56).

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  57. „Indem sie sich auf Hochschulprobleme einließen, verloren die Didaktiker... in den Schulen an Boden“ (Weinacht 1991: 56). Die eigentliche Aufgabe der Fachdidaktik, nämlich die Beschäftigung mit den Schülerinnen und Schülern, sei verlorengegangen (vgl. Fischer 1987; zur Schülerorientierung vgl. Petzelt 1947), die Frage, wie didaktische Konzeptionen in der Unterrichtspraxis zu realisieren seien, werde kaum behandelt (vgl. Gagel 1979: 13).

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  58. Ein Lehrer hat in einem Leserbrief seine Irritation durch anspruchsvolle didaktische Konzeptionen beschrieben: „Zugleich behaupte ich, daß Schule seit 1968 durch die pädagogische Forschung für den Lehrer schwieriger und unerträglicher geworden ist, weil an ihn permanent Forderungen herangetragen werden, die er gar nicht erfüllen kann, bei deren Einlösungsversuchen er seine eigene Unvollkommenheit stärker spürt, die zur Verunsicherung, ja zu Krankheit und kläglichem Scheitern führen“ (Klausmeyer 1981). Auch Schmiederer kritisiert, daß die didaktische Theorie den Lehrern ein schlechtes Gewissen verursache, sie in die Resignation treibe, wodurch die Schule letztlich unverändert bleibe (Schmiederer 1972: 186).

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  59. Obwohl dieses Problem bekannt ist und auch in der fachdidaktischen Literatur erörtert wird, wird den Lehrerinnen und Lehrern als Ausweg meist nur ‚mehr desselben‘ empfohlen: So schreiben die Herausgeber eines Sammelbandes über ‚Grundfragen und Praxisprobleme der politischen Bildung‘, das insbesondere den Lehrerinnen und Lehrern in den neuen Bundesländern einen Überblick verschaffen soll, in dem 650 Seiten umfassenden Werk könne nur in grundlegende Fragen eingeführt werden, manche Aspekte seien gänzlich unberücksichtigt geblieben, „obgleich sie für eine vertiefte Auseinandersetzung mit fachdidaktischen Fragestellungen unverzichtbar sind. Daher sei zu Anfang ganz deutlich gesagt: Mit der Lektüre dieses Bandes allein ist es nicht getan! Zur Ergänzung und Vertiefung ist es unabdingbar, weiterführende Literatur hinzuzuziehen. Vor allem auf die Notwendigkeit einer gründlichen Beschäftigung mit fachdidaktischen Konzeptionen bzw. mit den Arbeiten bekannter Fachdidaktiker (wie: Behrmann, Claußen, Fischer, Gagel, Giesecke, Grosser, Hilligen, Mickel, Roloff, Schmiederer, Sutor) sei hier nachdrücklich hingewiesen“ (Breit/Massing 1992: 13; vgl. ähnlich Massing/Skuhr 1993: 249). Hier wird der Eindruck erweckt, als seien die Praxisprobleme im wesentlichen durch das Studium und die Umsetzung didaktischer Konzeptionen zu bewältigen. Wäre dies der Fall, so müßten die Probleme mittlerweile gelöst sein, sind doch die meisten der oben genannten Konzeptionen vor etwa fünfundzwanzig Jahren entstanden und ihre Verfasser maßgeblich an der Aus- und Weiterbildung der Sozialkundelehrerinnen und -lehrer beteiligt gewesen.

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  60. Als Gründe für diese Entwicklung gelten sowohl die universitäre Arbeitsweise und ihre Riten als auch die Theorieabstinenz der Praktiker, die sich in ihrer Routine nicht stören lassen wollen. Als weitere Ursache für die gewachsene Kluft zwischen Throrie und Praxis gilt die Tendenz, sich politischen Problemen und Konflikten analytischsachlich zu widmen, sie möglichst frei von Emotionen zur Kenntnis zu nehmen und zu beurteilen. Mit dieser Tendenz der Trennung von Verstand und Gefühl, von Roloff (1988: 10) als die „Tragik der Aufklärung“ bezeichnet, geht Apathie einher.

