FormalPara Zusammenfassung

Der Transformationsprozess in eine digitale Welt macht auch vor Krankenhäusern nicht halt. Jedoch ist unklar, wie fortgeschritten der Einsatz von Informationstechnologie (IT) in Deutschland ist. Daher analysiert dieser Beitrag den Digitalisierungsgrad deutscher Krankenhäuser im internationalen Vergleich. Dazu wird die Logik des „Electronic Medical Record Adoption Model“ (EMRAM) genutzt, das die Krankenhäuser anhand einer Skala von 0 (keine Digitalisierung) bis 7 (papierloses Krankenhaus) bewertet. Nach der EMRAM-Logik erreichen die deutschen Krankenhäuser im Durchschnitt einen Wert von 2,3 und sind damit im Vergleich zu anderen Ländern nur unterdurchschnittlich digitalisiert. Der Abstand zum europäischen Durschnitt (3,6) hat sich zudem in den letzten Jahren vergrößert. Länder wie die Türkei (3,8) oder die USA (5,3) sind deutlich weiterentwickelt. Auch gibt es derzeit in Deutschland kein einziges Krankenhaus auf Stufe 7. Andere Evaluationsmethoden, wie zum Beispiel die des European Hospital Survey, bestätigen die Resultate des EMRAM und zeigen, dass Deutschland im digitalen Bereich zunehmend den Anschluss verliert. Als Gründe für diese schlechte Bilanz lassen sich unter anderem mangelnde Investitionen, Datenschutz-Bedenken, die Benutzerunfreundlichkeit der eingesetzten IT-Systeme, aber auch der lahmende Breitbandausbau in Deutschland identifizieren. Es ist wichtig, dass künftig erreichbare Ziele und einheitliche Standards definiert und vorhandene Ressourcen zielführend zum IT-Ausbau eingesetzt werden. Nur durch die Schaffung grundlegender IT-Strukturen können neue Technologien implementiert und nachhaltig genutzt werden.

Digitalisation is finding its way into German hospitals. However, the level of information technology (IT) utilisation remains unclear. Therefore, this paper analyses the degree of digitalisation of German hospitals from an international perspective. For this purpose, the logic of the “Electronic Medical Record Adoption Model” (EMRAM) is used, which rates hospitals on a scale from 0 (no digitalisation) to 7 (paperless hospital). According to the EMRAM logic, German hospitals achieve an average value of 2.3 and are therefore digitised only below average compared to other countries. The gap to the European average (3.6) has also widened in recent years. Countries such as Turkey (3.8) or the USA (5.3) are much more advanced. Currently, there is not a single hospital at Level 7 in Germany. Other evaluation methods, such as the “European Hospital Survey”, confirm the results of EMRAM and show that Germany is increasingly losing ground in the digital field. The reasons for this poor balance include a lack of investment, data protection concerns, the user-unfriendliness of the IT systems used and the sluggish broadband expansion in Germany. It is important to define achievable goals and to use existing resources carefully for IT expansion. Only by creating uniform standards and a reliable IT infrastructure, new technologies can be implemented sustainably.

1 Einleitung

Die Digitalisierung der Krankenhäuser rückt zunehmend in den Fokus gesundheitspolitscher Auseinandersetzungen. In der Diskussion um die digitale Transformation fallen mittlerweile schnell Begriffe wie Big Data, Blockchain oder Machine Learning, die einen Aufbruch in ein neues Zeitalter und einen Umbruch in der Art und Weise, wie wir Prozesse bisher verstehen und gestalten, versprechen. Jedoch bleibt die Auseinandersetzung mit diesen Themen häufig oberflächlich. Eine Präzisierung ist hier aber notwendig, um den wirklichen Nutzen der Informationstechnologie (IT) zu verstehen, auszuschöpfen und nicht zuletzt auch um Skepsis und Ängste zu nehmen. Deswegen sollten, bevor über aus heutiger Perspektive entfernte Zukunftsthemen gesprochen wird, grundlegende Dinge analysiert und diskutiert werden. Denn IT stiftet ihren Nutzen mit Hilfe von bereits längst verfügbaren Mitteln: Im Mittelpunkt steht dabei die elektronische Patientenakte (EPA) und die dadurch sofortige Verfügbarkeit aller klinisch relevanten Informationen eines Patienten (Kluge 2014). Darüber hinaus kann auf Basis einer EPA eine IT-gestützte Entscheidungsfindung dem Arzt mit Vorschlägen bei Diagnose, Therapie, Medikationsplanung etc. zur Seite stehen, sowohl bei der Dokumentation als auch bei der Verordnung (Musen et al. 2014). Ein weiteres Beispiel für den nutzenstiftenden Einsatz von IT im Krankenhaus ist die IT-Unterstützung im Medikationsprozess. Grundlage hierfür ist, dass viele Medikationsfehler im Krankenhaus vermeidbar sind: unter anderem bei der Verschreibung (z. B. durch schlechte Lesbarkeit der Handschrift des Arztes) oder bei der Abgabe des Medikaments an den Patienten (z. B. durch Verwechslung). Hier bietet Software die Möglichkeit auf einen Fehler, der sonst durch „menschliches Versagen“ verursacht werden kann, hinzuweisen bzw. diesen rechtzeitig zu verhindern (Agrawal 2009). Ferner stellt die digitale Anbindung mit externen Leistungserbringern bzw. telemedizinische Leistungen ein weiteres Potenzial dar, da sie durch zeit- und ortsunabhängige Konsultationen eine höhere Verfügbarkeit von Expertenwissen ermöglicht (Totten et al. 2016).

Gleichzeitig ist nicht jede Art der Digitalisierung automatisch mit einem Zusatznutzen verbunden. Ein Laborbericht, der analog als Dokument vorlag und einfach eingescannt wird und dann digital als Bilddatei benutzt wird, bietet zunächst keinen Zusatznutzen. Denn die einzelnen Laborwerte können in der Regel ohne zusätzliche Texterkennung von Computern nicht erkannt werden und müssen somit am Ende wieder manuell ausgelesen und übertragen werden. Auch bieten digitale Inseln innerhalb eines Krankenhauses, die aufgrund von unterschiedlichen IT-Standards nicht interoperabel sind, nur einen eingeschränkten Zusatznutzen, da auch hier die Übertragung von Daten zwischen einzelnen Abteilungen nicht automatisch und ohne Medienbrüche erfolgen kann. Ebenso kann eine benutzerunfreundliche EPA zu einer schlechten Akzeptanz führen, falls der Arzt mehr Zeit damit verbringt, auf eine Sanduhr auf dem Bildschirm zu blicken als Patienten zu behandeln.

