Zusammenfassung
Die Kategorie “Bewußtsein” bezeichnet, wie sie im folgenden verwandt wird, eine handlungssteuernde und dynamische Struktur. Bewußtsein als sich selbst organisierende und lernfähige Instanz umfaßt sowohl den von sich selbst wissenden Teil seiner selbst — i.d.R. also den Teil, welcher sich selbst verbalisieren kann —, als auch den Teil, welcher sich selbst i.d.R. unbewußt bleibt. Bewußtsein ist sowohl gesellschaftlich produziert als auch Instanz, die auf die Gestaltung von Gesellschaft gestaltend rückwirkt. Ferner: Einmal Gewußtes kann ”vergessen” werden, aber vormals nicht bewußtes Bewußtsein läßt sich auch — heute — bewußt machen. Nicht nur Bewußtsein hat Prozeßcharakter, sondern auch das Wissen von ihm selbst.
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Referenzen
Die in dem von Detlef Lehnert und Klaus Megerle herausgegebenen Sammelband: Politische Identität und Nationale Gedenktage. Zur politischen Kultur der Weimarer Republik, Opladen 1989, neuerdings zusammengetragenen Deutungsmuster gesellschaftlicher Gruppen aus der Weimarer Zeit, vor allem der Beitrag von Dietmar Schirmer legen diese Schlußfolgerungen nahe. Die dortigen Belege weisen, wie ich meine, große Ähnlichkeiten mit denen aus Fritzlar auf; vgl. z.B. S. 36 f, S. 46 f; vgl. auch in demselben Band die Beiträge von Reimus und Paul.
“Das, was in der einen Generation Realität war, (wird) in der folguenden psychische Struktur”. Michael B. Buchholz: Psychohistorie der Moderne: NS-Vergangenheit in der Gegenwart am Beispiel therapeutischer Fallbeschreibungen, in: Busch, H.-J./ Krovoza, A. (Hrsg.): Subjektivität und Geschichte. Perspektiven politischer Psychologie, Frankfurt 1989, S. 96.
“Die” gibt es nur als Phantasie allerdings nicht weniger Analytiker hauptsächlich im Einflußbereich der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung. Die Erfahrungen von Mitarbeitern des psychoanalytischen Instituts in Frankfurt, vor allem von Margarete Mitscherlich, als auch die mir z.T. persönlich bekannten Erfahrungen von Ausbildungskandidaten unter der Obhut renommierter Ausbildungsinstitute lassen eine außerordentlich rigide Abschottung des für gesichert gehaltenen Theoriebestandes durch institutionalisierte Fachvertreter gegenüber jeder Kritik erkennen — sehr zum Schaden des einst von Freud selbst in Gang gebrachten emanzipatorisch-lebendigen Impetus der Psychoanalyse. So auch die Kritik an Lloyd de Mause von Hanne-Margarete Birckenbach: Was klären Phantasieanalysen am Ost-West-Konflikt? in: Busch / Krovoza, a.a.O., S. 129.
Einen leichten Einstieg in dieses Thema bietet der vom Psychoanalytischen Seminar Zürich herausgegebene Band: Die neuen Narzißmustheorien: Zurück ins Paradies? Frankfurt 1983. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt scheinen sich vor allem die Epigonen der herausragenden Vertreter beider Theorierichtungen noch vorzugsweise ”bis aufs Messer” zu bekämpfen — unfruchtbar, das.
Die theorie- wie therapierelevanten Möglichkeiten einer unter diesem Gesichtspunkt vorgenommenen Revision psychoanalytischer Theorie zeigt Holzkamp-Osterkamp, Ute: Motivationsforschung 2: Die Besonderheit mensch-licher Bedürfnisse — Problematik und Erkenntnisgehalt der Psychoanalyse. Frankfurt 1976.
Vgl. König, Hans-Dieter: Das Eldorado der Bombardierung libyscher Städte. Eine Alternative zur psychologistischen Reagan-Interpretation von Lloyd de Mause. in Busch / Krovoza, a.a.0., bes. S. 159.
Vgl. dazu: Lorenzer, Alfred: Tiefenhermeneutische Kulturanalyse, in: ders. (Hrsg.): Kultur-Analysen, Frankfurt 1986, S. 12. Diese Arbeit von Lorenzer, mir selbst erst nach Abschluß meiner eigenen Arbeit bekannt geworden, scheint mir wesentliche Argumente meiner Analyse auf theoretischer Ebene (Kap. IV) zu stützen, so die Forderung nach einer Vermittlung von Neurophysiologie und psychoanalytischer Theorie (z.B. S. 39 ff.), die These supraindividueller Geltung von Texten (S. 62, S. 83) die Behauptung der Einheit von manifestem und unbewußtem/latentem Inhalt im Symbolsystem “Text” (z.B. S. 57) und daran anschließend die These, daß in Texten Konflikte von ”unbewußten Wünschen und gesellschaftlich gültigen Werten” repräsentiert sein können (S. 67); ferner die These, Tiefenhermeneutik habe nach dem Sinn von Deutungsmustern etc. zu forschen, nicht a priori Unsinn bzw. Irrationalität mit negativer Konnotation zu unterstellen (S. 60 f); letztlich Lorenzer’s Forderung nach spezifischer Ausbildung von “Textinterpreten”, die ein erhebliches Maß an ”Selbsterkenntnis” einschließt sowie die Ergebniskontrolle durch Dritte (S. 86 ff.).
“Die” Psychologie “des” Faschismus gibt es nicht. Auch die auf diesem Feld wohl bekanntesten und verbreitesten Theorien zur “autoritären” Persönlichkeit beziehen sich auf psychostrukturelle Voraussetzungen für Faschisierungsprozesse, sie behaupten keine “faschistische Psyche”. Sozialpsychologische Untersuchungen können plausibel bestimmte Bewußtseinsstrukturen als wahrscheinlich anfälliger für Faschisierungsprozesse herausarbeiten als andere, sie können Faschisierung allein nicht erklären.
Horkheimer, Max: Geschichte und Psychologie, in ders.: Kritische Theorie der Gesellschaft, Bd. I, Frankfurt 1968, S. 20.
Vgl. Adorno, Theodor W. u.a.: Studien zum autoritären Charakter, Frankfurt 1982, 4. Aufl., zuerst 1949/50. Als Bindeglied in die Reihe dieser Forschungen gehören sicher auch die 1936 in Paris als fünfter Band der Schriften des Instituts für Sozialforschung herausgegebenen “Studien über Autorität und Familie”, bes. der von Erich Fromm verantwortete sozialpsychologische Teil, S. 77 ff.
