FormalPara Zusammenfassung

Pflegekräfte in der Pflegebranche sind starken Arbeitsbelastungen ausgesetzt. Sie zeichnen sich durch überdurchschnittlich hohe krankheitsbedingte Fehlzeiten aus. Auf Basis aktueller Arbeitsunfähigkeitsdaten aller AOK-Mitglieder wird das Arbeitsunfähigkeitsgeschehen der Pflegekräfte bezüglich der Einflussfaktoren auf Fehlzeiten näher analysiert. Die Autoren zeigen auf, wie die gewonnenen Erkenntnisse für die Umsetzung betrieblicher Gesundheitsförderungsmaßnahmen im Rahmen eines branchenspezifischen Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) genutzt werden können.

Employees in the nursing sector are exposed to heavy workloads and show above-average absenteeism due to illness. Based on current incapacity to work data of all AOK insurees, the authors analysed incapacity to work of the nursing staff in more detail with regard to the factors that influence absenteeism. The analysis shows how the knowledge gained can be used for the implementation of company health promotion measures within the framework of a sector-specific company health management (BGM).

1 Einleitung

Der demografische Wandel wirkt sich in der Pflegebranche in zweierlei Hinsicht aus: Er führt einerseits durch die Veränderung der Morbiditätsstrukturen in Richtung Multimorbidität und Chronifizierung wie auch durch die wachsende Zahl der Pflegebedürftigen – sowohl im Bereich der ambulanten und stationären Altenpflege wie auch im Krankenhausbereich – zu einem wachsenden Bedarf an qualifizierten Pflegekräften. Zugleich hat er Auswirkungen auf die personelle Verfügbarkeit vor dem Hintergrund der Alterung der Kranken- und Altenpflegekräfte selbst – ist deren Arbeitsfähigkeit doch gerade auch durch die besonderen Belastungen unmittelbar betroffen bzw. eingeschränkt. Dies führt oft dazu, dass Fach- und Hilfskräfte vorzeitig aus dem Arbeitsleben ausscheiden, gleichzeitig hält der Mangel an jüngeren Nachwuchskräften an. Die damit verbundene gesundheitspolitische Herausforderung ist in den Fachdisziplinen – in Wissenschaft wie auch bei Fachverbänden und Politik – seit Jahren diskutiert worden und hat nun mit dem jüngst verabschiedeten Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG 2018) zu einem umfassenderen Lösungsansatz geführt. Dieser setzt im Rahmen erheblicher finanzieller Mittelbereitstellung insbesondere auf

  1. 1.

    die Neuschaffung von zusätzlichen Pflegestellen,

  2. 2.

    die verbesserte Vergütung des vorhandenen Personals sowie

  3. 3.

    unterstützende Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte durch Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in der Betrieblichen Gesundheitsförderung in Höhe von mehr als 70 Mio. € jährlich.

Im vorliegenden Beitrag wird auf der Basis aktueller bundesweiter Daten der AOK ein Überblick über das AU-Geschehen in der Pflegebranche (hier bezogen auf ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen) gegeben, den spezifischen Gründen für Arbeitsunfähigkeiten nachgegangen und ein Blick darauf gerichtet, in welcher Weise branchenweite wie auch einzelbetriebliche Erkenntnisse aus dem AU-Geschehen genutzt werden können, um betriebliche Gesundheitsförderungsmaßnahmen umzusetzen und im Rahmen eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM ) ihre Wirksamkeit zu prüfen.

Dabei ist voranstehend festzustellen, dass eine betriebliche Arbeitsunfähigkeitsanalyse als Instrument der Sekundärstatistik in der Regel den Ausgangspunkt für weitere betriebliche Analysetools aus dem Bereich der Primärerhebung (wie z. B. Mitarbeiterbefragungen, Arbeitsplatzanalysen, Gesundheitszirkel etc.) darstellt. Erst auf dieser Basis können GKV-seitig begründete Empfehlungen gegeben bzw. Priorisierungen betrieblicher Präventionsmaßnahmen vorgenommen werden.

2 Gründe für Arbeitsunfähigkeiten

Will man die arbeitsdingten Fehlzeiten bei pflegenden Berufen analysieren, ist es zunächst sinnvoll festzuhalten, welche Faktoren Fehlzeiten in Betrieben prinzipiell beeinflussen, um anschließend zu fragen, welche dieser Einflussfaktoren auch in Pflegeberufen maßgeblich sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Daten kein umfassendes Bild über die Ursachen für Arbeitsunfähigkeiten abbilden. Dazu bedarf es weiterer Informationsquellen wie bspw. Daten aus Mitarbeiterbefragungen, mit denen detaillierte(re) Informationen zu individuellen Arbeitsbedingungen erhoben werden. Auch können private Lebensumstände den Gesundheitszustand negativ beeinträchtigen und zu Fehlzeiten in den Betrieben führen. Die Arbeitsunfähigkeitsdaten bieten dagegen nur eine begrenzte Anzahl von Informationen, die Rückschlüsse auf Einflussfaktoren auf Fehlzeiten zulassen. Es ist allerdings möglich, auf Basis der Arbeitsunfähigkeitsdaten Einflussfaktoren zu identifizieren, die ein spezifisches Belastungsprofil für eine bestimmte Berufsgruppe skizziert. In diesem Beitrag wird ausschließlich auf Arbeitsunfähigkeitsdaten fokussiert. Zunächst wird auf Basis von Arbeitsunfähigkeitsdaten kurz auf typische Einflussfaktoren für Arbeitsunfähigkeiten eingegangen. Diese Einflussfaktoren werden dann in Bezug auf die pflegenden Berufe abgeprüft mit dem Ziel, das spezifische Belastungsprofil dieser Berufsgruppe zu identifizieren. Folgende Faktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit längerer und/oder häufigerer Arbeitsunfähigkeiten (Abb. 2.1):

  • Tätigkeiten, die hohe körperliche oder psychische Beanspruchungen bedingen

    Die Art der ausgeübten Tätigkeit hat sowohl erheblichen Einfluss auf das Ausmaß und die Häufigkeit der Fehlzeiten als auch auf die Art der Erkrankung. Die Gründe für die Höhe der Fehlzeiten werden durch die berufsspezifischen Anforderungsprofile beeinflusst (Meyer et al. 2018).

