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Politische Orientierungen und Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern — Geschlechterdifferenz und Didaktik der Gesellschaftswissenschaften

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Subjektorientierte politische Bildung

Part of the book series: Schriften zur politischen Didaktik ((POLDID,volume 26))

Zusammenfassung

Im vorigen Kapitel konnte anhand der Darstellung und Deutung der aktuellen Lebensbedingungen unserer Jugendlichen gezeigt werden, daß ein personenorientierter Zugang zu gesellschaftspolitischen Fragen im Sozialkundeunterricht die Identitätsbildung Heranwachsender unterstützt und damit wichtige Voraussetzungen für ihre politische Handlungskompetenzzu schaffen verspricht.

In dem Augenblick, da die Frauen an der Gestaltung der Welt teilzunehmen beginnen, ist diese Welt noch eine den Männern gehörige: diese selbst zweifeln nicht daran, und auch jene bezweifeln es kaum.

Simone de Beauvoir

Fragen der ‚Geschlechterdifferenz‘ beziehen sich sowohl auf individuelle wie auf gesellschaftliche Aspekte. Die Annäherung an den Begriff ‚Geschlechterdifferenz‘ erfordert insofern einen interdisziplinären Zugriff, der u.a. historische, soziologische, psychologische und sozialisationstheoretische Sichtweisen aufeinander zu beziehen versucht (vgl. Becker-Schmidt 1992: 65). Im anglo-amerikanischen Sprachraum existieren für die biologische Geschlechtszugehörigkeit einerseits und sozial bzw. gesellschaftlich bedingte Geschlechterdifferenzen andererseits verschiedene Begriffe: Während die biologische Geschlechtszugehörigkeit mit ‚sex‘ bezeichnet wird, ist zur Unterscheidung von Männer- oder Frauenwelten hinsichlich ihrer sozialen und politischen Aspekte der Begriff ‚gender‘ gebräuchlich. Wenn im Folgenden zur Debatte steht, was es für Mädchen oder für Jungen heißt, sich in der Schule und im Sozialkundeunterricht zurechtzufinden, wahrgenommen zu werden und sich auseinanderzusetzen, dann ist mit ‚Geschlecht‘ jeweils die soziale Strukturkategorie gemeint.

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Literatur

  1. In der Literatur wird zwischen geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen unterschieden, die ausschlieβlichbei Angehörigen eines Geschlechts vorkommen sollen, wohingegen der Begriff ‚geschlechtstypisch ‘dann verwendet wird, wenn eine Verhaltensweise überwiegend bei einem Geschlecht zu beobachten ist. Da es im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung aber keine Ausprägungen gibt, die ausschließlich bei einem Geschlecht auftreten, geht diese begriffliche Unterscheidung hier ins Leere. Deshalb verwende ich die Begriffe ‚geschlechtstypisch‘ und ‚geschlechtsspezifisch‘ synonym füür Verhaltensweisen und Orientierungen, die überwiegend bei Angehörigen eines Geschlechts auftreten (vgl. Tillmann 1993: 284, Anm. 7, für eine Differenzierung der Begriffe vgl. Grammes/Richter 1993).

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  2. Nicolaus Sombart entwickelt ähnliche Vorstellungen, wenn er die Tradition der Salons wiederbeleben möchte. Er klagt darüber, daß Männern heute die Möglichkeit fehlt, sich im Salon bewegen und beweisen zu lernen, weil ambitionierte Frauen heutzutage einen Beruf haben und keinen Salon mehr führen. Diese Entwicklung sei auch für Frauen nachteilig, treten doch berufstätige Frauen dem Mann bestenfalls als Gleichberechtigte gegenüber, während sie im Salon ‚Königinnen‘ gewesen seien, „allen Männern turmhoch überlegen!“ (Sombart 1986: 57). Möglicherweise, so möchte ich hinzufügen, waren einzelne tatsächlich ‚Königinnen‘ im Salon, aber welche Entscheidungsmöglichkeiten hatten sie außerhalb des Salons? Und welche Gestaltungsmöglichkeiten hatten Frauen, die keinen Salon führten? Die sog. ‚Kavalierserziehung‘ war ein wichtiges Argument für die Einführung der Koedukation: Die Jungen würden durch das ‚sanfte Geschlecht‘ diszipliniert und dadurch in ihrer sozialen Entwicklung gefördert (vgl. Metz-Göckel 1987: 465).

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  3. Der Begriff ‚Geschlechterverhältnis‘ soll zum Ausdruck bringen, daß die Geschlechtszugehörigkeit für das individuelle Selbstverständnis wie auch die politischgesellschaftliche Orientierung von wesentlicher Bedeutung ist.

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  4. Im alten Bundesgebiet beträgt der Anteil der Jungen, die sich daran erinnern, häufig mit Spielzeugpistolen und -gewehren gespielt zu haben, nur 61,6%, während er in den neuen Bundesländern wesentlich höher liegt (73,3%) (vgl. Jugend ’92 1992: 302 ff).

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  5. Zu den von Jungen und Mädchen in Ost- und Westdeutschland gleichermaßen bevorzugten Tätigkeiten gehört das Schallplatten- und Kassettenhören (vgl. Jugend ’92 1992: 302 ff). Zu den Freizeitaktivitäten deutscher und türkischer Jugendlicher unter geschlechtsspezifischen Aspekten vgl. Popp 1994: 96 ff.

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  6. Im europäischen Vergleich fällt auf, daß in der Bundesrepublik (alt) die Überzeugung, Politik sei Männersache, besonders fest verankert ist. Auf die Frage: ‚Soll Politik den Männern überlassen werden?‘ äußern sich hier 28% der Bevölkerung zustimmend. Zum Vergleich: In Frankreich bejahen diese Frage 12%; in den Niederlanden 10%, in Großbritannien 7% und in Dänemark 4% der Bevölkerung (vgl. Weiss 1990: 185). Das vergleichsweise geringe politische Interesse von Mädchen und jungen Frauen mag teilweise auf ihre Vorstellung zurückgehen, die Privatsphäre — eine ihnen besonders wichtige Domäne — sei vom Bereich der Öffentlichkeit getrennt, die persönlichen Lebensformen hätten mit ‚Politik‘ nichts oder wenig zu tun (vgl. Breit 1990: 1). Die Frage, ob diese Überzeugung in anderen Ländern weniger stark verankert ist, kann ich nicht beantworten.

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  7. Daß die Bedeutung von Politik für das eigene Leben nicht offensichtlich ‚auf der Hand liegt‘, spricht ein Abiturient an. Auf die Frage, für welche Aspekte des Faches Sozialkunde er sich besonders interessiert, antwortet er: „Besonders Politik, weil das eigentlich jeden betrifft, finde ich... das wissen nur nicht alle so“ (André T., in Weißeno 1989: 180). Die Erkenntnis, daß Politik das eigene Leben beeinflußt, kann auch egoistisch genutzt werden, wobei die Interessen anderer ausgeblendet bleiben: „In der Politik kann ich z.B. sagen, wir müssen irgendwas kürzen, betrifft mich das, ja oder nein. Gut, wenn’s mich betrifft, bin ich natürlich dagegen, betrifft’s mich nicht, ist es mir ganz egal oder ich bin sogar dafür“ (Volker K., in Weißeno 1989: 183).

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  8. Bei der Kennzeichnung bestimmter Fähigkeiten und Eigenheiten als ‚weibliche‘ und ‚männliche‘ bin ich mir der Problematik bewußt, daß es sich um vereinfachende, tendenziell polarisierende und oft auch unzutreffende Zuschreibungen zu einem Geschlecht handelt, die die Vielfalt bestehender unterschiedlicher Kompetenzen innerhalb der jeweiligen Geschlechtsgruppe nicht zum Ausdruck bringen und den Gedanken nahelegen könnten, es handle sich um ‚Wesens- oder Natureigenschaften‘ des einen oder anderen Geschlechts. Nicht alles kann, etwa weil es eine Frau oder ein Mann tut, als ‚weiblich‘ oder ‚männlich‘ bezeichnet werden (vgl. Knapp 1987: 247). Wenn ich diese Bezeichnungen dennoch verwende, dann deshalb, weil derartige Zuschreibungen real existieren, weil darüber hinaus auch die Frauenforschung gerade in der Differenztheorie solche Zuordnungen verwendet und sie eine gewisse Assoziationskraft besitzen, die Aspekte der Realität widerspiegelt. In einem ganzheitlichen didaktischen Ansatz wird es darum gehen, derartige Zuordnungen, Polarisierungen und Festschreibungen von Verhaltensweisen und Eigenschaften auf das eine wie das andere Geschlecht gerade zu überwinden.

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  9. Anläßlich eines Experiments über Gewaltphantasien sollten Studentinnen und Studenten eine Geschichte zu einem Bild schreiben, welches ein Paar zeigt, das auf einer Bank am Fluß sitzt. Das Ergebnis: Über 20% der männlichen Studenten schreiben Geschichten, die von Gewalttaten handeln (Mord, Selbstmord, Vergewaltigung usw.), während keine der am Experiment beteiligten Frauen Gewalttaten in die Szene projiziert (vgl. Gilligan 1984: 44).

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  10. Neuere Erhebungen zeigen, daß die Mitarbeit in Bürgerinitiativen insgesamt derzeit stagniert; der Anteil von Männern und Frauen, die sich in Bürgerinitiativen engagieren, scheint sich anzugleichen (vgl. Bundesministerium für Frauen und Jugend 1994: 84ff). In Selbsthilfegruppen, vor allem im Sozialbereich, überwiegt deutlich der Anteil der Frauen (vgl. Meyer 1992).

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  11. Parteimitglieder sind überwiegend Männer. Im alten Bundesgebiet geben 12% der Männer an, Mitglied in einer Partei zu sein, aber nur 4% Frauen (Ost: 7% Männer, 6% Frauen) (vgl. Materialien 1994: 84 ff). Über ihre oft problematischen Erfahrungen in Parteien haben Frauen vielfach berichtet, exemplarisch vgl. Jansen 1991.

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  12. Die Shell-Jugendstudie ’92 ermittelt verschiedene ‚Lebensstile‘, z.B. eine ‚konventionell-kommerzielle Orientierung‘ eine ‚modisch-hedonistische Orientierung‘ usw. Als Domäne weiblicher Jugendlicher (West) gilt der Lebensstil ‚Subjektbezogenheit und ökologisch-ganzheitliche Orientierung‘, der näher dadurch gekennzeichnet ist, daß Interesse an neuen sozialen Bewegungen besteht, in der Freizeit kulturelle Praktiken wie Schreiben, Malen und Fotografieren sowie entspannende Tätigkeiten gepflegt werden (vgl. Jugend ’92 1992: 280ff). Hier zeigen sich fließende Übergänge zwischen kulturellen und politischen Orientierungen.

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  13. Die Begriffe ‚Frauenforschung‘, ‚feministische Wissenschaft‘ und ‚feministische Perspektive‘ verwende ich synomym: Sie sind nicht eingeschränkt auf den Bereich ‚Forschung über Frauen‘, sondern sie beinhalten den Anspruch einer die Grenzen bestehender Disziplinen überschreitenden Sichtweise, die Frauen und Männer in ihren gesellschaftlichen sowie geschlechtsspezifischen Bedingungen reflektiert. Insofern hat sich inzwischen die Frauenforschung vielfach zur Geschlechterforschung weiterentwickelt, die Relationales und Differentes zwischen Frauen und Männern untersucht. In feministischer Perspektive wird das Geschlechterverhältnis als Herrschaftsverhältnis analysiert mit dem Ziel, herrschaftliche Strukturen in der Geschlechterbeziehung zu beseitigen. Wege zu diesem Ziel können darin bestehen, sich für eine Umverteilung bezahlter Männer- und unbezahlter Frauenarbeit einzusetzen, Frauen über Quoten den Zugang zu öffentlichen Ämtern zu eröffnen usw.. Mit der Parteinahme für die Belange der Frauen versucht die forschende Person sich selbst mit zu erkennen, sie richtet ihren Blick in ‚anderer‘ Weise auf ‚andere‘ Gegenstände (vgl. Ortmann 1984 b: 65). Die herrschaftskritische Perspektive zieht die Kritik ‚herkömmlicher‘ wissenschaftlicher Disziplinen auf sich mit dem Argument, daß Parteilichkeit und Wissenschaftlichkeit einander ausschlössen— eine Korrelation, die in der traditionellen Wissenschaft gar nicht erst auf dem Prüfstand landete.

