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Exkurs: Migration und Krankheit im Spiegel des Judentums

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Book cover Interkulturelle Kommunikation in der Medizin
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Zusammenfassung

Flucht- und Migrationsbewegungen bringen Menschen nach Europa, die aus ihren bisherigen kulturellen wie sozialen Lebenszusammenhängen und religiösen Verwurzelungen herausgerissen und „in eine völlig neue soziokulturelle Lebenskonstellation hineingeworfen“ werden. Im Kontext einer in der jüdischen Glaubensgemeinschaft lebendigen Erinnerungskultur werden Schlüsseltexte der hebräischen Bibel zu wesentlichen Bewältigungsbausteinen, indem sie zum einen äußerliche Katastrophenerfahrungen (physische Gewalt, Zerstörung; soziale Ausgrenzung) wie innere Katastrophenphänome (psychische Not, Krankheit; Fremdheit) in einem sprachlich-religiösen Sinnhorizont reflektieren. Der Mensch erfährt seine Krankheitsphänomene nicht nur als Bedrohung seiner psychosomatischen Integrität, sondern gleichermaßen als soziale Isolation und religiöse Entfremdung und damit als Zerstörung seiner ganzen bisherigen Lebenswelt.

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Notes

  1. 1.

    Beispielsweise Arbeitssklaverei in Ägypten und Exodus; Zerstörung, Deportation und Exil in Babylon; Unterdrückung und Ausbeutung im Imperium Romanum; Diaspora und Verfolgung im christlichen Europa.

  2. 2.

    Der Begriff „Monotheismus“ steht für die Betonung der Einzigkeit Gottes und die religiöse Bindung an diesen einen Gott (2. Mose 20,2–6). Ethisch ist dieser Monotheismus vor allem im unbedingten Gebot der Gottes- und Nächstenliebe (3. Mose 19,18; 5. Mose 6,5), dem Respekt vor der Würde des Mitmenschen und der Beachtung der sozialen Rechte (2. Mose 23,1–19).

  3. 3.

    „Wie Unversehrtheit und Gesundheit zur Leibsphäre gehören, so Integrität und Lebendigkeit zur Sozialsphäre“ (konstellativer Personenbegriff. In: Janowski, B., (2013) Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen. Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn, S 36 ff., S 44

  4. 4.

    Zur offenen Diskussion, inwieweit aus der spätantiken griechischen Philosophie das Konzept des Leib-Seele-Dualismus in die Anthropologie des rabbinischen Judentums mit eingeflossen ist (oder nicht), s. Morgenstern, M., Der ganze Mensch der Tora, Anmerkungen zur Anthropologie des rabbinischen Judentums. In: Janowski, B. (Hrsg.), Der ganze Mensch. Zur Anthropologie der Antike und ihrer europäischen Nachgeschichte, (Akademie-Verlag), Berlin 2012, S. 241 ff.

  5. 5.

    Dies geht soweit, dass zahlreiche Funktionen der Körperteile (Ohr, Nase, Hand, Gesicht, Auge, Kopf, Fuß u. a.) in ihrer Kommunikations- und Handlungsfähigkeit als Stellvertreterausdrücker der Person fungieren.

  6. 6.

    Zum anthropologischen Bedeutungsspektrum des Herzens als gottgeleitete (5. Mose 6,4–9 als Schlüsseltext) „Mitte der Person“ s. differenziert Janowski, B., Das Herz – ein Beziehungsorgan. Zum Personverständnis des Alten Testaments. in: ders., Das hörende Herz. Beiträge zur Theologie und Anthropologie des Alten Testaments 6, (Vandenhoeck&Ruprecht Verlag), Göttingen 2018, S. 39 ff.

  7. 7.

    Zu den Klageliedern des Einzelnen gehören die Psalmen 3–7;11;13;16;17;22–23;26–28;31;35–36;38;40–43;54;57;59;61;62;64;69;71;86;88;92;102;109;120;130;140–143. Danklieder des Einzelnen sind Psalm 9;30;32;63;116;118;138; zur typischen Struktur der Klage- und Danklieder s. Gerstenberger, E.S., Arbeitsbuch Psalmen, (Kohlhammer-Verlag), Stuttgart 2015, S. 26.30 f. 32 f.

  8. 8.

    Janowski spricht hier vom „Dialogcharakter“, der die anthropologischen Texte der hebräischen Bibel insgesamt auszeichnet.

  9. 9.

    Zum Begriff und Verständnis der jüdischen Tora, s. Nachama, A.,/Homolka, W./Bomhoff, H., Basiswissen Judentum (Herder-Verlag) Freiburg 2015, S. 47 ff.

  10. 10.

    Dahinter steht das religiöse Paradigma, dass Heilung von Gott kommt: „Ich, der Ewige, bin dein Arzt“ (2. Mose 15,26); vgl. auch Psalm 30,3; dazu gehört in der jüdischen Gebetstradition, Gott als Heiler aufzurufen, so z. B. im zentralen Achtzehngebet („Amida“) s. Ahren, Y., Jüdische Gebete um Gesundheit von Seele und Körper. In: Probst, S. M. (Hrsg.), Die Begleitung Kranker und Sterbender im Judentum. Bikkur Cholim, jüdische Seelsorge und das jüdische Verständnis von Medizin und Pflege. Heintrick & Hentrich Verlag, Berlin, S. 18 f.

  11. 11.

    Gerade dieser Faktor der nicht monokausalen Sicht des Leides macht die entsprechenden Psalmentexte übertrag- und verwendbar; vgl. dazu auch Schoeps, H. J., Ein weites Feld, Haude & Spener, Berlin (1980), S. 131.

  12. 12.

    s. Nachama, A./Homolka, W./Bomhoff, H., Basiswissen Judentum (Herder-Verlag) Freiburg 2015, S. 59; anders als in der christlichen Verwendung werden die Psalmen im Judentum nicht als Gebetstexte verwendet (dies gilt nur für rituell vorgeschriebene Texte), sondern ‚gesprochen‘ (dankenswerter Hinweis von Prof. Dr. Matthias Morgenstern).

  13. 13.

    s. Anm. 10, S. 20.

  14. 14.

    Ahren, Y., Anm.10, S. 27 spricht hier davon, dass jeder Arzt als Schaliach Gottes angesehen wird, „der eine heilige Arbeit verrichtet.“

Literatur

  • Ahren Y (2017) Jüdische Gebete um Gesundheit von Seele und Körper. In: Probst SM (Hsrg) Die Begleitung Kranker und Sterbender im Judentum. Bikkur Cholim, jüdische Seelsorge und das jüdische Verständnis von Medizin und Pflege. Heintrick & Hentrich Verlag, Berlin, S 17

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Straßer, W. (2020). Exkurs: Migration und Krankheit im Spiegel des Judentums. In: Gillessen, A., Golsabahi-Broclawski, S., Biakowski, A., Broclawski, A. (eds) Interkulturelle Kommunikation in der Medizin. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-59012-6_4

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