Zusammenfassung
Im vorangegangenen Kapitel konnte rekonstruiert werden, wie das industrielle Paradigma der Dampfmaschine in der Sexualtheorie von Wilhelm Reich wirksam ist. Die Verbindung von mechanistischen und vitalistischen Körperkonzepten ermöglichte den Entwurf eines Lustkörpers, dessen sexuelle Lust von Natur aus auf Genitalität und Orgasmus gerichtet ist. Noch in der aktuellen Debatte um den Verlust der sexuellen Lust wird unreflektiert auf den orgasmuszentrierten Leistungskörper zurückgegriffen. In der Sexualwissenschaft wird der Lustkörper einerseits verobjektiviert und instrumentalisiert. Orgasmushäufigkeit ist immer noch das zentrale Kriterium für sexuelle Zufriedenheit. Andererseits wird der Lustkörper zum Ausgangspunkt einer ekstatischen Sexualität bzw. einer freien Lustsuche.
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Literatur
Mit der Bezeichnung „Neue Frauenbewegung“ soll keineswegs die Vielschichtigkeit und innere Differenz einer politischen Bewegung negiert werden. Vielmehr geht es in diesem Zusammenhang um die Rekonstruktion vorherrschender politischer Positionen und erkenntnisleitender Körperkonzepte.
Van Dülmen weist an dieser Stelle darauf hin, daß sich die vielfältigen Strömungen der Befreiungs- und Selbstbestimmungsbewegungen nur teilweise nach politischen, konservativen oder modernen, sozialistischen oder liberalen Richtungen identifizieren lassen (ebd.).
Das blieb selbstverständlich seitens der Frauen und z.T. auch der Männer nicht unkritisiert. So klagten beispielsweise Mary Wollstonecraft (1759–1797) oder Olymph de Gouges die Menschenrechte für Frauen ein (vgl. Honegger 1996, 93ff.). Die Überzeugung von der natürlichen Gleichheit der Geschlechter, die noch in der frühen Aufklärungszeit vorherrschend war, wurde im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert von Medizinern, Anatomen und Physiologen empirisch für unhaltbar erklärt, da der weibliche Körper, durch Sensibilität und Schmerzempfindlichkeit gekennzeichnet, der körperlichen Organisation des Menschen zugeordnet wurde, während der männliche Körper aufgrund seiner sittlichgeistigen Fähigkeiten der psychischen bzw. moralischen Organisation angehörte (vgl. Honegger 1996, 140ff.; Laqueur 1992).
Im Jahre 1905 wurde der Bund für Mutterschutz gegründet. Dessen erste Vorsitzende war Helene Stöcker. Sie setzte sich nicht nur für eine praktische Unterstützung von verheirateten wie ledigen Müttern ein, sondern forderte ganz im Sinne des darwinistischen Vererbungsparadigmas und der Eugenik das Recht auf geplante Mutterschaft (vgl. Janssen-Jurreit 1986, 35ff.).
Taeger zitiert hier einen Entwurf des Strafgesetzbuches aus dem Jahre 1843.
Obwohl Kant nicht den üblichen Anspruch erhob, die Geschlechterdifferenz aus der physiologischen Organisation der Geschlechtskörper abzuleiten, wurden seine normativen Aussagen zum Charakter der Geschlechter widerspruchslos in den sonderanthropologischen Diskurs integriert (vgl. Honegger 1996, 187).
Zur Unterscheidung zwischen mechanistischen und vitalistischen Körperkonzepten vgl. Kapitel II.4.1.
Honegger sieht in dieser Argumentation eine Parallele zur physiologischen Kritik an der Onanie. Sowohl der denkenden Frau als auch dem Onanisten wurde vorgehalten, die gesamten Körperkräfte für nur ein Organ zu „verschwenden“ und insofern das hohe Risiko für Impotenz und Zeugungsunfähigkeit selbst zu tragen (vgl. Weeks 2000, 164f.). Weibliche Unfruchtbarkeit galt als Gefahr für Mann und Gesellschaft (vgl. Weeks 2000 152).
