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Länder im Umbruch

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Zusammenfassung

Nach der Fukushima-Katastrophe am 11. März 2011 beschloss die deutsche Bundesregierung unter Rückgängigmachung der von ihr in 2010 beschlossenen Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke, acht dieser Werke sofort und die übrigen neun bis 2022 für immer abzuschalten. Begründet wurde diese Energiewende mit der unzutreffenden Behauptung, der Fukushima-GAU sei auf ein unterschätztes Restrisiko wassermoderierter Kernreaktoren zurückzuführen. In den Folgejahren sind in Deutschland die auf den Inlandsverbrauch elektrischer Energie bezogenen CO\(_2\)-Emissionen um etwa drei Prozent und die Kosten der Stromversorgung um rund 20 % gestiegen. Als sechststärkster Kohlendioxid-Emittent produziert Deutschland in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts nur noch etwa zwei Prozent der globalen, der Energienutzung entspringenden Kohlendioxidemissionen. Darum kann sein Beitrag zu einer signifikanten Reduktion dieser Emissionen nicht aus dem Verbot von Energieträgern und -technologien bestehen. Vielmehr sollte Deutschland einen Weg der Emissionsminderung erkunden und beschreiten, der technisch und ökonomisch so überzeugt, dass auch andere Länder ihn zu gehen bereit und in der Lage sind. Die über alle Kommunikationskanäle aller Welt von höchsten politischen Repräsentanten Deutschlands ab 2014 verkündete und von vorbildlichen, ehrenamtlichen Helfern praktizierte deutsche Willkommenskultur für Flüchtlinge und Migranten liefert unfreiwillig den Schlepperbanden des organisierten Verbrechens Werbeargumente und weckt bei den Menschen in den weniger industrialisierten Ländern der Welt Illusionen über ein Paradies Deutschland. Dies und Erfahrungen während der ersten Zuwanderungsspitze beim Zerfall Jugoslawiens erinnern an die Folgen des „sozialen Transistoreffekts“ in Kolumbien. Dieses schöne Land hatte seit 1810 aufgrund bewaffneter Machtkämpfe zwischen großgrundbesitzenden Familienclans lange keinen Weg aus dem agrarischen Feudalismus in die Industriegesellschaft gefunden, die den Nöten der schnell wachsenden bäuerlichen Bevölkerung abgeholfen hätte. So kam es zu der Gewaltorgie der „Violencia“ in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Eine kurze Militärdiktatur machte ihr ein Ende, und die beiden verfeindeten Lager der feudalen Eliten schlossen Frieden. Doch der kam zu spät. Informiert durch ihre leichten, batteriebetriebenen Transistorradios über das gute Leben der schmalen Mittel- und Oberschicht in den großen Städten, wo importierte Waren aus den Industrieländern neue Konsumerlebnisse versprechen, strömte die verarmte Landbevölkerung in die Metropolen des Landes und ließ deren Elendsviertel, den Nährboden der Gewalt, anschwellen. Aus sozial-revolutionären Bewegungen, die Intellektuelle und Kleinbauern im Gefolge der Violencia ins Leben gerufen hatten, entwickelten sich blutige Drogen- und Landraub-Kriege zwischen marxistischen Guerilleros, paramilitärischen Milizen und den nationalen Streitkräften. Während der 1990er-Jahre war Kolumbien zeitweise das gefährlichste Land der Erde. Doch jetzt, in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts, keimt Hoffnung auf ein Ende der Gewalt und eine wirtschaftliche Entwicklung, die von einem Bürgertum getragen wird, das naturwissenschaftliche, technische und unternehmerische Kompetenz zu schätzen weiß und sich seiner sozialen Verantwortung bewusst ist. Zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen breiter Bevölkerungsschichten dürfte es allerdings erst kommen, wenn die reichen Eliten Kolumbiens ihr Kapital nicht mehr ins Ausland transferieren, sondern in die umweltschonende Industrialisierung ihrer Heimat investieren.

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Notes

  1. 1.