Es ist Programm noch heute: “Die Wechselbeziehungen von personiicnkeit und Macht sowie die psychologischen Bestimmungsgründe des politischen Handelns kennzeichnen wichtige Problemfelder der Politischen Wissenschaft”, konstatieren KlingemannfKaase und halten eine Ergänzung dieses Feldes durch Erkenntnisse einer systematischen politischen Psychologie für zunehmend wichtig; vgl. dies.: Zur Rolle der politischen Psychologie heute, in Klingemann, Hans-Dieter / Kaase, Max (Hrsg.) unter Mitarbeit von Klaus Horn: Politische Psychologie, Opladen 1981 = PVS-Sonderheft 12/1981, S. 9.
Das ganze hat für mich etwas Palmströmhaftes, “daß nicht sein kann, was nicht sein darf”: Vertreter der Frankfurter Schule, wie z.B. Adorno, konnten sich offenbar überhaupt nicht vorstellen, individuelles wie kollektives Bewußtsein könne sich auch in anderer Richtung entwikkeln als hin zum bürgerlich-autonomen Ich. Sie konnten und wollten nicht sehen, daß, wenn sie selbst dies Persönlichkeitsziel denn überhaupt verkörperten, es deswegen noch lange nicht ausgemacht war, ob dies “Ich-Ziel” für andere relevant war, geschweige denn, ob es einer gesellschaftlichen Entwicklungslogik kongruent war. Dann allerdings läßt sich beispielsweise “Narziß” als regredierter “Autoritärer” denken, mit dem Ergebnis, daß selbst kritische Theoriebildung den bornierten Prämissen bürgerlich-autoritären Denkens über sich selbst noch aufsitzt, welches sich nämlich nicht anders als eben so denken kann. Es muß allerdings auch konstatiert werden, daß, wenn auch spät, beispielsweise Fromm oder Mitscherlich dahinter kamen, daß am Ansatz etwas nicht stimmen könnte; in dieser Richtung allerdings auch ein Hinweis bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in der “Dialektik der Aufklärung”, Frankfurt 1971 (zuerst 1944), S. 139: “Einmal ist es zur Individuation gar nicht wirklich gekommen.”
Vgl. Reich, Wilhelm: Die Massenpsychologie des Faschismus, Frankfurt 1981, 4. Auflage (zuerst 1933).
Adorno, a.a.O. Die Rezeptionsgeschichte dieser Arbeiten wäre eine Untersuchung wert. Jahrelang in Deutschland im Unterschied zu anderen Ländern gar nicht zur Kenntnis genommen, gewinnen sie zu einem Zeitpunkt Bedeutung, zu dem ihr Thema in besonderer Weise rapide an Relevanz verliert, weil der gesellschaftliche Zustand, den sie beschreiben, der von Kleinbürgern, zunehmend marginalisiert wird und an Bedeutung verliert. Ideologiekritisch interessant ist dann, daß die Studien, beinahe zwanzig Jahre zu spät rezipiert, trotz unbestritten gesellschaftskritischer Intention, außerordentlich bedeutsame sozialstrukturelle Wandlungsprozesse der bundesrepublikanischen Gesellschaft eher zukleistern als erhellen, nämlich den Bedeutungsverlust autoritärer Strukturen, welcher sich in der Narzißmus-Debatte wie auch in der über Postmaterialismus spiegelt.
Die Diskussion eines narzißtischen Strukturtyps, ohne ihn als solchen auf seinen Begriff und Kern zu bringen, läßt sich auch bei einigen bundesrepublikanischen Epigonen von Adornos Studien nachvollziehen; nachzulesen ist das bei Freyhold, Michaela von: Autoritarismus und politische Apathie, Analyse einer Skala zur Ermittlung autoritätsgebundener Verhaltensweisen, Frankfurt 1971, die den Diskussionsstand zum damaligen Zeitpunkt zusammenfaßt. Mächtig sind die Väter noch, schwach die Nachkommen vor dem autoritären Charakter
Vgl. Fromm, Erich: Die Furcht vor der Freiheit, Zürich 1945.
Die Entwicklung “der” Psychoanalyse, ihre teilweise Hinwendung zur IchPsychologie und ihr. Verhältnis zur Sozialwissenschaft dokumentiert für die “mainstreams”, Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.): Soziologie und Psychoanalyse, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1972. Der Band ist auch heute noch aktuell.
Vgl. Fromm, Erich: Anatomie der menschlichen Destruktivität, Stuttgart 1974, bes. S. 366 ff. Fromms Versuche, angesichts eigener neuer Beobachtungen und Erkenntnisse seine eigenen (z.B. trieb-)theoretischen Ursprünge zu retten, machen als zu schwache Radikalität im Denken auch die Schwäche seiner Argumentation aus. So zeigt die Ich-Schwäche seines “Marktcharakters“ interessante Beobachtungen; Nekrophilie aber, als Individualpathologie denkbar, wirkt als kollektive Struktur entweder grotesk, oder sie nähert sich in ihrer Beschreibung eben einer Ich-Schwäche, z.B. im Aspekt von Gefühlsarmut. Fromm ist hier, weil selbst unsicher, auslegungsfähig.
Vgl. Mischerlich, Alexander: Auf dem Wege zur vaterlosen Gesellschaft, München 1973; oder auch Riesmanns Thesen des außen geleiteten Charakters
vgl. Riesmann, David: Die einsame Masse. Eine Untersuchung der Wandlungen des amerikanischen Charakters, Hamburg 1970 (Diese Arbeit ist in den USA schon 1958 erschienen).
Eine Aufstellung von Autoren, die, mit unterschiedlichen Namen, ähnliches meinen, findet sich bei Lasch, Christopher: Das Zeitalter des Narzißmus, München 1982, S. 89 und 90.
Leppert-Rögen, Annette: Die deklassierte Klasse. Studien zur Geschichte und Ideologie des Kleinbürgertums, Frankfurt 1974.
Vgl. dazu Freyhold, a.a.O.
Kernberg, Otto F.: Borderline-Störungen und pathologischer Narzißmus, Frankfurt 1978.
Kohut, Heinz: Narzißmus. Eine Theorie der psychoanalytischen Behandlung narzißtischer Persönlichkeitsstörungen, Frankfurt 1973.