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  14. Die Abstinenz der Frauen gegenüber Öffentlichkeit/Politik kann zur Entlastung von politischer Verantwortung und als ‚Entpolitisierungsstrategie‘ eingesetzt werden, z.B. wenn sich eine Frau (Jg. 1915) an die Zeit des Nationalsozialismus erinnert und zusammenfaßt: „Ich war verliebt und verlobt und verheiratet und krichte Kinder und damit war mein Horizont total erschöpft“ (Erika Schild, in: Rosenthal 1990: 49). Diese Beschränkung auf Kinder und Herd benutzt sie als Abwehrmechanismus, um sich vor der Reflexion der Vergangenheit und ihrer politischen Haltung zu schützen (ebd.: 50). Denn wer unpolitisch ist, trägt für die Verbrechen des Nationalsozialismus keine Verantwortung. Alle im Rahmen der Studie Erzählenden nutzen unterschiedliche Typen von Entpolitisierungsstrategien, wobei Männer typischerweise ihre Soldatenjahre als unpolitische Zeit beschreiben (vgl. ebd.: 223 ff).

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  15. Eine Ausnahme bilden die Beiträge von Dagmar Richter, die aber im Ergebnis — außer der Betonung von Defiziten — nur dahin zielen, auf den verschiedenen Analyseebenen Policy, Polity und Politics Möglichkeiten aufzuzeigen, das Thema ‚Frau‘ mit abzuhandeln (vgl. Richter 1992). Da ich davon ausgehe, daß aufgrund der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und entsprechender geschlechtsspezifischer Kompetenz- und Inkompetenz-Zuschreibungen eine Ent-Hierarchisierung von Fähigkeiten und eine verlorengegangene Vielfalt von Lern- und Handlungsmöglichkeiten in der Schule einzuleiten ist, halte ich die Diskussion allein auf der thematischen Ebene für verkürzt.

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  16. Insgesamt ist das Angebot in der Aus- und Fortbildung mit etwa 2% absolut randständig und im wesentlichen des persönlichen Engagements einzelner Dozentinnen und Dozenten, nicht aber einer systematischen Integration von Gesichtspunkten der Geschlechterverhältnisse in das universitäre Curriculum geschuldet (vgl. Geschlechterverhältnisse 1993: 9 ff).

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  17. Diese langjährige Konzentration auf den Bereich Naturwissenschaft/Technik schlägt sich auch in anspruchsvollen Zielen nieder: So strebt z.B. im Bereich Didaktik der Mathematik an der Freien Universität Berlin ein Forschungsprojekt an, das bestehende Curriculum zu revidieren, die Arbeitsweise im Unterricht, das Bewertungssystem und herrschende geschlechtsbezogene Klischees in Frage zu stellen, um so nicht nur zu einer Verbesserung der Situation für Mädchen, sondern zu einer allgemeinen Verbesserung des Mathematikunterrichts zu gelangen (vgl. ebd.: 39 ff).

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  18. Insgesamt zeigt der Forschungsbericht, daß die Geschlechterthematik meist im Rahmen der Allgemeinen Erziehungswissenschaft, kaum aber in den Fachdidaktiken auftaucht. Wird sie in Fachdidaktiken thematisiert, dann meist in naturwissenschaftlichen Fächern. Einzig an dem Modellversuch „Mädchen und Jungen in der Schule — Kompetenzen entwickeln — die eigene Rolle finden“ der Universität Koblenz-Landau ist das Unterrichtsfach Sozialkunde in die Analyse einbezogen, wenn auch als eines unter vielen, nämlich neben Deutsch, Geschichte, Mathematik, Chemie und Physik. Erwähnt werden in dem Forschungsbericht auch Arbeiten für das 2. Staatsexamen. In Hamburg wurden zwischen 1977 und 1993 zu Fragen, die im Titel eine geschlechtsdifferenzierende Ausrichtung erkennen lassen, im Fach Sozialkunde/Politik sieben Arbeiten vorwiegend zum Thema „Gleichberechtigung von Mann und Frau“ oder „Doppelbelastung der berufstätigen Frau“ verfaßt (vgl. Geschlechterverhältnisse 1993: 153 f).

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  19. Die Aussagen über das Interesse der Mädchen am Unterricht sind in der fachdidaktischen Literatur widersprüchlich: Grammes stellt aufgrund sporadischer Unterrichtsbeobachtungen fest, die Mädchen seien „nachdenklich und formulieren Bedenken, wenn man Zeit gibt“ (Grammes 1992: 63, Anm. 15), während insbesondere Berufsschullehrerinnen und -lehrer das Desinteresse von Schülerinnen an politischen Fragen beklagen. Sie gelten zwar als lernwillig, in ihren Ansichten aber nicht als eigenwillig und originell: „Wenn es um heiße geschichtliche Themen geht, sind nur die Jungen da. Ein oder zwei Mädchen, die machen da mit, aber die wirklich brillanten Sachen werden immer von den Jungen gebracht“ (vgl. Brehmer 1982: 69).

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  20. Zwar beansprucht Weißeno nicht ausdrücklich, seine Befragung (auch) unter geschlechtsspezifischer Perspektive anzulegen. Dennoch wäre eine Begründung, warum weniger weibliche als männliche Schüler zu Wort kommen, wünschenswert gewesen. Warum erfragt er von den Interviewten den Beruf des Vaters, aber nicht den der Mutter?

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  21. Eine Aufgabe fachdidaktischerUnterrichtsforschungsprojektebestünde z.B. darin, zu beobachten, ob und in welcher Weise schulische politische Bildungsprozesse geschlechtsspezifischunterschiedlich verlaufen, ob und wie also die geschlechtsspezifischen Sozialisationserfahrungen in verschiedenen Altersstufen die schulische Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Fragen beeinflussen. Diese Frage basiert auf der Überlegung, daß Mädchen und Jungen zwar einerseits in die je vorhandenen gesellschaftlichen Verhältnisse mit ihren Unterdrückungs- und Diskriminierungsmechanismen ‚fraglos‘ hineinwachsen, daß aber solche Mechanismen nur weiterwirken können, wenn sie immer wieder mitvollzogen und hergestellt werden (vgl. Haug 1990: 14 und die ‚Opfer-Täter-Debatte‘ in der Frauenforschung). Welche ‚geheimen Verbote‘ hindern z.B. Mädchen daran, ihre Kompetenzen für die politische Mitgestaltung einzusetzen, und welche ‚geheimen Verbote‘ verwehren es z.B. Jungen, sich zu ihren Schwächen, Unterdrückungserfahrungen und Ängsten zu bekennen? Verschie. dene Kommunikationsformen und Arbeitsarrangements (handlungsorientierte Arbeitsformen wie z.B. Durchführung von Interviews zu bestimmten Themen, Problemanalyse in Gruppenarbeit usw.) können im Unterricht Aufschluß darüber geben, welche unterschiedlichen Zugänge und Ansprüche an Inhalte und Handlungsformen der politischen Bildungsarbeit Mädchen und Jungen mitbringen, um diese dann der Reflexion und ggf. der Veränderung zugänglich machen zu können.

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  22. Bei dem von Lutter-Link und Reinhardt vorgestellten Protokollteil „Export einer Chemiefabrik“ fehlen Angaben zur Klassenstufe, die gerade für eine geschlechtsspezifische Auswertung von großem Interesse wären, sowie zur Gruppenaufteilung: Warum sind an den drei Arbeitsgruppen insgesamt nur elf Schülerinnen und Schüler beteiligt? Ist die Klasse so klein? Wie wurde versucht, die möglicherweise anderen Mädchen in der Klasse für die Gruppenarbeit zu motivieren?

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  23. Die von Hembd/Kuhn dokumentierte und ausgewertete Stunde zum Thema Massenmedien bietet die vergleichsweise besten Möglichkeiten einer geschlechtsspezifischen Analyse, da die Beiträge der Schülerinnen und Schüler und auch die Fragen und Impulse des Lehrers wörtlich wiedergegeben werden. Aber bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus, daß die Beiträge eines Schülers oder einer Schülerin nur unter dem Buchstaben S‘ wiedergegeben werden (vgl. S. 62, 67, 68, drei Äußerungen auf 75, je eine weitere auf 77 und 78), ein Schüler erscheint als ‚Chrissie‘. Dabei lag es für mich nicht unbedingt nahe, hinter der Kurzform ‚Chrissie‘ einen Jungen zu vermuten, was sich später eher zufällig aus dem Gesprächszusammenhang herausstellt. Verbirgt sich hinter der im Sitzplan nicht verzeichneten ‚Christa‘ (ebd.: 55) der Junge Chrissie oder das Mädchen Kristina?

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  24. An der Befragung von Harms/Breit beteiligen sich 18,1% Sozialkundelehrerinnen. Die Autoren vermuten, daß dieser Prozentanteil dem tatsächlichen Frauenanteil unter den Lehrkräften des Faches Sozialkunde entspricht und fragen, wie „das Selbstverständnis von Frauen als politisch aktive Bürgerinnen geweckt werden (soll), wenn sich bereits in der Schule ‚Politik‘ als Domäne von Männern darstellt“ (vgl. Harms/Breit 1990: 140).

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  25. Von den feministischen Soziologinnen sind fur die Fachdidaktik bisher keine direkten Impulse ausgegangen, weil die Soziologie keine Didaktik ihrer Disziplin entwikkelt hat. Soziologie ist zwar — neben der Politischen Wissenschaft und den Wirtschaftswissenschaften — eine der Bezugsdisziplinen für den Bereich der politischen Bildung, und Soziologinnen und Soziologen stellen einen nicht unerheblichen Anteil der MitarbeiterInnen in der schulischen und außerschulischen politischen Bildungsarbeit, ohne daß dies allerdings bisher innerhalb der Soziologie zur Entwicklung ‚eigenständiger‘ fachdidaktischer Ambitionen geführt hätte.

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  26. Dabei handelt es sich nicht — wie bei den Soziologinnen — um einen längerfristigen Zusammenschluß von Frauen, die in der politischen Bildungsarbeit tätig sind, sondern lediglich um eine Arbeitsgruppe während eines Kongresses in Erfurt zum Thema: „Brauchen wir eine frauenspezifische politische Bildung?“

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  27. Soweit bisher Fragen nach einem ‚anderen‘ weiblichen Politikverständnis diskutiert werden, geschieht das meist abseits der etablierten wissenschaftlichen Disziplinen: In möglichst spektakulären Veranstaltungen versuchen Parteien, Frauen an ihrer Arbeit zu interessieren und zur Mitarbeit zu gewinnen. Inzwischen „gibt es keine Partei, die nicht mindestens eine Jahrestagung zur ‚Frauenpolitik‘ unter Aufbietung allerhöchster Mandatsträger abgehalten hätte. Selbst die katholische Kirche erlaubte ihren Frauenverbänden, die Frage nach der Macht zu stellen (im März 1991 auf einer Tagung der hauptamtlichen Referentinnen der katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands — H.H.), und in Evangelischen Akademien entdeckten Mitarbeiterinnen ‚die unentdeckte Kraft von Mädchen und Frauen‘ (so der Titel einer Tagung der Ev. Akademie Bad Boll im Februar 1991 — H.H.)“ (Meyer 1992: 4). Ausnahmeerscheinungen sind an der Universität dagegen bisher noch Seminare zum Thema Frauen und Politik (vgl. Geschlechterverhältnisse 1993).

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  28. Marianne Rodenstein machte diese Erfahrung im Jahre 1972 und verweist in ihrem Beitrag auf die inzwischen gewichtige Position feministischer Organisationen, die im Bereich der Stadtplanung tätig sind.

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  29. Mir geht es nicht darum, etwa ein Curriculum ‚Frauen-Politik‘ zu entwerfen, wie dies in den 70er Jahren z.B. für das Fach Geschichte versucht wurde (vgl. v. Borries/Kuhn 1978).