    Vielleicht könnte in kolumbianischen Reformen Niko Paechs „paradoxe Betriebswirtschaft“ des Abschn. 4.8.7 der Jugend und den demobilisierten Guerrillakämpfern Kolumbiens eine Existenzgrundlage neuer Art schaffen. Und wollte man ökonometrische Analysen des Wirtschaftswachstums auch für Entwicklungsländer wie Kolumbien durchführen, könnte die in Gl. (A.47) angegebene Produktionsfunktion nützlich sein. Die Erhebung zuverlässiger empirischer Daten dürfte allerdings schwieriger sein als in hoch industrialisierten Ländern.

  2. 2.

    Die Passagen bis einschließlich Risiko eines GAU in deutschen Kernkraftwerken, stützen sich auf [165].

  3. 3.

    Die Laufzeitverlängerungen betrugen acht Jahre für die sieben vor 1980 gebauten Anlagen und 14 Jahre für die übrigen zehn Atommeiler.

  4. 4.

    In den im Forschungszentrum Jülich entwickelten Hochtemperaturreaktoren, von denen einer, der Thorium-Hochtemperatur-Reaktor THTR-300, im Jahr 1983 in Hamm-Uentrop ans Netz ging und am 1. September 1989 für immer, hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen, abgeschaltet wurde, ist eine Kernschmelze aus physikalischen Gründen nicht möglich; mehr dazu in [2, S. 79–81].

  5. 5.

    Dabei bedenkt man offenbar nicht, dass die Dinosaurier die bislang erfolgreichsten Landwirbeltiere waren und 170 Mio. Jahre lang die Erde beherrschten, bevor sie vor rund 65 Mio. Jahren plötzlich verschwanden. Ursache ihres Massensterbens war Solarenergie- und Biomassenmangel wegen eines Meteoreinschlags und/oder heftiger vulkanischer Eruptionen. Die großen Staubmassen, die dabei in die Atmosphäre geschleudert wurden, minderten die Sonneneinstrahlung, und die üppige Vegetation, die Nahrungsgrundlage der Dinosaurier, verkümmerte. Wie unsere ca. zwei Millionen Jahre alte Gattung Homo und insbesondere ein ausschließlich auf Solarenergie angewiesener Homo sapiens eine derartige Katastrophe überstehen würde, wissen wir nicht.

  6. 6.

    Energy Return On (Energy) Investment.

  7. 7.

    Treibhausgasemissionen.

  8. 8.

    „Die Industrieproduktion hier im Osten übernehmen eure Betriebe im Westen doch locker“, sagte zu mir im Frühjahr 1991 der mit einer (Brief-) Freundin meiner Frau verheiratete Leiter einer Eisengießerei in Guben und zeigte auf die Jahreszahl 1876 über dem Eingang zu der Werkshalle aus Backsteinen, die er demnächst schließen müsse. „Der Letzte, den ich entlassen werde, bin ich selbst.“ So kam es denn auch bald danach.

  9. 9.

    enervis energy advisors GmbH ist eine Unternehmensberatung von Strom- und Gasversorgern sowie Investoren und Betreibern von erneuerbaren und konventionellen Kraftwerken und Speichern.

  10. 10.

    Als „Großer Sprung nach vorn“ wird eine von 1958 bis 1961 laufende Kampagne in der VR China bezeichnet, in der unter ideologischer Umerziehung der Bevölkerung, Vernachlässigung der Landwirtschaft und Hinwendung zu dezentraler Industrieproduktion auf dem Lande der Rückstand zu den westlichen Industrieländern in kurzer Zeit aufgeholt werden sollte. Sie scheiterte in einer Hungerkatastrophe.

  11. 11.

    Kolumbianischer Euphemismus für Elendsviertel.

  12. 12.

    Meldung in den Rundfunk- und Fernsehnachrichten am 16. Januar 2018.

  13. 13.

