Architekturästhetik und Zweckmäßigkeit im Wohnungsbau

Zusammenfassung

In der Architektur berühren Überlegungen zum künstlerischen Anspruch einerseits und zu der an den jeweiligen Zweck gebundenen Gebrauchsfähigkeit des Gebäudes andererseits eine alte Kontroverse. Der Architekturtheoretiker Julius Posener hat sie einmal sinngemäß in folgende einfache Frage gefaßt: “Ist die Architektur für den Menschen da, oder ist der Mensch für die Architektur da?” Im folgenden geht es nicht um Architektur insgesamt, sondern um die des Wohnungsbaus, und etwas abgewandelt lautet die Frage: Schränkt Architekturästhetik die Zweckmäßigkeit im Wohnungsbau ein? Oder anders herum: Steht die Orientierung an der Zweckmäßigkeit dem baukünstlerischen Anspruch im Wege?

“Architektur ist nicht Befriedigung der Bedürfnisse der Mittelmäßigen, ist nicht Umgebung für kleinliches Glück der Massen. Architektur wird gemacht von denen, die auf der höchsten Stufe der Kultur und Zivilisation, an der Spitze der Entwicklung ihrer Epoche stehen. Architektur ist eine Angelegenheit der Eliten... Die Gestalt eines Bauwerkes entwickelt sich nicht aus den materiellen Bedingungen eines Zwecks... Architektur ist zwecklos. Was wir bauen, wird seine Verwendung finden. Form folgt nicht Funktion. Form entsteht nicht von selbst. Es ist die große Entscheidung des Menschen, ein Gebäude als Würfel, als Pyramide oder als Kugel zu machen... Heute, zum ersten Male in der Geschichte der Menschheit, zu diesem Zeitpunkt, an dem uns eine ungeheuer fortgeschrittene Wissenschaft und perfektionierte Technologie alle Mittel bietet, bauen wir was und wie wir wollen, machen eine Architektur, die nicht durch die Technik bestimmt wird, sondern sich der Technik bedient, reine, absolute Architektur. Heute ist der Mensch Herr über den unendlichen Raum.” Hans Hollein 1962