All diese Aspekte sollen deswegen in dem folgenden Beitrag einbezogen und analysiert werden. Als Grundlage wird auf die derzeitige Standardisierung von IT in Krankenhäusern geblickt und die Interoperabilität der verschiedenen Systeme bzw. das Vorhandensein von digitalen Inseln betrachtet. Im Anschluss wird die Vielschichtigkeit der Digitalisierung anhand der Systematik des EMRAM (Electronic Medical Record Adoption Model) vorgestellt. Mit Hilfe dieses Modells wird daraufhin der Digitalisierungsgrad der deutschen Krankenhauslandschaft im Vergleich zu anderen Ländern analysiert. Zusätzlich wird noch eine weitere Messung der Krankenhaus-IT, der „European Hospital Survey“, vorgestellt. Abschließend werden wichtige Digitalisierungshemmnisse diskutiert.

2 Interoperabilität und Standards in deutschen Krankenhäusern

Die Möglichkeit, dass Informationen ohne eine gesonderte Absprache effizient über Systemgrenzen hinweg ausgetauscht werden können, wird als Interoperabilität bezeichnet (Pedersen und Hasselbring 2004). Sie bildet die Grundlage für eine nutzenstiftende Digitalisierung. Um ein interoperables IT-Ökosystem für den Gesundheitssektor zu schaffen, sind deswegen eine Standardisierung und die Schaffung von gemeinsamen Schnittstellen unausweichlich. Internationale Organisationen wie zum Beispiel Integrated Health Enterprise (IHE) geben deswegen Empfehlungen zur Nutzung bereits existierender Standards heraus (Bergh et al. 2015). Im Folgenden sollen gängige Standards und damit die Interoperabilität in der deutschen Krankenhauslandschaft anhand der technisch/strukturellen, der syntaktischen und der semantischen Ebene analysiert werden (Johner 2018).

2.1 Technische Interoperabilität

Die grundlegendste Form ist die technische Interoperabilität. Diese ermöglicht, dass Daten zwischen zwei Akteuren ausgetauscht werden können. Sie stellt den Transport, die Sicherheit und die Logistik sicher. Konkret kann das durch eine Internetverbindung oder eine Netzstruktur erfüllt werden. Die Datenzustellung muss an den korrekten Adressaten erfolgen können und nach einem standardisierten Protokoll ablaufen (z. B. TCP/IP). In Deutschland sind die meisten Krankenhäuser auf der technischen Interoperabilitätsebene grundsätzlich über das Internet miteinander verbunden. Theoretisch ist hier ein Datenaustausch jederzeit möglich. Praktisch findet die Kommunikation zwischen den verschiedenen Leistungserbringern aber immer noch hauptsächlich über das Telefon, die Post oder das Fax statt (Ärzte Zeitung 2017). Zukünftig soll eine einheitliche digitale Kommunikationsplattform über das Netzwerk der Telematik-Infrastruktur geschaffen werden (gematik 2017).

Neben dem ob ist zusätzlich zu beachten, wie die deutschen Krankenhäuser miteinander vernetzt sind. Der Breitbandausbau in Deutschland kommt nur schleppend voran. Es gibt viele Regionen, in denen nur in 50–75 Prozent des Gebiets eine Breitbandverfügbarkeit von über 50 Mbit/s besitzen (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur 2018). Gerade für den Austausch von Daten zwischen Krankenhäusern sind hohe Bandbreiten jedoch notwendig, da die anfallenden und zu bearbeitenden Datenmengen bereits heute sehr hoch sind. Eine 3D-Computertomographie beansprucht bspw. im Durchschnitt 1 Gigabyte Speicher (DataCore Software 2015).

2.2 Syntaktische Interoperabilität

Die nächste Interoperabilitätsebene ist die syntaktische Ebene. Sie definiert die Struktur der übermittelten Informationen und gewährleistet, dass das empfangende System die Anordnung der Informationseinheiten korrekt erkennt und versteht. Bekommt ein Krankenhaus zum Beispiel digitale Medikationslisten zu verschiedenen Patienten zugeschickt, muss es wissen und verstehen, wo die Datenfelder für Name, Vorname, Dosis, Wirkstoff etc. in dieser Datei stehen. Vertauscht das System die Datenfelder (z. B. Nachname mit Wirkstoff), weil es einen anderen Standard verwendet, kann das zu einem unbrauchbaren Datensatz führen. Im Gesundheitssystem gibt es seit Jahren Ansätze und Bemühungen, syntaktische Struktur beim Informationsaustausch zu schaffen. Am weitesten verbreitet sind hier die Standards der Organisation Health Level 7 (HL7) (Hooda et al. 2004).

HL7 ist eine Not-for-Profit-Organisation, die sich die Spezifikationen von Standards im klinischen Bereich zur Aufgabe gemacht hat. Sie wurde in den 1980er Jahren in den USA gegründet und ist seitdem zu der Standardisierungsorganisation im Gesundheitswesen gewachsen. In den 1990er Jahren wurde der deutsche Ableger HL7 Deutschland e.V. gegründet (Haas 2006). Im Gegensatz zur bereits erwähnten IHE, die Empfehlungen zur Nutzung von existierenden Standards gibt, erarbeitet HL7 diese Standards.

Der weltweit am meisten benutzte Standard ist HL7 Version 2, der in den 1990er Jahren entwickelt worden ist. Damit wurde versucht, die von der Industrie geschaffenen „Insellösungen“ und den klinischen Nachrichtenaustausch (z. B. Patientendaten-Administration, Befundkommunikation, Leistungsanforderung und -übermittlung) zu standardisieren (HL7 2018). In Deutschland ist HL7 Version 2 zum Nachrichtenaustausch zwischen den einzelnen IT-Systemen, z. B. zwischen dem Krankenhausinformationssystem (KIS) und Laborsystem, weit verbreitet (Abb. 2.1) (Hübner et al. 2018). Der direkte Nachfolger, HL7 Version 3, der im Jahr 2005 veröffentlicht wurde, hat sich bisher nicht durchsetzen können (Onken 2017). Er gilt in seinen Spezifikationen als zu komplex und unflexibel und erfordert eine Ressourcen-intensive Adaption (Meredith 2017). Ein Teil der HL7-V3-Familie ist der Clinical-Document-Architecture (CDA)-Standard. Der CDA spezifiziert den Aufbau von klinischen Dokumenten, wie zum Beispiel der Entlassungsbrief, und ist mittlerweile auch als ISO-Standard (ISO 10781) veröffentlicht, der in der deutschen Anpassung meist unter dem Namen SCIPHOX (Standardized Communication of Information Systems in Physician Offices and Hospitals using XML) vorzufinden ist, jedoch nur in 16 Prozent der Krankenhäuser eingesetzt wird (Abb. 2.1) (Hübner et al. 2018). In der Regel erfolgt der Aufbau solcher klinischen Dokumente nicht standardisiert bzw. unstrukturiert in Form von Word und anschließend PDF-Dokumenten (Thun und Dewenter 2017). Im Bilddatenmanagement (Picture Archiving and Communication System, kurz PACS) hat sich DICOM (Digital Imaging and Communciations in Medicine) mittlerweile fest etabliert und wird von einem Großteil der Krankenhäuser benutzt. DICOM standardisiert die Speicherung und den Austausch von Daten der bildgebenden Systeme wie z. B. Bilder und Informationen von Magnetresonanztomographen.

