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Ein historischer tour d’horizon

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Lehrbuch der Analysis Teil 2

Part of the book series: Mathematische Leitfäden ((MLF))

  • 1797 Accesses

Zusammenfassung

Am Anfang unserer Erzählung steht eine priesterliche Gestalt, deren schwankende Umrisse wir nur wie durch Nebel und Weihrauch wahrzunehmen vermögen. Pythagoras (570?-497? v. Chr.; 73?) wurde auf Samos geboren, einer jener ionischen Inseln, auf denen soviel Geist zur Welt gekommen ist. Griechische Neugier und Reiselust trieben ihn in die Fremde, und auf langen Wanderungen sog er sich voll mit der alten Weisheit Ägyptens und Babylons. Der Vierzigjährige gründete in dem unteritalienischen Kroton eine Schule, die man sich eher als eine religiöse Lebensgemeinschaft denn als eine Lehranstalt zu denken hat. Er muß etwas unendlich Ehrfurchtgebietendes und geradezu Heiligmäßiges an sich gehabt haben. Seine Anhänger konnten nicht immer deutlich zwischen ihm und dem Gott Apoll unterscheiden, und auch dem Pythagoras selbst scheint dies mit den Jahren zunehmend schwerer gefallen zu sein. Hab und Gut war den Pythagoreern gemeinsam, und ebenso gemeinsam war ihnen das Verlangen nach der politischen Herrschaft in Kroton. Diese Herrschbegier ließ die Bruderschaft und ihren Gründer ein böses Ende nehmen. Eines Tages umstellte die demokratische Partei Krotons das Versammlungshaus der Pythagoreer, brannte es nieder und trieb die Anhänger des Wundermannes aus der Stadt. Pythagoras selbst soll auf der Flucht erschlagen worden sein.

Es bleibt mir eine unerschöpfliche Quelle des Erstaunens, wenn ich sehe, wie ein paar Kritzeleien auf einer Tafel oder auf einem Blatt Papier den Lauf menschlicher Angelegenheiten verändern können.

Stanislaw Ulam

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Referenzen

  1. Zahlreiche der in diesem historischen Überblick benutzten Originalarbeiten findet man, jedenfalls auszugsweise, in den folgenden Büchern, auf die wir hier ausdrücklich hinweisen: O. Becker: Grundlagen der Mathematik in geschichtlicher Entwicklung (Freiburg 1964);

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  2. D. J. Struik: A source book in mathematics, 1200–1800 (Cambridge, Mass. 1969);

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  3. G. Birkhoff: A source book in classical analysis (Cambridge, Mass. 1973).

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  4. Noch im Dictionnaire de Trévoux von 1721 konnte man lesen: On distingue en Philosophie la quantité continuë, de la quantité discrette ... La continue est celle des lignes, des superficies et de solides, qui est l’objet de la Géométrie. La discrette est celle des nombres, qui est l’objet de l’Arithmétique.

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  5. Definition 4 aus dem Buch V der Elemente Euklids (um 300 v. Chr.). Die Lehren des Eudoxos sind uns nur durch Euklid und Archimedes überliefert.

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  6. (Elemente V, Definition 5.

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  7. Vgl. A 8.8 und beachte, daß die Sätze 8.2 und 8.3 gleichwertig sind.

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  8. Daß eine solche vierte Proportionale als Flächengröße vorhanden ist, wird von Euklid ohne nähere Begründung angenommen.

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  9. Plutarch: Leben des Marcellus, in Große Griechen und Römer, Artemis-Verlag Zürich und Stuttgart 1955. Auch die anderen, Archimedes betreffenden Zitate sind Plutarchs Marcellusbiographie entnommen.

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  10. Das griechische Wort atomos bedeutet unteilbar.

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  11. indivisibilis (lat.) = unteilbar.

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  12. Platon (427–347 v. Chr.; 80) und sein von ihm ganz verschiedener Schüler Aristoteles (384–322 v. Chr.; 62) gehören zu den wirkungsmächtigsten Philosophen der griechischen Antike und zu den geistigen Vätern des Abendlands.