  • Ein geringer Ausbildungsstatus

    Die Bildung besitzt einen hohen Stellenwert für die Gesundheit. Der formale Bildungsabschluss korreliert mit der Stellung in der Arbeitswelt, woraus sich wiederum Bezüge zu berufsbezogenen Belastungen und Ressourcen sowie zur Einkommenssituation ergeben. Eine höhere Bildung führt zu einem höheren beruflichen Status mit einem höheren Einkommen und höherer Anerkennung und ist mit größeren Handlungs- und Gestaltungsspielräumen verbunden, was wiederum Gesundheitsbelastungen reduziert (Karasek und Theorell 1990; Siegrist 1999). Eine niedrige Bildung führt dagegen zu beruflichen Tätigkeiten, die mit einem größeren Maß an physiologisch-ergonomischen und psychischen Belastungen sowie höherer Arbeitsplatzunsicherheit verbunden sind. Sie zeigt zudem Zusammenhänge mit einer erhöhten Häufigkeit chronischer Erkrankungen, mehr Tabakkonsum, weniger sportlichen Aktivitäten und einer geringeren Inanspruchnahme von Präventionsangeboten wie Vorsorgeuntersuchungen (Datenreport 2018; Mielck 2000).

  • Ein Wohnort bzw. Arbeitsplatz in bestimmten Regionen

    Hierzu finden sich in den AU-Daten keine weiteren Indikatoren, die diese regionalen Unterschiede bei den Fehlzeiten näher begründen können. Allerdings ist zu beobachten, dass bestimmte Regionen bezüglich des AU-Geschehens sich auch im Zeitverlauf relativ konstant auffälliger oder unauffälliger im Regionalvergleich darstellen. Vermutlich nehmen hier die regional unterschiedlichen Arbeits- und Lebensbedingungen Einfluss auf die regionalen Fehlzeiten in Betrieben.

  • Ein höheres Alter

    Mit zunehmendem Alter nimmt die durchschnittliche Krankheitslast der Erwerbsbevölkerung zu. So erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für chronische Krankheiten, aber vor allem nehmen Muskel-/Skelett-, Herz/Kreislauferkrankungen und Mehrfacherkrankungen (Multimorbidität) in der Tendenz zu (Hasselhorn und Rauch 2013).

  • Viel menschlicher Kontakt und daher höhere Ansteckungsgefahr mit Erkältungen und Grippe

    Erkältungsviren werden vor allem von Mensch zu Mensch durch Tröpfcheninfektion übertragen. Daher steigt das Erkrankungsrisiko und damit auch das Risiko für Fehlzeiten durch eine höhere Anzahl menschlicher Kontakte. Oftmals sind es die auftretenden Grippe- und Erkältungswellen, die den Krankenstand spürbar ansteigen lassen (Meyer und Meschede 2016).

  • Weibliches Geschlecht

    Vor allem die unterschiedliche Arbeits- und Lebensbedingungen von Frauen und Männern beeinflussen die geschlechtsspezifischen gesundheitlichen Belastungen und Risiken. Frauen sind eher im Dienstleistungsbereich sowie in sozialen Berufen oder in Gesundheits-, Pflege-, Erziehungs- und Bildungsberufen tätig. Diese Tätigkeiten sind oftmals mit besonders hohen psychischen Belastungen verbunden. Frauen arbeiten zudem häufiger in Teilzeit oder in Minijobs und sind außerdem überproportional in Tätigkeiten mit einem geringeren beruflichen Status zu finden. Zudem sind die Lebens- und Arbeitswelten von Frauen vielfach von der Anforderung geprägt, familiäre Belange (Kinderbetreuung oder die Pflege von Angehörigen) mit der Erwerbsarbeit zu vereinbaren, was wiederum zu vermehrten gesundheitlichen Belastungen führt (Klärs 2015).

  • Unbefristete Arbeit und Vollzeit

    Hier ist zu vermuten, dass bei den Unbefristeten und Vollzeitbeschäftigten weniger Präsentismus – d. h. trotz Erkrankung zu arbeiten – auftritt. So hat ein Teilzeitbeschäftigter oftmals das Problem, die Menge der Arbeit in weniger Arbeitszeit erledigen zu müssen. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Neigung, bei Arbeitsverdichtung krank zur Arbeit zu gehen, größer ist als bei Vollzeitbeschäftigten. Ebenso können befristet Beschäftigte den Druck verspüren, weniger am Arbeitsplatz zu fehlen, weil sie damit die Hoffnung verbinden, entfristet zu werden. Allerdings kann Präsentismus langfristig zu längeren krankheitsbedingten Ausfallzeiten führen (Schmidt und Schröder 2010).

  • Keine Anstellung bei einer Arbeitnehmerüberlassung

    Unsichere Beschäftigungsverhältnisse wie die Anstellung über eine Zeitarbeitsfirma zeigen den gleichen Effekt wie bei befristet Beschäftigten. Es wird an dieser Stelle vermutet, dass die Option, eine Erkrankung vollständig auszukurieren, weniger in Anspruch genommen wird, um die Chance auf eine reguläre Beschäftigung zu erhöhen.

Abb. 2.1
figure 1

Einflussfaktoren auf Fehlzeiten auf Basis von Arbeitsunfähigkeitsdaten

3 Arbeitsunfähigkeiten von Pflegekräften

3.1 Datenbasis

Die folgenden Analysen basieren auf dem Auswertungsjahr 2017. Basis sind die Arbeitsunfähigkeitsdaten aller AOK-Mitglieder in Deutschland. Ausgewertet werden die Informationen, die auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vermerkt werden, wie der Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit und die die Arbeitsunfähigkeit auslösende Diagnose. Neben diesen Informationen stehen weitere Informationen über die Stammdaten des Versicherten zur Verfügung, nämlich das Alter, das Geschlecht, die Tätigkeit (nach der Klassifikation der Berufe 2010; Bundesagentur für Arbeit 2011), die Branchenzugehörigkeit (nach der Klassifikation der Wirtschaftszweige 2008; Statistisches Bundesamt 2008), der Bildungsstand, die Information, ob die Person über eine Arbeitsnehmerüberlassung arbeitet, der Wohnort und der Betrieb. Schwangerschafts- und Kinderkrankengeldfälle bleiben unberücksichtigt. Kurzzeiterkrankungen von bis zu drei Tagen fließen nur dann in die Analysen mit ein, wenn eine ärztliche Krankschreibung vorliegt.

Der Datenbestand der AOKs umfasst einen Großteil der pflegenden Berufe in Deutschland: 43 % aller Pflegekräfte in Deutschland sind AOK-MitgliederFootnote 1. In den Analysen ausgewiesen sind nun folgend die Arbeitsunfähigkeitsdaten von Pflegekräften, die in Wirtschaftszweigen der Langzeitpflege beschäftigt sind, nicht aber von solchen, die im Krankenhaus arbeiten. Die ausgeübte Berufstätigkeit einer Person wird von den Unternehmen nach der Klassifikation der Berufe, die von der Bundesagentur für Arbeit herausgegeben wird, bestimmt (Bundesagentur für Arbeit 2011). In Tab. 2.1 ist dargestellt, welche Berufe in den folgenden Ausführungen als „pflegende Berufe“ zusammengefasst werden, wobei der 4-stellige TätigkeitsschlüsselFootnote 2 verwendet wird.