Abb. 2.1
figure 1figure 1

Gebräuchliche syntaktische Standards und deren Verbreitung in deutschen Krankenhäusern

Der Nachfolger von HL7 Version 3 ist der Standard Fast Healthcare Interoperability Resources (FHIR, ausgesprochen wie engl. fire). An FHIR werden große Erwartungen gesetzt, da dieser versucht, die Fehler zu vermeiden, die bei HL7 Version 3 gemacht worden sind. Vor allem soll dieser Standard anpassbarer an neu entstehende Anwendungsfelder im Gesundheitssystem (z. B. Integration von durch Wearables generierte Daten) sein, wodurch man für zukünftige, noch nicht abzuschätzende Entwicklungen gewappnet sein möchte (Onken 2017). Damit soll dieser das Fundament für die technologischen Entwicklungen der nächsten Jahre bilden (bvitg 2017). Ein Beispiel: In einer jüngst veröffentlichten Studie wurden elektronische Patientenakten mit Hilfe von Deep-Learning (DL)-Algorithmen analysiert. Die Akten lagen syntaktisch (nicht semantisch) strukturiert im FHIR-Format vor. Durch DL konnten auf der Grundlage von FHIR akkurate medizinische Vorhersagen über die jeweiligen Patienten getroffen werden, die zum Teil genauer als die Einschätzungen der Ärzte waren (Rajkomar et al. 2018).

2.3 Semantische Interoperabilität

Neben der syntaktischen Interoperabilität ist die semantische Interoperabilität von IT-Systemen wichtig. Sie stellt das gemeinsame Verständnis der Daten sicher. Werden einheitliche Ordnungssysteme, Nomenklaturen und Kodiersysteme verwendet und bilden sie ein übergreifendes Verständnis von verwendeten Abkürzungen, Fachbegriffen etc.? Grundlage dafür bieten meist sogenannte Referenzterminologien.

Eine der bekanntesten semantischen Referenzterminologien in der Medizin ist der Katalog der International Classification of Diseases (ICD), ein von der WHO entwickeltes Kodierungssystem für Krankheiten, Symptome und Beschwerden mit 150.000 Codes, welches für den deutschen Kontext leicht modifiziert wurde (German Modification, ICD-GM). Im klinischen Bereich gilt als am detailliertesten die Terminologie von SNOMED CT. Diese wurde vom College of American Pathologists entwickelt und enthält rund 800.000 Begriffe, die eine Fülle von gesundheitsspezifischen Begriffen und deren Relation zueinander abbilden. Jedoch findet SNOMED CT bisher in Deutschland keine Anwendung (Dewenter und Thun 2017).

Hier finden bei der semantischen Standardisierung hauptsächlich der Operationen- und Prozeduren-Schlüssel (OPS) und die ICD-Codes Verwendung. Andere Bereiche aus dem klinischen Alltag sind in der Theorie ebenfalls durch Nomenklaturen standardisiert (zum Beispiel die Medikation durch die Pharmazentralnummer), jedoch ist unklar, inwiefern diese außerhalb von Logistikketten und Verwaltung in der klinischen Praxis auch tatsächlich Verwendung finden.

Hinsichtlich der Interoperabilität lässt sich zusammenfassend sagen, dass es eine syntaktische Standardisierung zum Austausch von klinischen Nachrichten gibt, vor allem durch den in den 1990er Jahren entwickelten HL7-V2-Standard, der in erster Linie die Kommunikation zwischen Abteilungen wie dem Labor und der Apotheke sicherstellt. Andere Bereiche, wie zum Beispiel Arztbriefe, bleiben aber syntaktisch weitestgehend unstrukturiert und sind deswegen ohne manuelle Hilfe nicht auswertbar. Semantisch finden sich im deutschen Gesundheitssystem viele Nomenklaturen, jedoch ist unklar, wie flächendeckend diese auch im klinischen Alltag Anwendung finden. Mit Hilfe von syntaktischen Standards und Deep-Learning-Algorithmen könnte die semantische Interoperabilität zukünftig aber eine untergeordnete Rolle spielen.

3 Electronic Medical Record Adoption Model (EMRAM)

Ein Modell, um den Digitalisierungsgrad innerhalb eines Krankenhauses zu messen, ist das Electronic Medical Record Adoption Model (kurz EMRAM). Dieses setzt sich aus acht Stufen zusammen. Prinzipiell gilt: je höher die Stufe, desto digitaler das Krankenhaus. Die niedrigste Stufe (Stufe 0) bedeutet, dass kaum digital gearbeitet wird, während die höchste Stufe (Stufe 7) einem papierlosen Krankenhaus entspricht.

Das EMRAM-Modell wurde im Jahr 2005 in den USA von der HIMSS Analytics, einem Tochterunternehmen der HIMSS (Healthcare Information and Management Systems Society), entwickelt. Diese wurde 1961 gegründet und ist eine weltweite Non-Profit-Organisation mit dem selbsterklärten Ziel, die Gesundheitsversorgung durch den Einsatz von IT zu verbessern. Sie besteht aus überwiegend freiwilligen Mitgliedern (derzeit ca. 64.000), die aus allen Bereichen des Gesundheitssystems kommen. Der europäische Ableger der HIMSS Analytics ist die HIMSS Analytics Europe (HIMSS Europe 2014).

3.1 Wie wird zertifiziert?

Grundsätzlich zertifiziert die HIMSS. Die Kontaktaufnahme kann initiativ vom Krankenhaus erfolgen, sofern dieses sich zertifizieren lassen will. Ebenfalls werden die Krankenhäuser und IT-Hersteller von KIS-Systemen über die Zertifizierungsmöglichkeiten informiert. Außerdem gibt es in einigen Ländern Kooperationen mit dem Gesundheitsministerium (z. B. in der Türkei).