Im Jahre 1874 wird die immer noch vorherrschende Argumentation, daß Frauen aufgrund ihrer Körperkonstitution weder für ein Studium noch für einen wissenschaftlichen Beruf geeignet seien, von Hedwig Dohm mit Verweis auf die psychophysiologische Legitimationsgrundlage kritisiert (vgl. Honegger 1996, 178f.). In einem ähnlichen Zusammenhang weist Weeks darauf hin, daß sich auch die Sexualwissenschaft des 19. Jahrhunderts aktiv an der Debatte beteiligte, Frauen den Zugang zu höherer Bildung sowie sexuelle Selbstbestimmungsrechte zu verwehren (vgl. Weeks 2000, 168).
Im „bürgerlichen Patriarchalismus“ wurden Frauen von den allgemeinen Menschenrechten ausgeschlossen und erhielten statt dessen Sonderrechte, die sich aus dem Familienrecht ergaben. Als Rechtspersonen wurden Frauen im 19. Jahrhundert nicht anerkannt. Durch den Ehevertrag waren sie z.B. vom Eigentumserwerb und von freier Lohnarbeit ausgeschlossen (vgl. Scheich 1993, 255; Gerhard 1978, 154).
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts äußert sich in der dadaistischen Kunst z.B. von Raoul Hausmanns Der Geist unserer Zeit von 1919 eine entfremdungstheoretische Kritik an der Vermessung des Menschen (siehe Abb. 9).
Daß der Lustkörper der Frau nicht als Maschine mechanistischer Gesetzmäßigkeit vorgestellt werden darf, daran wird sich Wilhelm Reich getreu einer vitalistisch geprägten Sonderanthropologie der Frau noch in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts erinnern (vgl. Kapitel II4).
Mit der Bezeichnung „Neue Frauenbewegung“ soll keineswegs die Vielschichtigkeit und innere Differenz der politischen Bewegung negiert werden und doch geht es in diesem Zusammenhang um die Rekonstruktion vorherrschender politischer Positionen und erkenntnisleitender Konzepte.
In der historischen Betrachtung der Frauenbewegungen in Deutschland lassen sich zwei zentrale Phasen voneinander unterscheiden. Als „Alte Frauenbewegung“ wird demnach die Frauenbewegung von 1848 bis 1933 bezeichnet, während die Frauenbewegung, die sich seit 1968 formiert, als „Neue Frauenbewegung“ verstanden wird (vgl. Schenk 1980; Janssen-Jurreit 1986; Gerhard 1990).
Auf die Vielfalt feministischer Emanzipationsstrategien bzw. auf die besondere Kontroverse zwischen einem linken Feminismus und einem sogenannten „feministischen Feminismus“ kann hier nur hingewiesen werden. Während im linken Feminismus die patriarchale Frauenunterdrückung als eine spezifische Form kapitalistischer Vergesellschaftung betrachtet wurde, sah der feministische Feminismus — eher umgekehrt — die kapitalistische Gesellschaft und ihre zerstörerische Naturaneignung als Ausdruck einer patriarchalen Weltordnung an (vgl. Bührmann 1995, 18f.)
Bührmann unterscheidet die sexual-revolutionäre Position von Greer und Firestone, die unter Rückgriff auf die Theorien von Wilhelm Reich und Herbert Marcuse die sexuelle Energie als allgemeine Lebenskraft verstehen, von der orgasmologischen Position Schwarzers und Milletts, die mit Bezug auf die empirische Sexualforschung dem Sexuellen die Hauptfunktion zuweisen, einen klitoralen Orgasmus zu bewirken (Bührmann 1995, 120). Sowohl Greer und Firestone als auch Schwarzer und Millett lehnen die traditionelle heterosexuelle Praxis ab.
Vgl. hierzu ausführlich Kapitel II.2.
Ab 1968 gründeten sich zunächst in den USA und später in Europa Selbsterfahrungsgruppen, die innerhalb der deutschen Frauenbewegung der 70er Jahre das Kernstück einer offensiven politischen Strategie darstellten (vgl. Bührmann 1995, 137).
Die kontroverse wissenschaftliche Debatte über den Stellenwert der Selbsterfahrungsgruppen in der Neuen Frauenbewegung kann hier nur erwähnt werden (vgl. Schenk 1980, 92; Landweer 1981, 29f.; Schwarzer 1981, 38; Frevert 1986, 281; Klinger 1990, 117 u. Bührmann 1995, 137f.).