Akzeptiert man die Prämissen, daß erstens Bewußtseinsstrukturen sich im Rahmen eines Kontinuums möglicher individueller Ausprägungen. ihrer selbst bewegen, daß zweitens zwischen pathologischen und sog. ”gesunden” Ausprägungen von Bewußtsein kein qualitativer, sondern ein auch gesellschaftlich definierter, gradueller Unterschied anzunehmen ist, dann — und dieser Meinung möchte ich mich hier im Grundsatz anschließen — ist der Vorwurf, psychoanalytische Theoriebildung beruhe auf “nur” klinischer Empirie, haltlos — was nichts daran ändert, daß diese klinische Empirie in etlichen Fällen als Empirie kaum gehobenen Ansprüchen von Forschung genügen kann. Exemplarisch mögen dafür die in nahezu keiner psychoanalytischen Arbeit fehlenden Fallgeschichten stehen: Gegen Illustrationen habe ich keine Einwände; es müßte aber insbesondere dann, wenn man die oben diskutierte Problematik eines möglichen qualitativen Sprunges zwischen kollektivem und individuellem Bewußtsein nicht berücksichtigt bzw. für irrelevant hält, wenn also davon ausgegangen wird, Summation des Ähnlichen rechtfertige repräsentative Theorieaussagen, zur Kontrollierbarkeit der Theorie erst recht der minimalstatistische Background der Fallzahlenreferenz angegeben werden. Das ist nicht selbstverständlich. Die Probleme psychoanalytischer Empirie liegen häufig demnach in unklarer Explikation ihrer a) Forschungsprämissen und b) Parameterauswahl und -abgrenzung, nicht in ihrer klinischen Basis. Stellvertretend dafür auch der unklare methodische Stellenwert der Fallbeispiele in der ansonsten von mir sehr geschätzten Arbeit von Gertrude und Rubin Blanck: Ich-Psychologie II. Psychoanalytische Entwicklungspsychologie, Stuttgart 1980.
Ein zentraler Begriff in der Arbeit der beiden Blanck, a.a.O. ist denn auch die Kategorie der “Anpassung” im Sinne der Fähigkeit, Funktionsanforderungen aus der Umwelt zu erfüllen.
Vgl. Ziehe, Thomas: Pubertät und Narzißmus. Sind Jugendliche entpolitisiert? Frankfurt/Köln 1975.
Vgl. Krauß, Thomas: Die vergesellschaftete Subjektivität und ihre Deutungsmuster. Zum Zusammenhang von Ideologie und Narzißmus. Frankfurt/New York 1985.
Vgl. besonders Loewenberg, Peter: The Psychohistorical Origins of the Nazi Youth Cohort, in The American Historical Review 76/1971. Die von Loewenberg präzise gestellte, wenn auch mangels Forschungsmöglichkeiten weniger präzise, wie ich meine, beantwortete Frage nach den Folgen massenhaft verbreiteten Vitamin-D-Mangels (Rachitis) zu der Zeit ist genauso schlicht wie wichtig, wie unüblich, sie liegt mit anderer Nuancierung genau auf der Linie, die ich oben gefordert habe; die Schwierigkeit, solche Fragen zu beantworten, ändert nichts an ihrer Relevanz; s.u.
Loewenberg überschreitet damit den Rahmen US-amerikanischer Psychohistorie um einiges, methodisch wie thematisch. Über diesen Forschungsansatz, sein biographisches Bias sowie seine Tendenz, Gesellschaft auf Psychologie zu reduzieren, informiert der Aufsatzband von Busch, H.-J. / Krovoza, A. (Hrsg.): Subjektivität und Geschichte. Perspektiven politischer Psychologie, Frankfurt 1989; darin besonders die Arbeiten von Michael B. Buchholz und Hans-Dieter König.
Den Ansatz weiter zu verfolgen, erscheint mir dennoch sinnvoll. Im Anwendungsfall ”Fritzlar” war das indessen nicht möglich, weil entsprechende epidemiologische Daten fehlen.
DeMause, Lloyd: Grundlagen der Psychohistorie. Herausgegeben von Aurel Ende, Frankfurt 1989.
Ebd., S. 230.
Zur Kritik auch König, Hans-Dieter: Das Eldorado der Bombardierung libyscher Städte. Eine Alternive zur psychologistischen Reagan-Interpretation von Lloyd DeMause, in: Busch / Krovoza, a.a.O., S.156 ff.
Theweleit, Klaus: Männerphantasien, 2 Bde., Hamburg 1980.
”Fascism is not a personality type”, warnte auch von nicht-psychoanalytischer Seite ausdrücklich Gilbert Allardyce: What Fascism is not: Thoughts on the Deflation of a Concept, in: The American Historical Review 84/1979, S. 385.
Eine möglicherweise gravierende Forschungslücke stellt sich folgendermaßen dar: Alle Ansätze gehen davon aus, daß es in der Tat spezifische Strukturen sind, die Faschisierung kollektiv ermöglichen, entweder autoritärzwanghafte oder mehr oder weniger narzißtische. Das ergab sich aus der mehr oder weniger plausiblen Beobachtung des Faktischen am Fall Deutschland. Diese beiden Strukturmöglichkeiten sind aber innerhalb einer begrenzten Auswahl von Möglichkeiten eben nicht die einzigen; ferner: Die Frage, ob es faschistische Massenbewegungen mit möglicherweise anderer dominanter, kollektiver Bewußtseinsstruktur gegeben habe, beispielsweise schizoide, hysterische usw., hat bisher niemand gestellt, geschweige denn beantwortet.
Implizit: Loewenberg, explizit: Lorenzer, a.a.O. und Leithäuser, auf dessen Arbeiten ich mich im folgenden besonders stützen werde, s.u. Kap. IV.2.2. ff, dort auch mit Literaturhinweisen.
Hier ist anzumerken: Zwischen den Ebenen von Ideologie und Bewußtseinsstrukturen besteht allerdings eine Differenz. Ideologie ist das gewußte, sprachfähige Bild, welches sich Bewußtsein von sich selbst macht, ist also Teil des letzteren. Es gibt zwar eine faschistische Ideologie, aber nicht notwendig ein faschistisches Bewußtsein.
In dieser Richtung — unbeabsichtigt — Claus-Ekkehard Bärsch in seiner Goebbels-Biographie: Erlösung und Vernichtung. Dr. phil. Joseph Goebbels, Zur Psyche und Ideologie eines jungen Nationalsozialisten 1923–1927, München 1987.
Eine Ausnahme: Lorenzer, Kultur-Analysen, a.a.O., S. 12 ff.
