Entgrenzung und Formierung neuer politischer Räume

Zusammenfassung

Nach einer lange, intensiv und nicht immer strukturiert geführten Diskussion um Begriff, Inhalt und Konsequenzen der „Globalisierung“ hat ein Prozeß der disziplinären Schwerpunktbildung eingesetzt. Für die umfassende Begriffsbestimmung und Bewertung des Gesamtphänomens haben soziologische Gesellschaftstheorie sowie kulturwissenschaftliche Ansätze ihre Zuständigkeit etabliert. Die Wirtschaftswissenschaften sind über eine Aufarbeitung des Themas in den Kategorien des internationalen Standortwettbewerbs kaum hinausgelangt. Die Rechtswissenschaften haben überhaupt erst zögerlich begonnen, die einschlägigen Entwicklungen einer „Globalisierung des Rechts“ anzusprechen. Die politikwissenschaftliche Bearbeitung der Globalisierung hat ihre Expertise entlang zweier globaler Entwicklungstrends und deren Wechselwirkungen untereinander etabliert. Auf der einen Seite hat sie die verschiedenen Facetten eines Wandels von Staatlichkeit aufgezeigt. Neben einen relativen Bedeutungszuwachs der „Gesellschaftswelt“ gegenüber der „Staatenwelt“ (Czempiel 1991) tritt dabei ein Ausbreiten gesellschaftsweltlicher Muster in der Staatenwelt selbst, die von neuen öffentlich-privaten Hybridformen von Politik durchdrungen wird (vgl. z.B. Voigt 1996). Vor dem Hintergrund des weltwirtschaftlichen Strukturwandels konnte zusätzlich die relative „Entstofflichung“ als wesentlicher Entwicklungstrend identifiziert werden, d.h. die zunehmende Tertiarisierung der globalen Ökonomie und eine damit verbundene zunehmende Abkopplung der globalen Finanzmärkte von realwirtschaftlichen Entwicklungen und sozialen Rahmenbedingungen (Altvater/Mahnkopf 1996). Der Relevanzverlust und Formwandel des Staates auf der einen sowie die Bestimmung weltwirtschaftlicher Prozesse durch ortsungebundene globale Finanzmärkte auf der anderen Seite wirft eine Reihe von Problemen für die Möglichkeit der politischen Steuerung wirtschaftlicher Prozesse wie auch im Hinblick auf die Verlagerung von Entscheidungskompetenzen in demokratisch nicht legitimierte nichtstaatliche oder aber nur mittelbar demokratisch legitimierte supra- oder zwischenstaatliche Instanzen auf. Dabei verliefen die politikwissenschaftlichen Bemühungen, die aus den Umbruchdiagnosen resultierenden neuen Rahmenbedingungen für politisches Handeln zu benennen, bislang uneinheitlich. Neu ist, daß sich die unterschiedlichen Problemformulierungen und Lösungsvorschläge nicht mehr ohne weiteres den Kategorienmustern hergebrachter theoretischer Großkontroversen fügen. Zu komplex erscheint die Qualität des globalen Umbruchs, als daß er sich ohne weiteres in die Koordinatensysterne der Grundsatzdiskussionen zwischen System- und Handlungstheorie oder zwischen universalistischen und partikularistischen Demokratietheorien einfugen ließe. Diese Grundsatzdiskussionen selbst können heute kaum noch forschungsleitend wirken. Wenn heute flexibel-kooperativ steuernde Elemente und Operationsmodi eines Verhandlungsstaates neben die des hierarchisch entscheidenden Staates treten (Voigt 1995; Marin/Mayntz 1991), wenn netzwerkartige, dynamische (Mehrebenen-)Systeme die Aufgaben gouvernmentaler und intergouvernmentaler Entscheidungsfindung übernehmen (vgl. Jachtenfuchs/Kohler-Koch 1996) und wenn allgemein mit immer weniger und anderen Formen von Regierung regiert wird (Czempiel/Rosenau 1992), dann sind vorrangig Zugänge zur Steuerungsproblematik gefragt, welche die Stärken der verschiedenen Ansätze synergetisch zu verbinden vermögen.