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  61. Nicht nur die elaborierten fachdidaktischen Ansätze bzw. ‚Modelle‘, sondern auch das vergleichsweise schmale und praxisorientierte Methodenangebot gilt unter den Lehrenden als weithin unbekannt (vgl. George/Nitzschke 1987: 114)

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  62. Zwischen Theoretikern und Praktikern scheint weitgehende ‚Funkstille‘ zu herrschen. So beklagt beispielsweise Sutor (1990: 313), daß ihm bisher jede Rückmeldung aus der Praxis über die Brauchbarkeit seiner fachdidaktischen Konzeption fehle, die ja gerade auf die konkrete Unterrichtspraxis hin entwickelt worden sei.

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  63. Janssen (1988) kritisiert neben den überhöhten Ansprüchen auch die autoritäre Sprache, „die nicht den geringsten Zweifel an der Machbarkeit dieser Ansprüche aufkommen läßt“ (ebd.: 63). Kutz-Bauer bemängelt, daß die meisten wissenschaftlichen Publikationen im Bereich der politischen Bildung den Praktiker/die Praktikerin erst mit „hochgestochenen theoretischen Ansprüchen“ verunsichern, aber für die Arbeit vor Ort keinerlei Anregungen geben. „Dabei ist überhaupt fraglich, ob diese Normsetzungskünstler in der Lage sind, ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Man kennt ja diesen Besserwissertyp auch aus anderen Wissenschaftsbereichen“ (KutzBauer 1992: 19). „Zu verändern ist zunächst die Welt der pädagogischen Theorien. Erforderlich sind realistische Theorien, die den Bedürfnissen der Praxis entsprechen und den schulischen Alltagsbedingungen hinreichend Rechnung tragen“ (Janssen 1990: 305).

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  64. Claußen (1989) unterstellt der ‚Praxisfraktion‘ „Unfähigkeit zur Anstrengung des Begriffs“ und argwöhnt „herrschenden Irrationalismus“ (ebd.: 74) innerhalb der fachdidaktischen Diskussion.

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  65. Mit Geiger (1986) und Weinbrenner (1990) plädiere ich für die Relativierung bisheriger Lehrpläne, didaktischer Konzeptionen und Traditionen in der Unterrichtspraxis, nämlich Schülerinnen und Schülern im wesentlichen durch Wissen und ‚Einsichten‘ über Bestehendes zu Reflexionen zu verhelfen. Wichtig dagegen und auch herausfordernd scheint mir, daß sich die Jugendlichen mit gegenwärtig offenen Fragen und zukünftig absehbaren Problemen und Perspektiven befassen, die ihr eigenes zukünftiges Leben betreffen.

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  66. Zur Entdeckung ‚wünschbarer Zukünfte‘ empfiehlt Weinbrenner die Zukunftswerkstatt. Darin sehe ich eine gute Möglichkeit der Auflockerung des traditionellen Unterrichts, halte diese Art des Arbeitens in der Schule allerdings für nicht verallgemeinerungsfähig, weil der ständige Entwurf von Zukunftsvisionen auf die Dauer ermüdend und frustrierend sein dürfte.

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  67. Solche Handlungsmöglichkeiten können durch die Begegnung mit Menschen, die sich in den betreffenden Bereichen politisch, beruflich, sozial, kulturell oder humanitär engagieren, aufscheinen. Bei solchen Begegnungen, z.B. zum Thema Verkehrsplanung, mit Vertretern einer Bürgerinitiative, der Gewerkschaft ÖTV, Anwohnern einer vielbefahrenen Straße und den zuständigen Behördenvertretern kann m.E. oft nachhaltiger gelernt werden als bei theoretischer Abhandlung des Themas. Hier werden auch Perspektiven für eigenes Engagement deutlich. Denn „in einer Welt, der ich täglich nachweise, daß man nicht in ihr leben kann, kann man auch nicht leben; man kann in ihr nicht lieben, nicht arbeiten und auf die Dauer auch nicht kämpfen... Wir brauchen nicht nur Todesdaten. Nicht eines von ihnen dürfen wir übersehen. Wir brauchen Lebensbilder, Darstellungen des gelungenen Lebens, und wenn wir sie noch so mühsam sammeln müssen“ (Steffensky 1989: 55).