Soll ein Krankenhaus zertifiziert werden, wird ein Online-Fragebogen von der HIMSS an den/die IT-Verantwortliche/n, CIO (Chief Information Officer) bzw. Mitarbeitenden mit detaillierten Kenntnissen über die IT-Infrastruktur des Krankenhauses verschickt. Das Ausfüllen des Fragebogens dauert in etwa 2–4 Stunden und wird an die HIMSS zurückgeschickt, wo diese im Anschluss auf Konsistenz, Plausibilität und fehlende Informationen überprüft wird. Ausstehende Fragen werden anschließend in einem iterativen Prozess zwischen der HIMSS und dem Krankenhaus geklärt. Abschließend erfolgt die Einordnung in eine Stufe. Falls das Krankenhaus sich für die Stufe 6 oder 7 qualifiziert, wird ein gesondertes, zusätzliches Audit-Verfahren durchlaufen: Dann muss ein Experte der HIMSS die Prozesse vor Ort begutachten, ggf. mit Hilfe von zwei unabhängigen Inspektoren, wie beispielsweise IT-Manager aus anderen Krankenhäusern (Stufe 7) (EMRAM). Die Evaluation ist kostenpflichtig. Und die Zertifizierung ist im Anschluss für drei Jahre gültig. Danach verfällt diese und das Krankenhaus hat die Möglichkeit, sich re-zertifizieren zu lassen.

3.2 Wie ist die Skala aufgebaut?

Die EMRAM-Logik setzt sich zum Ziel, den Durchdringungsgrad der IT anhand von acht Stufen zu beschreiben. Tab. 2.1 zeigt die einzelnen Stufen und die jeweiligen Kriterien zum Erreichen dieser.

Tab. 2.1 EMRAM Stufenmodell mit einzelnen Kriterien und Anteil der deutschen Krankenhäuser (2017)

3.2.1 Stufe 0–2

Zum Erlangen der Stufe 1 muss ein Krankenhaus in der Radiologie, dem Labor und der Krankenhausapotheke digital arbeiten. Dies kann auch als Standalone-Lösung, d. h. als Insellösung innerhalb des Krankenhauses realisiert werden. Bereits auf Stufe 2 muss ein sogenanntes Clinical Data Repository (CDR) vorhanden sein. Dies ermöglicht den behandelnden Ärzten, über eine Datenbank auf die erweiterten Systeme (wie z. B. Labor oder Radiologie) zuzugreifen. Die CDR stellt eine rudimentäre Form der elektronischen Patientenakte dar – wichtige Funktionen, wie zum Beispiel die digitale Form der sogenannten Fieber-Kurve (die u. a. den zeitlichen Verlauf von verschiedenen Vitalparametern darstellt), sind aber noch nicht integriert.

3.2.2 Stufe 3–5

Ab Stufe 3 müssen die Krankenhäuser eine grundlegende Form der computergestützten Entscheidungsunterstützung (clinical decision support, kurz CDS) vorweisen können, wie zum Beispiel der Erkennung von Duplikaten (z. B. doppelte Verordnung eines MRTs) oder der passiven Hervorhebung von kritischen Laborwerten (z. B. durch fette Markierungen des Wertes). Zusätzlich müssen ab Stufe 3 das Pflegepersonal in mindestens einer Station digital dokumentieren und Ärzte elektronisch Verordnungen durchführen können. Ab Stufe 4 muss es in mindestens einer Abteilung eine elektronische Arzneimittelverordnung (Computerized Physician Order Entry, kurz CPOE) durch den Arzt geben. Dabei muss das CDS-System zusätzlich Wechselwirkungen von den verschriebenen Medikamenten erkennen können und automatisch darauf hinweisen. Auf Stufe 5 wird gefordert, dass alle filmbasierten Bilder durch digitale Lösungen ersetzt sind.

3.2.3 Stufe 6/7

Ab Stufe 6 gehört das Krankenhaus zum sogenannten „Stage 6 and 7 Club“. Ab dieser Stufe wird eine intelligentere CDS gefordert, die bereits bei der Dokumentation Patienten-individuelle (und nicht generische) Hilfestellungen anbieten soll, z. B. durch das Vorschlagen eines weiteren Behandlungspfads, der sich auf den einzelnen Patienten mit seinen Charakteristika bezieht. Außerdem muss das Krankenhaus einen geschlossen digital arbeitenden Medikationsprozess, eine sogenannte Closed Loop Medication, vorweisen. Das bedeutet, dass Verschreibung, Bereitstellung/Dosierung und Verabreichung von Medikamenten, z. B. durch den Abgleich von Bar-/QR-Codes, digital unterstützt werden. Die höchste Stufe (Stufe 7) beschreibt schließlich ein vollkommen papierloses Krankenhaus ohne Medienbrüche: d. h. jede einzelne Abteilung greift auf eine vollkommen integrierte, elektronische Patientenakte zu und garantiert eine syntaktische Standardisierung der klinischen Dokumentation (Continuity of Care Document – CCD). Die elektronische Patientenakte in der EMRAM-Logik geht über eine einfache Datenbank hinaus und umfasst Komponenten wie CDS, CPOE oder die vollumfängliche Interoperabilität der Akte mit anderen Akteuren außerhalb des Krankenhauses (Garets und Davis 2006).

Der Sprung auf die Stufen 6 und 7 gilt als besonders herausfordernd und kostenintensiv. Es wird davon ausgegangen, dass der Nutzen der Digitalisierung erst ab hier erreicht wird, da der Informationsfluss im gesamten Krankenhaus (und nicht nur in einzelnen Abteilungen) weitestgehend durchgängig und ohne Medienbrüche digital erfolgen kann. Krankenhäuser des „Stage 6 and 7 Club“ werden durch die HIMSS gesondert ausgezeichnet und auf der Website besonders erwähnt.

3.3 Weiterentwicklung des EMRAM seit 2018

Seit dem 1.1.2018 wurden die Kriterien der EMRAM-Stufen erstmals leicht modifiziert. Zu einem wurden die europäischen Kriterien den US-amerikanischen EMRAM-Kriterien angepasst. Diese waren bis dahin leicht unterschiedlich – insbesondere Stufe 5 und 6 waren sie „vertauscht“, d. h. in den USA wurde eine Closed Loop Medication bereits ab Stufe 5 gefordert und die Digitalisierung der filmbasierten Bilder auf Stufe 6.