Tab. 2.1 Einzelne Berufe, die als „pflegende Berufe“ zusammengefasst werden

Ausgewertet werden nur pflegende Berufe in der Langzeitpflege. Beschäftigte mit einem pflegenden Beruf außerhalb der Pflegebranche bleiben unberücksichtigt. So gibt es bspw. Beschäftigte in pflegenden Berufen, die der „Öffentlichen Verwaltung“ oder „Kindergärten und Vorschulen“ zugeordnet sind. Diese Beschäftigten arbeiten offenbar berufsfremd. Pflegende Berufe müssen daher den in Tab. 2.2 genannten Branchen zugeordnet sein.

Tab. 2.2 Ausgewertete Wirtschaftszweigschlüssel

Insgesamt konnten für das Jahr 2017 die Daten von 355.988 AOK-Mitgliedern mit einem pflegenden Beruf ausgewertet werden. Als Vergleichswerte zu den „pflegenden Berufen“ werden nachstehend die Kennwerte „aller Berufe“, d. h. aller erwerbstätigen AOK-Mitglieder zusammengenommen, dargestellt.

3.2 Pflegende Berufe im Überblick

Die Verteilung über alle erwerbstätigen AOK-Mitglieder in Deutschland zeigt, dass 42,9 % der erwerbstätigen AOK-Mitglieder dem weiblichen Geschlecht angehören. Vergleichsweise ist festzustellen, dass in pflegenden Berufen überproportional viele Frauen beschäftigt sind. Der Anteil an Frauen liegt hier bei 85,5 %. Das mittlere Alter der Pflegekräfte liegt hingegen mit 40,6 Jahren nahe dem Durchschnittsalter aller erwerbstätigen AOK-Mitglieder (40,0 Jahre). Der Anteil der über 50-Jährigen liegt bei 31,1 % und damit um 2,1 Prozentpunkte höher als im Vergleich zu allen Berufen (Tab. 2.3).

Tab. 2.3 Verteilung nach Alter; pflegende Berufe im Vergleich zu allen Berufen, AOK-Mitglieder 2017

Mehr als drei Viertel (76,9 %) aller AOK-Mitglieder in pflegenden Berufen besitzen einen Abschluss in einer anerkannten Ausbildung. Dies sind 8,4 % mehr als bei den AOK-versicherten Beschäftigten insgesamt. Dies zeigt, dass ein pflegender Beruf spezifische Kenntnisse benötigt, die in der Regel über eine Berufsausbildung vermittelt werden. Knapp 21 % haben keinen beruflichen Ausbildungsabschluss. Akademische Abschlüsse spielen bei den pflegenden Berufen hingegen eine geringe Rolle: Lediglich 2,2 % der Beschäftigten haben einen Hochschulabschluss (Tab. 2.4).

Tab. 2.4 Ausbildungsstatus der pflegenden Berufe im Vergleich zu allen Berufen, AOK-Mitglieder 2017

Betrachtet man die Vertragsform der pflegenden Berufe, zeigt sich, dass sich 63,6 % in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis befinden. Damit liegt diese Berufsgruppe unter den Anteilen der unbefristet beschäftigten AOK-Mitglieder insgesamt (minus 8,9 Prozentpunkte). Folgerichtig befindet sich über ein Drittel aller Pflegekräfte in einem befristeten Arbeitsverhältnis . Dieser Anteil liegt 8,9 Prozentpunkte über dem aller beschäftigten AOK-Mitglieder (Tab. 2.5).

Tab. 2.5 Prozentuale Verteilung der Beschäftigten nach Vertragsart; pflegende Berufe im Vergleich zu allen Berufen, AOK-Mitglieder 2017
Tab. 2.6 Arbeitsunfähigkeitsgeschehen der pflegenden Berufe im Vergleich, AOK-Mitglieder 2017

Auch der Anteil an Teilzeitkräften ist bei den pflegenden Berufen besonders hoch: Knapp 56 % arbeiten in Teilzeit, jedoch insgesamt nur 29,2 % aller erwerbstätigen AOK-Mitglieder. Bei der Teilzeitquote spielt das Geschlecht eine entscheidende Rolle, da aufgrund der familiären Rollenaufteilung zumeist Frauen in Teilzeit arbeiten. 49 % aller erwerbstätigen weiblichen AOK-Mitglieder sind in Teilzeit beschäftigt, bei den pflegenden Berufen sind dies mit 59 % jedoch deutlich mehr.

3.3 Pflegende Berufe im Einzelnen

Insgesamt betrachtet liegt der Krankenstand bei den pflegenden Berufen mit 7,4 % deutlich über den Krankenständen aller Berufe zusammengenommen (5,3 %). Wie bereits erwähnt, werden in diesem Beitrag verschiedene Berufe als „pflegende Berufe“ zusammengefasst. Die einzelnen pflegenden Berufe unterscheiden sich im AU-Geschehen voneinander. Die Berufe in der Altenpflege weisen mit 7,5 % den höchsten Krankenstand auf. Damit liegt diese Berufsgruppe mit 2,3 Prozentpunkten deutlich über dem durchschnittlichen Krankenstand aller Berufe. Den geringsten Krankenstand zeigen die Führungskräfte in der Altenpflege: Hier liegt der Krankenstand lediglich bei 4,4 %. Führungskräfte weisen in der Regel einen niedrigeren Krankenstand auf als Nicht-Führungskräfte (Pangert und Schüpbach 2011). Führungskräfte haben zumeist einen größeren Handlungs- und Entscheidungsspielraum. Es ist gut belegt, dass dieser Umstand mit weniger gesundheitlichen Belastungen und damit geringeren Fehlzeiten einhergeht.

3.4 Fallgeschehen

Ein Arzt-Patient-Kontakt, bei dem für den Patienten eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt wird, ist ein sogenannter Arbeitsunfähigkeitsfall (AU-Fall). Über das Jahr gesehen kann es für ein AOK-Mitglied zu mehreren AU-Fällen kommen. 23 % aller AOK-Mitglieder hatten im Jahr 2017 lediglich einen AU-Fall, 17,2 % hingegen mindestens drei AU-Fälle. Fast die Hälfte (46,6 %) hatten gar keinen AU-Fall, haben sich also keinmal bei ihrem Arbeitgeber – außerhalb der Karenztageregelung – krankgemeldet. Die pflegenden Berufen zeigen sich deutlich belasteter: Hier hatten lediglich 38,4 % keinen AU-Fall im Jahr 2017. Jeder Fünfte (20,2 %) in einem pflegenden Beruf hatte hingegen mindestens drei AU-Fälle, dieser Wert liegt 3 Prozentpunkte über dem Vergleichswert aller Berufe (Tab. 2.7). Beschäftigte in pflegenden Berufen werden aber vergleichsweise nicht nur häufiger krankgeschrieben, auch die durchschnittliche Falldauer dauerte bei den pflegenden Berufen mit 14,9 Tagen je Fall 3,1 Tage länger als im Vergleich zu allen Berufen (11,8 Tage je Fall).