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  68. Abgesehen davon, daß bei der Behandlung von Überlebensproblemen die psychischen Verarbeitungskapazitäten der Heranwachsenden oft außer acht bleiben und möglicherweise überfordert werden, bleibt auch das Potential an Ideen und Kreativität, das Jugendliche zur Problembewältigung beisteuern könnten, ungenutzt. Wenn der Club of Rome in seinem Lernbericht fordert, das Bildungswesen solle zu,innovativem, ‚antizipatorischem Lernen‘ befähigen, dann ist damit gemeint, die Bereitschaft und die Fähigkeit zu wecken, für die Gestaltung der Zukunft Verantwortung zu übernehmen.

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  69. Mit der Formulierung ‚Politik vor der Schultür‘ sollen die Möglichkeiten für Demokratielernen in der Schule nicht ausgeschlossen sein, im Gegenteil. Sozialkundelehrerinnen und -lehrer können sich z.B. schulintern dafür einsetzen, daß die Schülervertretung politische und kulturelle Veranstaltung eigenverantwortlich organisieren kann, daß das Zusammenleben in der Schule und die dafür gefundenen Regelungen immer wieder kritisch reflektiert und neu gefaßt werden, daß der pädagogische Freiraum der Schule dafür selbstbewußt genutzt wird.

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  70. Die Frage, ob Kommunalpolitik und das kommunale Umfeld sich als Gegenstand politischer Bildungsprozesse eignen, ist unter Fachdidaktikern umstritten. Von den Kritikern wird vorgebracht, die Gemeinde sei kein geeignetes Objekt zur Einübung kontroversen Denkens, da jeweils Tendenzen zur Idealisierung der unmittelbaren Umwelt bestünden (Lokalpatriotismus‘) (Hartwich 1979). Gerade angesichts der Versuche, Kommunalpolitik auf die Verwaltung begrenzter Ressourcen zurückzudrängen und sie damit politisch zu entmündigen, halte ich es für wichtig, hier ein Stück ‚Basisdemokratie‘ einzuüben und zu verteidigen (vgl. Roloff 1988: 18). Eine Fülle von Anregungen für entsprechende Erkundungen im Stadtteil enthält das Buch von Georg Heinzen und Uwe Koch 1982: Heimat Stadt. Über das Leben in großen Siedlungen. Eine Bestandsaufnahme in Düsseldorf. Berlin Die Möglichkeiten, gerade zu Fragen der Kommunalpolitik einen handlungsorientierten Unterricht zu gestalten, werden bisher nur ausnahmsweise genutzt. So ist es z.B. in der Oberstufe möglich, daß Podiumsdiskussionennahezu ausschließlich von Schülerinnen und Schülern organisiert werden (vgl. Gerbode 1993: 55).

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  71. Die subjektiven Bedingungen, die zum ‚Gelingen des Ganzen‘ notwendig sind, möchte ich mit Hubert Ivo als ‚Fähigkeit, die Andersheit des Anderen als Chance zu begreifen‘, umschreiben. Ivo nennt dies das Lernziel ‚Pluralität‘: „Was wir zu lernen hatten und wohl nach wie vor zu lernen haben, ist etwas, für das mir der Ausdruck ‚Pluralität‘ angemessen zu sein scheint. Zu akzeptieren, daß nicht alle dieselbe Sicht auf die Welt, dieselben Maßstäbe des Handelns haben; zu dulden — in einem wörtlichen Sinn —, daß man nicht mit jedem und nicht zu allen Gelegenheiten von denselben nicht explikationsbedürftigen Voraussetzungen ausgehen kann; die Andersheit des Anderen als Chance begreifen, lernen, in der Mannigfaltigkeit den Reichtum zu entdecken; die Sehnsucht nach Einheit und Übereinstimmung in eine Methodik der Wahrheitssuche zu transformieren und den Dialog, dem wichtigsten Mittel sich ihr zu nähern, zu üben“ (Ivo 1990: 4). Zur Aufgabe der Erziehungswissenschaft, die Fähigkeit der Wahrnehmung des anderen in seiner Andersheit zu entwickeln, vgl. Peukert 1994.

