Zusammenfassung
Die 1996 gegründete und zum internationalen Kreuzfahrtunternehmen Carnival Corporation & plc. gehörende AIDA-Cruises-Reederei, die über 11.000 Mitarbeiter hat (davon über 1000 an Land), hat den lange Zeit konservativen Markt für Kreuzfahrten nachhaltig verändert. AIDA beförderte im Jahr 2017 über 1 Mio. (2012: 632.000) Passagiere auf seinen zwölf Schiffen (Carnival Corporation insgesamt: 12,1 Mio. Passagiere, Gesamtumsatz 2018 von $ 3,2 Mrd.) und ist in Deutschland Marktführer. Mit einer Bettenkapazität von über 25.000 verteilt auf zwölf Kreuzfahrtschiffe erwirtschaftete AIDA 2017 einen Umsatz von € 1,7 Mrd. AIDA ist es gelungen, das ehemals konservative Produkt „Kreuzfahrt“ bedürfnisgerecht für breite Kundengruppen zu rekonfigurieren. Statt Urlaubsreisen mit einer gediegen-elitären Atmosphäre, bei denen Dinner im Smoking ebenso wie ältere Passagiere, Full-Service und hohe Preise dazu gehören, bieten AIDA-Kreuzfahrtschiffe alters- und interessengerechte Reisen zu für viele erschwinglichen Preisen. Während eine TUI-Cruises-Kreuzfahrt auf dem Europa-2-Kreuzfahrtschiff durchschnittlich € 500 pro Tag kostet, kostet eine AIDA-Reise im Schnitt € 200 pro Tag. Aufgrund des Erfolgs von AIDA ist der Markt für Kreuzfahrten insgesamt kompetitiver geworden, was auch in den Preisen zum Ausdruck kommt. Im Jahr 2016 haben deutsche Urlauber im Schnitt € 1700 für eine Kreuzfahrt bezahlt, also deutlich mehr als für einen konventionellen Urlaub, der in dem Jahr durchschnittlich gut € 1160 gekostet hat. AIDA-Kreuzfahrtschiffe bieten Reisen für unterschiedliche Urlaubertypen und Marktsegmente (s. Abschn. 4.4.4.4), wobei v. a. jüngere und aktivere Urlauber angesprochen werden. Traditionell lag der Passagier-Altersschnitt auf Kreuzfahrtschiffen bei über 60 Jahren, mittlerweile bei knapp unter 50 Jahren. AIDA-Kunden sind durchschnittlich 42 Jahre alt (Kinder nicht mitgerechnet). Die Attraktivität „jüngerer“ Zielgruppen haben auch andere Anbieter erkannt. So fokussiert der Wettbewerber TUI-Cruises die Gut-Situierten der Altersgruppe 45 plus. Mit dieser Zielgruppe erzielt TUI einen Erlös von € 525 pro Bett und Reise. Bereits das Erscheinungsbild von AIDA-Schiffen, mit Kussmund und Augenaufschlag am Bug, sind ein Vorgeschmack auf die von jugendlichem Stil und informellen Service geprägten Kreuzfahrten. In der Frühphase von AIDA hat das Personal die Passagiere geduzt; mittlerweile hat sich jedoch auch bei AIDA das „Sie“ durchgesetzt. Früher sollten Kreuzfahrten auf „Wohlfühlschiffen“ á la Traumschiff Luxus, Betulichkeit, Erholung, Kultur, begrenzte Animation und anspruchsvolle Kulinarik bieten. Außerdem erwarteten Passagiere, interessante Häfen in exotischen Ländern anzulaufen. Dieser Leistungskatalog sprach insbesondere gut situierte ältere Paare an. AIDA hingegen setzte schon früh auf ein Spaßkonzept und verbindet die abwechslungsreichen Elemente eines Club-Urlaubs mit einer Schiffsreise. AIDA-Schiffe verfügen über ein professionelles Unterhaltungsangebot und zahlreiche Restaurants sowie Möglichkeiten der aktiven Betätigung an Bord in Fitnessstudios, auf Joggingparcours, an Kletterwänden, in Schwimmbädern und auf Wasserrutschen. Zudem ist in Anlehnung an Club-Urlaube der Dresscode weniger rigide und der Service an den Bedürfnissen (s. Abschn. 