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  30. In der Soziologie richtet sich die Reflexion solcher Diskriminierungs- und Ausgrenzungsmechanismen bisher insbesondere auf die Problematisierung des auf den Erwerbsbereich bezogenen Arbeitsbegriffs sowie auf die beruflichen Orientierungen und Erfahrungen von Frauen. Seit Anfang der 80er Jahre werden Fragen und Probleme, z.B. beim Übergang in den Erwerbsbereich, beim beruflichen Aufstieg, bei der Anerkennung von Kompetenzen und Erfahrungen durch Familienarbeit usw., in der entsprechenden Fachliteratur breit reflektiert (vgl. Beck-Gernsheim 1980; CramonDaiber u.a. 1984; Eckart u.a. 1979). Verschiedene politische Maßnahmen und Initiativen in diesem Bereich (Frauenförderpläne, Modellprojekte für junge Frauen, die in einem, Männerberuf tätig werden wollen, Fördermaßnahmen für Mütter usw.) haben mit dazu beigetragen, daß sich die beruflichen Ambitionen und Ansprüche von Frauen Schritt für Schritt verändern.

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  31. Die aktuelle, kontrovers geführte Diskussion innerhalb der sozialwissenschaftlichen Frauenforschung über Sinn und Unsinn der Anbindung feministischer Forschungsarbeiten an (verschiedene?) gesellschaftstheoretische Ansätze (vgl. z.B. BeckerSchmidt 1992, die auf die Aktualität des marxistischen Ansatzes für die Frauenforschung verweist) greife ich hier nicht auf, zum einen weil diese Diskussion für die Bearbeitung meines konkreten Forschungsgegenstandes kaum relevant ist und zum anderen gerade dem Anliegen dieser Arbeit, nämlich erfahrungsbezogene Bildungsprozesse zu initiieren, nicht entspricht. Hier richtet sich die Frage auf die Entwicklung der Frauen und auf die Strukturen, in denen sie sich bewegen.

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  32. Bei dem Versuch, einige wesentliche Entwicklungslinien des Geschlechterverhältnisses durch Rückgriff auf die Geschichte nachzuzeichnen, geht es mir nicht um den Entwurf einer Theorie für die Entstehung patriarchalischer Gesellschaften, noch um eine abermalige Selbstvergewisserung des Opferstatus von Fauen, sondern darum, eine Fundgrube für mögliche Ansätze ‚weiblicher‘ Politik- und Lernformen zu erschließen, sowie geschlechtsspezifische Zuschreibungen kritisch zu reflektieren und für den Unterricht nutzbringende Schlüsse zu ziehen.

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  33. Wenn hier von ‚Einmischung‘ als politischem Handeln die Rede ist, so darf dabei nicht außer acht bleiben, mit welcher Zielsetzung diese Handlungsbereitschaft verbunden ist (vgl. kritisch H. Ackermann 1993). Denn ‚Einmischung‘ betreiben auch rechtsextreme Gruppierungen, während weibliche Einmischung gerade darin bestehen könnte, solchen zerstörerischen und menschenverachtenden politischen Aktivitäten ein Gegengewicht entgegenzusetzen.

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  34. Wenn ich mich hier besonders auf den Zugang von Mädchen zu gesellschaftspolitischen Fragen und Problemen konzentriere, so bedeutet das nicht, daß die der Jungen und Männer nicht problematisierungsbedürftig wären. Da aber das Thema ‚Mädchen und Politik‘ bisher noch kaum, das Thema ‚Junge bzw. Mann und Politik‘ implizit bereits oftmals bearbeitet wurde, halte ich diese Einschränkung des Blickwinkels für gerechtfertigt.

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  35. Die Forderung, innerhalb des bürokratisch und herrschaftlich strukturierten Wissenschaftsbetriebes ‚gegenkulturelle Orientierungen‘ durchzusetzen, wurde von Ilse Dröge-Modelmog aufgestellt während der Tagung „Ausgegrenzt und Mittendrin — Frauen in der Wissenschaft“ am 23./24. Okt. 1992 an der Humboldt-Universität Berlin. Ähnlich forderte die Soziologin Kirsch-Auwärter während derselben Tagung eine „Umwertung der Werte“, um die ‚Stärke weiblicher Schwäche‘ in beruflichen Erfolg umzumünzen. Auf welche Weise dies erreicht werden kann und soll, blieb allerdings offen.

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  36. Wenn ich hier lediglich eine Synthese und insofern eine ‚Korrektur‘ vorhandener fachdidaktischer Konzeptionen durch eine systematische Berücksichtigung des Geschlechterverhältnisses anstrebe, so bin ich mir bewußt, daß diese Perspektive als ‚Gleichbehandlungsstrategie‘ gelegentlich kritisiert werden wird. Dennoch scheint mir dieses Vorgehen gerechtfertigt, da es in einem ersten Schritt zunächst einmal darum gehen kann und muß, den Mädchen und Frauen selbst die Möglichkeit zu eröffnen, sich über ihr möglicherweise ‚anderes‘ Politikverständnis klar zu werden und ihr Anliegen dann selbst zu vertreten.

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  37. Wenn ich hier den Aspekt betone, daß Christinnen eher zum Schweigen als zum Reden ermuntert wurden und werden, so sollen doch gegenläufige Entwicklungen im Christentum auch erwähnt werden. So hat die klassische Philosophie mit dem Menschen als einem freien, geistbestimmten Wesen eindeutig den Mann gemeint, demgegenüber die Frau im wesentlichen als Mutter und Verwalterin des Hauses gesehen wurde. Die Schöpfungsgeschichte spricht Mann und Frau den gleichen Ursprung und Würde zu, und zwar unabhängig vom Geschlecht (Gal. 3,28). Außerdem kennt das Christentum keine Tempelprostitution, stattdessen die Lebensform der unabhängigen Jungfrau und Witwe.

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  38. Die Ansichten von Kirchenvätern prägten jahrhundertelang das herrschende Frauenleitbild und wurden auch von den fortschrittlichen Denkern der verschiedenen Epochen aufgegriffen. Danach ist die Frau das ‚schwache Werkzeug‘, das aufgrund innerer Haltlosigkeit auf die männliche Autorität und Führung angewiesen ist, um dereinst die ewige Glückseligkeit erreichen zu können. Das Ziel der Erziehung von Mädchen ist folglich durch einen festen Tugendkatalog definiert: Gottesfurcht, Fleiß, Sauberkeit, Ordnungsliebe, Häuslichkeit, Sparsamkeit, Gehorsam, Schamhaftigkeit. Dies alles ließ sich unter einem strengen Vater und einer vermittelnden Mutter im Hause lernen; eine Schulung des Intellekts war unnötig, möglicherweise schädlich (vgl. von der Lieth 1989: 11).

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  39. Über die Ursachen des Ausschlusses von Frauen aus dem Bereich der Öffentlichkeit existieren unterschiedliche Vermutungen: Zum einen wird auf biologische Gründe hingewiesen, nämlich auf die natürliche Fähigkeit der Frau zur Mutterschaft und zum Stillen, woraus ihr soziale Rollen zuwachsen, die sie an das Haus binden, während der Mann sich auf außerhäusliche Tätigkeiten spezialisiert, die planerische Fähigkeiten erfordern und hervorbringen (de Beauvoir 1951: 72). Die tradidtionellen sozialen Aufgaben verleihen beiden Geschlechtern eine jeweils unterschiedliche psychische Struktur, die dazu führt, daß sich der Mann als Subjekt bestimmt, die Frau dagegen als ‚das Andere, das zweite, das unwesentliche Geschlecht‘ (vgl. den Originaltitel des Buches ‚Das andere Geschlecht‘ von S. de Beauvoir: ‚Le Deuxième Sexe‘). Frauen haben diese Einordnung bisher hingenommen, erlaubte sie ihnen doch auch, Verantwortung auszuschlagen und stattdessen die ‚Wonnen der Passivität‘ zu genießen. Diese Verbindung von biologischer und sozialer Begründung ist für Überlegungen zu geschlechtsspezifischen Denk- und Handlungsformen bedeutsam, da daraus folgt, daß die Sichtweise von Frauen eine eigenständige Wurzel hat. Zu psychoanalytischen Begründungen vgl. u.a. Dinnerstein 1976; Chodorow 1985; Irigaray 1991; J. Benjamin 1993. Zu sozialwissenschaftlichen Begründungen, die insbesondere auf die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern abheben, vgl. Ostner/ Pieper 1980, Beck-Gernsheim (1980).

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  40. Wie stark Bräuche und Gewohnheiten die Überzeugungen von Menschen prägen, reflektiert Tolstoi am Beispiel der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung: „Diese Sitte (die schweren Arbeiten dem Schwachen aufzubürden — H.H.) beherrscht so sehr unsere Gewohnheiten, daß der freidenkendste und ritterlichste Mann bereit ist, für das Recht der Frau, Professorin oder Geistliche zu sein, zu kämpfen und das von der Frau hingefallene Taschentuch unter Lebensgefahr aufzuheben, ohne daß ihnen jemals in den Sinn kommt, die Windel ihres gemeinschaftlichen Kindes auszuwaschen oder dem Sohne Hosen zu nähen, wenn die Frau schwanger ist, stillt, oder überhaupt müde ist, oder etwas lesen und nachdenken will“ (Tolstoi, 1901: 99).

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  41. Die Verstrickung von individuellen Vorstellungen und Orientierungen in einem hierarchischen Geschlechterverhältnis hat Margit Brückner in einer Arbeit über sexuell motivierte Gewalt herausgearbeitet. Sie zeigt, daß die kulturellen Gegebenheiten keineswegs oberflächlicher Art, daß sie bewußter Steuerung kaum zugänglich sind, sondern daß sie tiefe Schichten des Erlebens und Fühlens prägen (vgl. Brückner 1983). — So weist Ruth Klüver darauf hin, daß Männer und Frauen jeweils ‚anders‘ schreiben und lesen: In einer nach männlichen Maßstäben und Interessen organisierten Gesellschaft wird Gewalt gegen Frauen in Literatur und Kunst kaum wahrgenommen und damit implizit gerechtfertigt. Die nur leicht verbrämte Vergewaltigungsszene im ‚Heideröslein‘ wird kaum als solche wahrgenommen; Kunstwerke, die Frauen als Kriegsbeute darstellen werden bei Führungen allein unter kunst-technischen Gesichtspunkten kommentiert (vgl. Ruth Klüver: Frauen lesen anders. In: Die Zeit v. 25.11.1994: 54).

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  42. Chodorow (1985) vermutet, daß die Zählebigkeit gerade weiblicher Geschlechtsrollenstereotype darauf zurückzuführen ist, daß das ‚Muttern‘ die Wiederbelebung und Bearbeitung fundamentaler Gefühle der frühen Eltern-Kind-Beziehung ermöglicht. Obwohl die Kinderaufzucht heute wegen der geringeren Kinderzahl weniger Energien erfordern könnte, behalten Frauen das ‚Muttern‘ bei und konzentrieren ihre Ambitionen auf weniger Kinder. Hier stellt sich die Frage, warum Manner ein geringeres Bedürfnis haben sollten, ihre frühen Eltern-Kind-Erfahrungen wiederzubeleben. Für plausibler halte ich die Einschätzung Beck-Gernsheims (1980), die die halbherzigen Karriere-Ambitionen vieler Frauen darauf zurückführt, daß Frauen aufgrund der Erfahrung des ‚weiblichen Lebenszusammenhanges‘ und männlicher Institutionenprägung der Preis für eine Karriere, nämlich auf Vielfalt in der Lebensgestaltung zu verzichten, zu hoch erscheint und sie sich deshalb nur mit beschränkten Ansprüchen auf den Marsch durch die Institutionen (auch der Politik) begeben.

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  43. Im dualistischen Denken werden Erscheinungen und Erfahrungen entweder der einen oder der anderen Seite zugerechnet: Entweder handelt es sich bei einer Angelegenheit um eine Privatsache oder um ein öffentliches Anliegen, entweder bediene ich mich meines Verstandes oder meiner Sinne usw. Eine Ergänzung oder Beziehung ist nur durch übergreifende Prinzipien möglich, sei es durch den Staat (Hegel), durch Sprache (Lacan) oder durch den Sozialismus (de Beauvoir).

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  44. Von Komplementarität bei den Fähigkeiten und Eigenschaften der Geschlechter wird zwar immer wieder gesprochen, doch ist diese Annahme einer gegenseitigen Ergänzung m.E. euphemistisch, handelt es sich doch tatsächlich um die Begründung eines hierarchischen Verhältnisses, in dem Frauen Defizite zugeschrieben werden, nicht aber Männern.