Tab. 2.7 AU-Quoten nach Fallanzahl von pflegenden Berufen im Vergleich, AOK-Mitglieder 2017

Je länger ein Beschäftigter aufgrund einer Erkrankung arbeitsunfähig ist, umso höher ist die Belastung für den Erkrankten und umso höher ist auch die Belastung für das Unternehmen, das die fehlende Arbeitskraft zeitweise ersetzen muss. Bei den pflegenden Berufen zeigt sich, dass 47,2 % aller AU-Tage auf Arbeitsunfähigkeiten zurückzuführen sind, bei denen ein AU-Fall jeweils länger als sechs Wochen dauerte. Dies sind 4,9 Prozentpunkte mehr als im Vergleich zu allen Berufen (42,3 %). Kurzzeiterkrankungen von bis zu drei FehltagenFootnote 3 spielen dagegen bei den pflegenden Berufen eine geringe Bedeutung: Nur etwas mehr als ein Viertel (26,6 %) der AU-Fälle fallen in diese Kategorie, im Vergleich sind es bei allen Berufen über ein Drittel (35,5 %) (Abb. 2.2).

Abb. 2.2
figure 2

Arbeitsunfähigkeitsfälle und -tage nach Falldauerklassen, pflegende Berufe und alle Berufe, AOK-Mitglieder 2017

3.5 Ausbildungsstatus

Während bei Betrachtung aller erwerbstätigen AOK-Mitglieder zu beobachten ist, dass mit der Höhe des Ausbildungsstatus die Krankenstände systematisch sinken, zeigt sich bei den pflegenden Berufen ein differenziertes Bild: Nicht diejenigen ohne einen beruflichen Abschluss sind hier die Gruppe mit dem höchsten Krankenstand, sondern diejenigen mit Berufsausbildung (7,6 %). Den niedrigsten Krankenstand weisen bei den pflegenden Berufen die Personen mit einem Hochschulabschluss auf (6,1 %), allerdings ist das Niveau im Vergleich zu allen Berufen deutlich höher (alle Berufe: 2,7 %) (Abb. 2.3). Bei pflegenden Berufen wird die Beobachtung nicht bestätigt, dass eine höhere Qualifikation systematisch mit niedrigeren Fehlzeiten im Zusammenhang steht. Dies lässt die Vermutung zu, dass hier die spezifischen Arbeitsbedingungen bei der Höhe der Fehlzeiten eine Rolle spielen. Hier ist insoweit ein Ansatzpunkt für verhältnispräventive wie auch gruppenbezogene verhaltenspräventive Maßnahmen zu sehen (siehe dazu auch weiter unten).

Abb. 2.3
figure 3

Krankenstände in Prozent nach Ausbildungsstatus; pflegende Berufe im Vergleich zu allen Berufen, AOK-Mitglieder 2017

3.6 Alters- und Geschlechtsstruktur

Die Höhe des Krankenstandes steigt prinzipiell mit dem Alter an, dies gilt für Männer und Frauen gleichermaßen (vgl. Meyer et al. 2018). Bei den pflegenden Berufen zeigt sich, dass Frauen systematisch über alle Altersklassen hinweg einen deutlich höheren Krankenstand aufweisen als Männer (im Durchschnitt 1,4 Prozentpunkte über alle Altersklassen), während im Vergleich bei allen Berufen nur zwischen dem 40. und 59. Lebensjahr Frauen gegenüber Männern einen leicht höheren Krankenstand aufweisen. Frauen liegen hier über alle Altersklassen hinweg insgesamt nur 0,01 Prozentpunkte über dem Krankenstand der Männer. Nur bei den Beschäftigten über 60 Jahren sind es die Männer, deren Krankenstand leicht über dem der Frauen liegt. Es zeigt sich also systematisch ein deutlich höherer Krankenstand bei den Frauen in pflegenden Berufen – sowohl in der Höhe des Krankenstandes als auch im Vergleich zu den männlichen Kollegen (Abb. 2.4).

Abb. 2.4
figure 4

Krankenstand nach Geschlecht in Prozent; pflegende Berufe im Vergleich zu allen Berufen, AOK-Mitglieder 2017

Es wurde bereits beschrieben, dass in pflegenden Berufen mehr ältere Beschäftigte und deutlich mehr Frauen arbeiten als im Durchschnitt aller Berufe. Diese beiden Faktoren nehmen Einfluss auf die Höhe der Fehlzeiten.

Tab. 2.8 zeigt die standardisierten Kennwerte im Vergleich zu den beobachteten Kennwerten bei den pflegenden Berufen und im Vergleich zu allen Berufen. Die Standardisierung wurde nach der Methode der direkten Standardisierung berechnet. Zugrunde gelegt wurde die Alters- und Geschlechtsstruktur aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Deutschland im Jahr 2017 (Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Stichtag 30.06.2017). Es wird berechnet, wie die Kennwerte für die pflegenden Berufe aussehen würden, wenn diese die durchschnittliche Alters- und Geschlechtsstruktur der erwerbstätigen Bevölkerung in Deutschland aufweisen würden.

Tab. 2.8 Standardisierte und beobachtete Kennwerte nach Alter und Geschlecht; Vergleich pflegende Berufe zu allen Berufen

So läge bspw. der Krankenstand bei 6,9 % und damit 0,5 Prozentpunkte unter dem beobachteten Wert. Dennoch liegen die zentralen Kennwerte bei den pflegenden Berufen weiterhin deutlich über den Vergleichswerten aller Berufe. Vergleicht man die jeweils standardisierten Kennwerte zwischen den pflegenden und allen Berufen, liegt der Krankenstand bei den pflegenden Berufen immer noch um 1,5 Prozentpunkte über dem Vergleichswert. Damit kann die Alters- und Geschlechtsstruktur die überdurchschnittliche Höhe des Krankenstandes nicht umfänglich erklären, d. h. anderen Einflussfaktoren kommt eine höhere Bedeutung für eine mögliche Erklärung der überdurchschnittlichen Fehlzeiten zu (siehe Abschn. 2.2).