Daß sich die Normierung und Disziplinierung von Individuen zunehmend ohne „fremde Hilfe“ und im Sinne von Althussers Subjektkritik „ganz von allein“ vollzieht (Althusser 1969, 169), läßt sich in vielen gesellschaftlichen Bereichen beobachten. So habe ich in einer Untersuchung des Täter-Opfer-Ausgleich nachweisen können, daß diese Normierungsinstitution nicht nur im Zeichen der Humanisierung von Strafpraktiken steht, sondern — gerade weil sie bestimmte Machtverhältnisse in das Täterindividuum verlagert — eine Fortsetzung bereits bestehender Disziplinartechniken darstellt (vgl. Bauer 1997). Zum Verhältnis von Selbststeuerung als Norm und Selbstregierung als Kritik vgl. Bröckling, Krasmann, Lemke 2000.
Die Optimierung der Geständnispraxis zeigt sich Bührmann zufolge insbesondere in der Abtreibungskampagne, in der Frauen in autobiographischen Zeugnissen, öffentlichen Bekenntnissen und sogenannten Coming-Out-Gruppen ihren Schwangerschaftsabbruch ‚gestehen‘ sollten (vgl. Bührmann 1995, 196).
Vgl. hierzu ausführlich Kapitel II.4.4.
Im einzelnen untersucht Bührmann die Dokumentationen der zwischen 1976 und 1983 jährlich in Westberlin stattgefundenen Sommeruniversitäten und der von 1975 bis 1983 jährlich veröffentlichten Frauenjahrbücher, da sich diese selbst als Ausdruck und Reflexion der Sexualitätsdebatte innerhalb der Neuen Frauenbewegung verstehen (vgl. Bührmann 1995, 24 u. 153f.).
In seiner Theorie der sexuellen Entwicklung unterscheidet Freud den klitoralen vom vaginalen Orgasmus, wobei er letzteren zur Norm der weiblichen Sexualität erklärt (Freud 1972b). Laqueur spricht dabei von einer Freudschen „Erfindung“ (Laqueur 1992, 265). In den Sexualtheorien von 1905 hätte Freud den vaginalen Orgasmus sogar bewußt konstruiert, da ihm bekannt gewesen sein müßte, daß keine naturwissenschaftliche Forschung diese „Entdeckung“ bestätigen konnte. Die im Kontext der gesellschaftlichen Moderne voranschreitende Verwissenschaftlichung des Körpers in Physiologie, Biologie, Anatomie und Medizin (vgl. Sarasin, Tanner 1998 u. Kapitel II) kannte keinen vaginalen Orgasmus der Frau und auch in der phantasiereichen pornographischen Literatur der Jahrhundertwende sei diese Vorstellung völlig unbekannt gewesen. Ganz im Gegenteil war die Klitoris „wie der Penis fir zwei Jahrtausende sowohl >kostbarer Juwel< als auch Sexualorgan“ (ebd.). Bührmann weist darauf hin, daß die sexual-revolutionäre Kritik am vaginalen Orgasmus von Greer und Firestone in eine Betonung des ganzen Körpers als Lustquelle münde, während die orgasmologische Position von Millett und Schwarzer lediglich eine Verschiebung des vaginalen zum klitoralen Orgasmus einfordere (Bührmann 1995, 120).
Sigusch hat das Sexuelle in seiner Sexualtheorie analytisch verdoppelt. Einerseits wurde es durch die kapitalistische Gesellschaft unterdrückt, vermarktet und zerstört. Andererseits galt es jedoch als Widerstandspunkt gegen jene Entfremdung (Sigusch 1984a, 1984b). Vgl. hierzu ausführlich Kapitel II.2.
So hat Sigusch zwar kritisch darauf hingewiesen, daß ein „Doppelcharakter des Sexuellen“ die liberalen Parolen durchzieht, da sie die Subversivität der Perversion betonten und jegliche sexuelle Konformität ablehnten (Sigusch 1984a, 20ff.). Anstatt jedoch jene analytische Verdoppelung in ihrer Wirkungsweise zu reflektieren, fordert er sogar noch, die scheinbar entgegengesetzten Sphären des Sexuellen, „vom Mysterium der Liebe bis zum Durchbruch des Triebes“ als eine Einheit anzuerkennen (Sigusch 1984a, 20).