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  45. Aktuell wird in der Frauenforschung die Frage diskutiert, wo die Grenzlinie zwischen den Bereichen des Öffentlichen und des Privaten zu ziehen sei. Unbestritten ist, daß eine Trennung zwischen beiden Sphären notwendig ist, um frei zu sein von staatlichen oder gesellschaftlichen Übergriffen, um aber auch davor geschützt zu sein, etwa Motive für persönliche Entscheidungen offenzulegen. Solche Rechte auf Privatheit gewährleisten, daß jeder und jede selbst bestimmen kann, wem gegenüber er oder sie Handlungen rechtfertigt in Bereichen, in denen das Individuum nach eigenem Gutdünken handeln kann. Zur Interpretation der Position Hannah Arendts vgl. Benhabib 1994.

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  46. Eine wichtige Leistung Freuds sehe ich z.B. darin, daß er die Polarisierung von ‚gesund‘ und ‚krank‘ aufgehoben oder relativiert hat; eine Leistung der Frauenbewegung sehe ich darin, an der Relativierung der Polarisierung von ‚männlich‘ und ‚weiblich‘ zu arbeiten.

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  47. Rationales Denken bedeutet, den Verstand von der Sinnlichkeit abzutrennen, sich durch Gefühle nicht beirren zu lassen und allgemeingültige, also fur jeden nachvollziehbare Gedankengänge zu formulieren. Objektive Erkenntnis, also die Feststellung von Gesetzmäßigkeiten, wird erst durch die Ausschaltung des subjektiven Faktors möglich, und zwar des Körpers und seiner Empfindungen sowie der Sinne, Erkenntnissubjekt ist der Verstand des Forschers, und dieser ist von subjektiven Besonderheiten befreit, also ‚rein‘.

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  48. Insofern unterscheidet sich abstraktes Denken von der Verallgemeinerung. Verallgemeinerungen bezieht der Praktiker durch seine sinnliche Erfahrung (Bauernregel: Abendrot, gut Wetter Bot‘). Abstraktion ist von der sinnlichen oder praktischen Erfahrung abgelöst, indem sie absolute Allgemeinheit für sich beansprucht.

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  49. Die Trennung der Arbeitsbereiche von Mann und Frau, ihre unterschiedlichen Tätigkeiten bringen verschiedene geistige Fähigkeiten und psychische Strukturen hervor. Bei ihrer Beschreibung werden in der Tradition polaren Denkens von der Antike bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in mehr oder weniger beiläufigen Aussagen von Wissenschaftlern, Philosophen und Politikern die Fähigkeiten und das Denken der Frauen stereotyp als minderwertig etikettiert: Frauen sind weniger klug als der Mann (Aristoteles), ihr Geist ist verstockt (Platon), sie sind unsystematisch und dem Augenblick unterworfen (Lichtenberg), sie können nicht objektiv denken (Hegel), sie handeln nur nach ihrer Empfiindung (Kant). Nach Kant ist die ‚Achtung‘ ein objektives Gefühl im Unterschied zur ‚Neigung‘. Achtung sieht im Anderen nicht die einzigartige Existenz, sondern die Verkörperung eines positiv bewerteten Prinzips. Erziehung zur Männlichkeit beinhalte eine stärkere Ausrichtung auf das Abstrakt-Allgemeine, das männliche Verhalten werde mehr von Prinzipien geleitet. Frauen galten Kant als Spezialistinnen der Subjektivität: Der Frau entspräche die Neigung, dem Mann der Verstand. Damit meinte er, daß Frauen aus ihrer Empfindung heraus denken, mit empirischer Anschauung vermischt und abstrakte Begriffe nicht erreichen. Kant geht zwar von einer Polarität der Geschlechter aus, sieht die Frau aber nicht als diabolisches und minderwertiges Wesen, sondern als ‚reizendes‘ Geschöpf in einem naiven Sinne (vgl. Gerl 1991: 37); durch Schönheit und Empfindung könne sie ihre Unmündigkeit voll ausgleichen. Ebenso Rousseau: „Alles, was auf die Verallgemeinerung der Begriffe abzielt, ist nicht Sache der Frauen. Ihre Studien müssen sich auf das Praktische beziehen. Ihre Sache ist es, die Prinzipien anzuwenden, die der Mann gefunden hat“ (Rousseau in Emile). Daß für die Frau mit dieser Arbeitsteilung durchaus auch Vorteile verbunden waren, daß sie also nicht nur Opfer der Verhältnisse war, betont bereits de Beauvoir: Durch ihre Beschränkung auf den Privatbereich kann die Frau Belastungen, die mit der Übernahme von Verantwortung verbunden sind, vermeiden (vgl. de Beauvoir 1951: 15), und in der Position der Vasallin doch an den Erfolgen des Mannes partizipieren.

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  50. Da es vor allem Männer waren und sind, die den Bereich von Politik, öffentlicher Reflexion und Wissenschaft dominieren und Ziele, Themen, Begriffe usw. definieren, waren nicht nur die politische, ökonomische, soziale und rechtliche Unterdrückung der Frau, sondern auch ihre Leistungen lange Zeit kein Thema. Frauen kamen bis vor kurzem weder in der Schule noch in der Öffentlichkeit vor. Deshalb gelingt es oft auch nicht, sich die Namen bedeutender Frauen zu merken, eine Erfahrung, die die Linguistin Luise Pusch formuliert: „Ich mit meinem sonst so verläßlichen Gedächtnis machte eine sehr verstörende Erfahrung: Ich konnte mir die Namen dieser Frauen einfach nicht merken. Erst sehr spät kam ich dahinter, daß das nicht an meinem Gedächtnis lag. Jede neue Information über Männer und Männerleistungen konnte ich schon irgendwo ‚hinzufügen‘ und ebenso fix wie solide verorten und entsprechend leicht wieder abrufen. In meinem Kopf war seit meiner frühesten Kindheit ein riesiges, weitverzweigtes Informationssystem über Männer und männliche Kultur angelegt worden...“ (Pusch 1989: 97). Inzwischen versucht die feministische Geschichtsforschung, die Situation und Leistungen von Frauen in verschiedenen Epochen darzustellen (vgl. die Reihe Geschichtsdidaktik, herausgeg. v. Bergmann/Kuhn/ Rüsen/Schneider, Bde. 6, 8–10, 13, 14, 18–22, Düsseldorf).

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  51. Im Hoch- und Spätmittelalter war die geschlechtsspezifiische Zuordnung vergleichsweise flexibel: Frauen waren zu fast allen Handwerken zugelassen, in manchen Bereichen, z.B. dem Textilgewerbe, bildeten sie eigene Zünfte (vgl. Ennen 1991). War Frauen der Zugang zur Zunft verschlossen, organisierten sie sich in Beginenvereinen oder in nicht-zünftigen Gewerben. Eine Erklärung für die relativ gleichwertige Frauenposition mag in der hohen Männersterblichkeit aufgrund von Pestepedemien und Kriegen zu finden sein. Mit dem Beginn der Renaissance (15. Jh.) wurden Frauen aufgrund der wachsenden Bedeutung des Fernhandels (Amerika, Afrika) und der damit einhergehenden Schwächung des einheimischen Handwerks aus den Handwerken hinausgedrängt. Gleichzeitig trug die Hexenbulle Papst Innozenz VIII v. 1484 mit dem nachfolgenden, zweihundert Jahre andauernden Massenmord an Frauen zur Einschüchterung und zur Zurückdrängung von Frauen aus dem öffentlichen Leben bei. Vom Ende des 15. bis ins 18. Jahrhundert hinein waren Frauen aus allen Zünften ausgeschlossen; ihnen blieb die niedere Gesinde-, Lohn- und Heimarbeit. Seit Ende des 17. Jahrhunderts wurden Frauen zwar wieder zur Handwerksausbildung zugelassen, jedoch sträubten sich die Innungen dagegen, sie etwa auch nach der Ausbildung zur Meisterprüfung zu berechtigen — und zwar mit dem Argument, sie seien wegen ihrer politischen Rechtlosigkeit nicht ‚innungswürdig‘. 1911 wurden die Handwerkskammern durch einen Erlaß des Handelsministers gezwungen, Frauen zumindest formell gleichzustellen (vgl. Brodmeier 1963).

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  52. In Frankreich schien das erstarkende Bürgertum fortschrittlicher: Bereits im 18. Jahrhundert plädierte Rousseau (1712–1778) für die freie Entfaltungsmöglichkeit des kindlichen Willens; bei näherem Hinsehen war der männliche Wille gemeint, denn nicht zufällig war Emile ein Junge (Rousseau 1978). Mädchen sollten nach Rousseau darauf vorbereitet werden, den Mann zu umsorgen und ihm das Leben angenehm zu machen. Nach seiner Ansicht ist Abhängigkeit ein natürlicher Zustand der Frau — Frauen fühlen sich nach Rousseau zum Gehorchen geschaffen. Für den Fall allerdings, daß das Mädchen zu selbstbewußt und eigensinnig auftritt, hält Rousseau für sie einen eigenen Erziehungsplan bereit. Danach soll das kleine Mädchen häufig bei seinen Tätigkeiten unterbrochen werden, um Aufträge auszuführen, damit es lernt, fremden als eigenen Interessen zu folgen, so daß aus diesem zur Gewohnheit gewordenen Zwang die Folgsamkeit entsteht, die die Frauen ihr ganzes Leben lang brauchen (ebd.: 400). Das Mädchen muß frühzeitig lernen, Unrecht zu erdulden und Übergriffe eines Mannes zu ertragen, ohne sich zu beklagen (ebd.: 401). Die Erziehung des Mädchens außerhalb des Hauses lehnt Rousseau als unnötig und schädlich ab, fehlen ihr dazu doch die geistigen Voraussetzungen; außerdem schade Bildung ihrem Liebreiz. Die Engländerin Mary Wollstonecraft kritisiert die Theorie Rousseaus; ihr 1792 erschienenes Buch, das für die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frau plädiert, wird von Kritikern verrissen. Eine Wende kündigt sich mit der französischen Revolution und den Thesen von Marie Olympe de Gouges an: „Wenn die Frauen ein Recht aufs Schaffott haben, so haben sie auch das auf die Tribüne“. Vorerst blieb es nur beim Recht auf das Schaffott.

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  53. In Märchen findet sich neben der ‚bösen Hexe‘ die passive und abhängige Frau, die den männlichen Helden die Möglichkeit bietet, die Beschützer- und Retterrolle zu übernehmen. Rotkäppchen wird wegen ihres Eigensinnes umgehend bestraft, so daß sie nicht mehr fähig ist, einen Wolf von der Großmutter zu unterscheiden. Damit gibt sie wiederum dem männlichen Jäger die Möglichkeit, sie aus ihrer Notlage zu befreien, so daß das Geschlechterarragement wieder ‚in Ordnung‘ ist. Ahnliche Konstellationen tauchen in vielen Märchen auf.

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  54. Die Behauptung, daß auch in der vorindustriellen Gesellschaft die Frau dem Manne nachgeordnet war, ist umstritten. Ivan Illich hat z.B. die vorindustrielle Geschlechtsordnung als ‚Genus‘-Welt beschrieben, in der sich die Geschlechter komplementär und nicht hierarchisch ergänzten (Illich 1983). Da diese unterschiedlichen Einschätzungen für die Fragestellung dieser Arbeit m.E. sekundär sind, da ich die gegenwärtige Notwendigkeit der Veränderung der Geschlechterbeziehungen nicht aus der vorindustriellen Situation begründen werde, gehe ich auf diese Differenz nicht weiter ein.

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  55. Proletarische Frauen werden aus ökonomischer Not in Fabriken sowie als Heimarbeiterinnen erwerbstätig. Die zerstörerischen Arbeitsbedingungen der proletarischen Frau sind ein wesentlicher Auslöser für frauenpolitische Zusammenschlüsse, die neben der Arbeitszeitverkürzung und besserem Lohn vor allem gleiche staatsbürgerliche Rechte für alle Frauen fordern.

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  56. Hier ist qualifizierte Erwerbsarbeit gemeint, denn um unqualifizierte, schlecht bezahlte Arbeit brauchten Frauen bisher nie zu kämpfen, im Gegenteil: sie wurde von ihnen erwartet.