Gemeint sind damit Variationen des Lebens-Todes-Trieb-Themas, wie sie auch in dem ansonsten lesenswerten Buch von Gertrude und Rubin Blanck, a.a.O. immer noch referiert werden.
Vgl. den auch für Nicht-Eingeweihte nachvollziehbaren Aufsatz über die Arbeit des Tübinger Max-Planck-Institutes für Biokybernetik im GEO-HeftWissen: Gehirn, Gefühl, Gedanken, Hamburg 1987, S. 128 ff.; vgl. ferner: Frankfurter Rundschau vom 17.12.1987 und 9.1.1988.
Vgl. Fischer, Ernst Peter: Eine verschränkte Welt, in Mannheimer Forum 87/88, ein Panorama der Naturwissenschaften, bes. S. 80 ff. Ob und welche Konsequenzen die Überlegungen aus diesen Wissenschaftsbereichen für sozialwissenschaftliche Fragen, speziell solche der Psychologie, haben werden, ist z.Z. überhaupt noch nicht abzusehen. Interessante Überlegungen zu diesem Thema schon bei Devereux, Georges: Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften, Frankfurt 1984, hier bes. Teil IV. Das Buch, erschienen in Frankreich bereits 1967, enthält eine Fülle von Anregungen zur kritischen Selbstreflexion von in Wissenschaften Tätigen, wurde hier, soweit ich sehe, für weite Teile der Sozialwissenschaften bisher aber kaum fruchtbar gemacht.
Johann August Schülein in einem Diskussionsbeitrag, in: Busch / Krovoza, a.a.O., S. 32.
Laplanche, J. / Pontalis, J.-B.: Das Vokabular der Psychoanalyse, Frankfurt 1972, S. 24.
Zur gängigen Definition von Abwehr gehört auch z.B. bei Laplanche, sie sei u.a. gegen innere Triebe gerichtet. Triebe werden damit zum primären Begründungszusammenhang von Abwehrprozessen stilisiert: Ohne Trieb keine Abwehr. Dem vermag ich nicht zu folgen; vgl. o. Kap. IV, Anm. 2). Selbst wenn man anerkennt, es gäbe Triebe, dann ist es von entscheidender Bedeutung, ob gesagt wird, beispielsweise Durchbrüche des Sexualtriebes müßten abgewehrt werden — so formuliert in der Regel Psychoanalyse; oder ob es heißt, bestimmte Erscheinungsformen des Sexualtriebes müßten abgewehrt werden — damit nämlich ist die gesellschaftliche Vermittlungsebene angesprochen. Die erste, biologistisch-anthropologistische Bestimmung kann a) nicht klären, warum überhaupt abgewehrt werden muß, außer unter Rekurs auf biologistische Notwendigkeit; damit wird sie zum unsinnigen Zirkel. Richtig scheint mir vielmehr, daß sog. Triebdurchbrüche personale — und ggf. gesellschaftliche — Reproduktionsnotwendigkeiten gefährden; das aber ist etwas ganz anderes. Sie kann b) intergesellschaftliche Spezifika — synchron und historisch — in ihren Varianzen und Veränderungen nicht fassen — die können aber doch, wie ich meine, für eine Sozialwissenschaft nicht uninteressant sein. Ich plädiere deshalb dafür, den mit kaum wegzudiskutierenden anthropologischen Konstanten überfrachteten Triebbegriff fallenzulassen und ihn durch ein weniger belastetes Bedürfniskonzept zu ersetzen, wie es z.B. Holzkamp-Osterkamp, a.a.O., S. 196 ff. vorschlägt. Freud selbst sind die Probleme so nicht anzulasten, er war wie oft, so auch hier in seinen Begriffsbildungen, sowohl offen für gesellschaftliche Implikationen als auch vorsichtig; vgl. wiederum die Ausführungen zum Stichwort Trieb bei Laplanche / Pontalis.
Holzkamp-Osterkamp, a.a.O., S. 274.
Hier mag der Hinweis auf veränderte gesellschaftliche Rezeption hysterischer Strukturen genügen. Diese erfüllt heute nicht mehr ihre konfliktregulierende Funktion, die sie bis in Freuds Zeit hatte. Das hat mit Aufklärung zu tun und mit veränderten Bedingungen psychosozialer Reproduktion; die Sexualisierung von Konflikten scheint stark an Bedeutung zu verlieren. Zum Erscheinungswandel der Hysterie aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen vgl. schon Klaus Horn: Entwicklungen einer psychoanalytischen Sozialpsychologie, in: Wehler (Hrsg.), 1972, a.a.O., S. 89.
Laplanche / Pontalis, a.a.O., S. 24.
Damit ist die Repräsentanz solcher Funktionen im neuronalen Netzwerk angesprochen. Dessen Entwicklung ist mit der Geburt nicht abgeschlossen, Verknüpfungen im ZNS bleiben z.T. lebenslang variabel; vgl. Forssmann, W.G. / Heym, Chr.: Grundriß der Neuroanatomie, Berlin / Heidelberg / New York 1975, S. 9, ferner Angst Creutzfeldt, Otto Detlev: Modelle des Gehirns — Modelle des Geistes?, in Mannheimer Forum, a.a.O., S. 21. Es ist andererseits unter Kinderpsychologen nicht strittig, daß in bestimmten Phasen nicht erreichte Entwicklungsniveaus offenbar nicht mehr nachgeholt werden können; vgl. Blanck, a.a.O., S. 25. Ich bin mir im übrigen durchaus nicht sicher, ob die im Konzept der Entwicklungsniveaus implizierte Hierarchisierung biopsychischer Seinsweisen nicht einem bürgerlichen Selbstmißverständnis entspricht. Es ist wahrscheinlich, daß die als höchste Entwicklungsstufe angenommene Stufe sog. reifer Ich-Organisationen nur unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen funktional, unter anderen dysfunktional ist — und dann auch tendenziell verschwindet bzw. nicht auftritt. Für den sog. neuen Narzißmus wäre das noch genauer zu überdenken. Ich wende mich hier nicht primär gegen die implizierte Wertung selbst, sondern dagegen, daß sie nicht reflektiert, sondern als Quasi-Naturtatsache apostrophiert wird. Darauf macht immer wieder aufmerksam Devereux, a.a.O.
Hier liegt der Ausgangspunkt für Double-Bind-Probleme, wenn bei Auftreten von Widersprüchen zwischen verbaler und non-verbaler Kommunikation Inhalte hinterfragt werden müssen, um Verständigung zu erzielen, aber nicht hinterfragt werden können wegen der Wirkung der Metaregel.
