Zusammenfassung
Eine der wichtigsten Errungenschaften der Mathematik ist die konkrete Beschreibung vom Unendlichen. Dadurch wurde das Unendliche greifbar und mathematischen Aussagen zugänglich. Die Geschichte der Naturwissenschaften und Technik ist voll von Irrtümern, die man bei dem Versuch begann, Unendlichkeit zu fassen. Sie zeigen, wie komplex eigentlich unser heutiger Begriff des „Grenzwerts“ ist.
Folgen spielen bei der Beschreibung des Unendlichen eine entscheidende Rolle und sind daher eines der wichtigsten Handwerkszeuge in der Analysis. Zahlreiche neue, nützliche Begriffe lassen sich mit ihrer Hilfe definieren und erklären. Andererseits sind Folgen Grundlage für ganz alltägliche Dinge geworden: Ständig werden in Taschenrechnern, MP3-Playern oder für Wettervorhersagen Folgenglieder berechnet. Hierbei geht es um die Gewinnung von Näherungslösungen von Gleichungen. Wir werden in diesem Kapitel exemplarisch auf eine solche Anwendung eingehen.
Die Grundlage für einen fehlerfreien Einsatz von Folgen ist eine genaue Begriffsbildung. Die Erfahrung zeigt aber, dass sich viele damit zunächst schwertun. Doch mit ein wenig Routine und vielen Beispielen werden die Sachverhalte schnell überschaubar. Damit wir die späteren Anwendungen verstehen, müssen wir uns auf das abstrakte Konzept von Folgen und Grenzwerten einlassen. Dabei werden die Konvergenz von Zahlenfolgen, also die Existenz eines Grenzwerts, und gegebenenfalls die analytische Berechnung solcher Werte im Vordergrund stehen.
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Appendices
Zusammenfassung
1.1 Der Begriff der Folge
Bei einer Folge sind unendlich viele Folgenglieder in eine Reihenfolge gebracht. Beginnend bei einem ersten Glied können sie abgezählt werden.
Definition einer Folge
Eine Folge ist eine Abbildung der natürlichen Zahlen in eine Menge \(M\), die jeder natürlichen Zahl \(n\in\mathbb{N}\) ein Element \(x_{n}\in M\) zuordnet.
Besonders interessant für uns sind Zahlenfolgen, bei denen alle Glieder komplexe Zahlen sind.
1.2 Folgen können explizit oder rekursiv definiert werden
Es gibt zwei wesentliche Möglichkeiten, eine Folge \((a_{n})\) zu definieren. Bei der expliziten Definition kann man durch eine Formel aus dem Index \(n\) direkt das Folgenglied \(a_{n}\) bestimmen. Bei der rekursiven Definition hat man den Startwert \(a_{1}\) und berechnet aus diesem mit einer Rekursionsvorschrift sukzessive alle weiteren Folgenglieder.
1.3 Elementare Eigenschaften von Zahlenfolgen
Bei einer beschränkten Zahlenfolge gibt es einen Kreis in der komplexen Zahlenebene, in dem alle Glieder der Folge liegen. Der Betrag der Folgenglieder kann also nicht beliebig groß werden, sondern übersteigt eine bestimmte endliche Größe niemals.
Reelle Zahlenfolgen können die Eigenschaft besitzen, monoton zu sein. Bei einer monoton wachsenden Folge werden die Glieder mit zunehmendem Index größer, bei einer monoton fallenden Folge werden sie mit zunehmendem Index kleiner.
1.4 Konvergenz
Die interessantesten Folgen sind solche, die konvergieren, also einen Grenzwert besitzen.
Definition des Grenzwerts einer Folge
Eine Zahl \(x\in\mathbb{C}\) heißt Grenzwert einer Folge \((x_{n})_{n=1}^{\infty}\) in \(\mathbb{C}\), wenn es zu jeder Zahl \(\varepsilon> 0\) eine natürliche Zahl \(N\in\mathbb{N}\) gibt, sodass
gilt. Eine Folge \((x_{n})\) in \(\mathbb{C}\), die einen Grenzwert hat, heißt konvergent, ansonsten heißt die Folge divergent.