3.7 Region

Bei den pflegenden Berufen zeigen sich zum Teil deutliche regionale UnterschiedeFootnote 4 im Arbeitsunfähigkeitsgeschehen, wie Abb. 2.5 zeigt. Dabei liegt das Niveau der Anzahl der Fehltage erheblich über dem der Vergleichsgruppe aller Berufe. So zeigt sich bei den pflegenden Berufen zwischen Niedersachen (29,6 AU-Tage je Versichertenjahr) und Hamburg (24,6 AU-Tage je Versichertenjahr) eine Differenz von fünf Fehltagen. Einen Einfluss auf die regionalen Variationen nehmen vermutlich die regional unterschiedlichen Arbeits- und Lebensbedingungen.

Abb. 2.5
figure 5

Arbeitsunfähigkeitstage je Versichertenjahr nach Bundesland; pflegende Berufe im Vergleich zu allen Berufen; AOK-Mitglieder 2017

3.8 Vertragsart

Die weiblichen Teilzeitbeschäftigten weisen sowohl bei den pflegenden (29,7 AU-Tage je Versichertenjahr) als auch bei allen Berufen (20,6 AU-Tage je Versichertenjahr) die höchsten Fehlzeiten auf, wobei diese bei den pflegenden Berufen deutlich höher liegen. Die hohen Fehlzeiten können zum einen im höheren Durchschnittsalter der weiblichen Teilzeitbeschäftigten begründet sein. Zum anderen können diese auch als Hinweis für die gesundheitlichen Auswirkungen prekärer Beschäftigung, die durch hohe Arbeitsplatzunsicherheit und schlechte Bezahlung gekennzeichnet ist, gewertet werden.

Die hohen Fehlzeiten bei den pflegenden Berufen in Teilzeitbeschäftigung zeigen zudem, dass sich eine ggf. erhoffte subjektive Entlastung durch eine geringere Arbeitszeit zumindest nicht in reduzierten Fehlzeiten widerspiegelt. So ist sowohl bei den Männern (22,5 AU-Tage je Versichertenjahr) als auch bei den Frauen die Zahl der AU-Tage bei Teilzeitbeschäftigung höher als bei der Vollzeitbeschäftigung (Tab. 2.9). Offensichtlich handelt es sich auch hier um eine „vulnerable“ Gruppe, der ebenfalls im Rahmen eines zielgruppenbezogenen BGM besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte.

Tab. 2.9 Kennwerte zur Arbeitsunfähigkeit nach Vertragsart (Teil-/Vollzeit) und nach Geschlecht; pflegende Berufe im Vergleich zu allen Berufen; AOK-Mitglieder 2017

Die Qualität der Arbeitsbelastungen, die sich in Fehlzeiten ausdrücken, scheint in pflegenden Berufen nicht allein von der Anzahl der vereinbarten Arbeitsstunden abzuhängen, sondern bleibt davon offenbar unberührt. Zudem darf vermutet werden, dass die Doppelbelastung von Frauen, die in Teilzeit beschäftigt sind, eine gewichtige Rolle bei dem Belastungsniveau spielt, nämlich sich neben der Arbeit zusätzlich auch um die Versorgung eigener Kinder und ggf. auch pflegebedürftiger Angehöriger kümmern zu müssen. Damit kommt auch der Thematik „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ in der Pflegebranche eine besondere Bedeutung zu.

Betrachtet man das AU-Geschehen nach der Vertragsart „befristet/unbefristet“, zeigen weibliche Beschäftigte in den pflegenden Berufen, die sich in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis befinden, mit 30 AU-Tagen pro Versichertenjahr die höchsten Fehlzeiten. Vergleichsweise liegt diese Gruppe bei allen Berufen knapp zehn Fehltage darunter (20,5 AU-Tage pro Versichertenjahr). Die geringsten Fehlzeiten sind bei befristet angestellten männlichen Mitarbeitern in pflegenden Berufen zu beobachten (18,6 AU-Tage pro Versichertenjahr). Auch bei den Frauen weisen die befristet angestellten Frauen mit 23,8 AU-Tagen je Versichertenjahr einen deutlich geringen Krankenstand auf als die Unbefristeten (Tab. 2.10). Es kann vermutet werden, dass ein unsicheres Arbeitsverhältnis durch eine befristete Anstellung dazu führt, dass man eher Präsentismus zeigt, d. h. krank zur Arbeit geht, da man seine Chancen auf eine Entfristung nicht durch höhere Fehlzeiten gefährden will. Zudem spielt auch hier das Durchschnittsalter eine Rolle: Weibliche Beschäftigte in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis weisen mit 44,1 Jahren das höchste Durchschnittsalter auf. Wie bereits dargestellt steigt mit zunehmendem Alter die Wahrscheinlichkeit höherer Krankenstände.

Tab. 2.10 Kennwerte zur Arbeitsunfähigkeit nach Vertragsart (Befristung) und nach Geschlecht; pflegende Berufe im Vergleich zu allen Berufen; AOK-Mitglieder 2017

3,6 % der Beschäftigten in pflegenden Berufen sind darüber hinaus über eine Arbeitnehmerüberlassung beschäftigt, was deutlich unter den Anteilen des Bundesdurchschnitts aller erwerbstätigen AOK-Mitglieder liegt. Dieser liegt bei 6,5 %. Die Anstellung durch eine Arbeitnehmerüberlassung spielt daher eine untergeordnete Rolle. Der Krankenstand bei Beschäftigten mit pflegenden Berufen, die über eine Arbeitnehmerüberlassung angestellt sind, beträgt 6,6 %. Dieser liegt damit unter dem Krankenstand aller pflegenden Berufe (7,4 %), aber auch deutlich über dem Krankenstand aller Berufe (5,4 %).

3.9 Diagnosebezogene Auswertungen

Betrachtet man die wichtigsten Hauptdiagnosegruppen bei den pflegenden Berufen, sind neben den Herz-/Kreislauferkrankungen insbesondere drei Erkrankungsarten im Vergleich zu allen Berufen besonders auffällig, da sie überdurchschnittlich häufig und lange auftreten: Atemwegs-, Muskel/Skelett- und psychische Erkrankungen (Abb. 2.62.72.8). Auf diese drei Diagnosegruppen wird daher im Folgenden näher eingegangen und auch aufgezeigt, welche konkreten Einzeldiagnosen hier eine besondere Rolle spielen.

