Zusammenfassung
Faschismus setzt — zumindest was die Bildung seiner Massenbasis betrifft — Faschisierung voraus; die aber hat Prozeßcharakter und kann nicht von außen manipulativ initiiert werden; sie muß jeweils vor Ort an den je zur Verfügung stehenden Ressourcen ansetzen. Vorhandene Menschen mit vorhandenen Strukturdispositionen in vorhandenen Systemzusammenhängen werden faschistisch. Damit ist angesprochen, worum es mir in diesem Kapitel geht:
-
Ausgehend vom Denken über kollektive Bewußtseinsstrukturen kommt es darauf an, systemische Zusammenhänge mit anderen gesellschaftlichen Bereichen zu zeigen, die als sozusagen Verknüpfungspunkte bei aller immanenten und interdependierenden Widersprüchlichkeit der Realität nicht nur den Zusammenhang selbst aufdecken, sondern auch demonstrieren, daß dieser Zusammenhang als Komplex eine relativ eindeutige Wirkungsrichtung hat.1 Zuvor scheint es mir angebracht, nochmals darauf hinzuweisen, daß sich die folgende Analyse eines systemischen Zusammenhanges soziologisch auf zunächst nur das alte Kleinbürgertum in Fritzlar bezieht.
This is a preview of subscription content, log in via an institution.
Buying options
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Learn about institutional subscriptionsPreview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Referenzen
Das die Denkrichtung hier vom Bewußtsein zum — beispielsweisen Bereich von Ökonomie verläuft, hängt an meinen eigenen Interessenschwerpunkten; selbstverständlich kann die Analyse von allen systemisch vernetzten Bereichen ausgehen.
Vgl. o. Kap. II.2.4.
Die Befriedigung produktiver Bedürfnisse im Rahmen handwerklich-bäuerlicher Kleinproduktion zu erwarten, hieße diese Produktionsweise in. unzulässiger Weise zu glorifizieren; die alltäglichen Härten, Routinen, Notwendigkeiten etc. solcher Art Arbeit für einen Ausdruck kreativer Lebensbewältigung zu halten, grenzt an Zynismus.
Ich erinnere hier daran, daß bereits die Reproduktionskrise nach 1850, wiewohl sie Strukturprobleme schon hätte zeigen können, so gelöst wurde, daß die Produktionsweise selbst nicht thematisiert wurde, weil die nicht reproduktionsfähigen Personen bzw. Familien schlicht auswanderten. Diese Alternative bestand um 1930 praktisch nicht mehr; vgl. o. Kap. II.1.1.
Zur verschobenen Wahrnehmung der Krise vgl. wiederum Kap. II.2.4. Kurzfristige Krisen führen dann zu Bewußtseinsstrukturveränderungen, wenn sich in ihnen kollektiv oder individuell ein Übergang von einer in eine andere Produktionsweise vollzieht, sonst bleiben sie in dieser Hinsicht folgenlos; nur ist dann eben die Veränderung der Bewußtseinsstruktur nicht in der sozusagen “alten”, noch dominierenden „Umgebung” sichtbar, sondern in einer neuen; vgl. dazu auch Loewenberg, a.a.O; zu den Möglichkeiten intergenerationeller Verschiebung und Delegation von Lernprozessen vgl. auch jüngst: Michael B. Buchholz: Psychohistorie der Moderne: NS-Vergangenheit in der Gegenwart am Beispiel therapeutischer Fallbeschreibungen, in: Busch/Krovoza, a.a.O., bes. S. 96 ff.
Vgl. dazu Wehler, 1973, a.a.O.
Vgl. o. Kap. II.2.1.2. und III.1.1.
Vgl. z.B. Kap. III.1.2 zu Opfermythen “im Kontext mythischer Weltdeutungen”; vgl. neuerdings Dietmar Schirmer: Politisch-kulturelle Deutungsmuster: Vorstellungen von der Welt der Politik in der Weimarer Republik, in: Lehnert/Megerle, a.a.O., S. 46 ff.