    Diese Erfahrungen werden hier nicht nur als Beispiel für konkrete Probleme in der Flüchtlingshilfe berichtet, sondern auch, um dem Verdacht vorzubeugen, die Fakten dieses Abschnitts würden aus islamophoben/fremdenfeindlichen/rechtsextremistischen Motiven präsentiert.

  14. 14.

    Nach dem Abitur in der deutschen Schule von Sarajevo stand er am Anfang einer vielversprechenden Karriere bei einem deutschen Geldinstitut in Bosnien. „Mama, jetzt brauchst Du nicht mehr zu arbeiten“, sagte er seiner Mutter. Doch am Muttertag 2012, während eines nächtlichen Gewittersturms in den Bergen von Tuszla, verunglückte er tödlich auf der Heimfahrt von seiner Hochzeitsreise.

  15. 15.

    Der mit diesen Ereignissen weniger zusammenhängende Migrationsschub aus dem Kosovo wurde getrieben von desolater Wirtschaft, massiver Korruption und Gerüchten über großartige Perspektiven in Deutschland, die von kriminellen Akteuren verbreitet worden waren.

  16. 16.

    Dazu gab es einen derben Kommentar auf einem Düsseldorfer Karnevalswagen.

  17. 17.

    Nach Schätzung des Internationalen Währungsfonds vom Oktober 2016 liegt Deutschland in beiden internationalen Ranglisten des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf – sowohl in US-Dollar\(_{2015}\) als auch in internationaler Kaufkraftparität – auf Platz 20. Vor Deutschland liegen im US-Dollar\(_{2015}\)-Ranking Luxemburg, Schweiz, Norwegen, Macau, Katar, Irland, USA, Singapur, Dänemark, Australien, Island, Schweden, San Marino, Niederlande, Großbritannien, Österreich, Kanada, Finnland und Hongkong. Vom gesamten Nettovermögen der deutschen privaten Haushalte entfallen 60 % auf die reichsten 10 % und 2,5 % auf die unteren 50 % der Haushalte [194].

  18. 18.

    Dazu sagte die Kanzlerin: „Es gehört zur Identität unseres Landes, Größtes zu leisten“ [198]. Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm schloss sich an: „2015 wird in die Geschichte unseres Landes eingehen als das Jahr, in dem Deutschland über sich hinausgewachsen ist.“ [199].

  19. 19.

    Dagegen geholfen hatte auch nicht das Versprechen der Kanzlerin Anfang 2017, dass das, was im Herbst 2015 geschah, sich nicht wiederholen kann, wird und darf.

  20. 20.

    Gleiches gilt für Schweden, das Grenzkontrollen eingeführt hat.

  21. 21.

    Main-Post Würzburg vom 6. November 2017, S. 1: „Wir machen zu 80 % Asylsachen“– Würzburger Verwaltungsgerichtspräsident über die Belastung seiner Behörde.

  22. 22.

    Gesungen 1970 von Gabriel Quintero. Text: Jose Barros. Übersetzung von R. K. Zu den Melodien, Rhythmen und meist fröhlichen oder romantischen Texten der Cumbias wird auf Fiestas getanzt – besonders anmutig von jungen Mädchen im Kreise, mit Kerzen in den Händen.

  23. 23.

    Ohne die Karibikinseln San Andrés und Providencia auf der Höhe Nicaraguas.

  24. 24.

    Ein kolumbianischer Physiker mit hoher internationaler Reputation, der in Deutschland promoviert und in den USA geforscht hatte, sagte über Wissenschaftler in Kolumbien: „Lo peor es un tipo que se ha tropicalizado.“ [Umso schlimmer ist einer, der tropische Verhaltensweisen angenommen hat.]

  25. 25.

    Die Skizze der Bürgerkriege stützt sich auf den Aufsatz: Cronología de las guerras en Colombia – Guerras civiles de Colombia [206].

  26. 26.

    Siehe die Zahl der sog. High Net Worth Individuals – HNWI und ihr Vermögen im internationalen Vergleich, z. B. in [2, S. 230].

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Kümmel, R. (2018). Länder im Umbruch. In: Energie, Entropie, Kreativität. Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-57858-2_5

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