Abb. 2.6
figure 6

Arbeitsunfähigkeitsfälle je 100 Versichertenjahre nach den wichtigsten Diagnosegruppen; pflegende Berufe im Vergleich zu allen Berufen, AOK-Mitglieder 2017

Abb. 2.7
figure 7

Arbeitsunfähigkeitstage je Fall nach den wichtigsten Diagnosegruppen; pflegende Berufe im Vergleich zu allen Berufen, AOK-Mitglieder 2017

Abb. 2.8
figure 8

Arbeitsunfähigkeitstage je 100 Versichertenjahre nach den wichtigsten Diagnosegruppen; pflegende Berufe im Vergleich zu allen Berufen, AOK-Mitglieder 2017

Atemwegserkrankungen

Beschäftigte in pflegenden Berufen haben viel menschliche Kontakte zu Patienten. Dies erhöht das Ansteckungsrisiko für einen grippalen Infekt oder eine Grippe. Sowohl akute Infektionen der oberen Atemwege (ICD J00-06) als auch Grippe und Pneumonie (ICD J09-J18) spielen bei pflegenden Berufen eine größere Rolle im Vergleich zu allen Berufen. Die Anzahl der Fehltage liegt bei den akuten Infektionen der oberen Atemwege bei den AU-Tagen um 19,5 % über dem Gesamtwert aller Berufe, ebenso liegt dieser Wert bei Grippe und Pneumonie um 23,3 % darüber. Auch die Anzahl der Fälle ist im Vergleich erhöht, wenn auch gering. Dies zeigt, dass Beschäftigte in pflegenden Berufen etwas häufiger von Atemwegserkrankungen betroffen sind. Und wenn sie erkranken, fallen sie vergleichsweise deutlich länger aus.

Die wichtigste Einzeldiagnose bei den Pflegeberufen ist „Akute Infektionen an mehreren oder nicht näher bezeichneten Lokalisationen der oberen Atemwege“ (ICD J06). Hierzu zählt u. a. der grippale Infekt. Mit 25,3 AU-Fällen und 166,3 AU-Tagen je 100 Versichertenjahre liegen hier die pflegenden Berufe deutlich über dem Vergleichswert aller Berufe (24,9 AU-Fälle /141,8 AU-Tage je 100 Versichertenjahre) (Tab. 2.11).

Tab. 2.11 Auffällige Diagnoseuntergruppen aus der Krankheitsart Atemwegserkrankungen; pflegende Berufe im Vergleich zu allen Berufen, AOK-Mitglieder 2017

Muskel/Skelett-Erkrankungen

Pflegende Berufe zeichnen sich durch schwere oder einseitige körperliche Beanspruchungen aus, bspw. wenn Patienten umgebettet oder gewaschen werden müssen. Diese Belastungen können sich nicht nur kurz-, sondern auch langfristig auch auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter auswirken (Höhmann et al. 2016). Ein Vergleich mit anderen Wirtschaftszweigen zeigt, dass Beschäftigte in der stationären Pflege deutlich häufiger angeben, durch schwere körperliche Tätigkeiten und Arbeiten in Zwangshaltungen belastet zu sein (AOK-Bundesverband 2011). Die Arbeitsunfähigkeitsdaten bestätigen, dass Beschäftigte in pflegenden Berufen überdurchschnittlich stark von Muskel/Skelett-Erkrankungen betroffen sind. Im Durchschnitt fehlt ein ganzjährig versichertes AOK-Mitglied in einem pflegenden Beruf 8,6 Tage im Jahr aufgrund einer Muskel/Skelett-Erkrankung. Dies sind 2,8 Fehltage mehr im Vergleich zu allen Berufen (hier sind es durchschnittlich 5,8 Tage pro ganzjährig versichertes AOK-Mitglied). Auch die Fallzahlen liegen über dem Durchschnitt: Auf 100 Versichertenjahre entfallen bei allen Berufen 34,1 Fälle aufgrund von Muskel/Skelett-Erkrankungen, bei den pflegenden Berufen sind es im Vergleich 39,5 Fälle und damit 5,4 AU-Fälle mehr. Es sind insbesondere die Rückenschmerzen (ICD M54), die mit 297,6 AU-Tagen je 100 Versichertenjahre deutlich über dem Vergleichswert aller Berufe liegen (196,8 AU-Tage je 100 Versichertenjahre). Pflegende Berufe sind zudem überdurchschnittlich oft von „Sonstigen Bandscheibenschäden“ (ICD M51) und Schulterläsionen (ICD M75) betroffen (Tab. 2.12).

Tab. 2.12 Top-3-Einzeldiagnosen der Diagnosegruppe Muskel/Skeletterkrankungen: pflegende Berufe im Vergleich zu allen Berufen, AOK-Mitglieder 2017

Psychische Erkrankungen

Pflegekräfte haben viel mit Leid bis hin zu Todesfällen, aber auch mit schwierigen Patienten zu tun und müssen oft unter Zeitdruck arbeiten. Hinzu kommen eine schlechte Bezahlung und eine geringe Anerkennung für den ausgeübten Beruf. Es verwundert daher nicht, dass sie hohen psychischen Belastungen ausgesetzt sind (Höhmann et al. 2016). Psychische Erkrankungen kommen überdurchschnittlich oft vor: Mit 19,4 Arbeitsunfähigkeitsfällen je 100 Versichertenjahre liegt hier die Fallhäufigkeit um 73 % über der Fallhäufigkeit aller Berufe. Die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage – genormt auf 100 Versichertenjahre – liegt im Jahr 2017 sogar um 107,7 % über dem Vergleichswert (603,9 zu 290,8 Arbeitsunfähigkeitstagen je 100 Versichertenjahre). Zudem dauert eine psychische Erkrankung mit 31,2 Tagen je Fall bei den pflegenden Berufen vergleichsweise deutlich länger (26,1 Tage je Fall).

Aufgrund einer psychischen Erkrankung entfallen durchschnittlich sechs Fehltage im Jahr auf einen ganzjährig versicherten Beschäftigten in einem pflegenden Beruf. Im Vergleich sind es durchschnittlich 2,9 Fehltage im Jahr bezogen auf alle Berufe, also 3,1 Fehltage weniger.

Doch welche konkreten Einzeldiagnosen spielen hier eine Rolle? Vor allem auf die „Depressive Episode“ (ICD F32) entfallen bei den pflegenden Berufen mehr als doppelt so viele Fehltage (233,7 AU-Tage je 100 Versichertenjahre) wie bei allen Berufen (107,2 AU-Tage je 100 Versichertenjahre), gefolgt von „Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen“ (ICD F43) mit 157,2 AU-Tagen je 100 Versichertenjahre – dies sind ebenfalls mehr als doppelt so viel Fehltage wie in der Vergleichsgruppe (73,5 AU-Tage je 100 Versichertenjahre) (Tab. 2.13).