Neben der Vereinheitlichung des Systems wurden die Kriterien insgesamt den technischen Entwicklungen angepasst. Da die Digitalisierung von filmbasierten Bildern mittlerweile in fast allen Krankenhäusern Standard ist, wird diese von nun ab Stufe 1 Pflicht sein (statt bisher ab Stufe 5). Zudem wird auf einem umfassenderen Einsatz der Technologien Wert gelegt. In Stufe 3 müssen jetzt mehr als 50 Prozent aller Pflegekräfte digital dokumentieren, in Stufe 4 90 Prozent. Ab hier müssen auch mehr als 50 Prozent aller Medikamente in einem geschlossenen Medikationsausgabeprozess verabreicht werden, anstatt wie bisher nur in einem Bereich. Auch sind jetzt verschiedene Aspekte zur IT-Sicherheit eingebaut. Mit diesen Änderungen will die HIMSS erreichen, dass EMRAM die Digitalisierung nicht nur begleitet, sondern auch als Impulsgeber betrachtet bzw. das Stufensystem weiterhin als Roadmap zur Umsetzung der Digitalisierung benutzt werden kann (Marabu 2018).

3.4 Deutschland im internationalen Vergleich

Im Jahr 2017 hatten die deutschen Krankenhäuser einen durchschnittlichen EMRAM-Score von 2,3. Dieser Wert wurde auf Grundlage von insgesamt 167 Krankenhäuser erhoben, die sich seit 2014 zertifizieren lassen haben.

Die Digitalisierung in den deutschen Krankenhäusern befindet sich demnach noch in den Kinderschuhen. Vor allem die hohe Zahl an Häusern, die gar nicht digital arbeiten (knapp 40 Prozent auf der Stufe 0) ist erstaunlich. Immerhin, die Vorstufe der EPA, die CDR, wird in rund einem Viertel der Häuser benutzt (Stufe 2). Funktionen wie die CDS oder CPOE werden auf dieser Stufe jedoch noch nicht genutzt.

Positiv ist, dass sich 20 Prozent der Häuser auf Stufe 5 zertifizieren lassen konnten. Hier werden Arzneimittelverordnungen durch den behandelnden Arzt elektronisch eingegeben und es erfolgt eine erweiterte klinische Entscheidungsunterstützung (z. B. Erkennung von Duplikaten oder potenziellen Wechselwirkungen der Medikamente). Außerdem sind alle filmbasierten Bilder digitalisiert.

Auf Stufe 6 konnten sich bisher lediglich zwei Kliniken in Deutschland zertifizieren: das Medius Klinikum Nürtingen und das Agaplesion Diakonieklinikum Rotenburg (HIMSS 2018). Diese Krankenhäuser haben also eine intelligentere klinische Entscheidungsunterstützung durch patientenangepasste Therapievorschläge und eine IT-gestützte, geschlossene Medikamentenvergabe.

Auf Stufe 7 gab es bisher nur das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) (Kapitel 6 in diesem Band) von 2012 bis 2015. Obwohl sich die Anforderungen des EMRAM bis zum 1.1.2018 (s. o.) nicht verändert haben, konnte das UKE diese Stufe bei der Re-Zertifizierung nicht mehr erreichen und wurde auf Stufe 5 re-zertifiziert. In Deutschland gibt es demnach derzeit kein nach Stufe 7 zertifiziertes bzw. aktiv mit digitalen Patientendaten arbeitendes Krankenhaus.

Nach Größe (Bettenzahl) und Trägerschaft betrachtet (Tab. 2.2) ist zu erkennen, dass große öffentliche Kliniken in der Regel digitaler arbeiten als kleine private. Der durchschnittliche EMRAM-Wert von Häusern mit über 500 Betten beträgt 3,4, wohingegen kleine Krankenhäuser mit einem durchschnittlichen Wert von 1,3 deutlich darunter liegen. Aufgeteilt nach Trägerschaft zeigt sich, dass öffentliche Kliniken digitaler arbeiten (2,7) als freigemeinnützige (2,1) und private (1,5).

Tab. 2.2 EMRAM-Score in Deutschland (2017) nach Bettengröße und Trägerschaft

Wird die Entwicklung der EMRAM-Profilkurve in Deutschland im zeitlichen Verlauf betrachtet (Abb. 2.2) fällt auf, dass die deutsche Krankenhauslandschaft innerhalb der letzten Jahre kaum digitaler geworden ist. Der durchschnittliche EMRAM-Wert hat sich nur marginal von 1,8 auf 2,3 verbessert. Die Täler und Berge der „EMRAM-Kurve“ lagen im Jahr 2012 an den gleichen Stellen wie im Jahr 2017. Einzig: Lag die Zahl der Häuser auf Stufe 0 im Jahr 2012 noch bei über 40 Prozent, ist dieser Wert mittlerweile leicht unter 40 Prozent gesunken. Zuwächse sind insbesondere auf Stufe 5 zu verzeichnen, wo es einen Anstieg von 10 Prozent auf 18 Prozent gab. Seit der Einführung des Modells in Europa wurden in Deutschland über 400 Krankenhäuser evaluiert, jedoch hat sich die Anzahl der zertifizierten Häuser zwischen 2012 und 2017 halbiert.

Abb. 2.2
figure 2figure 2

EMRAM-Profil Deutschland 2012 (n = 340) vs 2017 (n = 167)

Kommt die Digitalisierung also langsam, aber stetig in Deutschland voran oder passiert insgesamt zu wenig? Ein internationaler Vergleich hilft dabei, die bisherige Entwicklung in Deutschland besser einordnen zu können. Abb. 2.3 zeigt exemplarisch die Profil-Kurven von 2012 und 2017 der US-amerikanischen Krankenhäuser. Und für weitere Länder fasst Tab. 2.3 die EMRAM-Ergebnisse aus dem Jahr 2017 zusammen, ergänzt durch deren zeitliche Entwicklung in Abb. 2.4.

Abb. 2.3
figure 3figure 3

EMRAM-Profil USA 2012 (n = 5.458) vs 2017 (n = 5.487)

Abb. 2.4
figure 4figure 4

Durchschnittliche EMRAM-Werte in ausgewählten Regionen seit 2011

Tab. 2.3 Anteil der Krankenhäuser in den verschiedenen EMRAM-Stufen in verschiedenen Ländern/Regionen (2017) [%]

Viele andere Länder haben einen höheren IT-Durchdringungsgrad als Deutschland. Der Abstand Deutschlands zum europäischen Durchschnitt hat innerhalb der letzten Jahre sogar deutlich zugenommen: Während dieser im Jahr 2011 nur 0,2 auf der EMRAM-Skala betrug, ist er im Jahr 2017 auf 1,3 angestiegen. Das liegt unter anderem an dem immer noch sehr hohen Anteil an Krankenhäusern in Deutschland, die nicht einmal eine Basis-Digitalisierung besitzen (Stufe 1). Länder wie Spanien, die Türkei oder das Vereinigte Königreich besitzen kaum ein Krankenhaus, das gar nicht digitalisiert arbeitet bzw. sich auf Stufe 0 befindet (in Deutschland sind dies immerhin knapp 40 Prozent). In den Niederlanden gibt es sogar gar keins und in Dänemark sind fast alle auf Stufe 5 evaluiert. Einzig Österreich weist ein ähnliches Profil wie Deutschland auf und besitzt den gleichen Durchschnittswert (2,3).