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  57. Tendenzen zu Veränderung und eindeutiger Festlegung sind vereinzelt im deutschen Sprachraum bereits gegen Ende des 18. Jh. festzustellen, z.B. in dem Buch des Verlegers und Schriftstellers Johann Heinrich Campe ‚Väterlicher Rat für meine Tochter‘ aus dem Jahr 1789. Er legt folgende Aufteilung als ‚göttlichen Willen‘ fest: Nicht das Weib, sondern der Mann soll das Haupt sein, was schon daran deutlich wird, daß der Mann über die stärkere Muskelkraft, den größeren Mut und — dies gibt Campe als seine Einschätzung zu erkennen — über den umfassenderen Verstand verfügt. Der Mann sei deshalb die Eiche, die Frau das Efeu, das seine Lebenskraft aus der Eiche saugt (nach Gerl 1991: 35). Diese Ermahnungen wären wohl nicht nötig gewesen, wenn die damaligen Töchter nicht bereits andere Ansprüche entwickelt hätten.

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  58. Der Entwurf polarisierter Lebenssphären und Zuständigkeiten entspricht der Regenerationsnotwendigkeit des Mannes, der sich individuell am Arbeitsmarkt behaupten muß durch Fähigkeiten wie Leistung, Disziplin, Pünktlichkeit und Durchsetzungsvermögen. Frauen sollen die Härten der modernen Industriegesellschaft mildern, indem sie den erwerbstätigen Familienmitgliedern — meist dem Ehemann — zur notwendigen physischen und psychischen Regeneration verhelfen und sich um die kümmern, die dem Arbeitsmarkt noch nicht oder nicht mehr zur Verfügung stehen; Kinder, Alte, Kranke und Schwache. Die Bindung der Frau an das Haus erfordert allerdings die volle Konzentration des Mannes auf den Beruf und seine Alleinzuständigkeit für die ökonomische Absicherung der Familie.

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  59. Dieser Zusammenhang klingt an in einer Antwort von Otto Gierke, Spezialist für das Genossenschaftswesen, mit der er der Forderung von Elisabeth Gnauck im Jahre 1895 nach Erwerbsmöglichkeiten für bürgerliche Frauen begegnet: „Wenn z.B. Frau Dr. Gnauck die Gemeinde als erweiterte Familie bezeichnete und hieraus Folgerungen für die weibliche Berufsstellung im Gemeindeleben zog, so läßt sich ebensogut der Staat als erweiterte Familie auffassen. Und aus der vortrefflichen Begabung der Frau, im Haus das Kommando zu führen und das Regiment zu handhaben, könnte man schließen, daß vor allem die Stellung von Generälen und Regierungspräsidenten den Frauen zugänglich zu machen wäre. Es bedarf also großer Vorsicht in den Schlußfolgerungen und genauer Abwägung aller Umstände, um die richtigen Grenzen zu ziehen und zu verhüten, daß durch Erweiterung der weiblichen Berufsarten die Frau aus der weiblichen Sphäre hinausgedrängt und in den Wettbewerb mit den Männern hineingetrieben werde“ (zit. nach Kaufmann 1988: 29).

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  60. Forderungen zur Mädchenbildung im 19. Jahrhundert beziehen sich auf Töchter des Bürgertums, da die des Adels Privatunterricht erhalten, Arbeitertöchter aber frühzeitig erwerbstätig werden (vgl. von der Lieth 1989: 11).

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  61. So stoßen die 1899 von Helene Lange in Berlin gegründeten ‚Realkurse für Frauen‘ vor allem auf den Widerstand der männlichen Lehrer, weil sie die weibliche Konkurrenz um knappe Stellen fürchten.

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  62. Hier sei daran erinnert, daß auch die ‚männliche‘ Position durchaus widersprüchlich ist, wünschen Männer doch für ihre eigenen Frauen und Töchter Möglichkeiten der selbständigen Existenzsicherung, weil sie mit der Alleinzuständigkeit fur die Sicherung des Familieneinkommens nicht selten überfordert sind und den prinzipiellen Anspruch von Frauen auf den Erhalt voller bürgerlicher Rechte durchaus anerkennen.

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  63. Bei der Arbeit Weiningers handelt es sich zwar nicht um eine isolierte Auffassung, aber in der Häufung und Zuspitzung von diskriminierenden Sichtweisen um eine Provokation. Insgesamt wird — wie andernorts auch — die Zweitrangigkeit der Frau mit ihrer schwächeren, ‚defizitären‘ Natur begründet. Diese Argumentation ging auch in das bürgerliche Recht ein, obwohl dieses doch gerade die natürliche Ungleichheit unter den Menschen ausgleichen sollte (vgl. Adler 1990). Hinsichtlich des Denkens zitiert Weininger z.B. Schopenhauer, dem ebenso wie Kant der weibliche Horizont als ‚beschränkt‘ galt: Schopenhauer konstatierte, das Entfernte passe nicht zum engen Gesichtskreis der Frau, alles Abwesende, Vergangene und Künftige bleibe ihr fremd. Die Frauen ‚ziehen Kleinigkeiten den wichtigsten Angelegenheiten vor‘, sie können nicht zwischen Wesen und Erscheinung, zwischen Zufälligem und Prinzipiellem unterscheiden. Frauen hätten aber eine ‚Begabung fur Nähe‘, dabei handele es sich allerdings um eine Fähigkeit, die ihnen den Blick verstelle für folgerichtiges, prinzipienorientiertes und wissenschaftliches Denken. Wenn ein Weib gelehrte Neigungen hat, so ist gewöhnlich etwas an ihrer Geschlechtlichkeit nicht in Ordnung, befand Nietzsche. Sigmund Freud beobachtete, daß das weibliche Über-Ich schwächer ausgeprägt sei als das männliche, und schloß daraus auf eine prinzipielle Unerwachsenheit und moralische Unentwickeltheit der Frau. Herbert Spencer unterstellt der Frau psychische Minderwertigkeit wegen ihrer ausgeprägteren Emotionalität und Spontaneität, ihrer geringeren Weitsichtigkeit und einem mangelnden Gerechtigkeitssinn. Nach Klages ist weibliches Denken subjektiv und persönlich motiviert: Frauen sind den Männern meist überlegen im Schreiben von Tagebüchern und Briefen, meist unterlegen im Schreiben von Abhandlungen“ (Klages 1932: 1346). Zu weiteren Zu- und Beschreibungen vgl. de Beauvoir 1951; von der Lieth 1989, Tornieporth 1977.

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  64. In der 1897 von Arthur Kirchhoff herausgegebenen Sammlung von Gutachten sprechen sich 45 Männer ohne Einschränkung für das Frauenstudium aus, 27 führen Argumente dafür und dagegen an, während 32 Männer die Zulassung von Frauen zum Universitätsstudium entschieden ablehnen.

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  65. Sie argumentieren insgesamt, nur beim männlichen Geschlecht fanden sich die Fähigkeiten, die für wissenschaftliches Arbeiten notwendig seien, nämlich geistige Kraft, Verstand, Logik, Selbständigkeit, Sicherheit, produktive Leistungsfähigkeit, die Fähigkeit, Zusammenhänge zu erfassen, Klarheit des Urteils, rasche Entschlüsse, energisches Handeln, Verantwortung, geistige Produktivität, schöpferische Ideen, Originalität und Autorität (vgl. Hausen 1990: 35). Die den Frauen zugesprochenen Eigenschaften und Fähigkeiten seien für wissenschaftliches Arbeiten nicht geeignet, nämlich Intuition, Liebestätigkeit, Mitleiden, Gemütsinteressen, Rezeptivität, Hingabe, Nachahmung und Ausübung. Max Planck z.B., der sowohl zustimmende als auch ablehnende Argumente vorbringt, formuliert: ‚Amazonen sind auch auf geistigem Gebiet naturwidrig‘ (zit. nach Hausen 1990: 34). Nur ein einziger, der Mediziner Ottomar Rosenstrauch, gibt seiner Hoffnung Ausdruck, Frauen könnten, indem sie neue Ideen und Anregungen in die Wissenschaft einbringen würden, die Wissenschaft verändern, nämlich zur Belebung erstarrter Strukturen beitragen, da sie nicht in dem Maße zu eiserner Disziplin erzogen worden seien wie Männer (vgl. ebd.).

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  66. Mit dem Anspruch auf ‚ein Stück eigenes Leben‘ lösen sich einzelne Frauen aus der häuslichen Beschränkung heraus, wenn dies auch gesellschaftliche Verachtung und ökonomische Nachteile mit sich brachte. Virginia Woolf hat diese Thematik in verschiedenen Essays aufgegriffen: „Ein Zimmer für sich allein“ (1929); „Männer und Frauen“ (1920); „Der intellektuelle Status der Frauen“ (1920), „Berufe für Frauen“ (1931). Henrik Ibsen beschreibt solche sich andeutenden Umbrüche in den Geschlechterbeziehungen und die dadurch entstehenden Konflikte in seinem Drama ‚Nora‘.

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  67. Forderungen nach dem Wahlrecht für Frauen werden z.B. mit dem Argument begegnet, daß Frauen keinen Militärdienst leisten und insofern auch nicht die vollen staatsbürgerlichen Rechte bekommen könnten.

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  68. Die Zählebigkeit ‚tiefinnerer Überzeugungen‘ zeigt sich anläßlich einer Befragung von Hochschullehrern Ende der 50er Jahre. Auf die Frage, warum die Zahl weiblicher Hochschullehrer so klein sei, reproduzieren zahlreiche Professoren altbekannte Klischees (vgl. Anger 1960).

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  69. Im Unterschied zur ‚männlichen‘ Politik reflektieren Frauen in Selbsterfahrungsgruppen von Anfang an den Zusammenhang von Körperpolitik und Gesellschaftsreproduktion: Daß nämlich Frauen die den Körper betreffenden Arbeiten verrichten — für die Kinder, die Pflegebedürftigen —, während die männliche Denk- und Politikweise von Körpern weitgehend abstrahiert, und daß diese Abstraktion mit Frauenunterdrückung einhergeht. Mit der Reflexion von Körperpolitik beginnt die Wiederein-Setzung der Frau in den politischen Raum (vgl. Haug 1990: 87), auch insofern, als Frauen sich hier der Frage zu stellen beginnen, was eigentlich ‚weiblich‘ ist, welche Potenzen bisher nicht zum Tragen gekommen sind, weil sie die Zweckrationalität männlicher Politik nicht wahrgenommen hat.

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  70. Zur Diskussion um die Verschiebung und die Neudefinition der Grenzen zwischen Privatheit und Öffentlichkeit vgl. Benhabib 1994.

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  71. Weil sie den ‚Nerv‘ der Zeit treffen, haben Buchtitel, die die Aussage de Beauvoirs „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“ aufgreifen, große öffentliche Resonanz. In dieser Zeit werden Frauen als reine Opfer dargestellt, so z.B. in dem Buch von Ursula Scheu (1977): ‚Wir werden nicht als Mädchen geboren, wir werden dazu gemacht‘. Sie stellt die These auf, daß Mädchen von Geburt an vielfältigen Benachteiligungen unterliegen, die Eigenschaften hervorrufen, die wir als ‚typisch weibliche‘ kennen und einordnen. Während de Beauvoir mit ihrer Aussage ‚man wird es‘ auch die eigene Verantwortung für das Gewordensein anspricht, ist dieser Aspekt in dem Pamphlet von Scheu — und in weiten Teilen der neuen Frauenbewegung — nicht enthalten.

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  72. Wie schwer es im Einzelfall immer wieder ist, detailliert zu benennen, welche Faktoren denn zur Diskriminierung von Frauen beitragen, zeigen gelegentlich Tagungen zum Thema „Frauen in der Wissenschaft“ oder „Frauen in der Politik“. So stürzt die schlichte Frage einer betagten und beruflich erfolgreichen Podiumsteilnehmerin „Ja, fühlen Sie sich denn diskriminiert?“ das jüngere Publikum in momentane Ratlosigkeit (vgl. taz vom 10.12.1993 anläßlich einer Tagung der evangelischen Akademie Tutzing über Frauen in der Wissenschaft). ‚Werde ich denn tatsächlich diskriminiert‘, mag sich manche selbstkritisch gefragt und keine konkrete Antwort auf das ‚Wie‘ gefunden haben, weil strukturelle Diskriminierungen meist schwer zu erkennen sind, und viele Frauen ohnehin dazu neigen, sich an dem bescheidenen ‚Fortkommen‘ selbst die Schuld zu geben.