Daß diese sich notwendig primär gegen die Arbeiterklasse wendet, liegt nicht nur an ideologischen Imponderabilien, sondern auf psychologischer Ebene daran, daß die pure Existenz dieser Klasse schon höchste Kränkung narzißtischer Strukturanteile im alten Kleinbürgertum darstellt. Arbeiterdasein ist nämlich sowohl perspektivisches Schicksal pauperisierter Kleinbürger — schon das eine unerhörte Zumutung an das gesamte Strukturpotential — als auch ambivalente Alternative: Arbeiterdasein ist sowohl Verlust autonomer Handlungschancen als Produzent als auch die Sichtbarkeit alternativer, kollektiver und organisierter Handlungschancen auf anderer Ebene als auch das nackte Elend. Wiewohl in sich widersprüchlich, muß man hier sehen, daß alle diese Aspekte die gesamte Strukturmischung in Frage stellen; jeder für sich ist auch immer narzißtische Kränkung. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf folgendes noch hinweisen: Die Existenz einer glaubhaften, konkreten Utopie scheint mir der entscheidende Faktor zu sein, der Arbeiter in der Regel davor bewahrt, faschistisch zu werden, obwohl — wie u.a. Fromm gezeigt hat — Arbeiter gegen die Beibehaltung bzw. eine Infiltration von “bürgerlichen” Werten, i.e. auch: zwanghaft-autoritären Strukturanteilen nicht gefeit sind; und wie ich vermuten möchte, auch nicht gegen narzißtische, wenngleich die Organisationen der Klasse und die aktive Idenfikation der Mitglieder mit ihren Organisationen vor einer stärkeren Ausbildung bestimmter Nuancen von Narzißmus zunächst — um 1930 — bewahrt haben dürften. Doch wäre das sicher ein interessantes Thema für eine eigene Arbeit. Vgl. Fromm, Erich: Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches. Eine. sozialpsychologische Untersuchung, Stuttgart 1980 (erarbeitet 1929).
Sinn wird von mir nicht als moralisch-theologische Kategorie gefaßt, sondern: Sinn ist naturhafte Befriedigungs-Bedürfnis-Homöostase, die in zu spezifizierendem Maße von materieller Ressourcennutzung abhängt, wie auch dialektisch an gesellschaftliche Symbolsysteme vermittelt ist, was die besondere Form der Homöostase angeht. Sinn verschafft sich selbst verbal Ausdruck; aber auch als Aktion dann, wenn Symbolvermittlung ihn selbst nicht mehr homöostasiert. Läßt sich Sinn z.B. durch Wegfall materieller Ressourcen nicht mehr herstellen, kann das in ”Zivilisationen” zur direkten Aktion veranlassen, die entweder Sinn in alter Form wiederherstellt, oder: Veralteter Sinn geht mitsamt seinen Trägern unter, oder: Sinn wird transformiert in ein verändertes Symbolsystem auf der Basis veränderter Ressourcen (-nutzung). Nicht mehr, aber auch nicht weniger ist gemeint, wenn hier davon gelegentlich die Rede ist, faschistisch zu handeln sei sinnvoll für die Akteure.
Das sog. autonom-bürgerliche Ich zieht seine Gratifikationen aus sich selbst bei i.d.R. realistischer Einschätzung seines an internalisierte Wette gekoppelten ökonomischen Erfolges. Narzißmus — als defizitäre Ich-Struktur — kratzt diese Funktionsautonomie zunehmend an. Individuell kann sich derartige Strukturmischung in sehr verschiedenartiger ”Symptomatik” äußern. Kollektive Bewußtseinsstrukturen, die für den hier in Rede stehenden Fall für die politische Ebene am Beispiel eines Honoratiorenwahlvereins der Kaiserzeit versus. einer durchorganisierten Massenpartei der Weimarer Republik exemplifiziert werden können, setzen sich offenbar “reiner”, “typischer” durch als individuelle: Bürgerlichen Honoratioren kommt kollektiv zur Durchsetzung ihrer Interessen die Organisation einer modernen Partei als Ich-Stütze gar nicht in den Sinn, wiewohl das Einzelne wohl beabsichtigen mögen.
Das ändert nichts daran, daß auch bürgerlich-autonome Individuen an eine kollektive Bewußtseinsstruktur vermittelt sind, die stellt sich nur anders her.
So reagieren beispielsweise narzißtische Strukturen deutlich weniger sensibel auf hohe interne wie externe Mobilitätsanforderungen in Arbeitsorganisationen als zwanghafte. Ein selten typisches, individuelles Beispiel für die beschriebenen Übergangsprozesse scheint mir der AuschwitzKommandant Höß zu sein; vgl. Höß, R.: Kommandant in Auschwitz. Autobiographische Aufzeichnungen, hrsg. v. M. Broszat, Stuttgart 1978. Die für Fritzlar herausgearbeitete Mischstruktur dürfte sich genau am Point-of-noreturn ihrer Entwicklung zum Narzißmus befinden, wenngleich das exakt nur durch Vergleichsuntersuchungen über die Zeit zu ermitteln wäre.
