1 Einleitung

Medikamentenabhängigkeit ist unter den stoffgebundenen Abhängigkeiten die unauffälligste Sucht, die vom Umfeld der Betroffenen und auch den Patienten selbst häufig nicht oder erst sehr spät wahrgenommen wird. Die Abgrenzung zwischen sachgerechtem Gebrauch und schädlichem oder abhängigem Gebrauch ist oft schwierig, insbesondere dann, wenn das Medikament zu Beginn zur Linderung von körperlichen oder psychischen Beschwerden verordnet wurde und – wie in den meisten Fällen – keine auffälligen Dosissteigerungen vorgenommen werden. Hat sich im Medikationsverlauf eine Abhängigkeit entwickelt, erfolgt die Einnahme jedoch nicht mehr zur Linderung der initialen Krankheitssymptome. Im Mittelpunkt stehen nun die Aufrechterhaltung der Sucht und die Beseitigung von Entzugssymptomen, die die Patienten nicht selten als eine Verschlimmerung ihrer ursprünglichen Symptomatik fehlinterpretieren. Darüber hinaus bleiben die Betroffenen nach außen meist weitgehend unauffällig. Dies mögen Gründe dafür sein, dass dem Thema Medikamentenabhängigkeit auch in Fachkreisen nur vergleichsweise eingeschränkte Aufmerksamkeit gewidmet wird, obgleich die Zahl der Betroffenen seit Jahren konstant hoch beziffert wird.

2 Darstellung der Störung

Schätzungen zufolge sind in Deutschland 1,4–1,5 Mio. Menschen medikamentenabhängig, darunter 1,1–1,2 Mio. Menschen von Benzodiazepinderivaten und weitere 300.000–400.000 von anderen Arzneimitteln (Glaeske und Hoffmann 2014). Populärwissenschaftliche Bezeichnungen wie Frauensucht, Alterssucht oder heimliche Sucht pointieren einzelne Besonderheiten dieser Störung: So sind zwei Drittel der Betroffenen weiblich, ihr Risiko einer Abhängigkeit steigt mit zunehmendem Alter deutlich an und die Betroffenen gelten als unauffällig und sozial integriert. Der Substanzkonsum ist nicht eindeutig wahrnehmbar wie etwa bei Alkohol (Fahne) und kognitive, emotionale oder körperliche Beeinträchtigungen infolge der Abhängigkeit setzen schleichend ein, sodass sie nur selten mit dem Konsum in Verbindung gebracht werden. Die »Unauffälligkeit« der Betroffenen spiegelt sich entsprechend auch in geringen Behandlungszahlen in der professionellen Suchtkrankenhilfe, die mit ca. 2.000 Fällen pro Jahr für den ambulanten und stationären Bereich alarmierend niedrig liegt (Steppan et al. 2014). Die meisten Behandlungsfälle gehen zudem auf Patienten mit sog. Hochdosisabhängigkeit bzw. gemischtem Konsum (zusätzlich Alkohol und/oder Drogen) zurück, während der größte Teil medikamentenabhängiger Menschen mit sog. Niedrigdosisabhängigkeit noch seltener in Behandlungsstatistiken auftritt. Letztere Form der Medikamentenabhängigkeit zeichnet sich durch geringe Dosissteigerungen aus, sodass die betroffenen Patienten innerhalb der therapeutisch vorgesehenen Dosisgrenzen bleiben, während im Fall der Hochdosisabhängigkeit massive Dosissteigerungen zu beobachten sind.

2.1 Medikamente mit Abhängigkeitspotenzial

Eine Abhängigkeitsdiagnose wird nur im Fall des Konsums psychotrop wirksamer Medikamente vergeben, d. h. Medikamente, die über zentralnervöse Mechanismen ihre Effekte auf das Erleben und Verhalten entfalten. Psychopharmaka zählen per definitionem zu den psychotrop wirksamen Medikamenten, verfügen zugleich jedoch nicht alle über ein Abhängigkeitspotenzial, d. h. die Fähigkeit, körperlich und/oder psychisch abhängig zu machen. Medikamentengruppen, die zu einer Abhängigkeit führen können, sind insbesondere:

  • Schmerzmittel

  • Schlaf- und Beruhigungsmittel

  • Anregungsmittel und Appetitzügler

Trotz steigender Verordnungszahlen opioidhaltiger Schmerzmittel in den letzten Jahren geht mit rund 70 % der überwiegende Anteil von Medikamentenabhängigkeit auf die Einnahme von Benzodiazepinen und Benzodiazepinagonisten zurück, die als Schlaf- und Beruhigungsmittel eingesetzt werden.

Das Abhängigkeitspotenzial der Medikamente wird durch die positiven psychotropen Effekte, insbesondere die euphorisierende Wirkung einer Substanz, vermittelt. Die Ausbildung von Toleranzeffekten und das Auftreten von Entzugssymptomen gelten als Hinweise für körperliche Abhängigkeit. Auf Toleranzentwicklung kann geschlossen werden, wenn bei gleichbleibender Dosierung verminderte Wirkung beklagt wird oder die Dosis gesteigert wird, um die erwünschte Wirkung wieder zu erzielen.

Die ICD-10 (Dilling et al. 1994) unterscheidet im Kap.1 (Substanzbezogene Störungen) neun psychotrope Substanzklassen. Abgesehen von Alkohol und Drogen werden vier Substanzklassen genannt, die als Medikamente zum Einsatz kommen. Die Art der Substanzklasse wird bei der ICD-10 an der dritten Stelle des Diagnoseschlüssels kodiert, während die vierte und fünfte Stelle das klinische Erscheinungsbild beschreiben (z. B. F13.24: Abhängigkeitssyndrom von Sedativa oder Hypnotika, gegenwärtiger Substanzgebrauch). Klassifikationscodes, Substanzklassen und Beispiele für entsprechende Medikamente sind in der Tab. 19.1 aufgelistet.

Tab. 19.1 Klassifikationscode und Substanzklassen nach ICD-10 sowie Beispielpräparate. (Mod. nach Elsesser und Sartory 2001, S. 7)
  • Insbesondere Opioide, aber auch Benzodiazepine besitzen euphorisierende Effekte, die gemeinsam mit Toleranzentwicklung und einsetzenden Entzugssymptomen zum Abhängigkeitspotenzial beitragen. Wirkung und Folgen von Non-Benzodiazepinen (sog. Z-Drugs mit den Inhaltsstoffen Zopiclon, Zolpidem und Zaleplon) werden inzwischen nahezu identisch mit denen bei Benzodiazepinen beschrieben. Opioide sind insbesondere in Antitussiva und in zentral wirksamen Analgetika enthalten. Sogenannte kleine Analgetika (z. B. Paracetamol, Azetylsalizylsäure) besitzen als Monopräparat kein Abhängigkeitspotenzial, bergen jedoch als Kombinationspräparate mit psychotropen Substanzen wie Koffein oder Kodein wiederum die Gefahr einer Abhängigkeitsentwicklung.

  • Psychostimulanzien verfügen neben einer euphorisierenden Wirkkomponente über antriebssteigernde und sexuell stimulierende Effekte. Sie vermindern das Schlafbedürfnis und hemmen Hungergefühle und Appetit. Aversive Nachwirkungen des Konsums, wie z. B. Heißhunger, depressive Symptome und Müdigkeit wecken den Wunsch nach erneutem Konsum von Stimulanzien und tragen, ebenso wie die Toleranzeffekte gegenüber den erwünschten psychotropen Effekten, zum Abhängigkeitspotenzial dieser Substanzklasse bei.

  • Halluzinogene spielen im Rahmen von Medikamentenabhängigkeit, gemessen an den Fallzahlen, eine untergeordnete Rolle. Es liegen vereinzelt Berichte über missbräuchlichen Konsum vor, der vor allem durch die antriebssteigernde und euphorisierende Wirkung der Halluzinogene motiviert ist.

2.2 Klinisches Bild der Medikamentenabhängigkeit

Im Zusammenhang mit Störungen durch psychotrope Medikamente sind in der psychotherapeutischen Praxis insbesondere die diagnostischen Kategorien Abhängigkeitssyndrom (F1x.2) und Entzugssyndrom (F1x.3) von besonderer Bedeutung. Die diagnostischen Kriterien des Abhängigkeitssyndroms sind substanzunspezifisch formuliert und so gleichermaßen für Abhängigkeit von Alkohol, illegalen Drogen oder Medikamenten anwendbar. Eine detaillierte Darstellung der Diagnosekriterien des Abhängigkeitssyndroms liefert Bd. II/17, das an dieser Stelle durch spezifische Aspekte im Zusammenhang mit Medikamenten ergänzt wird.

Im Wesentlichen können zwei Verlaufsformen der Medikamentenabhängigkeit unterschieden werden:

Konsum zu Rauschzwecken

Den Beginn dieser Verlaufsform markiert missbräuchlicher Konsum, d. h. die Substanzen werden nicht gemäß ihrer medizinischen Indikation, sondern aufgrund ihrer psychotropen Effekte (z. B. euphorisierend, antriebssteigernd, entspannend, schlafunterdrückend etc.) gezielt eingesetzt. Die Suche nach dem »Kick« oder Rausch steht im Vordergrund und Kombinationen mit anderen psychoaktiven Substanzen sind nicht unüblich (z. B. Alkohol, Kokain, Opiate, Amphetamine), um eine Effektsteigerung zu erzielen, Entzugssymptome zu mildern oder der Verschleierung bzw. Kompensation von bestimmten Substanzeffekten zu dienen. So werden etwa Benzodiazepine eingesetzt, um die anhaltend aufputschende Wirkung von Amphetaminen zu dämpfen. Für Alkohol und Hypnotika/Sedativa besteht eine Kreuztoleranz und -abhängigkeit, d. h. Toleranzeffekte gegenüber einer Substanz äußern sich auch in Toleranzeffekten gegenüber der Kreuzsubstanz. Kreuzabhängigkeit impliziert, dass eine Substanz zur Effektpotenzierung oder Substitution der anderen eingesetzt werden kann (Alkohol steigert/ersetzt Benzodiazepinwirkung und umgekehrt). Diese Form der Medikamentenabhängigkeit wird besonders bei jüngeren Patienten beobachtet. Über die Geschlechterverteilung in dieser Gruppe liegen kaum Zahlen vor, der Anteil von Männern und Frauen scheint jedoch eher vergleichbar hoch.

Iatrogener Anstoß

Die zweite Verlaufsform nimmt ihren Ausgang im Kontext von Behandlungen körperlicher und/oder psychischer Befindlichkeitsbeeinträchtigungen, wie z. B. Schlafstörungen, Nervosität, Schmerzen oder Ängsten. Im Wechselspiel von pharmakodynamischen und individuellen Faktoren treten je nach Wirkkomponente der Substanzen Toleranzeffekte unterschiedlich rasch ein: sedierende Effekte von Benzodiazepinen lassen bereits nach wenigen Tagen, anxiolytische Effekte innerhalb von ca. 6 Wochen nach. Mehrheitlich steigern die Patienten ihre Einnahmedosis dennoch nicht über den therapeutisch empfohlenen Dosisbereich hinaus, beklagen aber durchaus die verminderten Substanzeffekte. Dieses Phänomen der sog. Niedrigdosisabhängigkeit ist besonders bei Patienten mit Abhängigkeit von Sedativa/Hypnotika vom Typ der Benzodiazepine bekannt. Der explizite Verweis der diagnostischen Klassifikationssysteme, dass nicht nur Dosissteigerung, sondern auch verminderte Wirkung bei gleichbleibender Dosierung als Toleranzeffekt zu bewerten ist, trägt dieser Besonderheit der Medikamentenabhängigkeit Rechnung. Die betroffenen Patienten sind sich nicht notwendigerweise ihrer Abhängigkeit bewusst. Verminderte Wirkung wird als »Versagen des Medikamentes«, Entzugssymptome als verstärkte Rückkehr der vormals »erfolgreich medizierten« Beschwerden interpretiert und damit der weitere Verordnungswunsch begründet. Wenngleich die Niedrigdosisabhängigkeit als typischer Verlauf im Kontext iatrogen verursachter Abhängigkeit zu beschreiben ist, sind andere Verläufe nicht ausgeschlossen, die durch massive Dosissteigerungen und weitere markante Hinweise auf abhängiges Verhalten (z. B. Verschleierung des hohen Konsums durch Inanspruchnahme mehrerer verordnender Ärzte, Schwarzmarkteinkäufe, sozialer Rückzug etc.) gekennzeichnet sind.