2.1 und 2.3.3) der Passagiere ausgerichtet; so können Passagiere bei den Mahlzeiten von Buffets auswählen, statt sich am Tisch bedienen zu lassen. Durch die Schaffung eines kundenzentrierten Leistungspakets konnten breitere Konsumentenschichten angesprochen werden. Zu diesen zählen u. a. Familien mit Kindern sowie Großeltern mit Enkeln. So bietet AIDA jährlich verschiedene Themen-Kreuzfahrten für unterschiedliche Zielgruppen an. Zum Beispiel gibt es eine Kreuzfahrt mit Tanztraining („AIDA Tanzt“), ein BVB Soccercamp für Kinder oder eine Gourmet-Kreuzfahrt (inkl. Kochkurs mit Starkoch). Neben der Bedienung spezifischer Kundenbedürfnisse können mittels Themen-Kreuzfahrten höhere Preisbereitschaften abgeschöpft werden (für diese speziellen Kreuzfahrten müssen Kunden einen Aufpreis zahlen) und Kunden ein Mehrwert geboten werden. Bei der Biking-Kreuzfahrt auf der „AIDAperla“ etwa können Mountainbike- oder Rennradfahrer unter Führung von Radprofis an ausgedehnten Radtouren teilnehmen und können an Bord Veranstaltungen zum Thema Training, Ausrüstung, Ernährung usw. besuchen. Die erfolgreiche Kombination eines jüngeren, dynamischen Images mit gewohnten Annehmlichkeiten und Einrichtungen an Bord der Schiffe scheint den Geschmack der Konsumenten getroffen zu haben, denn Kreuzfahrten werden immer beliebter. Im Jahr 2017 haben knapp 2 Mio. Deutsche an einer Kreuzfahrt teilgenommen. Im europäischen Vergleich haben deutsche Konsumenten mittlerweile mit 28 % den höchsten Marktanteil (Großbritannien und Irland: 27 %, Italien: 12 %, Frankreich: 9 %). Dieses Potenzial möchte AIDA mit mehr Kapazität abschöpfen – die AIDA-Flotte soll bis 2021 auf 14 Schiffe wachsen. Mehr als 70 % der AIDA-Urlauber würden eine AIDA-Kreuzfahrt weiterempfehlen. Außerdem sind deutsche Kreuzfahrturlauber insgesamt oft sehr zufrieden mit der gebotenen Leistung (s. Abschn. 2.5.1), denn ein hoher Prozentsatz von Kunden bucht wieder eine Kreuzfahrt. Trotz der erfolgreichen Implementierung ihres Kreuzfahrtkonzepts existieren Herausforderungen, die den zukünftigen Erfolg des Unternehmens gefährden konnten. So vergrößern Wettbewerber wie MSC und TUI Cruises (ebenso wie AIDA) ihre Flotten, was trotz eines weltweit steigenden Marktvolumens (rund 27 Mio. Passagiere im Jahr) zu Verdrängungen führen könnte. So zielt TUI Cruises im deutschsprachigen Raum mittelfristig auf einen Marktanteil von 30 % (Umsatz im Jahr 2017: € 1,05 Mrd.). Alleine im Jahr 2018 wurden weltweit 16 neue Kreuzfahrtschiffe im Wert von über $ 8 Mrd. in Betrieb genommen. Zudem hat einer der weltweit drei größten Kreuzfahrten-Anbieter Royal Caribbean (24 Schiffe) sein Angebot an Mittelmeerreisen in den letzten Jahren erhöht, woraus Preiskämpfe in der Branche resultieren könnten. Auch erwarten Kunden und andere Anspruchsgruppen nicht nur eine preisgerechte Leistung von Unternehmen, sondern zunehmend auch die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung (sog. Corporate Social Responsibility: CSR), etwa in Bezug auf die Umwelt. Laut der Non-Profit-Organisation Atmosfair werden pro Passagier und Urlaubswoche 1500 kg Kohlendioxid produziert. Angesichts eines klimaverträglichen Jahresbudgets von 2300 kg CO2-Emissionen pro Kopf müssen Kreuzfahrten deshalb als umweltschädlich gelten. AIDA hat auf diese Herausforderung mit dem neuen Schiff „Nova“ (Kapazität: 6600 Passagiere) reagiert, dem weltweit ersten mit Flüssigerdgas angetriebenen Kreuzfahrtschiff. Zukünftig könnten jedoch andere CSR-relevante Aspekte stärker in den Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit geraten, wie bspw. die Arbeitsbedingungen oder das Lohnniveau für die Belegschaft aus 40 Ländern.
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