Vgl. o. Kap. III.1; dies auch für das Folgende.
Ich rufe in Erinnerung, daß das so charakterisierte Vereinsleben eine sich nicht mehr quasi naturwüchsig herstellende, sozialstrukturelle Einheit auf der Basis präkapitalisitischer Produktionsweise reflektiert bzw. eben die Auflösung einer dominanten und selbstverständlichen Sozialstruktur. Diese Vermittlung auch von Ökonomie und Vereinskultur muß im folgenden immer mitgedacht werden, auch wenn ich nicht an jeder Stelle darauf verweise.
Beispielsweise betrifft das den Sport oder auch die Feuerwehr, vgl. Kap. III.1.1.
Aus solchen Konstellationen sind auch Ausbrüche zu verstehen, wie die lautstarken Anklagen von Bauern gegenüber Arbeitern, es gehe ihnen zu gut; vgl. o., Kap. II.1.8.
Die in dieser Produktionsweise gesellschaftlich notwendige Existenz von Gesellen führt — genau auf der Linie meiner Argumentation — an der Stelle zu “Problemen”, wo diese von Warenproduzenten selbst unterscheidbar werden; das ist regelmäßig dann der Fall, wenn sich solche Lohnabhängigen zur Durchsetzung spezifischer Interessen organisieren. Dann geht es nicht mehr “nur” um Interessen, sondern immer auch um deren Kopplung an Bewußtseinsstrukturen; ich verdanke diese Überlegung der Darstellung vieler solcher Konflikte in der Arbeit von Ute Frevert: Krankheit als politisches Problem 1770–1880. Soziale Unterschichten in Preußen zwischen medizinischer Polizei und staatlicher Sozialversicherung, Göttingen 1984.
Ich verweise darauf, daß ein gewisses Maß von Narzißmus als “Eigenliebe” durchschnittlich für individuelle wie kollektive Reproduktion notwendig ist. Es kommt darauf an, wie und in welchem Grade dergleichen ausgeprägt ist.
Vgl. o. Kap. III.1.2.
Vgl. dazu Kap. IV.2.1. Auch hier sind graduelle Verschiebungen entscheidend, denn auch die Differenzierungsfähigkeit zwanghaft-autoritärer Strukturen ist begrenzt, wiewohl ich sie i.d.R. höher einschätze als die narzißtischer. Ich will andererseits nicht verschweigen, daß hier ein theoretisches Problem liegen könnte, insofern als sog. neurotische Strukturniveaus möglicherweise aufgrund eines Selbstmißverständnisses derjenigen, die diese Strukturturen theoretisch konzipiert haben, in ihrer Differenzierungs- und Integrationsfähigkeit durchschnittlich-kollektiv überschätzt wurden, Ich als individueller wie kollektiver Organisationsprozeß also wesentlich weniger autonom ist als angenommen; das ändert andererseits nichts daran, daß sich das “wie” des Organisationsprozesses verschiebt, daß sich beispielsweise die durchschnittliche Wahl der Abwehrmodi strukturverändernd verlagert.
Vgl. Kap. III.1.2.
Vgl. ebd.
Es wäre wünschenswert, die Argumentation auch durch vertierte inhaltsanalytische Langzeituntersuchungen zu stützen. Das quantitative Argument ist zwar stark, aber einseitig. Detailliertere Analyse in dieser Richtung war hier nicht zu leisten, sie würde allerdings wichtige Aufschlüsse über Art und Länge von derartigen Entwicklungsprozessen bringen wie auch die theoretische Analyse von Bewußtseinsprozessen vertiefen.
Auch das bürgerlich-autonome Ich ist an kollektives Bewußtsein gebunden, nur eben “anders”. Es als unabhängig zu konzipieren, ist ein Selbstmißverständnis.
Ausdruck von Omnipotenzphantasien ist, neben den inhaltlichen Symbolverbindungen mit dem Attribut deutsch, beispielsweise auch die Rede vom “Erfolg” deutscher Armeen noch nach der Niederlage von 1918, oder der Anspruch der Erziehung “am” deutschen Volk; vgl. o. Kap. III.1.2, dort mit weiteren derart interpretierbaren Beispielen.