Medikamentenabhängigkeit im Spiegel öffentlicher Berichterstattung

Das öffentliche Bild über mögliche Formen der Medikamentenabhängigkeit ist vage und wird durch Berichte über bekannte Personen, die zugleich exzessiven Konsum weiterer Suchtmittel betrieben (z. B. Elvis Presley, Marilyn Monroe, Kurt Cobain), dominiert. Nur vereinzelt wird auch über reine Medikamentenabhängigkeit berichtet. Nachrichtenwert erlangen jedoch auch dabei nur Fälle exzessiven Medikamentenkonsums, wie etwa im Falle von Michael Jackson. Neben einseitiger Berichterstattung trägt auch fehlende Aufklärung dazu bei, dass die Niedrigdosisabhängigkeit ein eher unbekanntes Phänomen geblieben ist und sich sowohl in Fachkreisen als auch bei den Betroffenen nur zögerlich ein entsprechendes Problembewusstsein entwickelt.

Befunde zu Merkmalen und Prädiktoren der Abhängigkeit von Benzodiazepinen (Überblick bei Elsesser und Sartory 2001), der häufigsten Form von Medikamentenabhängigkeit, zeichnen als typisches Bild von Medikamentenabhängigen das von Frauen über 40 Jahren, die zugleich über eine Reihe somatischer und/oder psychischer Beschwerden klagen. Zwischenzeitlich auftretende Verschlechterungen der Beschwerden sind prädiktiv für die Entwicklung einer Benzodiazepinabhängigkeit. Dieser Befund ist besonders alarmierend, da berichtet wurde, dass der Konsum von Benzodiazepinen zugleich zur Entwicklung neuer psychischer (insbesondere Panikattacken und Agoraphobie) und psychosomatischer Störungen (gastroenterologische und neurologische Beschwerden) beiträgt. Als Prädiktor der Abhängigkeitsentwicklung gilt daneben die Dauer des bisherigen Medikamentenkonsums. Betroffene Männer berichten häufiger über berufliche Schwierigkeiten, die im Verlauf des Konsums noch zunahmen. Für beide Geschlechter wurde eine Häufung gestörter Partnerbeziehungen beschrieben. Die Medikamente werden insbesondere von Frauen als Strategie zur Lebensbewältigung eingesetzt (Augustin et al. 2005).

Abweichend von diesem Bild sind Patienten mit Abhängigkeit von Stimulanzien im Mittel deutlich jünger und besonders in der Gruppe der 20- bis 34-Jährigen zu finden.

Die auffälligsten Abhängigkeitssymptome bei Medikamentenabhängigen bildeten in der Untersuchung von Kraus und Augustin (2001) folgende Rangfolge:

  1. 1.

    Substanzgebrauch länger oder in größeren Mengen als beabsichtigt. Beispielsweise werden gute Vorsätze immer wieder gebrochen, darunter z. B. nur eine Tablette am Morgen zu nehmen und nicht, wie schon so oft, noch zusätzlich bei Stress die Dosis zu ergänzen, oder nur noch die eine Packung aufzubrauchen und dann damit aufzuhören.

  2. 2.

    Fortgesetzter Gebrauch trotz schädlicher Folgen. Dazu zählt z. B. das Wissen um die Abhängigkeitsgefahr der Medikamente, auf die im Beipackzettel hingewiesen wird.

  3. 3.

    Verminderte Kontrolle über den Substanzgebrauch. Wiederholte Versuche, den Konsum einzuschränken und/oder erfolglose Entzugsversuche.

  4. 4.

    Anzeichen von körperlicher Abhängigkeit (Toleranz und Entzugssymptome).

  5. 5.

    Hoher Zeitaufwand für Beschaffung, Gebrauch oder Erholung vom Substanzkonsum. Im Vergleich zu anderen Abhängigkeitserkrankungen ist der Zeitaufwand für Beschaffung, Gebrauch oder Erholung vom Substanzkonsum bei Medikamentenabhängigkeit eher von untergeordneter Bedeutung.

2.2.1 Entzugssyndrom

Das Entzugssyndrom ist ein Kriterium des Abhängigkeitssyndroms und daher immer auch in Erwägung zu ziehen, wenn eine Abhängigkeit vorliegt. Ist das Entzugssyndrom Grund für die aktuelle Konsultation, wird es als eigenständige Diagnose vergeben, wobei folgende Kriterien erfüllt sein müssen:

  • charakteristische Symptome nach der Reduktion oder dem vollständigen Absetzen einer Substanz (relativer oder absoluter Entzug),

  • vorausgegangener langdauernder oder auch einmaliger Konsum hoher Substanzdosen und

  • die Symptome sind nicht durch eine andere körperliche/psychische Störung erklärbar.

Die charakteristischen Symptome des Entzugs sind von der Art der konsumierten Substanz bzw. Substanzklasse abhängig. Einen Überblick dazu gibt Tab. 19.2 beispielhaft für den Opioid- bzw. Sedativa-/Hypnotikaentzug.

Tab. 19.2 Charakteristische Symptome bei Opioid- bzw. Sedativa-/Hypnotikaentzug nach ICD-10

Kernsymptom des Stimulanzienentzugs sind Affektstörungen, die zusätzlich durch Beschwerden wie Müdigkeit, psychomotorische Unruhe oder Verlangsamung, Craving, Appetitsteigerung, Schlafstörungen und heftige Träume begleitet werden. Die Beschwerden sind mit einer Dauer von etwa einer Woche vergleichsweise kurz anhaltend. Für den Halluzinogenentzug ist kein charakteristisches Symptombild beschrieben.

Entzugssymptome sind immer zeitlich begrenzt, wobei Beginn und Dauer der Symptomatik von der Art der eingenommenen Substanz abhängig sind.

So können im Opioidentzug bereits wenige Stunden nach der letzten Einnahme Entzugssymptome auftreten, die ihr Intensitätsmaximum innerhalb von rund drei Tagen erreichen und nach ein bis zwei Wochen wieder abgeklungen sind. Intensität und Dauer des Entzugs wird durch die Halbwertzeit (HWZ = Zeit, in der der Blutspiegel einer Substanz auf die Hälfte des Wertes der maximalen Konzentration abgesunken ist) der konsumierten Substanz mitbestimmt. Im Entzug von Benzodiazepinen treten erste Symptome bei Präparaten mit kurzer Halbwertzeit ebenfalls innerhalb von 24 h auf, während bei Präparaten mit langer HWZ erst nach mehreren Tagen (vier bis sieben Tage) Entzugssymptome in Erscheinung treten. Insgesamt ist die Intensität im Benzodiazepinentzug eher fluktuierend (frühes Intensitätsmaximum sensomotorischer Symptome, spätes Intensitätsmaximum gastrointestinaler Symptome) und die Beschwerden klingen erst nach vier bis sechs Wochen ab. Die Intensität der Entzugssymptome des Sedativa-/Hypnotikaentzugs kann durch das Entzugsregime beeinflusst werden. Schwerwiegende (z. B. Entzugspsychosen oder Krampfanfälle) und intensivere Symptome sind eher Kennzeichen des abrupten Entzugs, während ein allmähliches Ausschleichen (graduierter Entzug) mit schwächeren und weniger schwerwiegenden Symptomen einhergeht. Etwa 10–15 % der benzodiazepinabhängigen Patienten leiden z. T. weit über den Zeitraum von sechs Wochen hinaus unter Entzugsbeschwerden (sog. prolongiertes Entzugssyndrom; Ashton 1995).

In den Diagnosekatalogen sind lediglich die am häufigsten zu beobachtenden Entzugssymptome aufgelistet. Darüber hinaus können eine Vielzahl weiterer Beschwerden auftreten, die etwa im Benzodiazepinentzug sowohl als psychische und als kognitive Symptome (z. B. Ängste: diffus, phobisch, panisch, affektive Symptome, Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme), wie auch als somatische Beschwerden (z. B. Mundtrockenheit, Appetitlosigkeit, schmerzende, tränende Augen) und Perzeptionsstörungen (z. B. Überempfindlichkeit gegenüber sensorischen Reizen, Brennen/Kribbeln der Haut, metallischer Geschmack) in Erscheinung treten. In der Regel ist besonders mit einer Verstärkung der Beschwerden zu rechnen, die ursprünglich zur Einnahme führten bzw. diese aktuell aufrechterhalten haben.

2.3 Epidemiologische Daten

Konsum psychotroper Medikamente. In der letzten Repräsentativerhebung zum Gebrauch psychoaktiver Substanzen (inkl. Antidepressiva, Neuroleptika und Anabolika) aus dem Jahre 2012 (Kraus et al. 2013) gaben 20,3 % der Männer und 26,4 % der Frauen im Alter von 18–64 Jahren an, mindestens einmal pro Woche psychoaktive Medikamente zu konsumieren. In der Altersgruppe der 50- bis 59-Jährigen lag dabei der Anteil sowohl bei Männern mit 23,2 % als auch bei Frauen mit 31,6 % am höchsten. 9,2 % der Befragten berichteten einen als problematisch einzuordnenden, täglichen Konsum in den letzten 30 Tagen, womit im Vergleich zur früheren Repräsentativerhebungen ein Anstieg um 1 % zu verzeichnen ist. Neue Versorgungs- und Beschaffungsmöglichkeiten für Medikamente (z. B. über das Internet) werden in Zusammenhang mit der steigenden Rate problematischen Konsums diskutiert.

Verteilt auf die einzelnen Gruppen psychoaktiver Medikamente wurden in den letzten 30 Tagen täglich am häufigsten Schmerzmittel (4,2 %) eingenommen, gefolgt von Beruhigungsmitteln (1,2 %) und Schlafmitteln (0,8 %). Anregungsmittel (0,3 %) und Appetitzügler (0,1 %) werden vergleichsweise selten konsumiert. Mit Ausnahme der beiden zuletzt genannten Substanzgruppen liegen die Prävalenzwerte des Medikamentenkonsums bei Frauen über denen der Männer. Den Daten von Augustin et al. (2005) zufolge gaben die meisten Befragten an, grundsätzlich zu versuchen, ohne Medikamente auszukommen, während ein Fünftel der Befragten Medikamente als Mittel zur Lebensbewältigung beschrieb. Insbesondere Frauen sahen sich häufiger als Männer außer Stande, den Tag ohne Medikamente durchzustehen, fühlten sich häufiger ohne Medikamente nicht als vollwertiger Mensch und waren weniger geneigt, auf Beruhigungs- und Schlafmittel zu verzichten.

Für die Einstellung, Medikamente zur Bewältigung kritischer Situationen einzusetzen, wurde ein bedeutsamer Zusammenhang mit problematischem Medikamentenkonsum, d. h. ein auf Abhängigkeit bzw. Missbrauch deutendes Einnahmeverhalten, nachgewiesen (Augustin et al. 2005).

Medikamentenabhängigkeit.