Ein interessantes Länder-Beispiel stellt die Türkei dar. Hier wird EMRAM offiziell als nationale Richtlinie für den Digitalisierungsprozess der Krankenhäuser genutzt. Dazu hatte das türkische Gesundheitsministerium angeordnet, dass sich bis 2019 alle öffentlichen Krankenhäuser anhand des EMRAM evaluieren lassen müssen. Zusätzlich wurde als Ziel ausgegeben, bis 2017 über 100 Häuser auf EMRAM-Stufe 6 zu bringen. Dieses Ziel wurde im Jahr 2017 mit 154 Krankenhäusern (24,2 Prozent) erreicht (HIMSS Europe 2018).

In den USA werden fast alle Kliniken durch EMRAM zertifiziert, weswegen die Grundgesamtheit der Erhebung in den letzten Jahren sehr gleichmäßig bei ca. 5.450 lag. Bemerkenswert ist der dortige starke Ausbau der Digitalisierung. Zwischen 2011 und 2017 hat sich der EMRAM-Durchschnitt von 3,2 auf 5,3 erhöht (Zum Vergleich: In Deutschland ist dieser Wert seit 2011 bei n = 340 lediglich um 0,6 Punkte gestiegen). Dies wird auf die US-amerikanische Gesetzgebung und damit verbundene finanzielle Anreize zurückgeführt. Unter anderem wurde die HITECH-Initiative (Health Information Technology for Economic and Clinical Health) im Jahr 2009 für diesen Zweck eingeführt, bei der vor allem darauf geachtet wurde, dass nicht nur eine elektronische Patientenakte flächendeckend eingeführt wird, sondern diese dabei auch „sinnvoll“ benutzt wird („meaningful use“) (Hoggle 2012). Außerdem werden seit 2015 Krankenhäuser unter dem Medicare-Programm sanktioniert, sofern sie keine elektronische Patientenakte benutzen. Dies hat unter anderem dazu geführt, dass der Anteil von Krankenhäusern, die auf den Stufen 0–2 des EMRAM-Modells liegen, auf weniger als 3 Prozent geschrumpft ist und sich knapp 40 Prozent mittlerweile auf Stufe 6 oder 7 befinden.

Abschließend sei noch einmal darauf hingewiesen, dass die EMRAM-Klassifizierung seit Jahresbeginn 2018 heraufgesetzt wurde. Es wird also spannend sein zu sehen, welche Krankenhäuser ihre Klassifizierung halten können und in welchem Umfang die Werte dadurch beeinflusst werden.

3.5 Kritik am EMRAM

Die Entscheidung zur Teilnahme an einer EMRAM-Evaluation ist in der Regel freiwillig bzw. hängt von dem einzelnen Krankenhaus ab. Damit ist die Repräsentativität der Stichprobe nicht gewährleistet. In Deutschland wurden innerhalb der letzten vier Jahre insgesamt 167 Krankenhäuser und seit 2011 über 400 Krankenhäuser evaluiert. In anderen Ländern, in denen Kooperationen zwischen dem Gesundheitsministerium und EMRAM bestehen, wie zum Beispiel in der Türkei, sind die Evaluationen repräsentativer.

Die Vergleichbarkeit der verschiedenen Ergebnisse wird außerdem dadurch beeinflusst, dass eine Evaluation hauptsächlich auf Basis einer Selbstauskunft der Kliniken erfolgt. Außer bei Kandidaten für Stufe 6 oder Stufe 7 wird der Digitalisierungsgrad nur anhand von Fragebögen, die von Mitarbeitern der Klinik ausgefüllt werden, ermittelt. Zwar werden etwaige Unstimmigkeiten in einem anschließenden iterativen Prozess zwischen der HIMSS und der Klinik geklärt, doch ist die Vergleichbarkeit der Ergebnisse der unteren Stufen dadurch eingeschränkt.

Zudem handelt es sich bei dem EMRAM-Bewertungsschema um ein Stufenmodell. Bevor eine Stufe erreicht werden kann, müssen die Kriterien der darunterliegenden Stufen erfüllt werden. Sollte eine Klinik zum Beispiel einen komplett geschlossenen, IT-gestützten Medikationskreislauf besitzen, aber noch kein digitalisiertes Labor, ist es immer noch auf der gleichen Stufe wie ein Krankenhaus, das gar nicht digital arbeitet bzw. keins von beidem besitzt, und wird auf Stufe 0 zertifiziert.

Ein weiterer Nachteil eines solchen Stufenmodells ist, dass es nach oben hin begrenzt ist. In der Realität endet jedoch der Grad der Digitalisierung nicht auf Stufe 7 der EMRAM-Logik. Zukünftige Entwicklungen, die bisher nur schwer abzuschätzen sind, können über eine solche Skala nicht abgebildet werden. Denkbar wären deswegen Ansätze zur Erweiterungen des Stufenmodells, wie zum Beispiel mit Hilfe von „+“-Siegeln (7+, 7++ etc.). Diese finden bereits in anderen Industriezweigen Verwendung und haben den Vorteil, dass sie als fast unbegrenzt erweiterbar gelten (Kruber 2017).

Daran anknüpfend finden bestimmte Anwendungen und andere relevante Aspekte der Digitalisierung keine Berücksichtigung im EMRAM. Hier liegt der Fokus auf der krankenhausinternen IT-Nutzung. Aber insbesondere telemedizinische Anwendungen und die Fähigkeit der digitalen Kommunikation mit externen Akteuren, wie zum Beispiel Radiologen oder niedergelassenen Ärzten, werden nicht betrachtet.

4 European Hospital Survey (2012–2013)

Ergänzend sollen deswegen im Folgenden die Ergebnisse aus dem European Hospital Survey – Benchmarking Deployment of eHealth Services (EHS) vorgestellt werden (Sabes-Figuera 2013). Es handelt sich um einen von der EU-Kommission in Auftrag gegebenen Bericht, der die Ausbreitung von eHealth in den Krankenhäusern in der EU analysiert und verglichen hat. Der Bericht wurde im Jahr 2014 von der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PriceWaterhouseCoopers (PwC) fertig gestellt und basiert auf Krankenhausdaten der Jahre 2012 und 2013.