Die Entfaltung der bürgerlichen Vereinskultur ist sicher nicht nur Reflex auf die sich organisierende Arbeiterklasse; dazu setzt der Prozeß zu früh ein. Ob sie ein Versuch der Organisation von Politik auf dem falschen Feld ist, weil beispielsweise das (klein-)bürgerliche Selbstmißverständnis seiner selbst als staatstragender “Klasse” eine Organisation von Politik und damit die elementare Thematisierung von Konflikt direkt gar nicht früher zulä t, ist eine Frage, die ich hier nicht beantworten kann, die aber, würde sie positiv beantwortet, die oben angesprochene Entwicklung zum Faschismus nur noch plausibler machen würde: Als vorausgegangene Fehlsteuerung, die rapide korrigiert werden muß.
Zu anderen Argumenten in diesem Sinne vgl. o., Kap. III.1.3. gegenüber dem Feld politischer Ökonomie ist Kultur gleichsam bereits modernisierter Nebenkriegsschauplatz, dessen weitere Bearbeitung nicht lohnt. Angesichts der Schärfe, mit der die Faschisierung als Ausdruck einer dynamisierten Strukturkrise unter Modernisierungszwang sich auf anderen gesellschaftlichen Feldern durchsetzt, durfte der Eindruck nicht ganz falsch sein, “Kultur” sei auch als sozusagen “Freizeit vom Suprakonflikt” geschont worden.
Zur Verdopplung vgl. o. Kap. III.1.3.
Vgl. o. Kap. II.2.3.
Vgl. o. Kap. III.5.
Vgl. dazu und zum Folgenden Kap. III.6.
Beispiel dafür ist die katholische DJK, vgl. o. Kap. III.6.1.
Das Zentrum als Möglichkeit relanv moderrusierter rorm von S äKularisierter kirchlicher Organisation müßte unter den hier zur Diskussion stehenden Blickwinkeln sicher gesondert untersucht werden.
Das schließt Ungleichzeitigkeiten im Entwicklungsgrad von Teilsystemen keineswegs aus.
Der Anpassungsdruck ist dadurch nicht aufgehoben, vermutlich sogar verschärft. Beispiele der radikalisierenden Wirkung solcher Prozesse bei Plum, a.a.O., S. 31 ff.; Kern, Horst / Schumann, Michael: Zum politischen Verhaltenspotential der Arbeiterklasse, in: Meschkat, Klaus / Negt, Oskar (Hrsg.): Gesellschaftsstrukturen, Frankfurt 1973; theoretisch: Krovoza, Alfred, a.a.O., bes. S. 137.
Solche Subsumtion von Beziehungen unter Organisation wird im übrigen von Rollentheorien recht genau falsch reflektiert. In Begriffen wir Rollenträger, Rollenwechsel etc. wird “richtig” eine Fragmentierung von Subjekten in verschiedene Organisationszugehörigkeiten beschrieben. Falsch ist die Enthistorisierung und Ontologisierung des temporären Zustandes; vgl. zu Rollentheorien und ihrer Kritik Frigga Haug: Kritik der Rollentheorie und ihrer Anwendung in der bürgerlichen deutschen Soziologie, Frankfurt 1972. Haug greift allerdings noch zu kurz, weil sie die Vermittlung von Fragmentierung und Organisation nicht sieht.
Hier hatte es die Bedeutung einer Sicherung von Zugehörigkeit, Integration und Konservierung nicht mehr selbstverständlicher Interessen und Kommunikationsformen in einer sich sozialstrukturell differenzierenden Gesellschaft.
Vgl. o. Kap. II.2.1.2.
Auf dieses “Bündel von Schocks” hat kürzlich erst Schirmer, a.a.O., S. 31 mit Nachdruck hingewiesen.
Verheerend für die noch vorhandenen Reste zwanghaft-autoritärer Bewußtseinsstrukturen. Es wäre sicherlich reizvoll, hier anzusetzen und zu fragen, ob Italien, Spanien und Portugal oder einige südosteuropäische Staaten durch eine ähnliche Kombination von Strukturverschiebungen, Systemtranszendenz und äußeren Ereignissen in die Faschisierung übergingen.
Das soll nicht suggerieren, bei entsprechender Schnelligkeit der Entwicklung sei die Strukturkrise sozusagen zu überlaufen und damit ökonomisch zu neutralisieren. “Hinterherlaufen” bezieht sich auf den Anpassungsprozeß durch und die Anpassungsgeschwindigkeit an kaum zu beeinflussende, externe Entwicklungen.
Vgl. o. Kap. V.