Auf die vielfältige Kritik an der Entfremdung der Frau durch die Pathologisierung und Hysterisierung ihres Körpers in der Medizin und Gynäkologie, an der Verdrängung der Hebammen, den Geburtenkontrollen durch Männer, der Klitorisbeschneidung, der Verhütung durch die Pille etc. kann hier nur hingewiesen werden (vgl. Bührmann 1995, 171f).
Die Theorie der Geschichtlichkeit von Wahrheit läßt eine gewisse Nähe zur Diskurstherie von Foucault vermuten, mit der ebenfalls die Untersuchung der historischen und strukturellen Bedingungen von Wahrheit und Erkenntnis fruchtbar gemacht werden soll für eine Kritik an der Idee universeller Wahrheit (vgl. z.B. Foucault 1973 u. 1994b). Interessant wäre, in einer systematischen Untersuchung auch die Methode der „doppelten Reduktion“ (Dreyfus, Rabinow 1994, 73), durch die in der Foucaultschen Diskursanalyse nicht nur der Wahrheitsanspruch eines seriösen Sprechaktes zurückgewiesen wird, sondern durch die auch eine neutrale Haltung gegenüber die Bedeutung eines Sprechaktes eingefordert wird (vgl. Kapitel II. 2.1), mit dem Prinzip der „doppelten Reflexion“ von Horkheimer zu vergleichen.
Helfferich hat dabei an Douglas die berechtigte Kritik formuliert, zwar die vielfältigen Formen gesellschaftlich bedingter Körperkonzepte untersucht, jedoch systematisch eine geschlechtsspezifische Perspektive ausgeblendet zu haben. Helfferich ist darin zuzustimmen, daß erst genauere Analysen von weiblichen und männlichen Körperkonzepten, die in den Selbst- und Fremdwahrnehmungen beider Geschlechter womöglich unterschiedlich ausfallen, wichtige Erkenntnisse liefern über die mikrophysische Wirkungsmacht von Gesellschafts- bzw. Geschlechterverhältnissen (Helfferich 1998, 84). Doch sowohl in den sozialanthropologischen Studien von Douglas als auch in den feministischen Sexualforschungen von Helfferich wird der Bedeutung von Naturwissenschaft und Technik bei der Konstitution gesellschaftlich bedingter Körperkonzepte zu wenig Beachtung geschenkt. Aus meiner Sicht muß neben dem Einfluß des gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisses vor allem auch die Auswirkung der neuen Informations-, Kommunikations- und Biotechnologien auf die Herausbildung von individuellen und normativen Körperkonzepten verfolgt werden. Wenn sich im Kontext von Technowissenschaft und Biotechnologien die bisherigen Grenzen von Innen und Außen zu verschieben beginnen (vgl. Haraway 1995c) und neue Konzepte von Natur und Körper entworfen werden, ist ebenfalls mit veränderten Körperbildern und Sexualitätsvorstellungen zu rechnen.
Claudia Benthien zeigt in ihrer literaturgeschichtlichen Studie zur Haut (Benthien 1999), daß die Vorstellung von einem abgepanzerten Körper auf den Mythos von einer männlichen Panzerhaut zurückgeht und auf das Ideal göttlicher Unsterblichkeit verweist. In den Geschichten von der Versiegelung des männlichen Körpers durch Feuer (griechischer Mythos von Achill) oder durch Drachenblut (SiegfriedSage) zeigt sich jedoch immer ein Ort der Verwundbarkeit (die Ferse des Achill bzw. die vom Eichenblatt bedeckte Stelle zwischen Siegfrieds Schultern), der zum Zeichen menschlicher Sterblichkeit wird. Da das Konzept vom gepanzerten Körper ihrer Ansicht nach auf die „narzißtische Männerphanta-sie eines unverletzlichen, nicht-penetrierbaren, phallischen Körpers“ zurückgeht (Benthien 1999, 161, vgl. hierzu auch Theweleit 1993, Bd. 2), stellt sich in dem hier vorliegenden Zusammenhang die Frage, ob sich die Mehrheit ostdeutscher Frauen wirklich „männliche“ Körperphantasien „einverleibt“ hat, oder inwieweit nicht eher die Kategorie Geschlecht in der Sozialisation ostdeutscher Frauen eine ganz andere Rolle (ge-)spielt (hat) als in der Sozialisation westdeutscher Frauen.