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  72. Hartmann plädiert deshalb dafür, die Ergebnisse der Politischen Psychologie stärker im Unterricht fruchtbar zu machen, nicht, um damit „die Perfektionierung einer am Ende doch manipulativen Unterrichtstechnologie“ zu fördern, sondern um „zur Entwicklung eines personzentrierten, von sozialer Sensibilität geleiteten Unterrichtsstils“(Hartmann 1980: 14) beizutragen. Dagegen warnt Giesecke (1993) vor einer Infantilisierung durch solche Bestrebungen.

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  73. Im Unterschied zu früheren Forderungen gelangt Giesecke nun zu der Einschätzung, daß das „Kernstück des schulischen politischen Unterrichts die Kunde“ sein müsse (Giesecke 1993: 87); andere Ansätze seien ggf. in diese einzufügen. Ich halte dagegen andere, nämlich subjekt- und handlungsorientierte Ansätze für das Kernstück des Sozialkundeunterrichts; in welche die ‚Kunde‘ einzubringen wäre.

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  74. Auf ebensolche Ablehnung stoßen unverständliche wissenschaftliche Texte als Unterrichtsmaterial: „Der erste Lehrer, bei dessen Anblick mir später die kalte Wut hochkommen sollte, war einer jener Gemeinschaftskundelehrer, die auch Geschichte unterrichten müssen. Zum Thema Französische Revolution wählte er ein Buch aus, das damals für uns völlig unverständlich war, weil es von Fachausdrücken und sonstigen Fremdwörtern nur so wimmelte“ (Hübner 1990: 247).

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  75. So bemängelt K.G. Fischer (1979), Schema-Zeichnungen würden nur dem Eingeweihten bestätigen, daß sein Wissen über den Aufbau von Staat und Partei stimmt, während sie für den Schüler leere Wörter darstellen, durch Pfeile miteinander verknüpft, daß man nicht viel mehr Erkenntnisgewinn entnehmen könne als Plattheiten nach Art des inhaltsleeren Satzes: ‚Alles ist irgendwie von allem abhängig‘. So würde Widerkäuer-Wissen vermittelt, das sich allerdings zum Abfragen und für die Notengebung eigne (vgl. ebd.: 95).

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  76. Dabei meint politische Bildung,jene intellektuellen Suchbewegungen, die gesellschaftliches Bewußtsein erweitern und klären“. Politische Bildung ist also prozeßhaftes Lernen. Die Institutionenkunde ist mithin nicht politische Bildung sondern ‚politische Normierung‘ (Gottschalch 1971: 16).

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  77. Eine wohl typische Situation dokumentiert die Unterrichtsstunde ‚Bürgerbewegungen in der DDR‘: Die Lehrerin fordert die Schülerinnen und Schüler auf, sich zu Sinn und Unsinn von Bürgerbewegungen zu äußern. Drei Schülerinnen und Schüler erhalten das Wort: Der bzw. die erste sagt, daß die Beurteilung von Bürgerbewegungen vom Grund oder Anlaß der Bewegung abhänge, ein(e) andere(r) meint, es käme darauf an, ob für den Staat etwas Gutes dabei herauskomme, und eine weitere Meinung geht dahin, daß, solange alles friedlich zugehe, daran nichts auszusetzen sei. Diese Äußerungen bleiben von der Lehrerin im wesentlichen unkommentiert („Ja, bitte, andere Meinungen...; „Ja, richtig“; „Möchte sich noch jemand dazu äußern“), woraufhin dann die Lehrerin in einem längeren Beitrag ihr Thema ankündigt, nämlich warum sich eine Bürgerbewegung für den Berlin-Marathon gegründet hat (vgl. Bürgerbewegungen in der DDR, 1993: 95). Indem die Lehrerin auf die Beiträge der Schülerinnen und Schüler nicht eingeht, sie im Interesse der Realisierung ihres eigenen Stundenentwurfs nicht weiterführt, werden die Äußerungen inhaltlich entwertet. Nicht nur vorgeblicher, sondern tatsächlich praktizierter schülerorientierter Unterricht ist dagegen insofern ‚offen‘ bzw. ‚offener‘, als sein Ergebnis dem Gang des Unterrichtsgesprächs überlassen ist: jener Vermittlung zwischen den Lernbedürfnissen und -interessen der Schülerinnen und Schüler und den Impulsen der Lehrerin bzw. des Lehrers.