Vgl. o. Kap. II.2.4.
So wird es jedenfalls wahrgenommen, wie u.a. die widersprüchliche Rezeption von Staat als sowohl Protektor wie auch Gegner zeigt, demgegenüber “man” zur Durchsetzung seiner Forderungen nur über das Mittel des Appells verfügt, das im übrigen nicht einmal von genuin politischen, sondern von ökonomischen Instanzen eingesetzt wird; vgl. o. Kap. 11.2.4. und 11.1.2.
Und im Faschismus-an-der-Macht am stärksten modifiziert; der Preis solcher Brutalo-Modernisierung ist allerdings hoch. Sie diskreditiert sich in solchem Maße selbst, daß der Prozeß nach dem II. Weltkrieg quasi wiederholt werden mußte, sichtbar beispielsweise in der Entstehung der bürgerlichen Parteien CDU und FDP, den vergeblichen Versuchen anderer bürgerlicher Parteien, politischen Einfluß zu gewinnen, sowie den relativen Entwicklungen im bürgerlichen Parteienspektrum bis zur Herausbildung der nahezu ungefährdeten Alleinvertretung dieses Lagers durch die CDU.
Ich möchte hier nochmals betonen: Individuelle Abweichung vom Prozeß kollektiver Faschisierung mag im Einzelfall honorig sein, für den Prozeßselbst ist sie belanglos; innerhalb einer solchen Entwicklung machen “Männer” bestenfalls noch zu Hause “Geschichte”, der Prozeß selbst vollzieht sich auf qualitativ höherer, supraindividueller Ebene; vgl. o. Kap. IV.2.2.
Solche Untergangsphantasien symbolisieren sich dabei sehr wohl in den Medien projektiver narzißtischer Identifikation, also im Untergang des von Feinden umgebenen Deutschland beispielsweise.
Der Terminus “eruptive Gewalt” soll darauf hinweisen, daß sich Gewaltausübung in der Etappe der Faschisierung von Gewalt im Faschismus-ander-Macht, insbesondere vom Genozid, unterscheidet. Gewalt in der ersten Etappe entsteht aus gleichsam Überbeanspruchung von Anpassungsprozessen, Gewalt in der zweiten Etappe aus der Übernahme kollektiver Bewußtseins-Inhalte in neue Organisationssysteme, wo sie sich durch die Eigendynamik von Organisationen mit diesen zusammen verselbständigen und dann nicht mehr unterhalb der Schwelle von gleichsam Gegenorganisation kontrollierbar sind. Individuelle Tötungshemmungen beispielsweise sind dann irrelevant, weil sie die Ebene organisierten Mordes gar nicht tangieren. Diese Schwelle ist aber zum Zeitpunkt der Faschisierung von Politik noch nicht erreicht; das ist einer der Gründe, warum in frühen KZ nicht systematisch gemordet wurde, sondern — zynisch ausgedrückt — eher “zufällig”.
David Schoenbaum: Die braune Revolution. Eine Sozialgeschichte des Dritten Reiches, Köln 1968, hat hier mit seiner Modernisierungsthese “Richtiges” im Blick. Ähnlich auch Ralf Dahrendorf: Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, München 1965. Schoenbaum verwechselt aber Ursache mit Wirkung, wenn er den Hauptaspekt der “braunen Revolution” im sozialen Elitenaustausch sieht, nicht aber in einem gesteigerten gesellschaftlichen Integrationsniveau vermittels verstärkter formaler Organisation. Schoenbaum denkt von Personen her, um die geht es aber nur sekundär, vermittelt durch primär die Aufhebung systemischer Ungleichzeitigkeit. Zur Kritik an Schoenbaum vgl. auch Hennig, 1973, a.a.O., S. 28 ff., S. 86 ff.
Ähnliche Entwicklungen zeigt Wurzbacher, a.a.O., bes. S. 251 ff. Für Hessen informiert Mühlhausen, Walter; Hessen 1945 — 1950. Zur politischen Geschichte eines Landes in der Besatzungszeit, Frankfurt 1985, bes. Kap. II.
Rights and permissions
Copyright information
© 1991 Deutscher Universitäts-Verlag GmbH, Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Kieserling, M. (1991). Reflections on Mind, oder: Wie entsteht Faschismus?. In: Faschisierung und gesellschaftlicher Wandel. Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-00140-9_6
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-00140-9_6
Publisher Name: Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-663-00141-6
Online ISBN: 978-3-663-00140-9
eBook Packages: Springer Book Archive