Der objektbeziehungstheoretische Ansatz von Jessica Benjamins steht zudem in der Tradition der Kritischen Theorie. Ihr zentrales Interesse gilt der Subjekt-Objekt-Problematik neuzeitlicher Naturbeherrschung und den daraus abzuleitenden Konstitutionsbedingungen männlicher Subjektivität (vgl. Rumpf 1989, 53). Mechthild Rumpf hat sich in Spuren des Mütterlichen u.a. mit dem Ansatz von Benjamin beschäftigt, wobei sie insbesondere Benjamins Lesart der Kritischen Theorie problematisiert und ihre Fehlinterpretation Hegels und Freuds kritisiert (Rumpf 1989, 53–71, vgl. hierzu auch Becker-Schmidt, Knapp 2000, 140f.).
Benjamin hatte die klassische Freudsche Psychoanalyse kritisiert, da diese die Psyche des Individuums als inneres „Kraftfeld von Trieben und Abwehrmechanismen“ vorstellte (vgl. Benjamin 1993a, 15) und so die Dimensionen des Angewiesenseins und der intersubjektiven Anerkennung des Anderen ausblende. Es reiche nicht aus, unter Rückgriff auf einen „intrapsychischen Standpunkt das Individuum als eine abgegrenzte Entität mit einer komplizierten Innenstruktur“ zu betrachten, das nur über die Erforschung des Unbewußten verstanden werden könne (Benjamin 1993a, 23). Statt dessen begrüßt sie die Erweiterung des psychoanalytischen Denkens nach Freud, welches das Ich in seinen Objektbeziehungen fokussierte und so zumindest zu einem „verstärkten Interesse für die Idee des Selbst“ und „für die Beziehung zwischen dem Selbst und den anderen“ führte (ebd.).
Die feministische Kritik an der Psychoanalyse habe zwar zeigen können, daß die Unvermeidbarkeit von Herrschaft im Freudschen Denken mit der Akzeptanz eines hierarchischen Geschlechterverhältnisses verbunden und daher abzulehnen sei. Durch den Rück griff auf die Philosophie Simone de Beauvoirs, die das Verhältnis zwischen Mann und Frau als eine Komplementärbeziehung zwischen Subjekt und Objekt bzw. zwischen Herr und Knecht verstehe, könne es jedoch gelingen, die psychoanalytische Theorie doch noch für eine kritische Untersuchung der psychischen Strukturen fruchtbar zu machen, die trotz Gleichheitspostulat immer wieder zu der Ausbildung asymmetrischer Geschlechterbeziehungen führen und allgemeine Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit stützen (Beniamin 1993a. 11).
Koellreuter kritisiert in diesem Zusammenhang, daß Benjamin durch den Verzicht auf den Objektbegriff die Vielfalt der Triebbesetzungen ausblendet. Der Trieb besetzt Freud zufolge nicht nur Subjekte als Objekte, sondern auch Körperzonen, den eigen Körper oder phantasierte Objekte (vgl. Koellreuter 1996, 137).
Vgl. hierzu ausführlich Kapitel III.1.2.
In diesem Zusammenhang soll angemerkt werden, daß die von Gilemeister und Wetterer vorgeschlagene Dekonstruktion der sozialen Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit auch kritisch zu betrachten ist. So hat Maihofer auf die zu enge Verbindung von Konstruktion und Dekonstruktion des Geschlechts hingewiesen (Maihofer 1995, 65ff.). Weil Gildemeister und Wetterer die binäre Struktur der Zweigeschlechtlichkeit von den inhaltlichen Zuschreibungen an die Geschlechter analytisch trennen und diese zur Priorität der Untersuchung erheben, ließen sie keinen Raum mehr für die „Rekonstruktion des Geschlechts als einer historisch bestimmten gesellschaftlich-kulturellen Existenzweise, also der Art und Weise, wie in dieser Gesellschaft Individuen nicht nur zu Geschlechtern gemacht werden, sondern auch, wie sie als solche existieren“ (Maihofer 1995, 66, Hervorh. i. 0.). Das bedeute zudem die Reduktion von Geschlecht auf eine ideologische Bewußtseinsform, so daß komplexe Transformationsprozesse von gesellschaftlichen Praxen und Verhältnissen unberücksichtigt blieben, und die Bedeutung von Geschlecht als gelebte Körperlichkeit, einer ideologiekritischen Tradition entsprechend, ausgeblendet werde (vgl. Maihofer 1995, 67f.).