Vgl. Laing, Ronald: Die Politik der Familie, Köln 1974, S. 140 ff. Sinnvolles Außerkraftsetzen der Regelsysteme findet z.B. regelmäßig in wirksamen Therapien statt.
Der Begriff der Desymbolisierung geht auf Lorenzer zurück; vgl. ders.: Sprachzerstörung und Rekonstruktion, Frankfurt 1970. Die hier vorgetragenen Überlegungen basieren im übrigen auf der Annahme, Steuerungsinstanz im Individuum sei ein (Gesamt-)Ich, welches sowohl die Vermittlung des Individuums mit Umwelt als auch mit sich selbst reguliert, also die Steuerung von Affekten, Motorik, Abwehrprozessen oder Anpassungsleistungen wie z.B. die sog. Realitätsprüfung. ”Ich” ist dann sowohl Organisator als auch entwicklungs- und lernfähiger Prozeß. Wie diese Steuerung im neuronalen Netzwerk vor dem Hintergrund ansonsten paralleler, nicht-hierarchischer Steuerkreise im ZNS (Creutzfeldt, a.a.O., S. 32 ff.) koordiniert ist, ist eine interessante, offene Frage. Daß es eine solche Suprastruktur gibt, darauf weisen die Konsequenzen bestimmter Läsionen präfrontaler Hirnregionen hin; vgl. Forssmann / Heym, a.a.O., S. 96 (Apraxie).
Vgl. Milhoffer, Petra: Familie und Klasse: Ein Beitrag zu den politischen Konsequenzen familialer Sozialisation, Frankfurt 1973, S. 207 ff., dort mit weiteren Literaturhinweisen.
Mit “pathologischen” Wunschdeformationen ist immer auch zu rechnen. Was allerdings als pathologisch angesehen wird, hängt wiederum stark von gesellschaftlichen Zuschreibungen ab.
Solche Aufstellungen enthält beispielsweise Laing, a.a.O., S. 131 f.; auch Leithäuser, Thomas: Kriegsängste und Sicherheitsbedürfnis, Zur Sozialpsychologie des Ost-West-Konflikts im Alltag, Frankfurt 1983, S. 340.
Vgl. Freud, Anna: Das Ich und die Abwehrmechanismen, Frankfurt 1984, zuerst 1936, S. 29 ff., bes. S. 40. Der Begriff des Mechanismus deutet bereits die Schwierigkeiten eines solchen nicht-dynamischen Modells an.
Vgl. dazu o., Anm. 53.
Blanck, a.a.O., S. 151. .
Fhd.: auch Kernherg, a.a.O.
Subjekt-Objekt-Beziehung heißt hier eine Beziehung ”zwischen der ganzen Person oder der Ich-Instanz und einem Objekt, das selbst als Ganzes angestrebt wird”; Laplanche / Pontalis, a.a.O., S. 335. Die Ausbildung von Innen-Außen-Grenzen, m.a.W. von ganzen Objektrepräsentanzen stellt die Scheidelinie dar, welche sog. frühe Störungen, Borderline-Strukturen oder den sog. neuen Narzißmus von klassischen Neurosen trennt; die Übergänge sind durchaus fließend, auch im klinischen Erscheinungsbild. Strukturen unterhalb einer durchstrukturierten Ich-Organisation müssen deshalb weder “auffällig” sein noch gesellschaftlich funktionsunfähig, beispielsweise im Sinne von arbeitsunfähig — ganz im Gegenteil. Beziehungsunfähig ja, mehr nicht; vgl. o., Anm. 50, S. 196 f:
Hier bestehen im übrigen auch Ubersetzungsmöglichkeiten in die entwicklungspsychologische Sprache Piagets und seiner Nachfolger; vgl. dafür Nunner-Winkler, Gertrud / Döbert, Rainer / Habermas, Jürgen (Hrsg.): Entwicklung des Ichs, Königstein 1980.
Laplanche / Pontalis, a.a.O., S. 550.
Freud, Sigmund: GW Band XIV, S. 63, zit. nach Leithäuser, Thomas, u.a.: Entwurf zu einer Empirie des Alltagsbewußtseins, Frankfurt 1977, S. 81.
G. u. R. Blanck, a.a.O., S. 98.
Darauf bestehen z.B. G. u. R Blanck, a.a.O., S. 102 ff. Laplanche / Pontalis sind da noch mißverständlicher.
Devereux, a.a.O., S. 64. Das Beziehungsmuster Übertragung / Gegenübertragung beansprucht Allgemeingültigkeit und ist nicht auf psychoanalytische Settings beschränkt. Ein einleuchtendes Beispiel für den Prozeß geben G. u. R. Blanck, a.a.O., S. 140. Die Überlegungen von Devereux zur Rolle von Gegenübertragungen im Forschungsprozeß, a.a.O., bes. Teil II kann ich zwecks Reflexion von Forschungstätigkeiten nur zur unbedingten Lektüre empfehlen.
Die Thematisierung non-verbaler Komunikation kann für unsere Zwecke ebenso außer acht gelassen werden wie das Double-Bind-Problem.
Devereux, a.a.O., S. 336, sagt vom “idealen” Psychoanalytiker, er verstehe “seinen Patienten psychoanalytisch nur insoweit, als er die Störung versteht, die sein Patient in ihm auslöst.”
G. u. R. Blanck, a.a.O., S. 105.
Weiter unten werde ich den Versuch machen, einige Operationalisierungsund Kontrollmöglichkeiten zu zeigen. Es wird allerdings nicht möglich sein, Analyse-“Formeln” mitzuteilen.
G. u. R. Blanck, a.a.O., S. 110. Die unendliche Variation des Organisierungsprozesses verweist auf gesellschaftliche Überformungen der hereditären, individuell-biologischen Ausstattung. Gesellschaftliche Einflüsse dürften von erheblicher Bedeutung sein für die Genese subjektiver Bewußtseinsformen; dieser Ansicht war jüngst z.B. John Gordon, führender US-amerikanischer Humangenetiker am 10.2.1988 in einer Stellungnahme in der ARD im Anschluß an den Beitrag “Chimären — Fiktion und Wirklichkeit”. Die relative Gewichtung beider Faktoren ist aber im einzelnen bisher ungeklärt.