Ein wesentlicher Unterschied zur EMRAM-Logik ist die umfänglichere Betrachtung von Digitalisierungsmerkmalen, die sich nicht ausschließlich auf die IT-Nutzung innerhalb des Krankenhauses konzentriert, sondern unter anderem auch die Möglichkeit der Kommunikation mit externen Leistungserbringern, wie zum Beispiel durch Telemedizin, berücksichtigt. Im EHS verteilen sich die analysierten Merkmale auf die Kategorien: Anwendungen (PACS-Benutzung, eVerschreibung, eÜberweisung, Telemonitoring), Infrastruktur (Breitband-Anbindung, Verbunden mit Externen, einheitliches WLAN, einheitliche EPA zwischen allen Abteilungen), Sicherheit (einheitliche Regeln zur Benutzung von klinischen Daten, Wiederherstellung der Daten innerhalb von 24 h) und Möglichkeiten der digitalen Integration (Austausch von klinischen Daten mit Externen). Die wesentlichen Merkmale von EMRAM und EHS werden in Tab. 2.4 verglichen.

Tab. 2.4 Vergleich European Hospital Survey mit EMRAM

In Deutschland wurden Daten von 201 Krankenhäusern gesammelt. Das Spinnendiagramm (Abb. 2.5) zeigt die 13 Merkmale und deren Ausprägungen für Deutschland (n = 201), den EU-Durchschnitt (n = 1.717) und für Estland (n = 3), nach EHS-Logik das Land mit dem höchsten Krankenhaus-Digitalisierungsgrad.

Abb. 2.5
figure 5figure 5

EHS-Ergebnisse der einzelnen Parameter in Deutschland, der EU und Estland

In vielen Bereichen liegen die deutschen Krankenhäuser unterhalb des EU-Durchschnitts. Lediglich in den Punkten Datensicherheit, Benutzung von PACS und der technischen Interoperabilität mit Externen ist Deutschland leicht besser. Die Aspekte, die im EMRAM keine Berücksichtigung finden, wie zum Beispiel der Austausch von klinischen Informationen mit externen Leistungserbringern oder das Telemonitoring, sind in Deutschland nur sehr schwach oder gar nicht ausgeprägt. Damit im Zusammenhang stehend sind die Ergebnisse zur Breitbandanbindung: Zum Zeitpunkt der Erhebung hatten nur 30 Prozent aller Kliniken einen Anschluss mit mindestens 50 Mbit pro Sekunde. Im EU-weiten Ländervergleich unter Einbezug eines gewichteten summierten Wertes belegt Deutschland lediglich Rang 19 (von 30). Spitzenreiter ist Estland, gefolgt von Finnland, Schweden und Dänemark.

Damit bestätigt der EHS einerseits die Ergebnisse des EMRAM und zeigt ebenfalls, einer anderen Systematik folgend, dass die Digitalisierung innerhalb der deutschen Krankenhäuser im internationalen Vergleich im Rückstand liegt. Zusätzlich erweitert der EHS die Ergebnisse des EMRAM und lässt erkennen, dass deutsche Kliniken nicht nur bei der krankenhausinternen Nutzung von IT rückständig sind, sondern auch in Punkt Datenaustauch mit Externen Nachholbedarf besteht.

5 Gründe für den zögerlichen IT-Ausbau in deutschen Krankenhäusern

Neben den eingangs erwähnten Lücken in der Standardisierung gelten als Hemmnisse für den IT-Ausbau bei deutschen Krankenhäusern insbesondere der Investitionsstau, der noch nicht klar zu erkennende Nutzen der Digitalisierung in Kombination mit der Benutzerunfreundlichkeit vieler IT-Systeme, und Unsicherheiten bezüglich des Datenschutzes:

Zunächst erfordert die Transformation zu digital-gestützten Prozessen Investitionen. So muss zum Beispiel die entsprechende Hardware angeschafft, Software-Lizenzen müssen erworben und Ärzte und Pflegepersonal entsprechend geschult werden. Bei dem allgemeinen Investitionsstau in den deutschen Krankenhäusern (Mewis 2017) stellt jede zusätzliche finanzielle Investition eine hohe Belastung dar. Das spiegelt sich in den IT-Investitionsquoten wider, die in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern gering sind. Im Schnitt gaben deutsche Krankenhäuser bisher zwischen 1,5 (von Eiff und von Eiff 2017) und 1,7 Prozent (Schneider 2016) ihrer Gesamtausgaben für IT aus. In anderen Ländern liegt diese Quote höher: Die Niederlande, Schweiz oder Österreich geben rund 4 Prozent für IT aus. Vorreiter sind die USA, in denen zwischen 5 und 6 Prozent in IT investiert werden (von Eiff und von Eiff 2017). Dass es eine finanzielle Unterfinanzierung der IT gibt, wird auch vom Verband der Universitätsklinika bescheinigt. Dieser geht von einem jährlichen IT-Investitionsdefizit von rund 5–10 Mio. Euro in den Universitätskliniken aus (Verband der Universitätsklinika Deutschlands und Medizinischer Fakultätentag 2014).

Zudem bestehen immer noch Zweifel und Skepsis bezüglich des Nutzens von IT-gestützten Prozessen, denn im schlechtesten Fall führen diese kurzfristig zu einer Mehrbelastung. Studien haben gezeigt, dass die Einführung einer digitalen Patientenakte erst mittelfristig Zugriffs- und Dokumentationszeiten reduzieren kann, wenn sich Lerneffekte einstellen (Poissant et al. 2005). Eng damit zusammenhängend wird auch häufig die Benutzerfreundlichkeit der IT-Systeme kritisiert. Displays sind zu klein, das Abrufen von Informationen dauert sehr lang oder das System stürzt ab. Die meisten IT-Systeme in den Krankenhäusern sind in den letzten Jahrzehnten innerhalb der einzelnen Abteilungen organisch gewachsen und entsprechend heterogen. Teilweise handelt es sich im Kern um antiquierte Systeme, die langsam sind und die Kompatibilität zu neuen Technologien und Software nicht immer gewährleisten können (Verband der Universitätsklinika Deutschlands und Medizinischer Fakultätentag 2014). Bei einer Umfrage unter 1.800 Krankenhausärzten kamen nur 11 Prozent der Ärzte zum Schluss, dass das von ihnen benutzte KIS benutzerfreundlich sei (Marburger Bund 2017). In einer weiteren Studie wurde ermittelt, dass im Schnitt 34 Prozent des ärztlichen Dienstes mit der Anwenderfreundlichkeit der IT unzufrieden sind, davon sogar fast 20 Prozent diese als „unakzeptabel“ empfinden – der pflegerische Dienst ist im Allgemeinen zufriedener (Simon 2018). Dabei ist es nicht entscheidend, welches KIS im Krankenhaus benutzt wird bzw. von welchem Anbieter das KIS ist. Wichtiger für die Benutzerfreundlichkeit ist, inwieweit das KIS an den lokalen Kontext angepasst worden ist (customizing), die Prozesse harmonisiert und ob Mitarbeiter geschult worden sind. Gerade letzteres ist in deutschen Krankenhäusern ausbaufähig: 62 Prozent der Krankenhäuser bieten keine regelmäßigen Schulungen für die IT-gestützten Arbeitsabläufe an (Marburger Bund 2017).