Benjamin kritisiert zwar die symbolische Vorherrschaft des Phallus, da der Phallus als Zeichen des männlichen Körpers die Macht, die Freiheit und das Begehren repräsentiert. Sie sieht jedoch anders als Luce Irigaray keine Alternative in der Schaffung einer körperlichen Repräsentation weiblicher Lust (vgl. Irigaray 1979). Zwar drücke sich die sexuelle Subjektivität der Frau in ihrem Körper aus „und darum liegt es im Interesse der Frauen, wieder ein Recht auf ihren Körper zu beanspruchen und ihn kennenzulernen. Hier geht es jedoch um eine psychische Repräsentanz, und in einer Kultur, in der die Repräsentation des Körpers ganz vom Phallus beherrscht und strukturiert ist, wird der weibliche Körper zwangsläufig zum Objekt des Phallus“ (Benjamin 1993a, 122, Hervorh. i. 0.). Weil der Körper immer schon in die symbolische Ordnung des Phallus eingespannt sei, scheint er keinen geeigneten Ausgangspunkt zu bieten, um das Begehren der Frau zu repräsentieren.
Die radikal reduktionistische Position Benjamins halten Becker-Schmidt und Knapp nur für möglich, weil sie in ihrer Analyse frühkindlicher Beziehungen die Ambivalenzen von Liebe und Haß für die Mutter bzw. Bewunderung und Furcht vor dem Vater ausblendet, und diese potentielle Vielfalt grundlegend jeweils an das Geschlecht des Kindes bindet und damit zwischen den Geschlechtern aufspaltet, gegenseitig ausschließt und neutralisiert (vgl. Becker-Schmidt, Knapp 2000, 140).
In diesem Zusammenhang zeigen Becker-Schmidt und Knapp die begrenzte Reichweite des Ansatzes von Butler, da hier das Verhältnis von Sexualität und Reproduktion und das daran gebundene Geschlechterverhältnis zwischen Frauen und Männern ausgeblendet, während der Zusammenhang von Heterosexualität und Geschlechtsidentität „totalisiert“ werde (vgl. Becker-Schmidt, Knapp 2000, 92).
Relevant sind Identitätskategorien aufgrund ihres Potentials, Geschlecht zu konstituieren bzw. Geschlechterdifferenz zu naturalisieren. Butler will eine scheinbare Natürlichkeit von Geschlechterdifferenz zurückweisen und Geschlecht statt dessen als soziale Konstruktion herausarbeiten. Dabei greift sie auf die Methode der Genealogie von Foucault zurück, mit der sichtbar wird, daß sich hinter Identitätskategorien keine objektive Wirklichkeit, z.B. von Männlichkeit und Weiblichkeit verbirgt, die wie ein Rätsel zu entziffern ist. Identitätskategorien sind nach Butler und nach Foucault das Ergebnis machtvoller, diskursiver Produktion von Bedeutung und Normen. Hergestellter Sinn und produzierte Normen strukturieren die Wahrnehmung von individuellen Eigenschaften als „männlich“ oder „weiblich“ und von Körpern als Geschlechtskörper. Identitätskategorie umfassen keine natürlich männlichen oder weiblichen Eigenschaften. Vielmehr werden diese im Prozeß des Beschreibens konstituiert und als ontologische Setzung des Geschlechts und essentialistische Postulate von Geschlechterdifferenz festgeschrieben. So ist der Prozeß, „ein Mann oder eine Frau zu werden (>becoming a gender<), der mühsame Vorgang, >naturalisiert< zu werden“ (Butler 1991, 111).
