Zusammenfassung
Die objektive Hermeneutik von Ulrich Oevermann steht zwar in der Tradition der kritischen Theorie und ist somit auch beeinflußt durch jenes Verständnis von Hermeneutik, wie es in den Schriften von Jürgen Habermas ausgearbeitet wurde. Von diesem Verständnis unterscheidet sich die objektive Hermeneutik jedoch zugleich in wesentlichen Punkten.
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Anmerkungen
Wir halten es in der Tat fur willkürlich, wo man eine zu Interpretationszwecken aus einem umfassenden Protokoll herausgegriffene Szene beginnen läßt“ (Oevermann et al. 1979, S. 421). — Demgegenüber verfährt die auf der komparativen Analyse basierende dokumentarische Textinterpretation nach dem Prinzip der Auswahl thematisch vergleichbarer und thematisch abgrenzbarer Passagen, um sie mit Passagen derselben Thematik in den Texten anderer Gruppen oder Fälle kontrastieren zu können (vgl. auch Kap. 3).
Diese durch die zitierten Textpassagen nicht gedeckten Beobachtungen zum inneren Kontext der Familie wie auch die in die Interpretationen an bestimmten Stellen einfließenden Charakterisierungen der innerpsychischen Struktur des Vaters (z. B.: „Bei dem Vater handelt es sich um eine tendenziell paranoide, kommunikativ extrem unsensible Person“; Oevermann et al. 1979, S. 360) halte ich auch deshalb für fragwürdig, weil die Forschergruppe mit ihren Annahmen und Motivunterstellungen den Boden der von ihnen selbst formulierten Prinzipien verläßt: Zum einen geht es um das Prinzip, daß die Interaktionssequenzen unabhängig voneinander zu interpretieren sind: „Erst wenn in anderen, unabhängigen Szenen immer wieder dieselbe oder eine ähnliche Struktur das Ergebnis einer ausführlichen Sinnrekonstruktion wäre — was für diese Familie der Fall ist —, würden wir diese Struktur zur empirischen triftigen Fallrekonstruktion erklären” (a. a. O., S. 376). — Demgegenüber wird hier die latente Sinnstruktur einer Szene auf der Grundlage von Informationen aus anderen Szenen bzw. Familiensituationen interpretiert. Zum anderen geht es um folgendes Prinzip: „Aus diesem Grunde halten wir es von vornherein für verfehlt, die Bedeutungen eines Textes durch Schlüsse über die Intentionen des Produzenten oder das Verständnis konkreter Rezipienten erschließen zu wollen…“ (a. a. O., S. 379). — Demgegenüber werden hier jedoch Annahmen über Intentionen oder Unterstellungen von Motiven der Textproduzenten zur Grundlage für die Interpretation von Interaktionssequenzen genommen.
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Bohnsack, R. (1999). Objektive Hermeneutik. In: Rekonstruktive Sozialforschung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-01190-3_4
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