Die 12-Monatsprävalenz von Medikamentenmissbrauch und -abhängigkeit beziffern Jacobi et al. (2014) in Deutschland mit 2,1 %. In der Repräsentativbefragung von 2012 (Kraus et al. 2013) wurden 3,4 % der Befragten (18- bis 64-Jährige) als abhängig von psychoaktiven Medikamenten eingestuft. Die vorgelegten Zahlen unterschätzen jedoch eher die Prävalenzen, da die besonders gefährdete Gruppe der über 64-Jährigen, die die meisten Langzeitverordnungen von Psychopharmaka erhalten, nicht in die Stichprobe einbezogen wurde. Als Hinweise auf eine hohe Rate abhängigen Verhaltens sind auch das Ergebnis der Studie von Linden et al. (1998) zu werten:

Mehr als zwei Drittel der Benzodiazepin-Langzeitkonsumenten aus Allgemeinarztpraxen verweigerten eine Medikationspause bzw. den Entzug ihrer Medikamente.

Entzugssyndrom

Schwierigkeiten beim Entzug von Benzodiazepinen sind etwa bei 50–80 % der Langzeitkonsumenten beobachtet worden, d. h. also bei den Patienten, die das Medikament über einen Zeitraum von einem Jahr und länger eingenommen haben. Eine »sichere« Einnahmedauer kann nicht bestimmt werden, da einzelne Benzodiazepine über ein unterschiedliches Abhängigkeitspotenzial verfügen und – je nach Präparat – Entzugssymptome z. T. bereits nach 10 Tagen (Triazolam), in anderen Fällen erstmals nach 6 Wochen (Diazepam) beobachtet wurden. Es ist davon auszugehen, dass nach dreimonatiger Einnahmedauer von Benzodiazepinen mindestens 25 % der Patienten Entzugssymptome entwickeln und diese Rate auf rund 80 % ansteigt, wenn die Medikamente ein Jahr oder länger eingenommen wurden (Glaeske und Hoffmann 2014).

Zur Prävention einer Abhängigkeitsentwicklung und mangels Nachweis von Langzeiteffekten dürfen Sedativa/Hypnotika gemäß Arzneimittelrichtlinie nur bis maximal 4 Wochen verordnet werden. Darüber hinaus gehende Verordnungen sind besonders zu begründen (Arzneimittelrichtlinien 2015).

2.4 Komorbidität

Medikamentenabhängigkeit ist durch eine hohe Rate komorbider Störungen gekennzeichnet. Als iatrogene Störung nimmt sie ihren Ausgang im Bemühen um Gesundung von körperlichen und/oder psychischen Beschwerden. Zugleich kann die langfristige Medikation wiederum in einer Reihe weiterer Störungen und Komplikationen (Bruchverletzungen nach Stürzen infolge von Sedierungseffekten, depressive Symptome, kognitive Beeinträchtigungen etc.) münden (Überblick bei Lader 2011). Die häufigsten komorbiden Störungen bei Patienten mit Sedativa-/Hypnotikaabhängigkeit sind (Überblick bei Elsesser und Sartory 2001):

  • Angststörungen (31–43 %),

  • Schlafstörungen (ca. 35 %),

  • Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit (16–53 %),

  • Depression (20–33 %) und

  • komorbide Persönlichkeitsstörungen (53 %).

Hohe Komorbidität mit alkoholbezogenen Störungen steht im Zusammenhang mit der beschriebenen Kreuzabhängigkeit und -toleranz von Alkohol und Sedativa/Hypnotika: Die Effekte der jeweils anderen Substanz können ersetzt oder gesteigert werden. Gleichzeitig führen wechselseitige Toleranzeffekte zu rascherer Abhängigkeitsentwicklung vor allem bei bereits bestehender Toleranz bzw. Abhängigkeit gegenüber einer der beiden Substanzklassen.

Benzodiazepine sind bei Depression kontraindiziert, da sie eine Verstärkung der Symptomatik und Suizidtendenzen zur Folge haben können.

Dennoch werden diese Medikamente auch zur Behandlung von Depression verschrieben. Es ist jedoch davon auszugehen, dass ein großer Teil komorbider Depression eine Folge des Substanzkonsums ist bzw. sekundär zur Abhängigkeit und weiteren komorbiden Störungen auftritt. Da Benzodiazepine insbesondere zur Anxiolyse und Sedierung verordnet werden, verwundern die hohen Komorbiditätsraten zu Angst- und Schlafstörungen nicht.

Bei Opioidabhängigkeit stehen komorbide Schmerzstörungen im Vordergrund, zugleich fällt jedoch eine erhöhte Rate komorbider Abhängigkeit von anderen psychotropen Medikamenten, insbesondere Benzodiazepinen, bei Depression und Angststörungen auf (Amari et al. 2011).

2.5 Diagnostik

Wie bereits eingangs dargestellt, sind Patienten mit Medikamentenabhängigkeit unauffällig und es ist davon auszugehen, dass eine hohe Dunkelziffer auch unter den Patienten psychotherapeutischer Praxen besteht.

Nur ein verschwindend geringer Teil der Betroffenen konsultiert aufgrund dieser Problematik Ärzte bzw. Psychotherapeuten.

Screening

Als ein ökonomisches und in der Routinediagnostik einsetzbares Screeningverfahren ist der von Watzl et al. (1991) entwickelte Kurzfragebogen zum Medikamentengebrauch (abgedruckt in Elsesser und Sartory 2001) zu empfehlen. Werden insgesamt mehr als vier der 12 Items positiv beantwortet, weist dies auf problematischen Medikamentengebrauch hin, der diagnostisch weiter abzuklären ist.

Diagnostische Interviews

Zur Verifizierung von Verdachtsdiagnosen können gängige strukturierte klinische Interviews herangezogen werden (z. B. Strukturiertes klinisches Interview für DSM-IV, SKID; Diagnostisches Interview für psychische Störungen, DIPS; Bd. I/20), die zugleich die Diagnostik weiterer komorbider Störungen erlauben. Steht die Abhängigkeitsdiagnose im Vordergrund, bietet sich der Einsatz des »Substance Abuse Modul des Composite Diagnostic Interviews« (CIDI-SAM; Lachner und Wittchen 1996) an, das neben der Diagnosestellung Aussagen über Beginn, Persistenz und Schweregrad der Störung erlaubt und dabei die drei Substanzgruppen Tabak/Nikotin, Alkohol und andere psychotrope Substanzen berücksichtigt.

Therapieverlauf

Das Trierer Inventar für Medikamentenabhängige (TIM; Funke et al. 2001) ist ein Instrument zur Erfassung suchtbezogener Erlebens- und Verhaltensweisen von bereits als medikamentenabhängig diagnostizierten Personen. Mit fünf Skalen werden verschiedene Aspekte des Medikamentenkonsums erfasst, die für die therapeutische Planung genutzt werden können:

  • negative Folgen des Konsums,

  • positive Folgen und Funktionalität,

  • süchtig auffälliger Konsum,

  • Medikamente als Lebenshilfe,

  • Absetzversuche und

  • polyvalenter Konsum.

Ergänzend liegen zwei Skalen zu Themen der Partnerschaft vor. Der Fragebogen kann über das Internet als PDF-File (vgl. Literaturverzeichnis) bezogen werden (Funke 2003).

Substanzspezifische Symptomlisten zur Erfassung von Entzugsbeschwerden und deren Verlauf liegen für Opioide (Loimer et al. 1988) und Sedativa/Hypnotika (Elsesser und Sartory 2001) vor. In der Eingangs- und Verlaufsdiagnostik sollten daneben Skalen zur Erfassung von Angst und Depression eingesetzt werden. Hohe Ängstlichkeit und/oder Depression vor Beginn bzw. im Verlauf können den Entzugserfolg gefährden und erfordern zusätzliche Behandlungsmaßnahmen (Bd. II/19.3.2).

Medizinisches Konsil

Vor einem Medikamentenentzug sind, neben der üblichen Abklärung organischer Ursachen der beklagten psychischen Symptomatik, weitere Themen aus medizinischer Sicht zu klären: Dazu gehört in erster Linie die Notwendigkeit der Medikation und die Abklärung möglicher Komplikationen im Entzug.

So ist von einem Entzug der Medikamente mit Abhängigkeitspotenzial abzusehen, wenn diese Substanzen die einzig wirksame Behandlungsstrategie schwerwiegender körperlicher Erkrankungen darstellen (z. B. Benzodiazepine bei Epilepsie, opioidhaltige Analgetika bei schweren, anders nicht kontrollierbaren Schmerzen).

Die Abklärung möglicher Komplikationen im Entzug bezieht sich auf konstitutionelle Faktoren des Patienten und auf potenzielle Effekte weiterer Medikamente des Patienten auf den Entzugsverlauf. Entzugssymptome sind nicht vital bedrohlich. Bei einzelnen, vorbelasteten Patienten kann es aber durchaus zu einer deutlichen Verschlechterung organischer Beschwerden kommen (z. B. kardiovaskuläre Entzugssymptome bei bestehender Herzerkrankung), die eine Abklärung der organischen Belastbarkeit erfordern. Entzugskomplizierende Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten sind z. B. für Antipsychotika berichtet worden, wobei nach abruptem Entzug der Benzodiazepine ein erhöhtes Risiko für epileptische Anfälle festgestellt wurde.

3 Störungskonzept

Es bestehen zwei Forschungszweige unter den Störungskonzepten:

  • der eine ist hauptsächlich biologisch ausgerichtet und

  • der andere macht vor allem psychologische Faktoren für die Abhängigkeit verantwortlich.

Die biologische Forschung wird hinsichtlich der Abhängigkeitsmechanismen in erster Linie an Tieren durchgeführt. Obwohl anzunehmen ist, dass grundlegende physiologische Mechanismen der Medikamentenwirkung bei Mensch und Tier ähnlich sind, ist zu vermuten, dass soziokulturelle Faktoren bei der Abhängigkeit von Menschen zusätzlich eine wesentliche Rolle spielen. Nun besteht aber eine grundsätzliche Schwierigkeit der Untersuchungen bei Patienten darin, dass sie erst retrospektiv nach Eintritt der Abhängigkeit durchgeführt wurden. Es ist daher häufig nicht klar unterscheidbar, welche Merkmale vorher vorhanden waren und vielleicht die Abhängigkeit ausgelöst haben bzw. erst mit der Abhängigkeit entstanden sind.

3.1 Physiologische Wirkungsweise psychoaktiver Substanzen

Psychoaktive Substanzen entfalten ihre Wirkung indem sie auf die Neurotransmittersysteme des Gehirns einwirken. Sie können deren Aktivität blockieren oder anregen und so die Weiterleitung von Signalen zwischen den Nervenzellen verändern.

Da sich Neurotransmittersysteme gegenseitig beeinflussen und auch mit den Hormonsystemen und der autonom-vegetativen Aktivierung in Verbindung stehen, ist der Einfluss psychoaktiver Substanzen meistens generell.

So ist die Veränderung der Befindlichkeit, z. B. eine beruhigende Wirkung, mit verlangsamten kognitiven Verarbeitungsprozessen und längeren Reaktionszeiten gekoppelt. Manche Medikamente sind jedoch spezifisch auf einen oder wenige Rezeptortypen ausgerichtet. Viele Hirnareale weisen eine Anhäufung bestimmter Rezeptorentypen auf und bedienen sich damit bevorzugt eines Neurotransmitters. Die Funktion dieser Areale wird dann auch am stärksten durch die spezifisch auf sie wirkenden Medikamente verändert. Die unmittelbare pharmakologische Wirkung von Substanzen auf das Gehirn ist weitgehend erforscht, während über die Veränderungen hirnphysiologischer Prozesse durch die Langzeiteinnahme von Substanzen noch vielfach Unklarheit besteht.