1.5 Eine Folge besitzt höchstens einen Grenzwert
Ist eine Folge konvergent, so ergibt sich aus der Definition, dass der Grenzwert eindeutig bestimmt ist.
1.6 Jede konvergente Folge ist beschränkt
Eine konvergente Folge muss automatisch auch beschränkt sein. Die Folgenglieder können sich nicht beliebig weit vom Grenzwert entfernen.
Um nicht immer die Definition der Konvergenz bemühen zu müssen, gibt es Konvergenzkriterien. Beim Majorantenkriterium vergleicht man eine Folge mit einer Nullfolge, also einer Folge, die den Grenzwert Null besitzt.
Majorantenkriterium
Wenn es zu einer Folge \((x_{n})\) in \(\mathbb{C}\) eine Nullfolge \((y_{n})\) und einen Wert \(x\in\mathbb{C}\) gibt, sodass
gilt, dann konvergiert die Folge \((x_{n})\) gegen den Grenzwert \(x\).
1.7 Die Grundrechenarten übertragen sich auf das Rechnen mit Grenzwerten
Grenzwerte können auch direkt bestimmt werden, in dem man eine Folge als Summe, Produkt oder Quotient von Folgen schreibt, deren Grenzwerte bekannt sind. Für die Grenzwerte kann man dann die Grundrechenarten anwenden.
1.8 Lösungen der Fixpunktgleichung sind mögliche Grenzwerte
Bei rekursiv definierten Folgen kann man Kandidaten für den Grenzwert bestimmen, indem man Lösungen der Fixpunktgleichung berechnet. Die Fixpunktgleichung entsteht, indem man in der Rekursionsvorschrift auf beiden Seiten zum Grenzwert übergeht.
Um nachzuweisen, dass eine rekursiv definierte Folge tatsächlich konvergiert, kommt häufig das Monotoniekriterium zum Einsatz.
Monotoniekriterium
Jede beschränkte und monotone Folge reeller Zahlen ist konvergent.
Aufgaben
Die Aufgaben gliedern sich in drei Kategorien: Anhand der Verständnisfragen können Sie prüfen, ob Sie die Begriffe und zentralen Aussagen verstanden haben, mit den Rechenaufgaben üben Sie Ihre technischen Fertigkeiten und die Anwendungsprobleme geben Ihnen Gelegenheit, das Gelernte an praktischen Fragestellungen auszuprobieren.
Ein Punktesystem unterscheidet leichte Aufgaben •, mittelschwere •• und anspruchsvolle ••• Aufgaben. Lösungshinweise am Ende des Buches helfen Ihnen, falls Sie bei einer Aufgabe partout nicht weiterkommen. Dort finden Sie auch die Lösungen – betrügen Sie sich aber nicht selbst und schlagen Sie erst nach, wenn Sie selber zu einer Lösung gekommen sind. Ausführliche Lösungswege, Beweise und Abbildungen finden Sie auf der Website zum Buch.
Viel Spaß und Erfolg bei den Aufgaben!
2.1 Verständnisfragen
6.1
• Gegeben sei die Folge \((x_{n})_{n=2}^{\infty}\) mit \(x_{n}=(n-2)/(n+1)\) für \(n\geq 2\). Bestimmen Sie eine Zahl \(N\in\mathbb{N}\) so, dass \(|x_{n}-1|\leq\varepsilon\) für alle \(n\geq N\) gilt, wenn
-
(a)
\(\varepsilon=\frac{1}{10}\)
-
(b)
\(\varepsilon=\frac{1}{100}\)
ist.
6.2
• Stellen Sie eine Vermutung auf für eine explizite Darstellung der rekursiv gegebenen Folge \((a_{n})\) mit
und zeigen Sie diese mit vollständiger Induktion.
6.3
•• Zeigen Sie, dass für zwei positive Zahlen \(x,y> 0\) gilt
6.4
• Welche der folgenden Aussagen sind richtig? Begründen Sie Ihre Antwort.
-
(a)
Eine Folge konvergiert, wenn Sie monoton und beschränkt ist.
-
(b)
Eine konvergente Folge ist monoton und beschränkt.
-
(c)
Wenn eine Folge nicht monoton ist, kann sie nicht konvergieren.
-
(d)
Wenn eine Folge nicht beschränkt ist, kann sie nicht konvergieren.