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  78. Für das Interesse Jugendlicher an politischen und gesellschaftlichen Themen dürfte das Erleben, wie mit ihren Erfahrungen, Einstellungen und Assoziationen umgegangen wird, von entscheidender Bedeutung sein: Werden sie im Grunde als lästig und störend in Kauf genommen, weil die Stoffbearbeitung verzögert werden könnte, oder dienen sie zur Optimierung eigener Vermittlungsstrategien? Werden Schülerinnen und Schüler und ihre Äußerungen „wie Rohlinge einem Fabrikationsprozeß unterworfen“ (Negt 1982: 103), wie dies Negt vermutet? In diesem Fall sind Interesse, Aktivität und Initiative der Schülerinnen und Schüler kaum zu erwarten.

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  79. Zwar besteht theoretisch Einigkeit darüber, daß Schülerinnen und Schüler selbst zu ihren politischen Erkenntnissen, Einstellungen und Wertungen kommen sollen (vgl. 1), was auch impliziert, daß es möglich sein müßte, vorläufige Einschätzungen zur Diskussion zu stellen, aber dieser Anspruch wird im Unterricht nicht immer eingelöst.

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  80. Von Vorbehalten Jugendlicher, ihre Ansichten und Erfahrungen zu äußern, berichten Behrendt/Grösch auch aus außerschulischen Veranstaltungen zur politischen Bildung. Die Jugendlichen befürchten ‚Schnüffelei‘ in persönlichen Dingen. Ob es gelingt, sie dennoch zur Beteiligung zu gewinnen, hängt nach ihren Erfahrungen wesentlich von dem persönlichen Eindruck des Pädagogen bzw. der Pädagogin ab (vgl. Behrendt/ Grösch o.J.: 88 ff).

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  81. Wenn z.B. Georg Weißeno die Schülerinnen und Schüler als ‚Lerner‘ und seinen didaktischen Zugriff als ‚Lernerdidaktik‘ bezeichnet sowie verschiedene ‚Lernertypen‘ zu bestimmen versucht, so zeigt sich in dieser bemühten Terminologie eine SubjektObjekt-Positionierung, die m.E. gerade im Sozialkundeunterricht unangemessen ist. Speziell in diesem Fach geht es doch auch für die Lehrerin und den Lehrer darum, über die Orientierungen der Schülerinnen und Schüler etwas zu lernen, möglicherweise auch an ihrer Kreativität, Phantasie und Unvoreingenommenheit zu partizipieren, sich gemeinsam einem komplexen Gegenstand oder Problem zu nähern, für das auch die Lehrenden wahrscheinlich weder die ‚richtigen‘ Fragen noch eine ‚Patentlösung‘ haben. Scarbath (1992: 15) hält es im Interesse eines gedeihlichen, kooperativen Lernklimas für wünschenswert, daß Lehrerinnen und Lehrer selbst auch ein wenig ‚Kind‘ geblieben sind, sich zumindest eine jugendliche Welthaltung bewahrt haben und erkennen lassen können, daß ihnen das geistig-seelische Wachsen der Schülerinnen und Schüler auch für ihre eigene Person wichtig ist.

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  82. Die Forderung, in der politischen Bildungsarbeit in der Schule systematisch Wissen über den Staat und seine Organe zu vermitteln, geht auf die Auseinandersetzung mit dem Konzept der Partnerschaftserziehung in den 50er Jahren zurück. Die Kritiker des Partnerschaftskonzepts, insbesondere Theodor Litt und Erich Weniger, plädierten für eine staatsbürgerliche Konzeption, in der der Staat im Mittelpunkt steht. Entsprechende Lehrstühle wurden in den 50er Jahren etabliert.