3.1.1 Sedativa

Barbiturate

Barbiturate blockieren generell Neurotransmissionsprozesse des Gehirns und haben damit eine stark sedierende Wirkung. Hauptsächlich beeinflusst wird ein bestimmtes Areal, die Formatio reticularis, die eine unspezifisch aktivierende Wirkung auf die Hirnrinde ausübt. Bei erhöhter Dosis werden auch lebenswichtige Funktionen wie die Atmung unterbunden, womit bei diesen Medikamenten die Gefahr der zufälligen oder absichtlichen Selbsttötung besteht. Die Schmerzwahrnehmung ist übrigens von der allgemeinen Dämpfung sensorischer Funktionen ausgenommen. Schmerzen werden bei Einnahme von Barbituraten noch bis zur Erreichung des Komas empfunden.

Benzodiazepine

Benzodiazepine üben ihre Wirkung über das GABA-System (Gamma-Aminobuttersäure) aus. Sie werden an spezifische Rezeptoren des GABAergen Systems gebunden und verstärken dort die hemmende Wirkung des Neurotransmitters. GABA wird von 20–40 % aller Neuronen abgesondert und ist im Gehirn weit verbreitet. Eine hohe Rezeptorendichte wurde im limbischen System (z. B. Hypothalamus und Hippocampus), in der Formatio reticularis, im Cerebellum, in den Basalganglien und der Hirnrinde gefunden (Abb. 19.1). Es ist zu vermuten, dass die anxiolytische Wirkung durch die Hemmung der Aktivität im limbischen System zustande kommt. Des Weiteren ist die muskelentspannende und antikonvulsive Wirkung auf die hemmende Wirkung der Medikamente auf Cerebellum und Basalganglien zurück zu führen und die allgemein dämpfende Wirkung auf die Hemmung der Formatio reticularis und der Hirnrindenareale. Die Gedächtnisstörungen, die bei Einnahme von Benzodiazepinen entstehen können, gehen auf deren hemmende Wirkung auf den Hippocampus zurück.

Abb. 19.1
figure 1figure 1

Wirkungsbereiche der Benzodiazepine. (Aus Elsesser und Sartory 2001, S. 31; mit freundlicher Genehmigung von Hogrefe)

Zwei Prozesse werden für die Toleranz und die Entzugssysteme nach Beendigung der Langzeiteinnahme verantwortlich gemacht:

  1. 1.

    Es ist anzunehmen, dass die Produktion von endogenen (körpereigenen) hemmenden Substanzen bei langzeitiger Einnahme von Benzodiazepinen reduziert oder weitgehend eingestellt wird. Infrage kommen dabei GABA selbst, wenn seine Aktivität durch die Benzodiazepine über längere Zeit verstärkt wurde oder ein endogener Ligand, der eine ähnliche Wirkung wie Benzodiazepine ausübt (da spezifische Rezeptoren für Benzodiazepine bestehen, ist auch von endogenen Liganden auszugehen).

  2. 2.

    Weiterhin werden Veränderungen der Rezeptorsensibilität verantwortlich gemacht. Die durch die Benzodiazepine verstärkt gehemmten Neurotransmittersysteme reagieren kompensatorisch mit einer erhöhten Rezeptordichte und -empfindlichkeit (Hinaufregulation). Beide Prozesse erfolgen graduell, wodurch die zunehmende Toleranz erklärbar ist. Bei Beendigung der Langzeiteinnahme wird die GABA-Produktion wieder hinaufgefahren bzw. die Rezeptorempfindlichkeit der – nun nicht mehr gehemmten – Neurotransmittersysteme hinunterreguliert.

3.1.2 Opioide

Es wurden im Gehirn spezifische Opiatrezeptoren identifiziert, die den Schluss zulassen, dass es auch endogene (körpereigene) Substanzen gibt, die eine ähnliche molekulare Struktur und physiologische Wirkung wie Opiate haben. Es sind dies die Endorphine (»endogenous morphinelike substances«), zu denen auch Enkephalin gehört. Sie werden bei Mensch und Tier bei Schmerzen und belastenden Ereignissen vermehrt produziert und stellen somit ein körpereigenes Schmerzmittel dar (Abb. 19.2).

Abb. 19.2
figure 2figure 2

Präsynaptische Hemmung durch enkephalinerge Neurone. Die Bindung von Enkephalin an Opioidrezeptoren hemmt die Ausschüttung von Neurotransmittern, wie der Substanz P, und damit die Weiterleitung von Schmerzimpulsen. Auch Narkotika wie Morphium werden an die Opioidrezeptoren gebunden und entfalten so ihre analgetische (schmerzhemmende) Wirkung. (Aus Elsesser und Sartory 2001, S. 29; mit freundlicher Genehmigung von Hogrefe)

Bei Depression und dem chronischen Schmerzsyndrom ist die Konzentration der Endorphine reduziert. Eine hohe Rezeptordichte ist im Rückenmark nachgewiesen worden, wo sie vermutlich eine schmerzdämpfende Wirkung auf die aufsteigenden sensorischen Bahnen ausüben. In subkortikalen Kernen, die die Atmung und damit auch den Hustenreflex regulieren, haben sie ebenfalls eine beruhigende Wirkung. Darüber hinaus wurde eine erhöhte Rezeptordichte im limbischen System (Hypothalamus, Hippocampus und Amygdala) und in der Hirnrinde nachgewiesen, die vermutlich für die stimmungsaufhellende und bewusstseinsverändernde Wirkung von Opiaten verantwortlich ist. Weitere Kerne mit hoher Rezeptordichte sind der Locus coeruleus, der größte Noradrenalinproduzent des Gehirns, und der Nucleus accumbens, der mit dem Belohnungssystem des Gehirns in Verbindung gebracht wurde.

3.1.3 Stimulanzien

Amphetamin hat eine anregende Wirkung auf das gesamte Nervensystem, indem es die Freisetzung von Katecholaminen bewirkt, in erster Linie Noradrenalin und Dopamin, aber bei hoher Dosis auch Serotonin. Es wird die Formatio reticularis stimuliert, die ihrerseits auf die gesamte Hirnrinde unspezifisch exzitatorische Impulse projiziert. Eine spezifische anregende Wirkung hat Amphetamin auf das Atemzentrum und auf Bereiche des Hypothalamus, die das Hungergefühl regulieren, weshalb Amphetamin auch als Appetitzügler eingesetzt wird. Längerfristige Einnahme führt zu einer Abnahme der postsynaptischen Rezeptordichte des katecholaminergen Neurotransmittersystems.

Die Einnahme von Amphetamin führt zur Steigerung der Aufmerksamkeit, Stimmungsaufhellung und Zunahme des Selbstvertrauens. Es kommt zu erhöhter motorischer Aktivität und Sprechverhalten. Die belohnende Wirkung wird mit der Aktivierung des Nucleus accumbens in Verbindung gebracht. Bei hoher Dosis – und vermutlich als Folge der verstärkten Dopamin- und Serotoninfreisetzung – können psychotische Symptome auftreten.

3.2 Modelle der Medikamentenabhängigkeit

Es wurde eine Reihe von Faktoren für die Entstehung der Medikamentenabhängigkeit verantwortlich gemacht. Im Wesentlichen können vier Erklärungsansätze unterschieden werden:

  1. 1.

    soziokulturelle Faktoren,

  2. 2.

    Persönlichkeitsmodelle,

  3. 3.

    Lernerfahrung und

  4. 4.

    genetische Faktoren.

Im Verlauf der Abhängigkeitsentwicklung können unterschiedliche Faktoren entscheidend sein. So sind wahrscheinlich anfänglich soziokulturelle Faktoren wie etwa die Akzeptanz von Medikamenten entscheidend, gefolgt von Lernerfahrungen wie der verstärkenden Wirkung der Linderung von Anspannung, bis schließlich die körperliche Abhängigkeit die Medikamenteneinnahme aufrecht erhält.

3.2.1 Soziokulturelle Faktoren

Es bestehen Unterschiede zwischen den Ländern hinsichtlich der Verordnungsgewohnheiten von Ärzten. In manchen Ländern wie Belgien, Spanien, England und Deutschland werden Tranquilizer häufiger verordnet als in anderen europäischen Ländern. Diese Unterschiede in der Verfügbarkeit – bedingt durch die Verordnungsgewohnheiten – führen auch dazu, dass Medikamentenabhängigkeit in manchen Ländern häufiger auftritt als in anderen.

Personengruppen unterscheiden sich aber auch hinsichtlich der Akzeptanz von Medikamenteneinnahme bei psychischen Problemen. So sind Mitglieder der unteren sozioökonomischen Schicht eher geneigt, Medikamente einzunehmen, während Personen der mittleren sozioökonomischen Schicht bei psychischen Problemen eher Psychotherapien beanspruchen. Beruhigungsmittel werden auch eher von Frauen als von Männern eingenommen und auch zunehmend mit höherem Alter.

3.2.2 Persönlichkeitsmodell

Nach der Einnahme von Tranquilizern setzt bei manchen Personen sehr schnell eine Abhängigkeit ein, während es anderen gelingt, die Medikamente nur bei Bedarf einzunehmen. Solche Beobachtungen führten zur Annahme, dass die Vulnerabilität für Abhängigkeit einen Persönlichkeitsfaktor darstellt. Diese »Suchtpersönlichkeit« sei von erhöhter Ängstlichkeit, Depression, aber auch Impulsivität und antisozialen Tendenzen geprägt. Abhängige Personen zeigten auch hohe Scores in den jeweiligen Fragebogen. Doch ist unklar, ob diese Persönlichkeitszüge bereits vor der Entstehung der Abhängigkeit bestanden oder ob sie eine Folge der Abhängigkeit sind. Bei einer prospektiven Untersuchung, die zuerst an Kindergartenkindern durchgeführt wurde, die später in ihrer Adoleszenz wieder untersucht wurden (Masse und Tremblay 1997), fielen spätere Drogenkonsumenten durch frühe Impulsivität, antisoziales Verhalten, »sensation seeking« und Depression auf. Doch sind diese Merkmale nicht spezifisch für späteren Substanzmissbrauch und -abhängigkeit, sondern Ausgangspunkt für eine breite Palette psychischer Störungen. Aus den bisherigen Befunden kann somit nicht auf das Vorhandensein einer »Suchtpersönlichkeit« geschlossen werden.

3.2.3 Lernerfahrungen

Verstärkung durch Linderung aversiver Zustände

Dieses Modell macht die verhaltensverstärkende Wirkung von Substanzen für die Entwicklung der Abhängigkeit verantwortlich. Die Einnahme von Medikamenten führt zur Linderung von Schmerzen oder Anspannung und damit zu einem angenehmeren Zustand. Aus diesem Grund wird die Medikamenteneinnahme beibehalten. In Tierversuchen konnte nachgewiesen werden, dass die Versuchstiere schnell lernten, für bestimmte Substanzen zu »arbeiten«. Sie betätigten häufig und über lange Zeit Hebel, um Opiate injiziert zu bekommen. Auch dopaminerge Aktivierung geht mit Belohnung einher. Bei pharmakologischer Blockade dopaminerger Rezeptoren setzte Verhalten aus, das zuvor belohnt worden war. Die belohnende Wirkung der Medikamente führt auch dazu, dass sie häufiger und mit erhöhter Dosis eingenommen werden.

Das Verstärkungsmodell setzt voraus, dass aversive Zustände die Entwicklung der Abhängigkeit begünstigen.

Tatsächlich wurde bei Patienten mit Depression erhöhter Substanzmissbrauch während klinisch depressiver Episoden nachgewiesen. Personen mit posttraumatischer Belastungsreaktion haben ebenfalls ein hohes Risiko für verschiedene Formen der Substanzabhängigkeit (Najavits 2009). Dabei handelt es sich häufig um euphorisierende Substanzen wie Alkohol und Kokain, aber auch Tranquilizer, die beruhigend wirken und den Betreffenden Schlaf ermöglichen.