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  13. Infinitesimale oder unendlich kleine Größen sind jene seltsamen Gebilde, die kleiner sind als jede „angebbare Größe“ und doch nicht verschwinden. So gespensterhaft sie auch scheinen mögen — sie sind im 17. und 18. Jahrhundert die Zugochsen der Analysis gewesen.

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  14. Kepler interpretiert z. B. den Kreis als ein reguläres Polygon mit unendlich vielen Ecken. Er denkt sich Radien zu diesen Ecken gezogen und kann nun den Kreis als Summe unendlich vieler infinitesimaler Dreiecke auffassen (wobei er die Grundlinien derselben je nach Bedarf als geradlinig oder als Teile der Kreisperipherie ansieht). Indem er auf jedes dieser Dreiecke die bekannte Inhaltsformel anwendet und alle diese Inhalte addiert, erhält er den Kreisinhalt als das halbe Produkt des Kreisumfangs mit dem Radius.

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  15. Barrow drückt sich so aus: „Wenn der Bogen PQ als unendlich klein angenommen wird, dürfen wir ihn ohne Bedenken durch das kleine Tangentenstück ersetzen.“

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  16. Das lateinische Wort calculus bedeutet ursprünglich „Steinchen“ und bezeichnete bei den Römern u. a. den Rechenstein. In den angelsächsischen Ländern wird es noch heute zur Bezeichnung einer elementaren Differential- und Integralrechnung verwendet, die mehr das Kalkülmäßige als die strenge Begründung betont.

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  17. Voltaire hat durch seine Éléments de la Physique de Newton (1738) die Verbreitung des „Newtonianismus“ in Frankreich mächtig gefördert. Nach dem Erscheinen dieses geistvollen Buches schrieb ein entzückter Zeitgenosse: „Ganz Paris hallt von Newton wider, ganz Paris stammelt Newton, ganz Paris studiert und lernt Newton.“ Nur der Kuriosität wegen erwähnen wir auch das Buch des Grafen Algarotti Eccovi il Neutonianismo per le Signore („Hier ist er, der Newtonianismus für die Damen“). Bemerkenswert der erfahrungsgesättigte Satz: „Die Liebe eines Liebhabers nimmt ab wie der Kubus der Entfernung von seiner Mätresse und wie das Quadrat der Länge seiner Abwesenheit.“

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  18. Den Begriff der Geschwindigkeit definiert Newton ebensowenig wie Galilei. Geschwindigkeit ist ihm physikalisch unmittelbar verständlich. — Die Verwendung des Buchstabens o zur Bezeichnung infinitesimaler Größen geht auf James Gregory zurück.

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  19. Die Punktschreibweise.ẋ, Ẏ für Geschwindigkeiten führte Newton erst später ein. Wir wollen sie aber hier schon verwenden.

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  20. Etwas später sagt er, die Annahme, jede Größe bestehe aus Indivisibeln, widerspreche dem, „was Euklid im 10. Buch der Elemente über inkommensurable Größen bewiesen hat“. Vgl. dazu unsere Ausführungen über die atomistische Geometrie in Nr. 239 (vor Fig. 239.2).

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  21. Wir benutzen hier das Wort Grenzwert, müssen uns aber vor Augen halten, daß Newton nicht über eine exakte Definition des Grenzwerts in unserem Sinne verfügt.

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  22. Newton sagt schon in De methodis serierum et fluxionum, daß er die Zeit nur formaliter betrachtet. Das Wort „Zeit“ sei nicht so zu verstehen, „als ob ich die Zeit in ihrer wirklichen Bedeutung gemeint hätte, sondern in dem Sinn, daß ich jene von der Zeit verschiedene Größe im Auge habe, durch deren gleichmäßiges Wachsen oder Fließen die Zeit dargestellt und gemessen wird“.

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  23. Théodicée bedeutet „Rechtfertigung Gottes“.

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  24. Leibniz benutzt keine Integrationsgrenzen. Seine Integrale sind aber immer bestimmte Integrale.