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  83. Die Skepsis des Schülers gegenüber einer Problemklärung durch ‚saubere‘ Begriffsbestimmung wird geteilt von Peter Handke (1972): „ ‚Vielleicht kennst du Menschen‘, sagte ich,,die alles, was sie sehen, auch das Erstaunlichste, sofort auf einen Begriff bringen wollen, es durch eine Formulierung bannen und damit aufhören, es zu erleben. Sie haben für alles Worte‘ “ (ebd.: 150).

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  84. Die Lehrer- und Arbeitsfragen sollen die Schüler in einem strikt vorgegebenen Rahmen aktivieren; Hilligen bezeichnet das dann vorherrschende lehrerzentrierte Unterrichtsgespräch als „angsterzeugendes Frage-Antwort-Geklapper“ (Hilligen 1981: 81). Das „pädagogisch Fatale“ an der isolierten Stoffvermittlung besteht darin, daß die Schülerinnen und Schüler meist keine Verbindung herstellen können zwischen den sie interessierenden und sie betreffenden politisch offenen Fragen und den ihnen zur Aneignung vorgesetzten Inhalten (vgl. Geiger 1986: 8). Ackermann pflichtet Rumpf bei, indem er bemängelt, daß die Schulbücher Lehrer und Schüler mit der Blindheit des Bescheidwissens zu schlagen drohen (Ackermann 1990: 256).

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  85. Trotz — oder gerade wegen — solcher didaktischer Bemühungen wird in der Literatur kritisiert, daß die Materialien die Schüler nicht ansprechen: „Der entscheidende Mangel vieler Texte liegt... in ihrer Schülerfremdheit“ (Dorn/Knepper 1987: 150), ferner beklagen die Autoren der Schulbuchanalyse das „allmähliche Verschwinden der Wirklichkeit“ (ebd.: 153) aus dem politisch-sozialwissenschaftlichenUnterricht.

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  86. Reformpädagogische Ansätze, die allein auf die schöpferischen Kräfte des Kindes vertrauen, blenden gesellschaftlich wirksame Machtfaktoren und Konkurrenzzwänge aus und können deshalb ihren selbstgesteckten Zielen nicht gerecht werden. Kindergärten und Schulen, die z.B. die Montessoripädagogik umsetzen, für die ein hohes Maß an kindlicher Selbstbestimmung zentral ist, praktizieren meist Mischformen von ‚Freiarbeit‘ und Phasen gebundenen Unterrichts.

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  87. Ausreichend Zeit zum Sich-in-Beziehung-Setzen zum Thema sowie zur Reflexion kann nur zur Verfügung gestellt werden, wenn die Lehrpläne eine entsprechende Themenreduktion vornehmen und damit die Freiräume der Lehrerinnen und Lehrer wieder erweitern.

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  88. Alfred Döblin spricht von der „gelehrten Vertrocknung“; das Wissen schiebt sich zwischen den Menschen und das Leben, es gibt keine unmittelbare Erfahrung mehr, sondern nur Präpariertes: keine Authentizität, sondern Wissen aus zweiter Hand, was zu Konsumhaltungen und Ohnmacht führt.

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  89. Dieses sind nur einige der Vorschläge. Der von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebene Band ‚Zur Theorie und Praxis der politischen Bildung‘ befaßt sich, als Ergebnis einer gleichlautenden Tagung, mit den Gräben zwischen Theorie und Praxis wie den entsprechenden Problemlösungsmöglichkeiten. Claußen schlägt z.B. den Ausbau von politikdidaktischen Forschungs- und Lehreinrichtungen vor, die Freistellung von Lehrkräften für Kontaktstudien usw. (Claußen 1990: 281). Auch Janssen plädiert für regelmäßige Freisemester für Praktiker sowie für Erfahrungen in der Praxis für Erziehungswissenschaftler (vgl. Janssen 1990: 307).

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  90. In der fachdidaktischen Diskussion ist in diesem Zusammenhang die Frage gestellt worden, inwieweit Theorie überhaupt den politischen Unterricht bestimmen, strukturieren und formen kann (vgl. Nitzschke 1982).