Belohnungsschaltkreis

Auf der Suche nach »Belohnungszentren« im Gehirn wurden Tieren Elektroden in verschiedenen Regionen implantiert, über die sie sich durch einen Hebeldruck einen leichten elektrischen Stromstoß versetzen konnten. Bei manchen Arealen führte diese Stimulation dazu, dass die Tiere die Hebeldrucke häufig und über lange Zeit ausführten, während sie bei anderen Arealen sofort davon abließen. Es wird davon ausgegangen, dass die Stimulation ersterer Bereiche eine angenehme, belohnende Wirkung hatte, die bei den anderen Bereichen ausblieb. Mit dieser und anderen Methoden wurden Belohnungsschaltkreise im Gehirn ermittelt. Dazu gehören der Basalganglienschaltkreis, insbesondere der mesolimbische Schaltkreis mit dem ventral-tegmentalen Areal und dem Nucleus accumbens, doch gehören auch andere Strukturen zum Belohnungssystem wie der anteriore zinguläre Kortex und das Striatum (Malenka et al. 2009). Gemeinsam ist diesen Bereichen, dass sie bevorzugt dopaminerg innerviert sind. Manche Substanzen wie Amphetamin führen unmittelbar zur Stimulation des Dopaminsystems, während man bei anderen Substanzen annimmt, dass sie den Belohnungsschaltkreis auf Umwegen erreichen.

Nicht nur die Einnahme von psychoaktiven Substanzen, sondern auch andere Tätigkeiten, die als angenehm empfunden werden, können den Belohnungsschaltkreis anregen. Zu ihnen gehören Musik hören, Tanzen, Kuscheln oder ein Haustier streicheln.

Für die Behandlung der Abhängigkeit ergibt sich aus dem Modell des Belohnungsschaltkreises, dass die etwaige belohnende Wirkung der eingenommenen Substanz durch andere substitutiv-belohnende Tätigkeiten ersetzt werden sollte. Um zu ermitteln, welche Aktivitäten für die Patienten belohnend sind, kann ihnen die Liste zur Erfassung von Verstärkern (LEV) vorgelegt werden.

Assoziatives Lernen

Prozesse der klassischen Konditionierung werden schon seit längerer Zeit bei der Entwicklung von Süchten zugrunde gelegt. Klinische Beobachtungen zeigten, dass situative Faktoren bei der Einnahme von Substanzen eine große Rolle spielen. So fand man, dass die Umgebung, in der Substanzen eingenommen werden, einen Aufforderungscharakter haben, d. h. eher zur neuerlichen Einnahme führt, als eine Umgebung, die nicht mit der Einnahme assoziiert ist. Patienten, die in einer Klinik erfolgreich einen Entzug durchführten und keine Suchtgefühle mehr verspürten, wurden häufig nach der Entlassung in die Umgebung, in der die Substanzen vorher eingenommen wurden, wieder rückfällig. Suchtreaktionen können auch mit Teilreizen, wie dem Getränk bei Alkoholikern oder einer Spritze bei Heroinabhängigen ausgelöst werden. Diese Cravingreaktion konnte mittels prolongierter Konfrontation mit den Hinweisreizen habituiert werden.

Die mit der Substanzeinnahme assoziierte Umgebung scheint auch die Verarbeitung der Substanz zu regulieren. So stellte man fest, dass der Tod bei Drogeneinnahme nicht so häufig wie angenommen durch eine Überdosis zustande kommt, sondern dadurch, dass die Betreffenden die Drogen in ungewohnter Umgebung eingenommen haben. Untersuchungen an Tieren lassen ebenfalls den Schluss zu, dass eine Umgebung, die mit der Substanzeinnahme assoziiert ist, zu höherer Toleranz führt.

3.2.4 Genetische Faktoren

Zur Abklärung der Frage nach genetischen Faktoren, die zur Abhängigkeit von Substanzen beitragen, wurden Familien- und Zwillingsuntersuchungen durchgeführt, wie auch Untersuchungen an adoptierten Kindern und ihren biologischen Eltern. Während eine genetische Disposition bei Alkoholismus als gesichert gelten kann, sind die Befunde hinsichtlich anderer Substanzen inkonsistent. Auch die Ergebnisse der Linkage-Untersuchungen, die Substanzabhängigkeit mit einer Rezeptorabnormität des dopaminergen Systems in Verbindung brachten, können noch nicht als schlüssig erachtet werden (Abb. 19.3).

Abb. 19.3
figure 3figure 3

Entwicklung der Medikamentenabhängigkeit. (Aus Elsesser und Sartory 2001, S. 37; mit freundlicher Genehmigung von Hogrefe)

4 Therapeutisches Vorgehen

Die klassische Unterteilung von Entzugs- und Entwöhnungsphase in der Behandlung von Substanzabhängigkeit ist auf den Bereich der Medikamentenabhängigkeit nur bedingt übertragbar.

Entzug mit dem Behandlungsfokus auf der Vermeidung von körperlichen Komplikationen und Entwöhnung, die über psychotherapeutische Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Abstinenz befähigen soll, gehen bei der Behandlung der iatrogen angestoßenen Medikamentenabhängigkeit fließend ineinander über. Die betroffenen Patienten suchen meist psychotherapeutische Hilfe, um psychische bzw. somatopsychische Beschwerden (Ängste, Schmerzen, Unruhe, Schlafstörungen etc.) behandeln zu lassen, aufgrund derer sie auch die Medikamente einnehmen. Das Problem der Abhängigkeit ist dagegen nur in Ausnahmefällen primärer Grund für die aktuelle Konsultation. Insofern ist es wesentlich, dem Patienten parallel zum Entzug seines Medikamentes, das bislang sein einziges, mehr oder weniger wirksames Hilfsmittel im Kampf gegen seine Beschwerden darstellt, psychotherapeutisch alternative Bewältigungsstrategien zu vermitteln und die zugrunde liegende psychische Störung zu behandeln.

Damit lassen sich drei zentrale Ansatzpunkte/Behandlungsziele formulieren:

  1. 1.

    Entzug der abhängigkeitsverursachenden Substanz,

  2. 2.

    Vermittlung von nichtmedikamentösen Bewältigungsstrategien im Umgang mit akuten Entzugssymptomen und

  3. 3.

    Behandlung psychischer/somatopsychischer Probleme, die im Zusammenhang mit der Medikamenteneinnahme stehen.

Das im Folgenden dargestellte therapeutische Vorgehen wurde für Patienten mit primärer Benzodiazepinabhängigkeit infolge der Langzeitverordnung von Benzodiazepinen konzipiert und sowohl bei Patienten mit Niedrigdosisabhängigkeit als auch bei Patienten, die im Verlauf ihrer Langzeittherapie zunehmend die Dosis gesteigert haben, erprobt. Für Patienten mit sekundärer Abhängigkeit von Medikamenten, d. h. gleichzeitiger Abhängigkeit von weiteren psychotropen Substanzklassen (Alkohol, Drogen, Medikamenten), liegen keine Erfahrungswerte vor. Der besonderen Bedeutung der Suchtkomponente sowie medizinischer Komplikationen ist bei diesen Abhängigkeitsformen durch weitere Behandlungsmaßnahmen Rechnung zu tragen.

Aus psychotherapeutischer Sicht ist ein Medikamentenentzug nicht nur bei der Diagnose eines Abhängigkeitssyndroms indiziert. Neben präventiven Aspekten (mit zunehmender Einnahmedauer einer psychotropen Substanz steigt das Risiko der Abhängigkeitsentwicklung) ist zu berücksichtigen, dass Patienten offenbar weniger Nutzen aus einer psychotherapeutischen Behandlung von Angststörungen ziehen, wenn weiterhin Benzodiazepine eingenommen werden (Wilhelm und Roth 1998).

Das Phänomen des zustandsabhängigen Lernens, das eine Generalisierung neu erlernter Bewältigungsstrategien auf die Zeit nach dem Absetzen erschwert, sowie die Gefahr von Fehlattributionen der erzielten Behandlungsfortschritte auf Medikationseffekte, sprechen ebenfalls für den Entzug dieser Medikamente vor Beginn einer verhaltenstherapeutischen Behandlung von Angststörungen und Depression.

4.1 Grundlegende therapeutische Techniken

Grundlegende therapeutische Elemente in der kognitiv-verhaltenstherapeutischen Behandlung, die auch im Rahmen der psychotherapeutischen Unterstützung des Medikamentenentzugs zum Einsatz kommen, sind insbesondere die Psychoedukation und der Einsatz von Hausaufgaben in Form von Übungen, Selbstbeobachtung und Tagebuchaufzeichnungen.

Die Psychoedukation bezieht sich auf die Vermittlung des Behandlungsrationals, Informationen zu Wirkungen und Nebenwirkungen der eingenommenen Medikamente und den Verlauf des Entzugs.

Diese Informationen sollen dazu beitragen, die Entzugsmotivation des Patienten aufzubauen, ihn auf seine aktive Rolle in der Therapie vorzubereiten (z. B. bei der Mitbestimmung der Reduktionsschritte, der Bewältigung von Symptomen etc.) und Erwartungsängste bzgl. des Medikamentenentzugs zu vermeiden bzw. abzubauen. Als Methoden kommen dabei die Vermittlung von Information, die Einbeziehung spezifischer Patientenerfahrungen i. S. geleiteten Entdeckens und die Vergabe von Merkblättern zum Einsatz. Da sowohl Ängstlichkeit als auch die Einnahme von psychotropen Medikamenten die Aufnahme und das Behalten von neuer Information beeinträchtigt, sind Merkblätter bzw. schriftliche Zusammenfassungen der wichtigsten Informationspunkte von besonderer Bedeutung.

Themen der Psychoedukation im Medikamentenentzug

Warum sollte das Medikament abgesetzt/entzogen werden?

Benzodiazepine

  • besitzen keine heilende Wirkung, d. h. sie tragen zur Symptomlinderung, nicht aber zur Störungsbeseitigung bei

  • verlieren im Laufe der Zeit an Wirksamkeit

  • führen zu einer Reihe von unerwünschten Nebenwirkungen, darunter ist insbesondere die Abhängigkeit hervorzuheben

  • machen mit zunehmender Einnahmedauer immer wahrscheinlicher abhängig

Informationen über den Verlauf des Entzugs

  • Entzugssymptome können während des Absetzens der Medikamente auftreten

  • Entzugssymptome sind nicht gefährlich

  • Beschreibung potenzieller Entzugssymptome

  • Entzugssymptome ähneln oft den bekannten Beschwerden – dies begründet aber nicht die Notwendigkeit weiterer Medikation

  • Die Intensität der Beschwerden ist zunächst eher schwankend, nimmt letztlich jedoch allmählich ab

  • Reduktionsschritte beeinflussen die Intensität des Entzugs Aber: Extrem langsamer Entzug garantiert keinesfalls das Ausbleiben von Entzugssymptomen

Schaubilder über den Verlauf des Entzugs

Anhand von Schaubildern kann dem Patienten der Verlauf des Entzugs und der Einfluss des Entzugsregimes auf die Stärke der Beschwerden deutlich gemacht werden. Wie in der Abb. 19.4 für den Entzug von Schlaf- und Beruhigungsmitteln vom Typ der Benzodiazepine veranschaulicht, steigt die Zahl und Stärke der Beschwerden zunächst mit der abnehmenden Tagesdosis. Entgegen der Befürchtung vieler Patienten ist zum Zeitpunkt des endgültigen Entzugs (5. Woche) nicht immer mit einer weiteren Verschlechterung der Symptome zu rechnen. Ab diesem Zeitpunkt kommt es bei den meisten Patienten zu deutlichen Verbesserungen ihres körperlichen und psychischen Wohlbefindens. Außerdem beurteilen die Patienten im allmählichen Entzug ihre Beschwerden auch in schwierigen Phasen im Durchschnitt nur als mittelmäßig intensiv.