Tab. 2.13 Auffällige Einzeldiagnosen der Diagnosegruppe psychische Erkrankungen (Top 3): pflegende Berufe im Vergleich zu allen Berufen; AOK-Mitglieder

4 Handlungsmöglichkeiten im Rahmen von BGM

Die genannten Beobachtungen zeigen, dass Beschäftigte in pflegenden Berufen im besonders hohen Maße gesundheitlich belastet sind. Um für gesundheitliche Entlastungen zu sorgen und darüber hinaus in dieser Branche Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten zu erhalten und zu fördern, kann auf die erprobte Vorgehensweise des BGM mit seinen vier Kernphasen Analyse, Maßnahmenplanung, Umsetzung und Evaluation zurückgegriffen werden.

Analyse

Hier bieten die Arbeitsunfähigkeitsdaten, insbesondere wenn sie in Form von einzelbetrieblichen und gesamtbranchenbezogenen Vergleichsdaten in der Mehrjahresbetrachtung aufbereitet sind, erste Hinweise für betriebliche Handlungsbedarfe. Je nach Betriebsgröße können differenzierte Darstellungen nach Schwerpunktindikationen, AU-Perioden, Falldauern u. a. vorgenommen werden. Aufgrund des multifaktoriellen Geschehens sind Arbeitsunfähigkeitsdaten allerdings nur bedingt geeignet, um die Gesundheitssituation eines Betriebes differenziert zu erfassen und/oder gar daraus unmittelbar präventive Maßnahmen abzuleiten. So sollten bereits in der Analysephase auch Informationen aus Gefährdungsbeurteilungen, anonymisierten Fallauswertungen des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM), arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen und Mitarbeiterbefragungen einbezogen werden.

Maßnahmenplanung

Die GKV unterstützt – entweder durch eigene Fachberaterinnen und -berater oder beauftragte Institutionen – Altenpflegeeinrichtungen und Krankenhäuser bei der Ziel- und Maßnahmenplanung. Dazu gehört neben der Konkretisierung von Projektzielen und der Erstellung einer Meilensteinplanung die begründete Ableitung und Priorisierung von Maßnahmen zur gesundheitsförderlichen Arbeits- und Prozessgestaltung auf der Basis der Analyseergebnisse. Dies geschieht im dafür vorgesehenen Projektsteuerkreis, in dem – mit beratender Unterstützung der GKV – die Einrichtungsleitung, die Mitarbeitervertretung (Personal- bzw. Betriebsrat), die Projektleitung, ggf. Betriebsarzt, Fachkraft für Arbeitssicherheit und bedarfsbezogen weitere Führungskräfte und Mitarbeiter aus Pilotbereichen vertreten sind.

Umsetzung

Die Unterstützungsleistungen bei der Maßnahmenumsetzung für Pflegebetriebe und Krankenhäuser setzen auf zwei Ebenen an:

Im Bereich der Verhältnisprävention geht es um eine gute Arbeitsgestaltung, die es ermöglicht, dass Pflegekräfte ihren Beruf lange gesund ausüben können. Dazu gehören neben einer guten Schicht- und Bereichsorganisation adäquate Pausenregelungen ebenso wie eine zeitnahe, transparente und beteiligungsorientierte Kommunikation und Information. Dabei kommt der Führung der Einrichtung – dem oberen wie dem mittleren Management, also der Geschäftsführung (in Krankenhäusern der kaufmännischen, personalwirtschaftlichen wie medizinischen Leitung) – genauso wie der Pflegedienstleitung eine Vorbildfunktion zu. GKV und Unfallversicherungsträger bieten hier Internet-basiert wie auch im Rahmen von Präsenzveranstaltungen unterstützende Qualifizierungsmaßnahmen z. B. zum Thema „Gesunde und wertschätzende Führung“ an (GKV-Spitzenverband 2018, S. 111–114). Bei der Umsetzung verhältnispräventiver Maßnahmen kann auf evidenzbasierte Empfehlungen und Leitfäden beispielsweise der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin mit dem Leitfaden „Gute Stationsorganisation“ sowie Medien und Leitfäden der BGW und der GKV (Perschke-Hartmann und Drupp 2018) zurückgegriffen werden.

Im Bereich der Verhaltensprävention steht die Verbesserung und Stärkung der individuellen Ressourcen und Kompetenzen der Beschäftigten im Vordergrund, und zwar in den vier Bereichen

  • Stressbewältigung und Resilienzstärkung,

  • bewegungsförderliches Arbeiten,

  • gesundheitsgerechte Ernährung auch im Arbeitsalltag und

  • verhaltensbezogene Suchtprävention.

In der Pflegebranche besteht – anders als etwa in Produktionsbetrieben – berufsgruppen- und ausbildungsbedingt eine überdurchschnittlich hohe Kenntnis und Qualifikation bei Gesundheitsthemen. Allerdings ist es – oft gepaart mit der sinnstiftenden und engagierten Fürsorge für die Bewohnerinnen und Bewohner eines Pflegeheims und die Patientinnen und Patienten in einem Krankenhaus – für das Kranken- und Pflegepersonal nicht immer einfach, dabei auch die „Selbstfürsorge“ ausreichend im Blick zu behalten. Hier bieten die Arbeitsunfähigkeitsdaten – wie oben aufgezeigt – bereits erste Hinweise auf gruppenbezogene Unterstützungsbedarfe z. B. von Pflegefachkräften, die Führungsaufgaben wahrnehmen und damit in einer „Sandwichposition“ zwischen Mitarbeitern und Einrichtungsleitung stehen. Angebote zur individuellen wie organisationalen Resilienzstärkung können dabei ebenso hilfreich sein wie präventive Maßnahmen im Kontext von Beschäftigten- und Bewohnergesundheit wie das Beispiel der „Gewaltprävention“ zeigt. Des Weiteren sind Themen aufzugreifen und Unterstützungsmaßnahmen zu entwickeln, die den Arbeitsalltag von Kranken- und Pflegekräften sowie die jeweiligen, dabei durchaus sehr unterschiedlichen Belastungsfaktoren einer ambulanten oder stationären Altenpflegeeinrichtung oder eines Krankenhauses berücksichtigen. Gerade hier kann die Begleitung im Rahmen von externer Supervision und/oder eben auch einer externen BGM-Beratung eine wichtige „Hilfe zur Selbsthilfe“ sein. In allen vier oben genannten Bereichen bietet der GKV-Leitfaden Prävention konkrete Hinweise zur qualitätsgesicherten Auswahl geeigneter Angebote (GKV-Spitzenverband 2018, S. 119–121). Vor dem demografischen Hintergrund der bereits aus den AU-Daten ableitbaren signifikanten Belastung älterer Beschäftigter in der Pflegebranche kommt dabei evidenzbasierten, stressmindernden Maßnahmen eine besondere Bedeutung zu (Falkenstein 2018).