Ob psychoanalytische Theoriebildung in therapeutischer Praxis hilfreich ist, ist nicht mein Problem; die Frage ist hier, ob es sich um — streng genommen — theoriegeleitete Praxis handeln kann oder um voluntaristisch modifiziertes Einzelfallhandeln; der Status der Theorie wäre dann völlig offen, weil unklar bliebe, wer fallweise wem angepaßt würde: die Praxis der Theorie oder umgekehrt.
Ich erinnere hier der Deutlichkeit halber daran, daß es u.a. um Möglichkeiten psychoanalytischer Zeitungstextinterpretationen geht. Die hier aufgegriffene Interpretation entstammt dem Kohut-Buch: Introspektion, Empathie und Psychoanalyse, Frankfurt 1977, S. 173–194; die Revision ist nachzulesen bei Leithäuser, Thomas / Volmerg, Birgit: Anleitung zur empirischen Hermeneutik. Psychoanalytische Textinterpretation als sozialwissenschaftliches Verfahren, Frankfurt 1979, S. 120 ff.
Auch Patientenäußerungen in Therapiesitzungen sind nicht nur “eigen”, sondern immer auch gesellschaftlich überformt, aber das Therapieziel läßt das Problem in diesem Fall als sekundär erscheinen.
Leithäuser, Anleitung, a.a.O., S. 133 und 139.
Ebd., S. 138 f.
Gemeint ist hier ein quasi “naiver“ Leser, der “schöngeistig” am Genuß seiner Lektüre interessiert ist; Literaturkritik müßte wohl von dieser Rezeptionsweise wenigstens ein Stück weit herausgenommen werden. Es gilt auch nicht für jeden Text; für welche die Annahmen plausibel sind, werde ich im Abschnitt IV.3 weiter ausführen.
Leithäuser, Anleitung, a.a.O., S. 133; die folgenden Ausführungen ebenfalls in Anlehnung an Leithäuser. Im Tenor sehr ähnlich mündliche Informationen über Thematisierungsregeln und Gruppenbildungsprozesse von Dr. Dagmar Brockhaus, Mitarbeiterin der psychoanalytischen Abteilung der Hardtwaldklinik II für Psychosomatik.
Leithäuser, Thomas u.a.: Entwurf zu einer Empirie des Alltagsbewußtseins, Frankfurt 1977, S. 85; was im übrigen nicht heißt, es müsse jedem Gruppenmitglied unter dem Dach kollektiver Bewußtseinsstrukturen auch “gut” gehen. Sündenböcke sind allbekannte Gruppenerfahrung.
Leithäuser, Entwurf, a.a.O., S. 84. Kollektive Abwehr muß sich wie bei den anderen Phänomenen nicht von individuellen Erscheinungsformen unterscheiden, sie kann aber. Nach welchen Selektionsregeln kollektive Prozesse wie die hier vorgestellten sich ausprägen, ist bisher nicht klar.
Niethammer, a.a.O., S. 10.
Typisch für den Anspruch z.B. Ranger, Terence: Personliche Erinnerung und Volkserfahrung in Ost-Afrika, in Niethammer, a.a.O., S. 74.
Ebd., S.351.
Vgl. dazu den Beitrag von Grele, Ronald J.: Ziellose Bewegung. Me-thodologische und theoretische Probleme der Oral History, ebd., S. 143 ff.
Wagner, a.a.O., S. 39.
Dazu wiederum Niethammer, a.a.O., S. 11; dort ist von direkten Liigen etc. in Interviews ausdriicklich die Rede.
So macht das auch Wagner.
Franzke, Jiirgen: Modifikation und Rahmung. Anmerkungen zur Ent-stehung und Veranderung lebensgeschichtlicher Erinnerungen, in Friedrichs, Jiirgen (Hrsg.): Technik und sozialer Wandel. 23. Deutscher Soziologentag. Beitrage der Sektions- und Ad-Hoc-Gruppen, Opladen 1987, S. 457.
G. u. R. Blanck, a.a.O., S. 114. Die Interpretationsebene Struktur wird aber meines Wissens in für unser Thema relevanten Arbeiten so gut wie nie erreicht bzw. angestrebt. Wahrscheinlich einzige Ausnahme — ohne Möglichkeit der Kontrolle — sind die von Adorno et al. durchgeführten psychoanalytischen Interviews zum Thema des autoritären Charakters; vgl. ders.: Studien zum autoritären Charakter, Frankfurt 1982, bes. S. 15 ff.
Ich habe unter diesen Gesichtspunkten selbst exemplarisch ein von Eike Hennig durchgeführtes und mit sechs Stunden sehr langes Interview analysiert. Dabei konnten sowohl heutige Bewußtseinsstrukturen offen gelegt werden als auch davon ausgehende Wahrnehmungsverzerrungen der (Fakten)Sicht des Interviewten auf sein eigene Biographie: Wie er es sieht, kann es nicht gewesen sein. Zutage kam eine strukturbedingte Lebenslüge; nicht zutage kam “Subjektives” beispielsweise im Sinne von vor 40 Jahren gültigen Deutungsmustern — auf keinen Fall solche unterhalb der Strukturebene. Ansätze können bestenfalls grob erschlossen werden aus einer Interpretation der Struktur. Vgl. M. Kieserling, Interviewanalyse, unveröff. MS, 1985.
Dabei ist impliziert, daß kein Forscher sich in diesem Themenbereich exklusiv auf Interviews stützt; zu überlegen wäre dann u.a. modifizierte Funktion und Wirkung von Sanktionen, weil Forscher und Untersuchungsobjektnicht demselben Kollektiv entstammen. Doch würde eine explizierte Entfaltung des Themas hier den Rahmen sprengen.
Weitere Hinweise zu diesem Thema in den Arbeiten von Leithäuser, Anleitung ..., a.a.O., Entwurf, a.a.O. und Devereux, a.a.O.
Vgl. o., Kap. IV.2.2, dort auch als tiefenhermeneutische Grundregel bezeichnet. Tiefenhermeneutik bezeichnet hier mit den oben vorgeschlagenen Erweiterungen psychoanalytisches Verstehen; ich benutze Tiefenhermeneutik und Psychoanalytik auf unseren Gegenstand bezogen hier weitgehend synonym.
Abwehr mag sich hierbei z.B. in der Variablenkonstruktion finden, nicht aber im Text selbst.
Leithäuser, Anleitung, a.a.O., S. 92. Ich stütze mich auch im folgenden auf Arbeiten der Forschungsgruppe um Leithäuser.
Vgl. o. Kap. IV.2.2.