Abb. 19.4
figure 4figure 4

Anzahl und Stärke der Entzugssymptome im allmählichen Benzodiazepinentzug. Im Beispiel wurde die Dosis ab der 1. Woche um jeweils 25 % reduziert, d. h. es gab keine weitere Medikamenteneinnahme ab der 5. Woche. Die Patienten konnten die Stärke der Symptome auf einer Skala von 0–9 einstufen, wobei 9 hohe Intensität und starke Beeinträchtigung bedeutete. (Mod. nach Elsesser und Sartory 2005, S. 45; mit freundlicher Genehmigung von Hogrefe)

Hausaufgaben bzw. häusliche Übungen zählen von der ersten Sitzung an zu den wesentlichen Bestandteilen des Behandlungsvorgehens und erfüllen im Verlauf des therapeutischen Prozesses z. T. unterschiedliche Funktionen. Sie dienen der

  • Erfassung der Ausgangsrate von Symptomhäufigkeit und -intensität,

  • Verlaufs- und Erfolgskontrolle,

  • Analyse spezifischer Schwierigkeiten im Therapieprozess,

  • Motivationsarbeit und

  • Förderung der Selbstverantwortlichkeit des Patienten.

Zu den Standard-Hausaufgaben im psychotherapeutisch unterstützten Medikamentenentzug gehören die Tagebuchführung und die häusliche Übung der in den Sitzungen erlernten Bewältigungsstrategien. Unter Zuhilfenahme standardisierter Tagebuchblätter werden der aktuelle Medikamentenkonsum, später auch die auftretenden Entzugsbeschwerden sowie Dauer und Erfolg der durchgeführten Übungen vermerkt. Beginn und Ende jeder Therapiesitzung sind der Nach- bzw. Vorbesprechung der Hausaufgaben gewidmet.

4.2 Spezifische Aspekte der Behandlung

4.2.1 Entzug der Benzodiazepine

Der Entzug von Benzodiazepinen sollte grundsätzlich graduiert erfolgen, da so die Intensität und der Schweregrad der Entzugssymptome besser steuerbar sind. Die Reduktionsschritte sind an die Ausgangsdosis, Halbwertzeit der eingenommenen Substanz und die Intensität der auftretenden Entzugssymptome individuell anzupassen (Tab. 19.3).

Tab. 19.3 Richtwerte für wöchentliche Reduktionsschritte im Benzodiazepinentzug. Prozent der vor Beginn des Entzugs durchschnittlich eingenommenen Tagesdosis. (Mod. nach Elsesser und Sartory 2005, S. 43)

Die Patienten führen zunächst über einen Zeitraum von zwei Wochen ein Medikamententagebuch, in das Präparat, Dosis und Anlass von Medikamenteneinnahmen eingetragen werden. Auf dieser Basis wird die Ausgangsdosis bestimmt, wobei bei wechselnden Tagesdosen der Mittelwert der letzten sieben Tage zugrunde gelegt werden kann.

Benzodiazepine mit langer Halbwertszeit (HWZ) führen meist erst nach Reduktionen um 50 % der Ursprungsdosis zu Entzugssymptomen, während bei kürzer wirksamen Präparaten bereits bei Reduktionen um 25 % erste Entzugsreaktionen beobachtet wurden (zur HWZ und dem therapeutischen Dosisbereich vgl. Tab. 19.4).

Tab. 19.4 Liste von Benzodiazepinen. (Mod. nach Elsesser und Sartory 2001, S. 84; mit freundlicher Genehmigung von Hogrefe)

Die Entzugsschritte sind so anzupassen, dass durch die erste Reduktion keine subtherapeutische Dosierung erreicht wird (z. B. weniger als 5 mg Diazepam), da dies unmittelbar zu intensiven Symptomen führt und der Patient die Strategien zum Management von Entzugsbeschwerden noch nicht hinreichend üben konnte. Auch im weiteren Verlauf werden der Abstand zwischen den einzelnen Entzugsschritten und die Reduktionshöhe gemeinsam mit dem Patienten in Abhängigkeit von der Intensität bzw. Tolerierbarkeit der auftretenden Entzugssymptome festgelegt.

Grundsätzlich gilt, dass sowohl zu rascher Entzug als auch ein zu vorsichtiges und damit sehr langsames Entzugsregime vermieden werden sollten.

Zu rasches Absetzen erhöht die Gefahr intensiver Entzugssymptome, die der Patient nicht bewältigen kann, extrem langsames Absetzen birgt die Gefahr, dass das Entzugsgeschehen selbst zum Fokus der Angst des Patienten wird und damit ebenso wie durch intensive Entzugsbeschwerden das Abstinenzziel verfehlt wird. Bei isolierter Abhängigkeit von Sedativa/Hypnotika ist ein ambulanter Entzug möglich, während im Fall von Mischabhängigkeiten eine stationäre Entzugsbehandlung vorzuziehen ist. In jedem Fall ist eine Zusammenarbeit mit dem behandelnden Arzt anzustreben, um das Behandlungsvorgehen gemeinsam zu tragen und die Möglichkeit des ambulanten Entzugs aus medizinischer Sicht zu klären.

4.2.2 Vermittlung von alternativen Bewältigungstechniken

Das Symptommanagementtraining dient dem Aufbau alternativer Bewältigungsstrategien im Umgang mit Entzugsbeschwerden und der Vermittlung subjektiver Kompetenz- und Kontrollüberzeugungen. Es wird davon ausgegangen, dass besonders die erhöhte Ängstlichkeit der Patienten das Absetzen der Medikamente erschwert, wobei die auftretenden Entzugssymptome zu dieser Ängstlichkeit beitragen. Zur Aufrechterhaltung der Medikamentenabhängigkeit tragen zudem fehlende Copingstrategien im Umgang mit psychischen und/oder körperlichen Beschwerden bzw. ein geringes Vertrauen in die Effektivität der eigenen Bewältigungsmöglichkeiten bei. Geringe subjektive Kompetenzeinschätzung und/oder ein eingeschränktes Bewältigungsrepertoire sind möglicherweise bereits beim ersten Griff zur Tablette relevant und werden durch den dauerhaften Rückgriff auf die externale und eher passive Bewältigungsstrategie »Medikamenteneinnahme« weiter verstärkt und generalisiert.

Symptommanagementtraining

Das Symptommanagementtraining zielt daher auf eine Erweiterung bzw. Wiederbelebung des Repertoires an Bewältigungsstrategien. Hinzu kommt eine Stärkung des Vertrauens in die Effizienz der eigenen Bewältigungsmöglichkeiten im Umgang mit Problem- oder Stresssituationen, d. h. den Aufbau internaler Kontrollüberzeugungen bzw. einer Selbstwirksamkeitsüberzeugung.

Diese Therapieziele werden durch die Vermittlung eines Angstbewältigungstrainings und von spezifischen, auf die Entzugssymptomatik zugeschnittenen Managementtechniken verfolgt. Mit dem Angstbewältigungstraining erlernt der Patient eine Technik zur Bewältigung von Angst bzw. zur Kontrolle von Erregung, die sich als generell anwendbare Copingstrategie im Umgang mit Belastungssituationen bewährt hat (Suinn 1990). Befunden von Gray (1987) zufolge besteht eine erhöhte Vulnerabilität für psychische Störungen nach dem Benzodiazepinentzug, die durch verminderte Stresstoleranzentwicklung infolge des langfristigen Benzodiazepinkonsums erklärt werden kann. Mit dem Angstbewältigungstraining ist eine Technik in den Behandlungsplan implementiert, die zur Stärkung der Stresstoleranz beiträgt.

Angstbewältigungstraining (ABT)

Das Prinzip des ABT besteht darin, dass der Patient lernt, aktiv durch Entspannung aufkommende Angst oder Unruhe zu kontrollieren und zu reduzieren. Dahinter steht die Annahme, dass Angstreaktionen selbst als Hinweisreize genutzt werden können und über das Training mit Bewältigungsstrategien assoziierbar sind. Praktisch sind dazu zwei Schritte erforderlich:

  1. 1.

    Der Patient wird in seiner Wahrnehmung für aufkommende Unruhe oder Erregung sensibilisiert.

  2. 2.

    Anschließend wird er zur aktiven Gegensteuerung durch Entspannung angeleitet.

Beide Aspekte werden zunächst im Rahmen von In-sensu-Übungen trainiert, bevor der Patient die erlernten Techniken schließlich auch in alltäglichen Belastungssituationen anwenden soll.

Das Training selbst umfasst folgende Elemente:

  • Psychoedukation,

  • Erlernen eines Entspannungstrainings,

  • In-sensu Übungen: Wahrnehmungssensibilisierung und graduiertes Training des Einsatzes von Entspannung bei aufkommender Erregung und

  • Transfer der erlernten Technik auf den Alltag.

Im Verlauf der Psychoedukation wird das ABT dem Patienten als eine Methode zur aktiven Kontrolle von Angst, Erregung oder Unruhe vorgestellt, die einzelnen Trainingsschritte besprochen und die Entspannung als wirksames Mittel zur Erregungskontrolle hervorgehoben. Während der Wahrnehmungssensibilisierung für aufkommende Unruhe lernt der Patient erste körperliche Anzeichen von Unruhe oder Angst zu erkennen und als Hinweis auf die Notwendigkeit von Gegenmaßnahmen zu verstehen. Dazu dienen

  • Informationen über den allmählichen Aufbau von Unruhe und Erregung in Belastungssituationen:

  • die Steuerung der Aufmerksamkeit des Patienten während der In-sensu-Übungen auf seine körperlichen Reaktionen und

  • das Training von Entspannung mittels progressiver Muskelrelaxation, da sich der Patient hier bereits gezielt auf unterschiedliche körperliche Empfindungen bei An- und Entspannung konzentrieren muss.

Für die Vorstellungsübungen kann auf belastende Situationen des Patienten aus den vergangenen Tagen zurückgegriffen werden. Zur Vorbereitung wird die Situation möglichst detailliert rekonstruiert und eine Art Drehbuch des Situationsablaufs erstellt. Neben situativen Aspekten sollen dabei insbesondere körperliche Reaktionen des Patienten angesprochen werden. Auf der Basis dieses Drehbuches unterstützt der Therapeut den Patienten während der Imaginationsübung beim Aufbau der Vorstellung. Die Aufgabe des Patienten besteht darin, sich in die beschriebene Situation hineinzuversetzten und ein besonderes Augenmerk auf erste körperliche Zeichen von Unruhe, wie z. B. ein zittriges Gefühl, Herzklopfen, feuchte Hände, unruhige Atmung etc., zu achten. Mit einem zuvor zwischen Therapeut und Patient vereinbarten Zeichen (z. B. Anheben der rechten Hand) signalisiert der Patient aufkommende körperliche Reaktionen. Der Patient wird nun instruiert, sich die Situation weiter vorzustellen, zugleich jedoch mittels Entspannung und ruhiger Atmung den körperlichen Anzeichen der Erregung entgegen zu steuern. Sobald dies dem Patienten gelungen ist (der Patient gibt dem Therapeuten auch hier ein vorher vereinbartes Zeichen, z. B. Heben der linken Hand), wird die Vorstellung der belastenden Situation fortgesetzt und erneute körperliche Erregung wiederum mit Entspannung kontrolliert.

Die Bewältigung aufkommender Erregung wird so durch den aktiven Einsatz der Entspannung bei gleichzeitigem Verbleib in der spannungserzeugenden Situation trainiert, bis der Patient auch in sehr belastend erlebten Situationen in der Lage ist, seine Angst oder Unruhe zu bewältigen.