Butlers radikale Form der Dekonstruktion von Zweigeschlechtlichkeit und Materialität hat in der bundesrepublikanischen Geschlechterforschung und feministischen Theoriebildung heftige und z.T. polemisch geführte Diskussionen ausgelöst, in der sich extreme Positionen gegenüberstanden, wie die von Erica Haas (Haas 1995) und Barbara Duden, die Butler als eine „durch Verkörperung von Theorie entkörperte Frau“ bezeichnet (Duden 1993, 27, vgl. hierzu auch Maihofer 1995, 14). Becker-Schmidt und Knapp weisen darauf hin, daß Butler im Anschluß an Das Unbehagen der Geschlechter für eine auf Verständigung gerichtete Entspannung gesorgt und ihre Positionen z.T. relativiert hat. Grundsätzlich strebe sie gegenwärtig keine ein für alle Mal gültige Bestimmung und Festlegung des Verhältnisses zwischen Sex und Gender an, sondern suche die Bedeutungen der Begriffe innerhalb von Diskursen und politischen Debatten zu rekonstruieren, um mit dem Wissen um Diskurspolitik subversiv in diese eingreifen und Reformulierungen zweigeschlechtlicher Positionen verhindern zu können (vgl. BeckerSchmidt, Knapp 2000, 83).
So geht Foucault in Nietzsche, die Genealogie, die Historie davon aus, daß bei der Suche nach dem Wesen und der Identität der Dinge etwas ganz anderes gefunden wird. Es zeigt sich, daß deren Wesen aus ihnen fremden Bedeutungen konstruiert sind. „Am historischen Anfang der Dinge findet man nicht die immer noch bewahrte Identität ihres Ursprungs, sondern die Unstimmigkeit des Anderen“ (Foucault 1993b, 71).
Im Unterschied zu Foucault, auf dessen historische und empirische Analyse von MachtWissen-Zusammenhängen sich Butler bezieht, bewegt sich ihr Ansatz auf die kritische Untersuchung wissenschaftlicher Diskurse und deren impliziter Logiken der Zweigeschlechtlichkeit und auf erkenntnistheoretische Begriffsreflexionen, um sich dem System normierender Zwangsheterosexualität zu widersetzen (vgl. Becker-Schmidt, Knapp 2000, 84).
So diskutiert Butler in Körper von Gewicht die Materie-Konzeptionen bei Aristoteles und Foucault, Platon und Irigaray, Freud und Lacan, um die „Herstellung sexuierter Morphologien durch regulierende Schemata“ aufzuzeigen (Butler 1997a, 41, vgl. ausführlich 53ff.).
Butlers Vorstellung von der Konstituierung des Subjekts durch performative Akte bzw. „Anrufungen“ (vgl. Althusser 1969) ist mit dem Argument kritisiert worden, daß das Subjekt in der Diskurstheorie seine individuelle Handlungsfähigkeit einbüße (vgl. Benhabib 1993). Daraufhin hat Butler ihre Sicht, daß Subjekte durch die Praxis der Diskurse und der Sprache weder völlig frei noch völlig determiniert sind, erneut verdeutlicht (vgl. Butler 1993).
Vgl. hierzu ausführlich (Butler 1997a, 171 ff.; Hark 1998, 118; Villa 2000, 130ff.).
In Kapitel IV. komme ich ausführlich auf diesen Zusammenhang zurück.
Karin Flaake weist unter Rückgriff auf Christa Rohde-Dachser darauf hin, daß die in der Psychoanalyse vorherrschenden theoretischen Konzepte zu individuellen Entwicklungsprozessen in entscheidendem Maße von den fir Männer spezifischen Phantasien und Ängsten beeinflußt sind (vgl. Flacke 2000, 169f. u. Rohde-Dachser 1991).
Das Freudsche Paradoxon von Aufklärungsbestrebungen und Dekonstruktion einerseits und Konstruktion bzw. Remythologisierung der Weiblichkeit andererseits hatte Renate Schlesier in ähnlicher Weise beschrieben (vgl. Schlesier 1981).
Vgl. hierzu ausführlich Kapitel II.2.3.
Vgl. hierzu auch die Analyse des Körperkonzeptes von Wilhelm Reich, Kapitel II.4.
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Bauer, Y. (2003). Hervorbringung weiblicher Lustkörper. In: Sexualität — Körper — Geschlecht. Studien interdisziplinäre Geschlechterforschung, vol 6. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-01241-2_4
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