-
(e)
Wenn es eine Lösung zur Fixpunktgleichung einer rekursiv definierten Folge gibt, so konvergiert die Folge gegen diesen Wert.
6.5
••• Beweisen Sie mit der Definition des Grenzwerts folgende Aussage: Wenn \((a_{n})\) eine Nullfolge ist, so ist auch die Folge \((b_{n})\) mit
eine Nullfolge.
2.2 Rechenaufgaben
6.6
• Untersuchen Sie die Folge \((x_{n})\) auf Monotonie und Beschränktheit. Dabei ist
-
(a)
\(x_{n}=\dfrac{1-n+n^{2}}{n+1}\),
-
(b)
\(x_{n}=\dfrac{1-n+n^{2}}{n(n+1)}\),
-
(c)
\(x_{n}=\dfrac{1}{1+(-2)^{n}}\),
-
(d)
\(x_{n}=\sqrt{1+\dfrac{n+1}{n}}\).
6.7
• Untersuchen Sie die Folgen \((a_{n})\), \((b_{n})\), \((c_{n})\) und \((d_{n})\) mit den unten angegebenen Gliedern auf Konvergenz.
6.8
• Berechnen Sie jeweils den Grenzwert der Folge \((x_{n})\), falls dieser existiert:
-
(a)
\(x_{n}=\dfrac{1-n+n^{2}}{n(n+1)}\),
-
(b)
\(x_{n}=\dfrac{n^{3}-1}{n^{2}+3}-\dfrac{n^{3}(n-2)}{n^{2}+1}\),
-
(c)
\(x_{n}=\sqrt{n^{2}+n}-n\),
-
(d)
\(x_{n}=\sqrt{4n^{2}+n+2}-\sqrt{4n^{2}+1}\).
6.9
•• Bestimmen Sie mit dem Einschließungskriterium Grenzwerte zu den Folgen \((a_{n})\) und \((b_{n})\), die durch
gegeben sind.
6.10
••• Untersuchen Sie die Folgen \((a_{n})\), \((b_{n})\), \((c_{n})\) bzw. \((d_{n})\) mit den unten angegebenen Gliedern auf Konvergenz und bestimmen Sie gegebenenfalls ihre Grenzwerte:
6.11
•• Zu \(a> 0\) ist die rekursiv definierte Folge \((x_{n})\) mit
und \(x_{0}\in(0,\frac{1}{a})\) gegeben. Überlegen Sie sich zunächst, dass \(x_{n}\leq\frac{1}{a}\) gilt für alle \(n\in\mathbb{N}_{0}\) und damit induktiv auch \(x_{n}> 0\) folgt. Zeigen Sie dann, dass diese Folge konvergiert und berechnen Sie ihren Grenzwert.
6.12
•• Für welche Startwerte \(a_{0}\in\mathbb{R}\) konvergiert die rekursiv definierte Folge \((a_{n})\) mit
2.3 Anwendungsprobleme
6.13
• Es sollen explizite Formeln für die Seitenlängen der Papierformate DIN A\(n\), DIN B\(n\) und DIN C\(n\) bestimmt werden. Für die Definition von DIN A\(n\) vergleiche das Anwendungsbeispiel auf S. 174. Die Seitenlängen von DIN B\(n\) ergeben sich als geometrisches Mittel entsprechende Längen von DIN A\((n-1)\) und DIN A\(n\), diejenigen von DIN C\(n\) als geometrisches Mittel der Längen von DIN A\(n\) und DIN B\(n\).
Bestimmen Sie explizite Darstellungen für die Folgen \((a_{n})\), \((b_{n})\) und \((c_{n})\) der jeweils längeren Seite der Formate DIN A\(n\), DIN B\(n\) bzw. DIN C\(n\).