Als abschließender Schritt wird die neu gelernte Technik im Alltag erprobt. Wie bereits im Fall der In-sensu-Übungen erfolgt dabei ein graduiertes Vorgehen. Dabei werden zunächst weniger belastende Situationen als Übungsfeld genutzt, bevor besonders beängstigende oder stressgeladene Situationen ebenfalls in das ABT einbezogen werden.

Eine genaue Vorbesprechung der Übungen im Alltag ist wesentlich. Sie umfasst die Auflistung

  • möglicher Belastungssituationen in der kommenden Woche,

  • erster Anzeichen für Spannung/Angst,

  • der Möglichkeiten, mit denen in der gegebenen Situation Entspannung eingeleitet werden kann und

  • denkbarer Hindernisse bzw. wie diese aus dem Weg geräumt werden können.

Berichtet der Patient über die erfolgreiche Bewältigung leichter Problemsituationen im Alltag, kann der Schwierigkeitsgrad zunehmend erhöht werden, sodass die neue Bewältigungstechnik schließlich in allen Angst- und Belastungssituationen erfolgreich eingesetzt werden kann.

Die erfolgreiche Anwendung von Entspannungstraining in belastenden Alltagssituationen wird erleichtert, wenn im Verlauf des Entspannungstrainings die Instruktionen zunehmend verkürzt werden, wie auch durch die wiederholte Koppelung von tiefer Entspannung mit einem Signalreiz (sog. »cue-controlled relaxation«; Bd. I/30). Diese Form konditionierter Entspannung versetzt den Patienten in die Lage, in jeder Situation durch kurze Konzentration auf den konditionierten Signalreiz einen Entspannungszustand herbeizuführen.

Training von entzugsspezifischen Symptommanagementtechniken

Dieses Training soll dem Patienten eine Bewältigung der individuell auftretenden Entzugssymptome erlauben und zu einer möglichst raschen Symptomlinderung führen. Tab. 19.5 listet 27 häufig im Benzodiazepinentzug beobachtete Entzugssymptome und assoziierte Kontrolltechniken auf. Die Auswahl der Techniken orientierte sich primär an der Praktikabilität und der Geschwindigkeit, mit der sich der Erfolg einstellt. Einige der Strategien werden bereits in der Behandlung von Symptomen anderer psychischer Störungen erfolgreich eingesetzt (z. B. Aktivitätspläne bei depressiven Symptomen; Atemübungen bei Atemnot), während andere Techniken auf der Basis eigener klinischer Erfahrung und/oder der Plausibilität des Effektes (z. B. Bonbon lutschen bei metallischem Geschmack im Mund) ausgewählt wurden.

Tab. 19.5 Symptommanagement-Techniken. (Mod. nach Elsesser und Sartory 2001, S. 63)

Die Auswahl der Symptommanagementtechniken orientiert sich an den individuellen Entzugsbeschwerden des Patienten. Auskunft darüber liefern die Tagebücher, in denen zusätzlich zu Art und Dosis der Medikamenteneinnahme mit Beginn des Medikamentenentzuges auch die maximal fünf stärksten Entzugsbeschwerden eingetragen werden. In den Therapiesitzungen werden einzelne Techniken erprobt bzw. trainiert. Der Übungsaufwand für die einzelnen Techniken ist recht variabel und reicht vom Angebot der Technik mit Besprechung konkreter Möglichkeiten der Durchführung bzw. Anwendung (z. B. der Vorschlag von Augenbädern im Falle brennender Augen) über die exemplarische Erprobung (z. B. Schwitzen kontrollieren, indem die Handgelenke in kaltem Wasser gekühlt werden) bis zum wiederholten Training innerhalb der Sitzung (z. B. Valsalva-Training bei Herzrasen, Atem- und Entspannungstraining).

Unabhängig vom Übungsaufwand sollte in der Sitzung mit dem Patienten immer genau besprochen werden, wann und wie die Techniken umzusetzen bzw. zu Hause weiter zu trainieren sind.

Zur Kontrolle von Herzrasen und Engegefühl in der Brust können Techniken eingesetzt werden, die auf eine Stimulation des Nervus vagus, also des parasympathischen Teils des autonomen Nervensystems, abzielen und so zu einer raschen und deutlichen Reduktion der Herzrate (bis zu 20 Schläge/min) führen. Eine Stimulation des Vagus kann durch verschiedene Techniken erreicht werden, von denen die sog. Valsalva-Technik besonders effektiv ist. Ebenso praktikabel ist die Massage der Karotis (zum Kopf führende Halsarterie). Bei der Karotismassage streicht der Patient mit leichtem Druck über die an der Halsseite verlaufende Halsschlagader. Eine Stimulation des Vagus durch die Valsalva-Methode wird erreicht, indem die eingeatmete Luft kurz angehalten und gegen das Zwerchfell, bei gleichzeitiger Anspannung der Bauchmuskulatur, gepresst wird. Beiden Methoden liegt der gleiche Wirkmechanismus zugrunde, wobei Barorezeptoren in den Gefäßen aktiviert werden, die die Blutdruckänderungen an Regulationszentren im Gehirn rückmelden. Im Fall eines erhöhten Blutdrucks mündet dies in einer Aktivierung des vagalen (parasympathischen) Nervensystems und damit einer Senkung der Herzrate. Die Techniken sind rasch erlernbar und zeichnen sich durch hohe Effektkontingenz aus. Durch den Einsatz eines Pulsratenmonitors kann das Training, das meist über zwei bis drei Sitzungen durchzuführen ist, überwacht und gefördert werden.

Die Liste möglicher Kontrolltechniken ist keineswegs erschöpfend, d. h. weitere Strategien können eingebaut werden, wobei ihre Auswahl durch die erwartete Effektkontingenz und Praktikabilität geleitet werden sollte. Mithilfe der Symptommanagementtechniken wird das Gefühl subjektiver Kontrolle gestärkt und die im Entzug auftretenden Symptome in ihrer Intensität zumindest vorübergehend beeinflusst. Es ist jedoch nicht zu erwarten, dass Entzugssymptome vollständig vermieden werden können (weder über extrem langsame Medikamentenreduktion, noch mittels Symptommanagement). Zum Zeitpunkt der ersten Medikationsreduktion sollte der Patient bereits über einige Sitzungen hinweg Entspannungs- und Angstbewältigungstraining absolviert haben und über erste positive Erfahrungen mit diesen Techniken verfügen.

Wie für das ABT, gilt auch für den Einsatz der Symptommanagementtechniken, dass optimaler Erfolg zu erwarten ist, wenn der Patient die Strategie nicht erst bei maximaler Symptomintensität, sondern bei beginnenden Beschwerden als Gegensteuerungsmethode einsetzt.

4.2.3 Behandlung komorbider Störungen

Das vorgestellte Entzugsprogramm ist insbesondere für Patienten mit komorbiden Angststörungen konzipiert. Insbesondere das implementierte Angstbewältigungstraining vermittelt eine allgemein in Angst- oder Belastungssituationen anwendbare Copingstrategie, sodass parallel zum Entzugserfolg auch eine Reduktion der Angstsymptomatik beobachtet werden kann. Grundsätzlich kann bzw. sollte das Behandlungsvorgehen jedoch individuell an die bestehende komorbide bzw. zur Medikation führende Störung angepasst werden. Spezifische Vorgaben dafür liefert bislang nur ein Programm, das für Patienten mit komorbider Panikstörung entwickelt wurde. Es basiert auf dem Rational der kognitiv-verhaltenstherapeutischen Behandlung der Panikstörung und stellt neben der Vermittlung von Copingstrategien zum Umgang mit Panik- und Entzugssymptomen, die Identifikation und Modifikation von katastrophisierenden Fehlinterpretationen somatischer Symptome in den Mittelpunkt der Therapie (Otto et al. 1996). Für traumatisierte Patienten mit substanzbezogenen Störungen wurde von Najavits (2009) ein auf Ressourcenaktivierung und Stabilisierung zielendes Behandlungsprogramm entwickelt.Die Behandlung komorbider psychischer Probleme erfolgt ansonsten auf der Basis der jeweiligen spezifischen Interventionstechniken für die entsprechenden Störungen (vgl. Kapitel zu störungsbezogenen Interventionen in diesem Band).

Besondere Aufmerksamkeit erfordert eine depressive Symptomatik, da bei starker Depression eine verminderte Wirksamkeit von psychologischen Angstreduktionsmethoden (Foa 1979) und eine geringere Erfolgsrate im Benzodiazepinentzug (Schweizer et al. 1991) berichtet wurde.

Mol et al. (2005) wiesen einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Verlangen nach Benzodiazepinen und negativer Stimmung nach. Sowohl bei abstinenten als auch aktuell konsumierenden Benzodiazepinabhängigen trug der Stimmungsfaktor wesentlich zur Varianzaufklärung des Cravings bei. Der Behandlungsplan abhängiger Patienten mit komorbider Depression sollte daher zunächst auf eine Reduktion der affektiven Störung abzielen und depressiven Stimmungsschwankungen im Entzug besondere Aufmerksamkeit widmen.

Komorbide Borderline-Persönlichkeitsstörung wurde als Misserfolgsprädiktor in der Entzugsbehandlung identifiziert. Es wurde vorgeschlagen, bei dieser Patientengruppe Behandlungsmaßnahmen, die auf die Achse-II-Störung fokussieren, im Behandlungsplan dem Entzug vorzuschalten (Vorma et al. 2005).

4.2.4 Behandlungsvorgehen bei Abhängigkeit von anderen Medikamenten

Für Patienten mit Abhängigkeit von Opioiden bzw. Stimulanzien liegen bislang keine spezifischen Behandlungsprogramme vor. Im Opioidentzug werden meist die Ansätze aus der Therapie von Drogenabhängigen übertragen, d. h. der Entzug (graduiert, abrupt oder mittels Opiatantagonisten induziert) erfolgt ohne gezielte psychotherapeutische Unterstützung, die erst in der nachfolgenden Entwöhnungsphase angesiedelt wird. Opioide können ambulant entzogen werden. Ausgenommen hiervon ist der induzierte Entzug, bei dem die Antagonistengabe die Symptomatik provoziert und beschleunigt.

Unter der Annahme, dass fehlende alternative Bewältigungsstrategien im Umgang mit psychischen und/oder körperlichen Problemen wesentlich zur Aufrechterhaltung der Medikamentenabhängigkeit beitragen, scheint ein jeweils an die spezifische Entzugs- und Ausgangssymptomatik des Patienten adaptiertes Symptommanagementtraining durchaus auch für Patienten mit Abhängigkeit von Opioiden oder Stimulanzien als eine vielversprechende Behandlungsmethode. Für den chronischen Schmerzpatienten mit Abhängigkeit von opioidhaltigen Analgetika würde dann z. B. die Vermittlung von alternativen Schmerzbewältigungstechniken im Vordergrund stehen.

4.3 Rückfallprophylaxe

Während des Medikamentenentzugs steht therapeutisch die Vermittlung von alternativen Bewältigungsstrategien im Umgang mit Beschwerden im Mittelpunkt.

Zur Rückfallprophylaxe sollten die Patienten im Verlauf der Therapie zusätzlich erlernen, dass die erlernten Strategien im Umgang mit Entzugsbeschwerden auch auf andere belastende Situationen bzw. Befindlichkeitsbeeinträchtigungen übertragbar sind.

