Zusammenfassung
Zurzeit dominieren zwei Ansätze die Dienstleistungsforschung: Das sogenannte „Service-Engineering“ und die „Interaktionsarbeit“. Vertreter des Service-Engineerings gehen bei der Konzeption von Dienstleistungen von einer betriebswirtschaftlich-technischen Sicht aus und versuchen, das Wissen und Technologien aus der klassischen Produktentwicklung auf die Entwicklung von Dienstleistungen zu übertragen. Ein „Technology first“ greift aber bei (personenbezogenen) Dienstleistungen zu kurz, da sich die Qualität von Dienstleistungen immer erst in der direkten Interaktion von Dienstleister und Kunden manifestiert. Dieser „blinde Fleck“ des Service-Engineerings steht im Mittelpunkt der Forschung zur Interaktionsarbeit. Neben dem Dienstleister spielt aus dieser Perspektive der Kunde eine entscheidende Rolle, denn der Kunde ist gleichzeitig immer auch Co-Produzent der Dienstleistung und damit zentraler Bestandteil des Dienstleistungsprozesses. Damit gehen Unwägbarkeiten einher, die sich dem Einsatz von Technik und einer Standardisierung im Sinne des Service-Engineerings widersetzen. Entscheidend für das Gelingen der Dienstleistung ist vielmehr das erfahrungsgeleitete Handeln des Dienstleisters und die daraus resultierende Kooperationsbereitschaft des Kunden. Dennoch gehen nach unserer Auffassung die Vertreter der Interaktionsarbeit zu stark von der konkreten Interaktion zwischen Dienstleister und Kunden aus. Sie vernachlässigen dabei die Rolle, die neue Technologien als „Enabler“ oder als „Kontextsteuerer“ in Dienstleistungsprozessen spielen können. Somit kommt bei beiden Ansätzen die jeweils andere Perspektive zu kurz. Im vom BMBF geförderten Projekt DiDiER („Digitalisierte Dienstleistungen im Bereich der Ernährungsberatung von Personengruppen mit erhöhten gesundheitlichen Risiken bei Fehlernährung“) werden diese beiden bislang weitgehend unverbundenen Forschungsstränge miteinander vereint und produktiv aufeinander bezogen.
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Notes
- 1.
Häufig wird zwischen produkt- oder sachbezogenen Dienstleistungen, beispielsweise im Finanzbereich und personenbezogenen Dienstleistungen, etwa im Bereich der Pflege, unterschieden. Aus Sicht von Böhle und Glaser (2006b) sind deshalb personenbezogene Dienstleistungen solche, die nach Frenkel et al. (1999) als „front-line-work“ bezeichnet werden können und im Gegensatz zu Tätigkeiten im „back-office“ einen direkten Kontakt mit einem Kunden erfordern. Bei personenbezogenen Dienstleistungen richtet sich die Arbeit demnach direkt auf einen Menschen und nicht auf die Bearbeitung materieller oder immaterieller Objekte.
- 2.
In dem folgenden Artikel wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Formen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht.
- 3.
Das Uno-actu-Prinzip besagt, dass der Konsum und die Erstellung einer Dienstleistung in ein und demselben Moment erfolgen.
- 4.
Dies gilt auch für das in DiDiER untersuchte Feld der Ernährungsberatung. Viele der Ernährungsberaterinnen arbeiten als Solo-Selbstständige, die prekären Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind.
- 5.
So müssen selbst bei vollständig automatisierten Dienstleistungen, wie etwa dem Fahrkartenkauf bei der Bahn, „Back-up-Systeme“ vorgehalten werden, die auf individuelle Kundenbedürfnisse reagieren, die eine Maschine nicht abbilden kann.
- 6.
Personas können auf viele verschiedene Arten erstellt werden. Theoretische Bespiele finden sich in der Literatur bei Pruitt & Grudin (2003, S. 1–15) oder bei Nielsen und Storgaard Hansen (2014, S. 1665–1674), praktische Erklärungen in dem Buch von Lowdermilk (2013, S. 39 ff.) oder in der Praxisstudie von Nieters, Ivaturi und Ahmed (2007, S. 1817–1824).
- 7.
Die angestrebten Effekte kommen sowohl den Kunden als auch den Ernährungsberatern zugute. Diese arbeiten zumeist als solo-selbstständige Berater und sind aus wirtschaftlichen Gründen auf die Optimierung von Beratungsprozessen angewiesen.
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Haab, H., Bieber, D., Elfert, P. (2019). Zwischen Interaktionsarbeit und Service-Engineering – Auf dem Weg zu einem integrativen Ansatz in der Dienstleistungsforschung. In: Stich, V., Schumann, J., Beverungen, D., Gudergan, G., Jussen, P. (eds) Digitale Dienstleistungsinnovationen. Springer Vieweg, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-59517-6_3
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