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  73. „Wie männlich ist die Politik?“ — Diese Frage von Politikwissenschaftlerinnen wird mittlerweile — eher vereinzelt — gestellt und zu beantworten gesucht (vgl. Meyer 1992; dies. 1994).

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  74. Zitiert nach Kraul (1987) aus dem Werk von Mathilde Vaerting: Neubegründung der Psychologie von Mann und Weib. Karlsruhe i.B. 1923.

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  75. Margit Brückner skizziert die Biographie der Kinderanalytikerin Margaret Mahler. Sie verfügt einerseits über ein hohes Selbstbewußtsein, kämpft andererseits aber — trotz beruflicher Erfolge — zeitlebens mit Unsicherheit und Zweifeln. Diese ständige Unsicherheit ist mit dem Begehren nach beruflicher Anerkennung insbesondere durch Männer verbunden (vgl. Brückner 1994: 29 ff).

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  76. Die Möglichkeit, daß Männer traditionell weibliche Lebensentwürfe übernehmen, bleibt hier unerwähnt, weil ich sie weder für realistisch noch für wünschenswert halte.

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  77. Die Entwicklung von Fürsorge und kommunikativer Kompetenz der Jungen ist m.E. ebenfalls Aufgabe der Schule, wird aber bisher in der feministischen Theorie erst in Ansätzen gesehen. — Wenn ich mich nicht auf die feministische Schulforschung berufe, so deshalb, weil hier bisher vor allem Kritik am Bildungswesen erarbeitet wurde, während Anhaltspunkte für Veränderung noch kaum entwickelt worden sind.

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  78. Als Opfer sind Frauen an der Zerstörung der Umwelt, an Verwüstungen durch Krieg und Rüstungswahn nicht in gleicher Weise beteiligt wie Männer, weil sie ‚nur‘ als Beherrschte dabei waren. Zwar spüren sie ihre ‚Lebenslüge‘ (Thürmer-Rohr 1987) und sind insofern moralisch deformiert. Ebenfalls ist der Mann durch seine Täterschaft moralisch deformiert, so daß Menschlichkeit nicht im männlichen Lebensmodell zu finden, sondern erst neu zu entdecken wäre. Dies könne nur durch eine Bindung wissenschaftlicher Erkenntnis an ethische Normen geschehen, wodurch auch die Forschung allmählich ihren Gewaltcharakter ablegen müßte, wie er sich durch die traditionelle Trennung von Wissenschaft und Ethik hat herausbilden können (DrögeModelmog 1988).

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  79. Mädchen und Frauen können heute zwar am politischen und beruflichen Leben prinzipiell teilhaben, aber ihren ‚Eigensinn‘, ihre spezifisch weibliche Sichtweise können sie selten oder aber um einen hohen Preis verwirklichen. Dieser Preis besteht oft darin, sich in unterbezahlten ‚Frauenberufen‘ mit Personenorientierung ausbeuten zu lassen oder auf die Realisation von Kinderwünschen zu verzichten.

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  80. Die Frage, ob Frauen aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit ‚unterdrückt‘ und/ oder dem männlichen Geschlecht ‚untergeordnet‘, gar ‚unterworfen‘ sind oder nur als, benachteiligt‘ gelten können, kann hier nicht näher erörtert werden, zumal ich annehme, daß es eine eindeutige Antwort nicht gibt. Ähnlich verhält es sich mit der Frage, ob Männer Frauen ‚dominieren‘ oder sie ‚beherrschen‘. Innerhalb der Frauenbzw. Geschlechterforschung sind die besonderen Formen und Inhalte der Geschlechterbeziehungen bisher noch kaum thematisiert worden. Da sich die Forschungsperspektive bisher auf Frauen konzentrierte, ging es insbesondere um die Erarbeitung von Wissen über Frauen; erst neuerdings richtet sich das Interesse auf das Geschlechterverhältnis und fragt z.B. nach dem ‚Wie‘ der sozialen Konstruktion von Geschlechtern, also nach den Prozessen des ‚doing gender‘.

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  81. Die Auflösung tradierter ‚Normalitäten‘, wie z.B. die Erosion der um den ‚Hausherrn‘ zentrierten und von ihm abhängigen ‚Normalfamilie‘, die Unsicherheit der männlichen ‚Normalkarriere‘, das Rütteln am ‚Normalarbeitsverhältnis‘, die Auflösung der als ‚normal‘ erachteten geschlechtsspezifischenArbeitsteilung führt auch zu einer Veränderung des Männerlebens und des Bildes von Männlichkeit. Dabei stellen sich auf der einen Seite Verlustgefühle ein: Im Blick ‚nach hinten‘ erscheint die traditionelle Geschlechterordnung als klar, übersichtllich und zudem für Männer besonders bequem; auf der anderen Seite keimt Hoffnung auf neue, vielfältigere und interessantere Partner- und Lebenskonstellationen, in denen Männer auch ein Stück ökonomischer und politischer Verantwortung abgeben können.

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  82. Der Begriff der ‚Moral‘ ist im deutschen Sprachgebrauch stärker als etwa im französischen auf die Bewertung des persönlichen Verhaltens bezogen: Genügt der Lebenswandel eines Menschen ‚moralischen‘ Maßstäben, etwa im Hinblick auf das Sexualleben? Nach französischem Sprachverständnis zielen die Begriffe ‚morale‘ und ‚moralité‘ eher auf gesellschaftliche Werte und Normen ab. So beschäftigte sich Emile Durkheim mit der Entwicklung einer Moraltheorie, die auf die Benennung von Verhaltensregeln hinauslief, welche sowohl mit gesellschaftlicher Anerkennung rechnen konnten, als auch für den einzelnen anziehend und erstrebenswert sein sollten. Die Schule, insbesondere das Fach Soziologie, sollten zur Durchsetzung solcher Moralvorstellungen beitragen; die Moralpädagogik sollte die gesellschaftliche Umwelt aktiv mitgestalten. — Wenn heute in der sozialwissenschaftlichen Diskussion von ‚Moral‘ die Rede ist, geht es in der Regel um den Wandel gesellschaftlicher Normen und Werte und ihre Verankerung im Bewußtsein der Individuen (vgl. die Beiträge in Bertram 1986).

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  83. Gilligan selbst betont, daß die ‚andere Stimme‘ nicht an ein bestimmtes Geschlecht gebunden ist, sondern bei beiden Geschlechtern auftreten kann, in der Realität aber vorwiegend bei Frauen zu finden ist. Generalisierende Aussagen über die Geschlechter lehnt sie ab (vgl. Gilligan 1984: 10).

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  84. Überlegungen, das Kohlbergsche Entwicklungsmodell in Lehrpläne zu integrieren, lösen zustimmend-kritische (vgl. Döbert 1987, Reinhardt 1984), wie aber auch ablehnende Diskussionen innerhalb der Fachdidaktik aus. Claußen (1984) will die Faktizität bestimmter Stufen nicht leugnen, sieht sie jedoch als „Ausdruck von gesellschaftlich-politischen Zuständen“ (ebd.: 62).

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  85. Kohlberg selbst hat aufgrund der Kritik Gilligans die Notwendigkeit eingeräumt, Werte auf ihre konkrete Situation hin zu interpretieren, aber nicht mehr benannt — Kohlberg starb bald darauf —, an welchen Grenzpunkten z.B. moralische Flexibilität in situativen Opportunismus übergeht (vgl. Döbert 1987: 494).

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  86. Gespräche von Frauen im informellen Kreis werden leicht als ‚Tratschen‘ abqualifiziert, ohne dabei soziale Komponenten zu beachten (vgl. Tannen 1991: 101; Benard/ Schlaffer 1981).

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  87. Dabei legen sich Frauen ungern mit präzisen Aussagen fest, sondern bleiben in ihrer Rede oft vage, was nach Trömel-Plötz (1982) eine Form ‚subversiven Redens‘ sein kann, eine ‚Rhetorik der Unterdrückten‘. Eine weitere plausible Erklärung sehe ich darin, daß Frauen sich aufgrund ihres Bemühens, die soziale Situation in dem Gespräch positiv zu gestalten, nicht (vorschnell) festlegen mögen, um mit dem Gesprächspartner gemeinsam ein Ergebnis zu entwickeln.

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  88. Mit ihrem Kommunikationsverhalten stärken Frauen, ihrer traditionellen Rolle gemäß, andere und bleiben ihrerseits selbstlos. Da sie sich nicht exponieren, brauchen sie keinen Widerstand zu befürchten und entgehen so der Gefahr, sich möglicherweise sozial zu isolieren.

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  89. ; Ein Vorschlag geht z.B. dahin, den politischen Entscheidungsgremien eine jeweilige Männer- und Frauenkammer vorzuschalten, in denen die Geschlechter getrennt beraten und entscheiden. So soll es den Frauen möglich werden, ihre Kompetenz und ihre Kultur sichtbar zu machen. Die gemeinsamen Gremien sollten von beiden Geschlechtern durch Wahl bestellt werden. „Leidenschaftliche Debatten sind vorstellbar“ (Laubach 1991: 79).

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  90. Die Position einer betonten Geschlechterdifferenz erfährt vielfältigen Zuspruch: so sind sich US-amerikanische, italienische und bundesdeutsche Frauenforscherinnen weitgehend einig über die Beschränktheit und Perspektivlosigkeit von Gleichstellungsforderungen einerseits wie auch andererseits in ihrer Kritik an den emotionalen und sozialen Defiziten des Mannes. Ihre Konsequenz: Sie wollen das weibliche Geschlecht als Ausgangspunkt nehmen für die Konstitution einer autonomen Subjektivität der Frau (vgl. Cavarero 1990: 96; J. Benjamin 1993).

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  91. Gegen Gilligans Versuch, eine den Frauen eigene Moralentwicklung zu konstruieren, werden eine Reihe von Argumenten vorgebracht, die sich sowohl auf methodische, aber auch auf theoretische Implikate beziehen. So vermuten Döbert/Nunner-Winkler (1986), daß das moralische Urteil von Menschen — gleich welchen Geschlechts — sich nach dem Grad der persönlichenBetroffenheitdurch eine dilemmatische Situation unterscheide. Sie konfrontieren Schülerinnen und Schüler zwischen 14 und 22 Jahren mit Entscheidungssituationen aus dem Bereich von Kriegsdienstverweigerung und Abtreibung. Im Fall des Kriegsdienstdilemmas urteilen die Frauen als persönlich nicht Betroffene abstrakt-‘männlich‘, im Fall des Abtreibungsdilemmas konkret‘weiblich‘. Bei den Männern zeigt sich das umgekehrte Bild: Im Fall ihrer eigenen Betroffenheit (Kriegsdienst) argumentierten sie erfahrungsbezogen-‘weiblich‘, im Abtreibungsfall dagegen kalkulierend-‘männlich‘ (vgl. ebd.: 301 ff).

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  92. Zu Generalisierungen über den Bereich der Geschlechterverhältnisse hinaus bedarf es nur noch eines kleinen Schrittes, etwa zu den Stereotypen ‚alle Ausländer sind...‘ und ‚die Homosexuellen sind...‘, ‚Arbeitslose sind...‘ usw.

