Zusammenfassung
Im Jahr 2019 zu diskutieren wie der demographische Wandel unsere Gesellschaft verändert, könnte den Anschein erwecken, man wolle Eulen nach Athen tragen. Die gesellschaftlichen Herausforderungen der aktuellen und prognostizierten Bevölkerungsentwicklung in den westlichen Ländern sind seit langem Thema sowohl des wissenschaftlichen als auch des gesellschaftlichen Diskurses. Der vorliegende Band möchte deshalb einen Schritt weitergehen und nicht nur die gesellschaftlichen Herausforderungen beschreiben, sondern über die Verknüpfung von Wissenschaft und Praxis thematisieren, wie wir diese Veränderungen aktiv gestalten können. Das Phänomen des demographischen Wandels selbst wurde weiter gefasst. Der demographische Wandel geht hiernach über die bloße altersbezogene Veränderung der Bevölkerungsstruktur hinaus und umfasst zusätzlich die zunehmende Pluralität und Diversität von Lebensverläufen und Werten in unserer Gesellschaft, die sich stetig verändernde soziale Rolle älterer Menschen sowie die Technisierung und Digitalisierung fast aller Lebensbereiche. Erst wenn diese zusätzlichen Charakteristika in die Betrachtung einbezogen werden, lässt sich das Phänomen „demographischer Wandel“ mit seinen Auswirkungen adäquat beschreiben, so dass hierauf aufbauend wirksame Gestaltungsimpulse entwickelt werden können.
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Notes
- 1.
Vgl. entsprechende Medienberichte wie etwa einem Bericht bei Focus online vom 28.04.2015 unter der Überschrift „Deutschland überaltert. Wir schrumpfen! Bald gibt es nur noch 67 Millionen Deutsche“ https://www.focus.de/politik/deutschland/unserer-bevoelkerung-schrumpft-statistiker-2060-gibt-es-nur-noch-67-millionen-deutsche_id_4644136.html oder in der Süddeutschen Zeitung vom 03.08.2011 „Die überalterte Gesellschaft“ https://www.sueddeutsche.de/leben/deutschland-ist-kinderaermstes-land-europas-die-ueberalterte-gesellschaft-1.1127653. Zugegriffen: 3. Juli 2019.
- 2.
Etwa auch mit Blick auf die rechtlichen Rahmenbedingungen, vgl. die Beiträge von Schönberger und Kubiciel in diesem Band.
- 3.
In der antiken Vorstellung vom Altern dominierte ein positives Altersbild, wonach mit dem Alter besondere Werte wie Weisheit, Ernsthaftigkeit, Stabilität, Ruhe und Strenge verbunden waren, die ganz im Sinne des homo politicus eine besondere politische Kompetenz verkörperten. Aufgrund dieser vorherrschenden Vorstellung kam alten Menschen eine besondere, herausgehobene Rolle in der Gesellschaft zu. So konnten zum Beispiel nur Männer mit einem bestimmten Alter Senatoren werden, die dann das Geschick der Polis lenkten, (vgl. De Beauvoir 2012). Bereits im Mittelalter kam es zu einer Umkehr dieser Altersassoziationen mit dem Ergebnis, dass sich ein eher defizitorientiertes Altersbild durchsetzte. Im Zuge des sich ausbreitenden Christentums und seiner Betonung von Versorgung und Fürsorge kam es einerseits zu einer stärker am Individuum als an der Polis ausgerichteten Sichtweise auf das Alter und andererseits zu einer verstärkten intergenerationellen Betrachtung. Zwar wurden alte Menschen immer noch als weise und als Bewahrer traditioneller Werte gesehen, verstärkt rückte aber auch ihre Eigenschaft als Empfänger von Fürsorge und materieller Unterstützung in den Blick. Diese maßgeblich über die Pflege- und Hilfsbedürftigkeit konstruierte Wahrnehmung des Alters wies älteren Menschen eine soziale Rolle zu, die verstärkt am Rand der Gesellschaft zu suchen ist, (vgl. BMFSJ 2002).
- 4.
Die alterstheoretische Strömung des sogenannten Disengagements entwickelte sich in den 1950er- und 60er-Jahren und geht davon aus, dass sich Menschen mit zunehmendem Alter aus der Gesellschaft immer mehr zurückziehen (sollen) (vgl. Cumming und Henry 1961).
- 5.
Als Pendant zum Disengagement entwickelten sich mehr oder weniger zeitgleich auch Aktivitätstheorien des Alters, die älteren Menschen eine ganz andere gesellschaftliche Rolle – nämlich eine primär aktive, produktive und engagierte – zuschreiben und wonach sich gerade im höheren Alter und nach dem Ende von beruflichen und familiären Verpflichtungen nun die Zeit einer „neuen Freiheit“ anschließt (vgl. Havighurst und Albrecht 1953; WHO 2002).
- 6.
Vgl. den Beitrag von Schlüter/Ginschel in diesem Band.
- 7.
Vgl. den Beitrag von Hülsen-Esch in diesem Band.
- 8.
Vgl. die Beiträge von Anacker und Butterwegge in diesem Band.
- 9.
Vgl. den Beitrag von von Blankenburg in diesem Band.
- 10.
Vgl. den Beitrag von Kaiser in diesem Band.
- 11.
Vgl. die Beiträge von Meister und Assadi/Manzeschke/Kemmer in diesem Band.
- 12.
Siehe hierzu die Beiträge von Schönberger und Kubiciel in diesem Band.
- 13.
Vgl. hierzu den Beitrag von von Blanckenburg in diesem Band.
- 14.
Vgl. hierzu die Beiträge von Butterwegge und Anacker in diesem Band.
- 15.
Vgl. hierzu die Beiträge von von Hülsen-Esch und Schlüter/Ginschel in diesem Band.
- 16.
Vgl. hierzu den Beitrag von Geithner in diesem Band.
- 17.
Vgl. hierzu die Beiträge von Olbermann und Kaiser in diesem Band.
- 18.
Vgl. hierzu die Beiträge von Meister und Assadi/Manzeschke/Kemmer in diesem Band.
Literatur
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Genske, A., Janhsen, A., Mertz, M., Woopen, C. (2020). Alternde Gesellschaft im Wandel. In: Woopen, C., Janhsen, A., Mertz, M., Genske, A. (eds) Alternde Gesellschaft im Wandel. Schriften zu Gesundheit und Gesellschaft - Studies on Health and Society, vol 4. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-60586-8_1
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