Hier vor allem Ellwein, Thomas u.a.: Wertheim (II), Politik und Machtstruktur einer deutschen Stadt, München 1982, bes. 4. Kapitel: “Zur Vermittlungsfunktion der Wertheimer Lokalpresse”, S. 100 ff.; ferner dies.: Wertheim III, Kommunalpolitik und Machtstruktur, München 1974, 4. Kapitel: “’Repräsentative’ Öffentlichkeit — Zur Funktion der Wertheimer Lokalpresse”, S. 147 ff., dort mit Referenzliteratur.
Dies.: Wertheim II, a.a.O., S. 102.
Dies.: Wertheim III, a.a.O., S. 167.
Ebd., S. 204.
Dies.: Wertheim II, S. 111 f.; ferner auch Wertheim III, a.a.O., S. 208 f.
Leithäuser formuliert das so: “Die Bezugsperspektive der Explikation ist das Spannungsfeld zwischen Deckungsgleichheit und Deckungslücken des Bewußtseinshorizonts und der sozialen Situation.” Leithäuser, Entwurf, a.a.O., S. 65.
Vgl. ebd., S: 46 ff.
Vgl. Leithäuser, Entwurf, a.a.O., S. 89.
Ein solcher Empfänger versteht unbewußt, also mindestens nicht rational, aber rationell. Metasprache hat erhebliche Probleme in der Darstellung der Sachverhalte, weil ihr Vokabular unzureichenderweise auf konkretistische Wendungen angewiesen bleibt. Doch würden Ausführungen zur Sprachtheorie hier den Rahmen sprengen. Es genügt zu wissen, daß Metasprache, wiewohl häufig selbst vage etc., verstanden werden kann — wie die hier analysierten Texte von den Beteiligten auch “verstanden” werden können.
Vorsicht ist immer angebracht, die Suche nach Inkonsistenzen darf nicht übertrieben werden; nicht jeder Versprecher ist eine Fehlleistung, die Entscheidung darüber hängt vom Kontext ab. Manchmal ist eine Zigarre auch eine Zigarre (Freud) ohne überschießende (nhallische) Bedeutung.
Selbstverständlich kann sich aus der Analyse von “Stolpersteinen” auch ein ganzes Strukturmuster ergeben. Das ist aber nicht regelmäßig intendiert.
Die Aggressions-Frustrations-Hypothese ist nur brauchbar, wenn Frustrationen als sehr vermittelte Möglichkeiten betrachtet werden, das Stimulus-Response-Muster unterschätzt Komplexität bei weitem.
G. u. R. Blanck, a.a.O., S. 140.
Devereux, a.a.O., S. 275. In diesem Band fiindet sich eine sehr lehrreiche Fülle weiterer Beispiele dazu und zum folgenden.
Beispiele sind Böhnkes Arbeit über das Ruhrgebiet: Die NSDAP im Ruhrgebiet 1920–1933, Bonn-Bad Godesberg, 1974 und Wagner über Körle, a.a.O.
Eine Fülle von Beispielen wiederum bei Devereux, a.a.O. Die Probleme gelten im übrigen nicht nur im Rahmen tiefenhermeneutischer Textanalysen, sondern grundsätzlich.
“Die Persönlichkeit des Wissenschaftlers ist insofern relevant für die Wissenschaft, als sie für die Verzerrungen des Materials, die sich einem intrapsychisch determinierten Mangel an Objektivität zuschreiben lassen, verantwortlich ist”, Devereux, a.a.O., S. 65.
Beispielhaft scheint mir die Position von Nolte in diesem sog. “Historikerstreit” zu sein. Die inhaltlich-ideologische Ebene ist hier scharf zu unterscheiden von einer psychologischen: Mit der ersten kann man sich, wie ich meine, nicht eindeutig genug auseinandersetzen; auf der zweiten Ebene muß man allerdings sehen, daß Nolte sich in die Ecke eines ”argumentativen Steinbruchs für Neo-Nazis” — so jüngst Karl H011 in einer Besprechung von Noltes neuestem Elaborat “Der europäische Bürgerkrieg 1917–1945. Nationalsozialismus und Bolschewismus”, Frankfurt 1987, in der Frankfurter Rundschau vom 27.2.1988 — nicht nur selbst hineingestellt hat. Er wurde auch hineinmanövriert durch die Art der Diskussion, die ihn öffentlich zu einer Art Buhmann aufbaute und damit seine Abwehr erst richtig auf Trab gebracht zu haben scheint: Ohne diesen Kontext hätte er womöglich die Diskussion nicht fortgeführt. Zu reden ist hier von Borniertheit und Ignoranz, nicht vom Inhalt, dem Kleinkrieg um richtige Zitierweisen fehlt häufig schlicht die politisch-psychologische Souveränität. Daß man Noltes Thesen zur Kenntnis nehmen muß, hat aber auch mit der politischen Ebene zu tun; zu reden ist von der geistig-unmoralischen Wende, die Nolte et al. erst diskussions-“würdig” machen. Den versuchten, konservativen Paradigmenwechsel psychologisch ohne politische Dimension erklären zu wollen, greift sicher zu kurz.
Psychologische Einflüsse auf die Methodenwahl spielen u.a. auch in dieser Arbeit eine Rolle: Scheinbar “kleinliches” Quantifizieren kann dann zu einem Schlag für den eigenen Narzißmus werden, wenn einem Autor qualitative Methodik schon in der Wortwahl die Qualität grandioser Gedankenführung zu sichern scheint. Der Zwang alternativer Entscheidung zwischen beiden unter solchen Voraussetzungen reduziert sich erst dann um einiges, wenn seine Ursachen bekannt sind — oder unter dem Druck aus dem Forschungsfeld.
Exemplarisch dürfte Freud’s Konzeption eines Todestriebes sein im Angesicht faschistischer Herrschaft. Die Verleugnung des Sinn-Themas faschistischen Bewußtseins und dann Handelns dürfte heute einem weitverbreiteten gesellschaftlich-politischen Grundkonsens zu verdanken sein, der mit der Tabuisierung dieses Themas implizit auch die Wiederholbarkeit von Faschismus tabuiert. Antifaschismus kann unter solchen Vorzeichen konsequenzlos verbal geäußert werden, Nationalsozialismus als “Betriebsunfall” verharmlost werden, da seine strukturellen Bedingungen nicht einmal wahrgenommen, geschweige denn analysiert werden.
Erkenntnis hier als eine Voraussetzung für Bewußtseins- und Handlungsveränderungen; Faktoren wie die politischen und ökonomischen Dimensionen dürfen dabei nicht vergessen werden.