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  93. Irigaray plädiert für eine Separierung der Geschlechter, um den schädlichen männlichen Einfluß auf Frauen zu verhindern. In ihrem Buch ‚Die Zeit der Differenz‘ schreibt sie, das Mädchen müßte „alles, was von Männern und Göttern kommt, zurückweisen, um nicht durch einen Irrtum verführt zu werden. Sie müßte sich radikal abseits halten vom Volk der Männer, von den Verträgen, den Beziehungen zwischen den Männern... sie müßte lernen, sich für sich selbst zu bewahren, für ihre Götter und für ihre Gesetze, für die Liebe, zu der sie fähig ist, wenn sie nicht aus sich herausgerissen, geraubt, vergewaltigt, der Freiheit der Gesten, der Worte, der Gedanken beraubt wird“ (Irigaray 1991: 137). Mir geht es hingegen gerade nicht um neue Polarisierungen, sondern um die kooperative Entwicklung vielfältiger Eigenheiten und Fähigkeiten von Jungen und Mädchen, die auf den Erfahrungen beider Geschlechter aufbauen. Andererseits ist die Abgrenzung der Frauen von der Welt der Männer auch wiederum verführerisch, sind doch „Frauen auch intellektuell in einer extrem schlechten Position. Die Definitionsmacht über die wissenschaftliche wie politische Wahrheit haben Männer mit hohem Status und in dem je eigenen Aktionsfeld auch mit hoher Reputation. Frauen sind in untergeordneten sozialen Positionen und ohne Rückhalt in der jeweiligen Fachwelt“ (Kutz-Bauer 1992: 24), so daß Machtpositionen für solche Frauen, die ein gewisses Maß an ‚Eigensinn‘ mitbringen, unerreichbar bleiben. Heute finden sich politische Ansätze, die eine Geschlechterdifferenz für bedenkenswert halten, eher bei der CDU als bei der SPD. So betont z.B. Rita Süssmuth, daß Gleichberechtigung nicht „Angleichung an bestehende Strukturen, Normenanforderungen und Lebensformen, wie sie in dieser Gesellschaft vorgegeben sind“ (Süssmuth 1987: 66) bedeute, sondern Entwicklung neuer, weiblich geprägter oder zumindest mitbestimmter Lebens- und Arbeitsformen. Bei Alice Schwarzer und auch innerhalb der SPD besteht dagegen der Eindruck, Weiblichkeit sei historisch wie gesellschaftlich fabrizierte Minderwertigkeit, der die Frauen nur entgehen können, wenn sie sich einem Lebenskonzept annähern, wie es Manner leben.

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  94. Macht wird von Frauen spontan mit ‚männlichem‘ Verhalten assoziiert. Frauen fällt es schwer, sich Macht als etwas Erstrebenswertes vorzustellen; sie setzen sich damit dem Verdacht der ‚Vermännlichung‘ aus (vgl. Gerhardt 1984: 125). Mir scheint, daß Frauen Macht erkämpfen müssen, um die Gesellschaft (auch) nach ihren Vorstellungen (mit-)gestalten zu können. Hannah Arendt formuliert einen ‚positiven‘ Machtbegriff (im Unterschied zum Gewaltbegriff): Macht bedeutet für sie die spezifisch menschliche Fähigkeit, im Einvernehmen mit anderen zu handeln (vgl. Arendt 1970: 45); danach sollen alle Gruppenmitglieder das Subjekt der Macht sein. Die wichtigste menschliche Fähigkeit ist nach Arendt die, sich mit anderen zusammenzuschließen und einvernehmlich mit ihnen zu handeln. Hier könnten Ansatzpunkte liegen, um die traditionelle Distanz von Frauen zu ‚Macht‘ und ‚Karriere‘ aufgrund der negativ besetzten, weil mit Unterwerfung, Rücksichtslosigkeit, Interessenkollision und damit verbundener Konflikte assoziierten Begriffe neu zu fassen.

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  95. In der Antike und im Mittelalter gab es zwar durchaus eine Reihe gebildeter Frauen, deren Leistungen mittlerweile auch gewürdigt werden. Diese Beispiele weiblicher Gelehrsamkeit sind aber nicht aufgrund institutionalisierter Bildungsmaßnahmen entstanden, sondern sind Einzelleistungen (vgl. von der Lieth 1989: 10f).

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  96. Christa Wolf (1981) beschreibt die Mischung aus Bewunderung und Abscheu, mit der Frauen die abstrakten Denkleistungen des Mannes betrachten: „Von unten, von außen blicken sie (die Frauen — H.H.) auf die angestrengte Geistestätigkeit des Mannes, die, je länger, je mehr darauf gerichtet ist, seine Festung durch Messungen, Berechnungen, ausgeklügelte Zahlen- und Plansysteme abzusichern. Die sich in der eisigsten Abstraktion wohlfühlt und deren letzte Wahrheit die Formel wird“ (ebd.: 323).

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  97. Die gezielte, disziplinierte Schulung einzelner Sinne und Kompetenzen (z.B. der Orientierungsfähigkeit, das Schätzen bestimmter Maße) „bringt die Möglichkeit des Fortschritts — die Sinne werden schärfer, fassen genauer auf, nähern sich der Präzision eines objektiven Meßinstruments an. Und lösen sich dabei von der Bindung an ganzheitliche, gefühlsdurchzogene Erfahrungen, die den Menschen schlaff, d.h. aber undiszipliniert durchs Leben gehen läßt“ (Rumpf 1981: 72). Die Wahrnehmnung wird nicht nur genauer, sondern sie vollzieht sich auch schneller, allerdings um den Preis, daß dabei gemischte, ganzheitliche, auch unwillkürliche Erfahrungsmodalitäten verlorengehen.

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  98. Auch in außerschulischen Zusammenschlüssen dominiert das tradierte Geschlechterverhältnis. Noch in der Weimarer Republik werden Mädchen in Jugendgruppen als Störfaktor wahrgenommen. Hermann Nohl beschreibt die Situation so: „Daß die Mädchenfrage in der Jugendbewegung noch nicht gelöst ist, weiß die Jugend, namentlich die männliche Jugend selbst. Sie hat da viel experimentiert, man hat die Mädchen in die Gruppen aufgenommen, aber das hat sich als nicht wesensgemäß für beide Teile erwiesen. Die Mädchen mußten allein bleiben. Selbst in der sozialistischen Jugend, die von der Theorie der Gleichheit der Geschlechter ausgeht, wird das doch empfunden: die Mädchen stören. Sie sind manchmal ‚brauchbar‘, wo sie mütterlich kochen oder die Reinlichkeit übernehmen, wo sie singen und tanzen, aber wo es ernst wird, stören sie die freie Ausbildung der männlichen Form — ganz abgesehen von den Störungen, die die erotische Bindung der Paare für die Gemeinschaft bringt (Nohl 1925, zit. nach Reese-Nübel 1989: 116). Aufschlußreich an diesem Text ist m.E. nicht nur die Problemschilderung, sondern auch der selbstverständlich gewählte Blickwinkel, aus dem heraus dies geschieht: Es ist allein der männliche.

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  99. Höhere Mädchenschulen, wie sie Ende des 19. Jahrhunderts eingerichtet wurden, sind den bestehenden Jungenschulen nachgebildet worden. Um sich demonstrativ von der traditionellen Erziehung zur Hausarbeit abzusetzen, übernehmen die Schulreformerinnen die pädagogischen Ziele der Knabenerziehung: Entwicklung der Rationalität, Bändigung des Emotionalen und Disziplinierung des Körpers, anstatt sich auf ‚andere‘ Formen des Lernens und Denkens zu besinnen (vgl. Lange 1920).

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  100. Die Fraglosigkeit, mit der Frauen und Männer ihnen zugedachte gesellschaftliche Aufgaben übernommen haben, und den Anteil der Schule daran, beschreibt die amerikanische Feministin Betty Friedan (1970) in ihrem Buch ‚Der Weiblichkeitswahn‘ zu Beginn der 60er Jahre. Damals ging es um ein ‚namenloses‘ Problem amerikanischer Vorort-Hausfrauen, die sich latent unglücklich fühlten, ohne eigentlich einen Grund dafür benennen zu können, denn sie hatten alles, was sie sich immer gewünscht hatten: einen netten Mann, fröhliche Kinder und ein gemütliches Heim. Friedan zeigt, daß die amerikanischen Schulen bei den Mädchen seinerzeit Orientierungen förderten, die die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung perpetuieren: Die Mädchen streben eine frühe Eheschließung und Familiengründung an, ein höherer Schulabschluß gilt nur als wünschenswert, um so einen entsprechend gebildeten Mann an sich binden zu können. Die Entwicklung von Interessen, die nicht auf die Realisierung der Mutterschaft hinauslaufen, paßt nicht ins Bild. In der Bundesrepublik ist die Situation ähnlich. Bezeichnenderweise lautet ein Spruch unter Studentinnen in den 50er Jahren: Nur die Häßliche macht ihren Doktor selber.

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  101. Der Begriff Sexismus entstand in den USA in Anlehnung an den Begriff Rassismus und bezeichnet das Vorurteil, das männliche Geschlecht insgesamt sei dem weiblichen überlegen. Sexismus findet sich in individuellen Verhaltensweisen und kollektiven Maßnahmen der Frauendiskriminierung, z.B. in abwertenden Kommentaren, Witzen usw., also in Sprache; im Ausschluß der Frauen von privilegierten Tätigkeiten, z.B. durch die Gesetzgebung; in Belästigungen und Gewalttätigkeiten (Vergewaltigung). Sexismus ist die differentielle Behandlung beider Geschlechter, und zwar zum Nutzen des männlichen Geschlechts auf Kosten des weiblichen. In die bundesdeutsche Debatte wurde der Begriff 1976 eingeführt durch das Buch ‚Sexismus‘ von Janssen-Jurreit (1976), die seinerzeit das männliche Monopol auf Welterklärung als sexistisch bezeichnete: Danach ist Sexismus die unentwegte offene und unterschwellige Degradierung durch die Inhalte einer vom Mann dominierten Kultur.

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  102. Da empirische Untersuchungen zu diesen Fragen bisher nicht vorliegen, können einzelne Hinweise nur veröffentlichten Unterrichtsbeobachtungen aus anderen Bereichen entnommen werden. So berichten Renate Luca u.a. über ein Schulpraktikum, bei dem in einer 10. Klasse im Politikunterricht gezählt wird, wie oft die Lehrerin sich männlichen bzw. weiblichen Schülern zuwendet. Die Klasse setzt sich zwar zu gleichen Teilen aus Mädchen und Jungen zusammen, aber die Lehrerin ruft 64mal Jungen und nur siebenmal Mädchen auf. Zwölf der Jungen werden angesprochen, weil sie zuvor gestört hatten und elf, weil sie sich trotz ihres Meldens laut äußern (vgl. Luca u.a. 1992: 74).

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  103. Der wesentliche Kritikpunkt der Gleichstellungspolitik gilt der Anpassung an männliche Maßstäbe: „Sich dem Mann als ebenbürtig zu erweisen hieß ganz selbstverständlich, die eigenen weiblichen Anteile als minderwertig anzusehen und zu unterdrücken oder gar zu verdrängen, was zu weiblicher Selbstentfremdung führen mußte. Die Frau war gezwungen, sich einseitig männlichem Denken, Fühlen und Handeln anzupassen. Sie übernahm seine Werturteile und entfremdete sich als berufstätige und folglich emanzipierte Frau von jenem Teil ihrer Geschlechtsgenossinnen, die den Sprung in die Männerwelt nicht gewagt hatten und die daher nach wie vor die minderwertige Weiblichkeit präsentierten“ (Mulack 1990: 48).

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  104. Seit Ende der 80er Jahre wird die Perspektive einer androgynen Gesellschaft in der Bundesrepublik mit größerer öffentlicher Aufmerksamkeit diskutiert. Brückner (1988) vermutet als dahinterliegende Wunschvorstellung die ‚Sehnsucht nach dem Kugelmenschen‘.

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  105. Solche neuen Orientierungs- und Lebensmuster könnten etwa folgende sein: Karriere ja, aber mit beschränkten Ambitionen: Politik nicht als ‚O)chsentouur‘ usw

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  106. Das Plädoyer fur frauenzentriertes Denken, Sprechen und Handeln zielt nicht nur auf ein ‚Mit-Denken‘ der Frauenperspektive hin, wie dies z.B. der Fall ist, wenn für eine Erweiterung des Arbeitsbegriffs plädiert wird durch ‚Einbeziehung der Hausund Familienarbeit‘ (vgl. Haug 1990: 91 ff), wobei Zentrum, Maß und Mittelpunkt von Arbeit hier im Bereich der Erwerbsarbeit bleiben, während die Reproduktionsarbeit die Peripherie bildet. Der Begriff von Frauenarbeit wird damit nicht aus der Tätigkeit der Frauen selbst gewonnen, sondern ist am Maß der auf Männer zugeschnittenen Erwerbsarbeit orientiert.