Evaluation

Bei der Evaluation geht es um die Bewertung der gesundheitsfördernden Strukturen, Prozesse und Ergebnisse. Dabei kann bei ambulanten und stationären Altenpflegeeinrichtungen wie auch im Krankenhausbereich zum einen auf Qualitätsmanagementverfahren zurückgegriffen werden, die im Rahmen von Selbstbewertungen und Auditierungen dort i. d. R. bereits bekannt sind und die sich auch für die Bewertung von Gesundheitsaspekten eignen (Thul und Zink 2001 sowie Perschke-Hartmann und Drupp 2018). Zum anderen können hier wiederum die GKV-Arbeitsunfähigkeitsdaten sowie Ergebnisse aus Wiederholungsbefragungen genutzt werden, um Interventionen im Rahmen eines betrieblichen Gesundheitsförderungsprozesses im Hinblick auf ihre Zielerreichung zu bewerten und bei Bedarf korrigierende Maßnahmen im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses anzustoßen.

5 Bereichsübergreifende Zusammenarbeit und Netzwerkbildung

Maßnahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF ) entfalten dann eine nachhaltige Wirkung, wenn sie Bestandteil eines umfassenden, gelebten BGM werden und damit Eingang finden in die täglichen Management- und Routineprozesse einer Pflegeeinrichtung oder eines Krankenhauses. Dies setzt nicht nur eine Unterstützung durch die Leitungsebene und eine ausreichende Beteiligung der Beschäftigten und der verschiedenen Funktionsbereiche einer Einrichtung im Rahmen des BGM voraus, sondern bedarf auch einer Kooperation der unterstützenden Sozialversicherungssysteme in der „Gesundheit in der Arbeitswelt“ mit den Bereichen Arbeitsschutz, -sicherheit und Gesundheit (Gesetzliche Unfallversicherung), Betriebliche Gesundheitsförderung (Gesetzliche Krankenversicherung), Medizinische Leistungen zur Prävention (Gesetzliche Rentenversicherung) sowie dem betrieblichen Eingliederungsmanagement (GKV-Spitzenverband 2018, S. 99 f). Für die Betriebe ist es dabei in der Praxis wichtig, eine kompetente, sich ergänzende und nicht konkurrierende Unterstützung zu erfahren. Dies gilt z. B. für die Zusammenführung und den Austausch zu Erkenntnissen über spezifische arbeitsbedingte Gesundheitsrisiken und daraus abzuleitende Präventionsmaßnahmen zwischen der GKV und den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 20c SGB V). Es ist zu erwarten, dass künftig im Rahmen der Nationalen Präventionsstrategie und ihrer Umsetzung (§§ 20d und e SGB V) sowie der Konzertierten Aktion Pflege das BGM für diese Branche einen besonderen Stellenwert erhält. Zu Evaluationszwecken können dabei wiederum auch die Daten der Sozialversicherungsträger, darunter die Arbeitsunfähigkeitsauswertungen sowie die Analysen zum branchenbezogenen Unfallgeschehen, genutzt werden.

6 Fazit und Ausblick

Beschäftigte in pflegenden Berufen sind im Vergleich zu allen Berufen

  • … häufiger im Jahr krankgeschrieben,

  • … fallen pro Krankschreibung häufiger länger als sechs Wochen aus,

  • … auch bei einem höheren Ausbildungsstatus von längeren Fehlzeiten betroffen,

  • … wenn sie weiblich sind, systematisch in allen Altersgruppen häufiger als Männer von Fehlzeiten betroffen,

  • … überproportional von Muskel/Skelett-, psychischen Erkrankungen und Atemwegserkrankungen wie Erkältungen und Grippe betroffen,

  • … wenn sie als Teilzeitkräfte arbeiten, häufiger von Fehlzeiten betroffen als Vollzeitkräfte.

BGM kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren und Belastungen in dieser Branche nicht nur zu reduzieren, sondern die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten wiederherzustellen und gezielt zu fördern. In der praktischen Umsetzung sollten dabei die vier idealtypischen Phasen eines BGM unter Nutzung und mit Hilfe der Entwicklung weiterer branchenspezifischer Tools durchlaufen werden.

Der idealtypische Ablauf eines betrieblichen Gesundheitsförderungsprozesses bietet dabei zugleich einen Rahmen, um gesellschaftliche Trendthemen aufzugreifen. Hier sind insbesondere zwei Entwicklungen zu nennen, die die Pflegebranche in den nächsten Dekaden prägen werden (Drupp 2018). Das sind zum einen digitale Technologien, die sowohl den Pflegenden (in ambulanten wie stationären Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern) als auch den Bewohnern in Altenpflegeheime und dem Pflegepersonal wie auch den Patienten in Krankenhäusern zugutekommen (INQA und BGW 2018). Auch wenn die professionelle Pflege bisher im Branchenvergleich nicht zu den Vorreitern der Digitalisierung gehört, sind doch bereits schon heute in vielen Häusern technische Assistenzsysteme wie z. B. Sturzdetektoren, Sensorsysteme zur Analyse von Bewegungsmustern bis hin zur Robotik im Einsatz. Die Nutzung digitaler Technik betrifft dabei auch die BGM-Unterstützung selbst. Datenerhebungen wie Mitarbeiterbefragungen werden schon heute so weit wie möglich digital durchgeführt. Sowohl im Hinblick auf die Erhebung von Gesundheitsdaten in „Echtzeit“ wie auch für eine trägerübergreifende Datenzusammenführung bis hin zur digitalen Begleitung und Dokumentation eines BGM-Beratungsprozesses zeigt die Digitalisierung vielfältige Entwicklungsperspektiven auf und setzt neue Impulse (Drupp 2018).

Zum anderen besteht fachlich und politisch Konsens, dass die Gewinnung einer ausreichenden Zahl qualifizierter Pflegekräfte nicht ohne eine zielgerichtete und vorbereitete Anwerbung von ausländischen Fachkräften sowie die Qualifizierung von Menschen mit Migrationshintergrund gelingen kann. Durch Immigration gewinnt der Aspekt der Vielfalt nicht nur von Bewohnern und Patienten weiter an Bedeutung, sondern auch für die Personalpolitik von Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern selbst. Das BGM kann auch hier wiederum von der betrieblichen Analyse bis hin zur Maßnahmenumsetzung und Evaluation einen unterstützenden Beitrag zur Gesundheit, Motivation und Integration dieser überwiegend jüngeren Fachkräfte leisten.