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  91. So z.B. auch bei Geiger (1974), wenn er guten Sozialkundeunterricht dadurch kennzeichnet, „daß er die Beteiligten in Lernprozesse zu verwickeln vermag, in denen für sie spürbar etwas ‚aufgeht‘, daß er Erfahrungen ermöglicht, die ihr Bewußtsein auf eine neue Stufe heben. Es handelt sich also in erster Linie um die didaktische Anlage sachlich gehaltvoller und effektiver Reflexionsprozesse. Was dabei geleistet werden muß, ist die Konzeption eines potentiellen Erkenntnisprozesses in seiner konkreten Gestalt, als Einheit von Inhalt und Form... als Verlauf, der eine Pointe hat (oder mehrere), in der das Lehrreiche der Sache auffällig wird“ (ebd.: 56). Auch hier werden im wesentlichen nur Ansprüche und Ziele formuliert; die Realisierung bleibt den ‚Praktikern‘ überlassen.

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  92. Da für den Sozialkundeunterricht Untersuchungen über praktizierte Unterrichtsformen weitgehend fehlen, möchte ich meine Behauptung durch ein Untersuchungsergebnis im Nachbarfach Geschichte untermauern: Aus Schülersicht stellt sich der Unterricht so dar, daß ‚Projektarbeit‘ und ‚forschendes Lernen‘ in der Unterrichtspraxis keinen zentralen Stellenwert einnehmen (vgl. v. Borries 1995: 109); die Unterrichtswirklichkeit, so resummierend v. Borries, stellt sich aus der Schülerperspektive „keineswegs in den Lehr- und Lernformen dar, die die neuere Fachdidaktik seit 1970 als wünschenswert empfiehlt... Die Befragten schildern uns den wohlvertrauten lehrerzentrierten und faktenorientierten Alltag der herkömmlichen Schule — wenn auch in sehr gemilderten Intensitäten (ebd.: 115).

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  93. Wegen solcher Schwierigkeiten plädiert Roloff dafür, daß anstelle der wöchentlichen Schulstunde jede Schulklasse ein- bis zweimal jährlich für mehrere Tage an Veranstaltungen der außerschulischen Jugendbildung teilnimmt, um an derartigen handlungsorientierten Methoden partizipieren zu können (Roloff 1990: 197 f).

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  94. Selbstbestimmtes Lernen entwickelt sich in der Auseinandersetzung mit Herausforderungen, die von außen kommen. Es unterscheidet sich von curricularem Lernen dadurch, daß die Absichten, das Lehrprogramm des/der Erziehenden nicht einfach übernommen, sondern in eine eigene Lebensperspektive eingearbeitet werden (vgl. Schulze 1985: 47), z.B. durch Abwehr, Widerstand, aber auch durch Anerkennung und Umwandlung.

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  95. Aufgrund der angestrebten bzw. der vorhandenen ‚Ehe‘ zwischen der Politischen Wissenschaft und der Fachdidaktik Gesellschaftswissenschaftenwird die fachdidaktische Disziplin häufig als ‚Politikdidaktik‘ oder als ‚Fachdidaktik Politik‘ bezeichnet. Hier sehe ich — entgegen dem Selbstverständnis, daß es sich um eine Disziplin mit integrativem Anspruch handelt — die Tendenz, die Bereiche Wirtschaft und Soziologie abzukoppeln, aber u.U. auch pädagogische Perspektiven zu vernachlässigen.

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  96. Schorlemmer merkt an, daß der junge Bismarck im Jahre 1847 im deutschen Sprachgebiet zuerst das Wort ‚Zivilcourage‘ öffentlich benutzt habe. Er war ausgebuht worden, und diejenigen, die seiner Position eigentlich zustimmten, schwiegen. Bismarck wandte sich daraufhin mit den Worten an das Plenum: „Mut auf dem Schlachtfeld ist bei uns Gemeingut. Aber Sie werden es nicht selten finden, daß es ganz achtbaren Leuten an Zivilcourage fehlt“ (zit. nach Schorlemmer 1994: 39).

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© 1996 Leske + Budrich, Opladen

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Hoppe, H. (1996). Subjektorientierung als uneingelöste Perspektive der Fachdidaktik. In: Subjektorientierte politische Bildung. Schriften zur politischen Didaktik, vol 26. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-01420-1_4

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