Zudem haben sich durch die Digitalisierung die Bedrohungsformen geändert und der Schutz von sensiblen Patientendaten muss anders gedacht werden. Laut einer Studie von Roland Berger wurden bisher rund zwei Drittel aller Krankenhäuser Opfer eines Hackerangriffs (Roland Berger 2017). Durch den Trojaner Ransomware wurden seit dem Jahr 2016 eine Vielzahl von Krankenhäusern angegriffen (Trojaner-Info 2018). Durch diese Schadsoftware, die durch einen geöffneten E-Mail-Anhang ausgeführt wird, konnten die Angreifer Patientendaten verschlüsseln und anschließend das Krankenhaus damit erpressen. In den USA fühlte sich ein Krankenhaus, nachdem es Opfer eines solchen Ransomware-Hackerangriffs geworden ist, gezwungen, Lösegeld zu zahlen, um sensible Patientendaten wieder zurückzuerhalten und weiterhin die Patienten behandeln zu können (Gierow 2018). In einem weiteren Experiment einer Firma für Sicherheits-IT ist es Hackern über ein offenes WLAN-Netzwerk einer Klinik gelungen, künstlich erstellte Patientendaten zu modifizieren und Medizingeräte zu steuern (funkschau.de 2016). Solche Entwicklungen fördern nicht das Vertrauen in die Digitalisierung und werden in Deutschland aufmerksam registriert. Ein adäquates IT-Sicherheitsmanagement (mit vertraglichen, organisatorischen, technischen, infrastrukturellen und personellen Maßnahmen) ist bei der Nutzung von IT entsprechend unausweichlich. Gleichzeitig sollten aber die Sicherheit und der Schutz von Daten, die mit konventionellen Methoden verschickt werden (z. B. per Fax), mit dem gleichen kritischen Auge betrachtet werden.

6 Zusammenfassung und Fazit

Es ist deutlich geworden, dass die Digitalisierung in den deutschen Krankenhäusern nur langsam Einzug hält. Der Anteil der Krankenhäuser, die im klinischen Bereich noch gar nicht beziehungsweise kaum digital arbeiten (Stufe 0 EMRAM) liegt in Deutschland bei 40 Prozent. Andere Länder sind hier deutlich weiter; in der Türkei liegt der Anteil bei 7 Prozent. Es werden viele nützliche IT-Anwendungen, die in anderen Ländern verbreiteter sind, hierzulande noch nicht eingesetzt. Am Beispiel des IT-gestützten, geschlossenen Medikationskreislaufs – der menschlich verursachte Fehler bei dem Medikationsprozess verhindert und dadurch die Qualität der Versorgung in den Krankenhäusern verbessert – lässt sich das gut erkennen: In Deutschland haben dies nur 1 Prozent der Kliniken, in den USA bereits über 40 Prozent. Auch die elektronische Patientenakte, ein zentrales Element der Digitalisierung, ist in den deutschen Krankenhäusern noch nicht in dem Maße vorhanden, wie es eigentlich angenommen werden könnte. Wenn überhaupt, werden hierzulande sogenannte Clinical Data Repositories (Stufe 2 EMRAM) benutzt, nur eine Vorstufe der EPA, in der zwar Teile der Patientenakte digital vorliegen, jedoch wichtige Funktionen fehlen, wie zum Beispiel die elektronische Fieber-Kurve. Auch die digitale Kommunikation mit externen Akteuren, wie etwa telemedizinische Leistungen, hat sich in den letzten Jahren nicht so verbreitet wie es in der heutigen Zeit im Prinzip selbstverständlich erscheinen würde. Ein Grund hierfür ist sicherlich auch bei der schlechten technischen Interoperabilität bzw. dem lahmenden Breitbandausbau in Deutschland zu suchen. Hier muss zukünftig eine bessere Basis geschaffen werden, damit dieser Bereich verstärkt ausgebaut werden kann. Neben der technischen Interoperabilität muss zukünftig auch die syntaktische Interoperabilität weiter gefördert werden, zum Beispiel durch die Standardisierung des Arztbriefes. Nur damit wird ein reibungsloser, digitaler Austausch von klinischen Informationen zwischen Krankenhäusern und anderen Akteuren gewährleistet und der Nutzen von IT kann sich entfalten.

Es ist deswegen wichtig, dass erreichbare Ziele definiert und die vorhandenen Ressourcen sinnvoll eingesetzt werden. Das bereits angeführte Beispiel der klinischen Entscheidungsunterstützung auf Basis von Deep-Learning-Algorithmen (Rajkomar et al. 2018) kann erst eingesetzt werden, wenn die Patienten-Daten entsprechend digital vorliegen. Dazu muss ein Krankenhaus das „ABC der Digitalisierung“ beherrschen. Genauso können Pflege-Roboter, die in der Lage sind, die Pflegekräfte an geeigneten Stellen sinnvoll zu entlasten, nur funktionieren, wenn diese auch entsprechend dem lokalen Kontext angepasst werden, die Prozesse abgestimmt sind und das Personal entsprechend geschult wird.

Ansonsten führt dies zu Frustration, Skepsis und Zweifeln am Nutzen der Digitalisierung. In der Konsequenz bleibt dann alles beim Alten, während sich die Welt außerhalb des Krankenhauses verändert. Schaffen es die Krankenhäuser also zukünftig nicht, die Voraussetzungen für den Einsatz solcher neuen Technologien zu schaffen, kann es dazu führen, dass diese informell eingesetzt werden. So werden schon heute digitale Kommunikationsdienste für die Kommunikation zwischen den Ärzten benutzt oder privat angelegte Patientendatenbanken auf den Smartphones geführt. Solche „informellen“ Lösungen bergen ein hohes Risiko, insbesondere bzgl. des Datenschutzes. Es liegt hier an den Krankenhäusern, zentrale, den Anforderungen entsprechende Lösungen anzubieten und den Wandel mit zu steuern und zu kontrollieren.