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  25. Bei dieser Formulierung der Produkt- und Quotientenregel beachte man, daß für Leibniz die Differentialrechnung wirklich, wie der Name sagt, ein Rechnen mit Differentialen ist.

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  26. Mit B1 D1 meint Leibniz das Rechteck B1 B2 D1 C1; entsprechend ist B2 D2 usw. zu verstehen.

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  27. Diese Dreiecke sind (infinitesimale) charakteristische Dreiecke.

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  28. Leibniz spricht hier übrigens nicht von Differentialen, sondern von Differenzen (diifferentiae). Jahre später sagt er, sein Kalkül sei unter dem Namen Differenzenrechnung bekannt geworden.

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  29. Der Ausdruck calculus differentialis geht auf eine Anregung Johann Bernoullis zurück; ursprünglich sprach Leibniz von der methodus tangentium directa. Dementsprechend nannte er den calculus summatorius auch methodus tangentium inversa. Die Bezeichnung calculus integralis wurde erst 1698 eingeführt, wiederum auf den Rat Johann Bernoullis. Das Wort Integral findet sich erstmals in einer Arbeit von Jakob Bernoulli aus dem Jahre 1690. Das lateinische Wort integrare bedeutet „wiederherstellen“. Die Integration stellt aus der Ableitung die ursprüngliche Funktion wieder her.

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  30. S. George Berkeley: Schriften über die Grundlagen der Mathematik und Physik. Eingeleitet und übersetzt von W. Breidert. Suhrkamp-Verlag Frankfurt/M. 1969.

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  31. Das „entstehende Inkrement“ der Fluente x ist ẋ o, wobei o ein infinitesimales Zeitintervall bedeutet.

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  32. Mit diesen Momenten kehren die infinitesimalen Größen wieder zurück, die Newton im Buch I der Principia ausdrücklich verbannt hatte. Momente sind natürlich Begriffe der Fluxionstheorie, und die Berechnung des Moments von AB ist ein Stück Fluxionsrechnung. Aber Newton sagt dies nicht.

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  33. Infinitesimale Größen sind, wenn auch in ganz anderer Form als ihre Erfinder es sich denken konnten, vor etwa zwanzig Jahren in der sogenannten non-standard-analysis wieder zum Leben erweckt worden. Sie sind natürlich keine reellen Zahlen, sondern Objekte, die von außen zu R hinzugefügt werden. Den interessierten Leser verweisen wir auf D. Laugwitz: Infinitesimalkalkül. Eine elementare Einführung in die Nichtstandard-Analysis (Mannheim/ Wien/Zürich 1978).

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  34. Johann Bernoullis älterer Bruder Jakob (1654–1705; 51) gehört in das 17. Jahrhundert. Die beiden Bernoullis nahmen sich der neuen Analysis mit solchem Erfolg an, daß Leibniz sie als Miterfinder des Calculus bezeichnete.

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  35. Jakob und Johann Bernoulli nennt man die Brüder Bernoulli. Die beiden anderen Brüder, Nikolaus und Daniel (Johanns Söhne), heißen die „jüngeren Bernoullis“. Mit diesen vieren ist übrigens die Zahl der Mathematiker in der Familie Bernoulli noch lange nicht erschöpft.

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  36. Man hat behauptet — und bestritten —, Cauchy habe bei Bolzano abgeschrieben. Dies dürfen wir auf sich beruhen lassen.

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  37. Jour. reine u. angew. Math. 4 (1829), 157–169. In dieser Arbeit eröffnete Dirichlet den Zugang zur Konvergenztheorie der Fourierreihen, den wir in den Nummern 135 und 136 dargestellt haben.

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© 2004 B. G. Teubner Verlag / GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden

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Heuser, H. (2004). Ein historischer tour d’horizon . In: Lehrbuch der Analysis Teil 2. Mathematische Leitfäden. Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-01407-2_16

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  • Print ISBN: 978-3-519-62232-1

  • Online ISBN: 978-3-663-01407-2

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