Das gilt grundsätzlich für jeden Forschungsprozeß, eine Diskussion hierüber würde aber zu weit führen.
Das ist keineswegs selbstverständlich. Ich gehe davon aus, daß ein Uberwiegen zwanghafter Strukturanteile i.d.R. nicht ausreichend offen sein dürfte, ein Überwiegen narzißtischer Strukturanteile in bestimmten Fällen die Gefährdung einer Kränkung der Person, die durch Zurückweisung von Arbeiten durch Dritte dann zu erwarten ist, wenn diese mit relativ ungesicherten Methoden ausgeführt werden, nicht riskieren wird — um nur zwei Möglichkeiten zu nennen.
Die Forderung zu erheben. nach einer regelrechten psychoanalytischen Kontroll- bzw. Lehranalyse für in diesem Bereich arbeitende Wissenschaftler halte ich für überzogen und auch unrealistisch. Ich kann mich darüber hinaus einer gewissen Skepsis gegenüber den denkverengenden Ausbildungsbedingungen in diesem Sektor nicht enthalten. Allerdings wäre es wünschenswert, daß möglichst viele an solchen Forschungsprozessen Beteiligte über praktisch-psychologische — i.d.R. therapeutische — Erfahrungen und/oder Selbsterfahrungen verfügen; therapeutische Erfahrung bietet nach meiner Einschätzung immer noch die beste Gewähr für Wahrnehmungssensibilisierung. Doch würde eine ausführliche Diskussion dieses Themas hier den Rahmen sprengen.
Frei, Norbert: Nationalsozialistische Eroberung einer Provinzzeitung, in Broszat u.a. (Hrsg.) Bayern, a.a.O., Bd. II, S.4, gibt die Mindestauflage eines Provinzblattes für eine sichere Existenzgrundlage mit 2.000 an. Die o.a. Obergrenzen werden durch die-Angaben in der zeitgenössischen Studie von Gunter Cnyrim: Die politische Tagespresse von Hessen-Nassau und Hessen, Phil.-Diss., Worms 1934, S. 68 f, gestützt. Der Fritzlarer Kreisanzeiger erscheint dreimal wöchentlich, Cnyrim findet — bei 7 unbekannten — für 1931 kein Blatt in dieser Erscheinungsweise mit einer Auflage über 5.000 Exemplaren.
Dies in einer Landratsaufstellung “Zeitungen im Kreis Fritzlar” vom 18.8.1931, vgl. STAM 180/1659. Schon vorher, am 21.4.1931 hatte er zur Gudensberger Lokalzeitung berichtet, sie drifte neuerdings stark nach rechts (in Richtung DNVP), vgl. STAM 165/3874; 1928 sind beide Blätter sicher “bürgerliche” Zeitungen.
Z.B. wird über fast alle Vereinsveranstaltungen in der Kreishauptstadt berichtet, aber nur über ”viele” im Kreis.
Vgl. dazu auch Theweleit, Klaus: Männerphantasien, Bd. 1, a.a.O., dort die Bilder vom ”Fluten des Wassers” versus ”Fels in der Brandung”.
Ich möchte hier nochmals betonen: Der Text benennt viele Sachverhalte, erkennt aber ihren Zusammenhang nicht, ihre Bedeutung bleibt ihm unbewußt.
S.o., Kap. II.2.4.
Jugend kann — aus Gründen, die ich hier wohl nicht erläutern muß — nicht vollständig verdammt werden; sie muß besserungsfähig bleiben.
Krovoza, Alfred: Produktion und Reproduktion, Frankfurt 1976, S. 137.
Die Vokabel Freiheit taucht in zeitgenössischen Zeugnissen, z.B. im Kreisanzeiger, noch in einem anderen Zusammenhang auf, nämlich dem von Volk; auch hier hat Freiheit für die Fritzlarer alltäglich materiell keinerlei Bedeutung. Die Unmögichkeit von Freiheit ist der notwendige Ansatzpunkt für ihre entmaterialisierte Idealisierung vor dem Hintergrund alltäglich erlebter konkreter Zwänge.
Vgl. o. Kap. III.1.2.
Vgl. ebd. zu den harmonistischen Implikationen.
An anderer Stelle hieß es ähnlich über Arbeiter, da diese die Fühlung zum Volk verloren hätten, müsse man sich um sie bemühen. Wenn man jetzt den Faschingstext kennt, bedeutet das, daß sie an’s Volk herangefüihrt werden sollen, vgl. o. Kap. III.1.2.
Die Führerfigur selbst, also Hitler, später mit — weniger ausgeprägt — vielen Subchargen, ist nicht beliebig. Sie muß insoweit geeignet sein, als sie in der Lage sein muß, die Gegenübertragungen für “ihr” Volk gebündelt richtig zu artikulieren. Sonst geht es nicht. Hier liegt der Ansatzpunkt für Diabolisierungen, weil der Prozeß als nicht durchschauter unheimlich wirkt.
Kollektives Bewußtsein dieser Fritzlarer hat selbstverständlich noch andere Aspekte als die hier herausgearbeiteten, die vornehmlich auf Abwehrstrukturen bezogen sind. Die Schwerpunktsetzung hier ist der Suche nach Konfliktpotentialen und Widersprüchen geschuldet, die geeignet sein können, einen Beitrag zur Klärung von sozio-politischen Prozessen zu liefern. Demgegenüber sind bestimmte kognitive oder motorische Fähigkeiten sekundär.
“Kaninchenfleisch muß Volksnahrung werden”; vgl. o. Kap. III.1.1. Schon hier gestatte ich mir den Hinweis, daß viele hier herausgearbeitete Strukturen in anderen Abschnitten bereits ähnlich zutage traten; vgl. Kap. II.1 zur bürgerlichen Vereinskultur.
Die Ausführungen zu b) und c) bedürfen dringend einer weiteren Klärung durch Langzeitstudien.
Hier ist impliziert, daß die Text-Fritzlarer, deren kollektive Bewußtseinsstruktur hier analysiert wurde, auch diejenigen sind, die dem Faschismus mehr oder weniger stark anhingen. Ich werde im V. ten Kapitel versuchen, das zu belegen.
Horkheimer / Adorno, a.a.O., S. 33
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Kieserling, M. (1991). Kollektives kleinbürgerliches Bewußtsein: Möglichkeiten und Resultate seiner Analyse. In: Faschisierung und gesellschaftlicher Wandel. Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-00140-9_4
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