6.14
• Die Folge \((x_{k})\) definiert durch
konvergiert gegen \(\sqrt{3}\) und liefert somit ein Verfahren zur numerischen Berechnung dieser Zahl. Vergleichen Sie dieses Verfahren mit dem Heron-Verfahren mit dem Startwert \(3\). Nach wie vielen Iterationsschritten sind jeweils ein, vier bzw. 12 Dezimalstellen korrekt bestimmt? Die auf 13 Stellen korrekte Dezimaldarstellung von \(\sqrt{3}\) lautet
6.15
•• Die Van-der-Waals-Gleichung,
beschreibt den Zusammenhang zwischen dem Druck \(p\), der Temperatur \(T\) und dem molaren Volumen \(V\) eines Gases. Dabei ist \(R=8.314\,472\,\mathrm{J}/(\mathrm{mol}\,\mathrm{K})\) die universelle Gaskonstante. Die Konstanten \(a\) und \(b\) werden Kohäsionsdruck bzw. Kovolumen genannt und sind vom betrachteten Gas abhängig. Für Luft betragen sie
Es soll nun das molare Volumen für Luft bei einer Temperatur von \(300\,\mathrm{K}\) und einem Druck von \(100\,\mathrm{kPa}\) näherungsweise bestimmt werden, indem eine Folge konstruiert wird, die gegen diesen Wert konvergiert.
-
(a)
Leiten Sie aus der Van-der-Waals-Gleichung eine Rekursionsvorschrift der Form
$$\displaystyle V_{n+1}=f(V_{n}),\quad n\in\mathbb{N}_{0},$$her, die die Eigenschaft
$$\displaystyle|V_{n+1}-V_{n}|\leq q\,|V_{n}-V_{n-1}|,\quad n\in\mathbb{N},$$mit einer Zahl \(q\in(0,1)\) besitzt, falls \(20\,\mathrm{l}/\mathrm{mol}\leq V_{n}\leq 30\,\mathrm{l}/\mathrm{mol}\) für alle \(n\in\mathbb{N}_{0}\) gilt.
-
(b)
Aus der in (a) bewiesenen Eigenschaft folgt mit Argumenten, wie sie in der Vertiefung auf S. 190 verwandt werden, dass die Folge der \((V_{n})\) für jeden Startwert \(V_{0}\) zwischen \(20\,\mathrm{l}/\mathrm{mol}\) und \(30\,\mathrm{l}/\mathrm{mol}\) konvergiert. Der Grenzwert \(V\) ist das gesuchte molare Volumen, und es gilt dabei die Abschätzung
$$\displaystyle|V-V_{n}|\leq\frac{q^{n}}{1-q}\,|V_{1}-V_{0}|,\quad n\in\mathbb{N}.$$Berechnen Sie das gesuchte molare Volumen auf 4 Dezimalstellen genau.
Antworten der Selbstfragen
Antwort 1
1. Beispiel: \(2\), \(4\), \(6\), \(8\), \(10\),…und \(1\), \(3\), \(5\), \(7\), \(9\), …
2. Beispiel: \(2\), \(9/4\), \(64/27\), \(625/256\), \(7\,776/3\,125,\) …
3. Beispiel: \(1\), \(3\), \(6\), \(10\), \(15\), \(21\), \(28\), …
Antwort 2
rekursiv: \(x_{0}=1\), \(x_{n}=3\cdot x_{n-1}\), \(n\in\mathbb{N}\)
explizit: \(x_{n}=3^{n}\), \(n\in\mathbb{N}_{0}\)
Antwort 3
Setze \(x:=\lim\limits_{n\to\infty}x_{n}\). Zu \(\varepsilon> 0\) wähle \(N\), sodass \(|x_{n}-x|<\varepsilon/2\) für alle \(n\geq N\). Dann ist
für alle \(n\geq N\). Die Folge der Differenzen bildet eine Nullfolge.
Antwort 4
Ein mögliches Beispiel ist \(x_{n}=(-1)^{n}\).
Antwort 5
-
1.
\(y_{n}=1/\sqrt{n}\)
-
2.
\(y_{n}=1/(2n)\)
-
3.
\(y_{n}=1/n^{2}\)
Antwort 6
Die Folge \((x_{n})\) mit \(x_{2k}=1/k\) und \(x_{2k-1}=k\) hat nur den einen Häufungspunkt \(0\), aber sie divergiert.
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Arens, T., Hettlich, F., Karpfinger, C., Kockelkorn, U., Lichtenegger, K., Stachel, H. (2018). Folgen – der Weg ins Unendliche. In: Mathematik. Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-56741-8_6
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-662-56741-8_6
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Publisher Name: Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg
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