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  107. Diese kritische Aufmerksamkeit zeigt sich, wenn — durchaus auch unter Feministinnen — diejenigen diskriminiert werden, die Familie und Beruf tatsächlich zu vereinbaren suchen. So belustigt sich Carol Hagemann-White über ‚Normalisierungsstrategien‘ von Frauen, die mit einer gutbezahlten Halbtagsstelle hauptsächlichfür die Kinder dasein und anschließend mit beruflichem Aufstieg belohnt werden wollten. Dieser Entrüstung wird seitens der oppositionellen Fraktion innerhalb der Sektion Frauenforschung entgegengehalten, daß auch im Wissenschaftsbetrieb eine andere Gangart als Versuch der praktischen Überwindung androzentrischer Karrieremaßstäbe gelten könne (vgl. 50. Rundbrief der Sektion Frauenforschung in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Aug. 1994). In diese Richtung zielt auch der Vorschlag von Cramon-Daiber, nicht mehr allein die Karriere, sondern Lebenskunst in den Mittelpunkt von Bildungsbemühungen zu stellen, zumal die Verwertbarkeit von Wissen und Können ohnehin unsicher geworden sei (Cramon-Daiber 1984).

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  108. Koch-Klenske formuliert diesen Anspruch als Versuch, „entfremdeten, entsubjektivierenden Wissenschaftsstandards lebendige, ganzheitliche und qualitative Methoden und Perspektiven gegenüberzustellen“ (Koch-Klenske 1991: 182).

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  109. Für die Ausbildung einer entsprechenden Beobachtungskompetenz (z.B. die Entschlüsselung von Körpersprache) sind besondere Veranstaltungen in der Lehrerausund Fortbildung zu geschlechtsspezifischen Lernformen und Politikvorstellungen sinnvoll.

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  110. Um die Auswirkungen unterschiedlicher inhaltlicher und methodischer Zugänge in geschlechtsspezifischer Hinsicht beobachten und daraus geeignete Schlüsse für die Unterrichtsplanung zu ziehen, wären fachdidaktische Unterrichtsforschungsprojekte durchzuführen. Unterrichtsforschung wird zwar immer wieder angemahnt (Grammes), aber bisher nur punktuell — und dann unter Ausblendung der Geschlechterperspektive — realisiert (vgl. 3.2).

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  111. Aufgrund der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und der daraus resultierenden unterschiedlichen Lebenserfahrungen von Männern und Frauen sowie Erkenntnissen der Frauenforschung vermute ich eine stärkere Beziehungsorientierung bei Frauen als bei Männern; diese schlägt sich in beruflichen und privaten Wünschen nieder und befähigt Frauen, für andere zu sorgen und soziale Verantwortung zu übernehmen.

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  112. Stereotypisierungen ‚auf Kosten des Mannes‘ würden etwa dahingehen, daß Jungen und Männer wegen rechtsextremer und ausländerfeindlicher Anfälligkeiten einen besonders auf sie zugeschnittenen Unterricht in Mitmenschlichkeit und Toleranz erhielten.

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  113. Hier sehe ich Anknüpfungspunkte an die neuen Veröffentlichungen von Beck zur Neubestimmung von ‚Politik‘. Er stellt die Kategorien des ‚entweder-oder‘ in Frage und beschreibt die Welt als eine des „und“ (Beck 1993: 63). Auch für die politische Bildung kann das ‚und‘ aus dem „Rollenkäfig der Institutionen“ (ebd.) herausführen, indem die Zusammenhänge zwischen Staat und Gesellschaft, zwischen ‚öffentlich‘ und ‚privat‘; zwischen ‚politisch‘ und ‚unpolitisch‘ herausgearbeitet werden. Ein solcher ‚weiter‘ Demokratiebegriff richtet sich auf die Demokratisierung aller gesllschaftlicher Bereiche, so auch auf die Wirtschaft. Zu verschiedenen Demokratieformen und -begriffen vgl. Neusüß (1984). — Gegen diesen ‚weiten‘ Politik- und Demokratiebegriff argumentieren Vertreter der Fachdidaktik mit der Begründung, so würde ‚unpolitischer‘ Politikunterricht begünstigt (vgl. Giesecke 1993: 48; Massing/Skuhr 1993/Breit 1993), der nichts als ‚Lebenshilfe‘ sei. Dagegen sei es notwendig, Strukturen und Organe des politischen Systems zu behandeln sowie die Interessen zu analysieren, die auf Machtgewinn zielen. In dieser Argumentationsweise erkenne ich ein immanent androzentrisches Politikverständnis und gehe von einer weitgehenden Verflechtung von Politik und Leben (Alltag) aus, die es in der politischen Bildung gerade zu reflektieren gilt (vgl. 5).

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  114. Die Parole der neuen Frauenbewegung ‚Das Private ist politisch!‘ (vgl. 3.5) reflektiert die Einsicht und die Erfahrung, daß das Wertgefüge einer Kultur bzw. einer Gesellschaft öffentliche und private Bereiche durchdringt, so daß die individuelle Erfahrung nur vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Strukturen und Prozesse Aussagewert besitzt.

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  115. Hier wären auch Initiativen wiederzubeleben und weiterzuführen, fachdidaktische soziologische Perspektiven auszubauen (vgl. die früheren Ambitionen etwa von Calliess u.a. 1974), die begründen, inwiefern gerade die Soziologie eine „aufschließende Disziplin“ sei (ebd.: 17). Im inhaltlichen Bereich wären auch — ähnlich wie das im Bereich Geschichte (vgl. Kuhn 1990; v. Borries/Kuhn 1986) und Naturwissenschaften bereits geschieht — die Beiträge von Politikerinnen zur politischen Kultur heranzuziehen, ferner die Wünsche und kritischen Anmerkungen von Schülerinnen und Schülern zur politischen Bildung zu erforschen. Vielleicht ist es kein Zufall, daß Geschlechterfragen in der Soziologie seit längerem, in der Politikwissenschaft erst neuerdings systematisch reflektiert werden?

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  116. Über die Bedeutung von Literatur für die politische Orientierung und den Rückhalt des Einzelnen in der DDR schreibt Friedrich Schorlemmer (1994): „Eine Zeile von Biermann, eine Kindergeschichte von Kunze, ein Roman von Böll, ein Essay von Christa Wolf war uns mehr als literarischer Text, mehr und anderes als Material für Kritiker. Literatur war Lebensmittel auf dem spannungsreichen Weg zum Frieden unserer Gesellschaft“ (ebd.: 32). Vor dem Hintergrund der DDR-Erfahrungen fragt er angesichts der gegenwärtigen Politikverdrossenheit, ob „nun das Gemisch aus Übersättigung, intellektuellem Dünkel, moralischem Ekel und gelangweilter Gleichgültigkeit auch uns bald in die verächtlichen Spielarten des gepflegten Zynismus führen?“ (ebd.). Mit dem hier vorzustellenden Ansatz soll solchen Tendenzen entgegengewirkt werden.

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  117. Kommunikative Kompetenz im Sozialkundeunterricht zu entwickeln und zu fordern. wird von Sarcinelli sogar als „Schlüsselaufgabe der politischen Bildung“ (Sarcinelli 1990: 376) bezeichnet, da die Teilnahme am politischen Leben diese erfordere.

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  118. Ingrid Ziegler (1990: 324 f) plädiert, ohne dies geschlechtsspezifischzu begründen, für einen sozialpsychologischen Ansatz in der politischen Didaktik, um Rollenverhalten zu erproben, Vorurteilen auf die Spur zu kommen und Metakommunikation zu fördern. Solche Ambitionen kommen meinen Bestrebungen entgegen. Bei der Reflexion von Berufswahlentscheidungen müßte z.B. die Beziehungsorientierung von Frauen in ihrer Widersprüchlichkeit thematisiert werden: Sie ist einerseits Folge und Ausdruck weiblicher Unterdrückung und Machtlosigkeit: Sich in die Bedürfnisse anderer einzufühlen und Charme zu entwickeln, ist eine Überlebensstrategie machtloser Gruppen und wird in der Frauenforschung kritisch als ‚Sklaveneigenschaft‘ etikettiert (Miller 1980), andererseits zeichnet die Beziehungsorientierung Frauen aus als Bewahrerinnen humanitärer Werte.

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  119. Die einseitige Betonung politischer Entscheidungsprozesse würde zum einen das Interesse von Schülerinnen an soziologischen Fragestellungen brüskieren (vgl. Weißeno 1989: 138), außerdem aber auch Frauenaktivitäten aus der politischen Bildung fürderhin ausklammern, weil Frauen an politischen Entscheidungen (im engeren, institutionenbezogenen Sinne) faktisch kaum beteiligt sind. Den Schülerinnen und Schülern würde somit die politische Bedeutungslosigkeit von Frauen immer wieder sinnfällig vorgeführt. — Die Institutionenkunde mag unter aktuellen politischen Bedingungen dahinter zurücktreten, ging es ihr doch um die Abgrenzung demokratischer Institutionen zu denen totalitärer Staaten, während es hier vornehmlich um die Erarbeitung wahrhaft demokratischer Strukturen im Innenverhältnis geht.

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  120. Vielleicht sollte im Unterricht auch die Lust an Politik, z.B. an politischer Einmischung, eine größere Rolle spielen als bisher. ‚Politiklust‘ bedeutet, selbst aktiv zu werden und sich einzusetzten, möglicherweise auch gerade außerhalb der etablierten politischen Institutionen (vgl. einige Beiträge in v. Arnim 1994).

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  121. Untersuchungen (vgl. Faulstich-Wieland) zeigen, daß Mädchen bei der Einführung neuer Technologien insbesondere die Folgen solcher Neuerungen thematisieren, während Jungen eher an technischen Details Interesse zeigen.

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  122. Teile der Frauenbewegung bekennen sich mittlerweile zum Postulat der ‚radikalen Subjektivität‘ und erteilen den herrschenden begriffsorientierten, abstrakten Denkformen eine Absage. Sogar innerhalb der fachdidaktischen Diskussion werden „spirituelle und kosmische Dimensionen“ (Drews v. Steinsdorf 1990: 189) angesprochen, an die das politische Bewußtsein Anschluß zu suchen habe. Rückhaltlose Subjektivität sieht auch Christa Wolf als eine Form weiblicher Erkenntnis, die eben gerade nicht Sinn-los, sondern mit Hilfe der Sinne sich zur Transzendenz aufschwingt (Wolf 1981: 217). Hier plädiere ich wiederum nicht für das Ersetzen des einen durch das andere, sondern für eine produktive Annäherung beider Pole. Gerade weil Emotionalität und Sinnlichkeit den Frauen durch militärischen Drill und andere Formen institutionalisierten Lernens nicht so gründlich ausgetrieben ist wie Männern, bestehen hier Chancen für neue Erkenntnismöglichkeiten.

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  123. Die Analyse von Gesprächs- und auch Unterrichtssituationen deutet darauf hin, daß Frauen in Gesprächen und auch bei der Strukturierung didaktischer Prozesse intuitive Fähigkeiten einsetzen, die ihnen dazu verhelfen, auch nonverbale Signale aufzunehmen und zu berücksichtigen. „Ich merke einfach, wenn jemand etwas sagen will“, so die Äußerung einer Lehrerin, die an Mimik und Gestik der Schülerinnen und Schüler ablas, ob sie einen Unterrichtsbeitrag leisten wollten (vgl. Koch-Priewe 1986). Frauen, so scheint es, sind aufgrund ihres Umgangs mit Säuglingen und Kleinkindern eher in der Lage als Männer, sich auf nonverbale Emotionen, Bedürfnisse und Motive eines Menschen einzustellen und sie ‚intuitiv‘ zu erfassen. Dies könnte erklären, warum Männer emotionalen Äußerungen gegenüber eher ablehnend begegnen — möglicherweise sind sie aufgrund schwächer ausgebildeter intuitiver Fähigkeiten unsicher, wie sie die Emotion ‚dekodieren‘ müssen. Eine typische Abwehr von Emotionen ist ihre Gleichsetzung mit Irrationalität.

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  124. Virginia Woolf unternimmt in ihrem Roman ‚Mrs. Dalloway‘ (1927) explizit den Versuch, ‚nachschreibend‘ zu demonstrieren, wie weiblicheBewußtseinsströmeverlaufen: intuitiv, assoziativ; grafisch versinnbildlicht ergäbe dies ein dichtes Netz von Linien (im Vergleich etwa zu der Geraden, die den Gedankenstrom einer logischen Abhandlung repräsentieren würde).

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Hoppe, H. (1996). Politische Orientierungen und Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern — Geschlechterdifferenz und Didaktik der Gesellschaftswissenschaften. In: Subjektorientierte politische Bildung. Schriften zur politischen Didaktik, vol 26. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-01420-1_3

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