Nach erfolgreichem Entzug können dazu im Rahmen der Hausaufgaben bislang nicht berücksichtigte Problemsituationen/Beschwerden einbezogen werden, um den Transfer in den Alltag zu unterstützen. Besondere Berücksichtigung sollten dabei potenzielle Rückfall- und Versuchungssituationen finden, deren Analyse ebenfalls als Teil der Rückfallprophylaxe zu verstehen ist. Hinweise auf potenzielle Rückfallsituationen liefern die im Verlauf der Therapie gesammelten Tagebuchdaten über typische Einnahmesituationen bzw. Situationen, in denen die Entzugsbemühungen scheiterten. Wie für andere stoffgebundene Abhängigkeiten gilt auch bei der Medikamentenabhängigkeit, dass lebenslange Abstinenz bester Garant für dauerhaften Therapieerfolg ist. Die Differenzierung, welche Medikamente erlaubt bzw. ohne Probleme eingenommen werden können und welche nicht, ist für die Patienten aber kaum zu leisten. Insofern sollten sie grundsätzlich den behandelnden Arzt über ihre Abhängigkeitsgeschichte informieren und in der Therapie darauf vorbereitet werden. Manchmal ist die Einnahme eines potenziell abhängigkeitsfördernden Medikamentes unvermeidbar (z. B. bei Operationen, Notfallbehandlungen).

Die Aufklärung über mögliche milde Entzugssymptome auch infolge einmaliger Einnahme ist daher ebenso relevant wie die inhaltliche Unterscheidung von Rückfall und Rückschlag/Ausrutscher im Fall einer bewusst initiierten neuerlichen Medikamenteneinnahme.

5 Fallbeispiel

5.1 Kontaktaufnahme

Frau M. kam auf Empfehlung des städtischen Sozialamtes in die Psychotherapieambulanz der Bergischen Universität. Sie bedurfte eines Gutachtens für einen Antrag auf Pflegedienste. Die 55-jährige Frau kam auf zwei Stöcken gestützt und in Begleitung einer Sozialarbeiterin.

5.2 Vorgeschichte und aktuelle Situation

Frau M. hatte ein schwieriges Leben gehabt. Sie war als Altenpflegerin ausgebildet, hatte ihren Beruf aber nur sehr kurzfristig ausgeübt. Sie heiratete einen Bahnbeamten und gebar einen behinderten Sohn, bei dessen Geburt bereits vorherzusehen war, dass er lebenslänglich Pflege brauchen würde. Vom Zeitpunkt der Geburt an war Frau M. hauptsächlich damit befasst, für ihren Sohn diverse Sozialdienste bei der Stadtverwaltung durchzusetzen. Nach eigener Aussage erfuhr sie in ihren Bemühungen wenig Unterstützung von ihrem Mann. Als der Sohn 18 Jahre alt war, bekam er endlich einen Heimplatz zugeteilt. Zur selben Zeit beschloss ihr Mann, von dem sie schon seit einiger Zeit entfremdet war, sich von ihr zu trennen. Auf dem Heimweg von dem Pflegeheim, in dem sie den Sohn untergebracht hatte, erlitt Frau M. eine Panikattacke. Sie wurde in ein psychiatrisches Krankenhaus gebracht und stationär gegen Depression behandelt. Da sie an Schlafstörungen litt, erhielt sie abendlich einen Tranquilizer. Nach Entlassung aus dem Krankenhaus fand sie, dass sie ohne das Beruhigungsmittel nicht mehr einschlafen konnte und ließ sich das Medikament weiterhin verschreiben. Kurz darauf nahm sie das Medikament auch gegen Angstzustände während des Tages ein, doch besserten sich die Angstzustände dadurch nur kurzfristig, sodass sie die Dosis erhöhen musste. In der Folge litt sie an Schwindelzuständen und bekam Angst davor, auszugehen, da sie zu stürzen befürchtete. Sie fühlte sich zunehmend unsicher auf den Beinen und fing an, sich beim Gehen auf Stöcke zu stützen. Es wurde ihr eine Sozialarbeiterin zugeteilt, die ihre Einkäufe tätigte und sie fühlte sich nun nicht mehr in der Lage, allein auszugehen. Einmal jährlich wurde sie in einer psychiatrischen Abteilung für Depression behandelt. Der dortige behandelnde Arzt hatte ihr dringend einen Benzodiazepinentzug nahegelegt, was sie jedoch ablehnte, da sie meinte, ohne die Beruhigungsmittel nicht mehr leben zu können.

5.3 Diagnostik und Verhaltensanalyse

Das diagnostische Interview ergibt die Diagnose Benzodiazepinabhängigkeit und Panikstörung mit Agoraphobie. Zu der Zeit nahm die Patientin dreimal täglich 10 mg Diazepam. Unmittelbar vorher fühlte sie sich angespannt und danach erleichtert, aber auch zunehmend schwächer. Sie hatte das Gefühl, mit der Haushaltsarbeit nicht mehr zurechtzukommen und hätte gerne eine Haushaltshilfe. Auch war sie ängstlich, wenn sie allein war. Allerdings wäre sie auch gerne wieder in der Lage gewesen, ausgehen zu können, um selbst einkaufen zu gehen oder ihre Mutter zu besuchen. Diese wohnte in einem anderen Stadtviertel und war gesundheitlich nicht in der Lage, ihre Tochter aufzusuchen. Die Patientin hatte auch seit ihrer Ausbildungszeit eine gute Bekannte, die sie gerne besuchen wollte. Um sich neue Rezepte für das Medikament zu holen, ging sie mit der Sozialarbeiterin zum Hausarzt, nachdem sie eine größere Dosis Diazepam als sonst eingenommen hatte.

5.4 Behandlungsplan und -verlauf

Angesichts der schweren Abhängigkeit wurde Frau M. ein stationärer Entzug nahegelegt, was sie jedoch ablehnte. Doch erklärte sie sich zu einer ambulanten Behandlung bereit, nachdem als Behandlungsziel das Wieder-Ausgehen-Können vereinbart wurde.

Die Behandlung begann mit Entspannungsübungen und dem Einüben langsamer Bauchatmung. Frau M. erhielt eine Entspannungs-CD, mit deren Hilfe sie die Entspannungsübungen zu Hause morgens und abends durchführen sollte. Auch erhielt sie eine Liste mit Entzugssymptomen, auf der sie diejenigen, die sie als stark beeinträchtigend erlebte, anzeichnen sollte. Sie litt an fast allen Symptomen auf der Liste, erachtete aber die Angst und Ruhelosigkeit, die Schlaf- und die Gleichgewichtsstörungen als besonders beeinträchtigend.

Frau M. wurde als Erklärungsmodell mitgeteilt, dass ihr Körper die Produktion aller beruhigender Substanzen eingestellt hätte, da sie diese dem Körper als Medikamente über längere Zeit zugeführt hatte. Bei gradueller Entwöhnung wäre es möglich, die körpereigene Produktion wieder anzukurbeln. Gleichzeitig würde sie Techniken lernen, die ihr helfen sollten, die Angst- und Unruhezustände in den Griff zu bekommen. Zudem wurde in der zweiten Sitzung erneut die Entspannung geübt und insbesondere auf Schwierigkeiten wie die Entspannung der Bauchmuskulatur eingegangen. Frau M. sollte die Entspannungsübungen weiterhin durchführen und sie vor allem schon vor dem Schlafengehen einsetzen. In der dritten Sitzung wurde Frau M. instruiert, von nun an die Diazepamdosis zu halbieren. In dieser Sitzung erhielt sie ein Angstbewältigungstraining und sollte auf die Vorstellung von Angst- und Unruhezuständen mit Entspannung reagieren. Sie wurde angeleitet, diese Technik auch zu Hause anzuwenden. Auf Schwächeanfälle und Gleichgewichtsstörungen sollte sie dagegen mit Anspannung etwa der Armmuskulatur reagieren. Frau M. erhielt alle Instruktionen auch schriftlich und sollte weiterhin die Symptomliste ausfüllen. Die Halbierung der Dosis gelang, doch wurde Frau M. zunehmend ängstlicher bei dem Gedanken, das Medikament völlig absetzen zu müssen. Als besonders beeinträchtigend gab sie nun Muskelschmerzen und Koordinationsstörungen an und meinte, dass sie für immer unter diesen leiden müsse. Sie wurde beraten, gegen die Muskelschmerzen ein heißes Bad zu nehmen und den Koordinationsstörungen mit Selbstverbalisation zu begegnen. In der darauffolgenden Woche sollte sie die Dosis nochmals halbieren. Nachdem sie die weitere Dosissenkung zwei Tage lang durchgehalten hatte, erlitt die Patientin einen Panikanfall, der sie wieder zur vollen Dosis greifen ließ, allerdings nur für einen Tag. Sie wendete die Entspannung an und kehrte wieder zur Vierteldosis zurück. Nach dieser Woche berichtete sie über Herzrasen und Atemnot. Es wurde nochmals die Technik der langsamen Bauchatmung geübt und Valsalva zur Senkung der Pulsrate vermittelt. Sie gelang der Patientin erst nach einer weiteren Sitzung des Übens mit einem Pulsratenmonitor. Während der darauffolgenden Woche sollte die Patientin die Vierteldosis nur mehr abends einnehmen. Doch gelang es ihr erst nach einer weiteren Woche auf die morgendliche Einnahme zu verzichten. Sie erlebte noch einige Panikattacken, die jedoch nicht mehr so schwerwiegend waren wie die erste. Sie bemühte sich, langsame Atmung, Valsalva und Entspannung einzusetzen. In dieser Woche nahm sie nur noch einmal 5 mg Diazepam ein. In der darauffolgenden Woche gelang es ihr schließlich, die abendliche Einnahme völlig einzustellen und stattdessen vor dem Einschlafen im Bett die Entspannungsübungen durchzuführen. Zu diesem Zeitpunkt setzte die therapeutenbegleitete Konfrontationsbehandlung der Agoraphobie ein. Die Patientin sollte eine Route von Straßen und Läden vorgeben, die sie aufsuchen wollte. Bei dem Ausgang litt sie wiederholt an Atemnot, was auf ihre mangelnde Kondition attribuiert wurde. Sie sollte von nun an jeden Tag zu einem Laden in der Nähe ihrer Wohnung gehen, was ihr auch sehr schnell gelang. Sie konnte auch in kurzer Zeit ihre Mutter und ihre Bekannte aufsuchen. Sie weigerte sich jedoch, auch in Begleitung der Bekannten, größere Ausflüge außerhalb der Stadt zu unternehmen. Ihre Schlafstörungen waren weitgehend behoben, doch litt sie immer noch an Angst- und Unruhezuständen. Die Nachuntersuchung ergab, dass sie eine geringe Dosis Diazepam immer noch, allerdings nach Bedarf, etwa einmal in der Woche einnahm.

6 Empirische Überprüfung

Die Effekte der psychotherapeutischen Unterstützung des Benzodiazepinentzugs wurden in einer Reihe kontrollierter Behandlungsuntersuchungen überprüft, wobei überwiegend Angst- und Stressbewältigungstraining eingesetzt wurden. Das beschriebene Symptommanagementtraining erwies sich bisher mit fast 100 %iger Abstinenzrate als erfolgreichste Methode, während alleiniges Angst- und Stressbewältigungstraining zu einer durchschnittlichen Abstinenzrate von etwa 50 % und insgesamt zu einer Dosissenkung von 70 % führte (Elsesser et al. 1996). Bei der Nachuntersuchung nach einem Jahr war zwischen den beiden Behandlungsgruppen kein Unterschied hinsichtlich der Abstinenzrate zu beobachten. Insgesamt wird in den Behandlungsstudien über relativ hohe Abbruchquoten berichtet (bis zu 84 %). In der Vergleichsstudie von Angstbewältigungstraining vs. ABT plus Symptommanagementtraining lagen die Abbruchraten zwischen 30 und 50 % (Elsesser et al. 1996). Parr et al. (2008) führten eine Metaanalyse der Wirksamkeit von Behandlungsansätzen beim ambulanten Benzodiazepinentzug durch, wobei sie Studien mit a) einer Kurzintervention, z. B. Beratung und Dosisreduktion durch den Hausarzt, b) graduellem Entzug, c) einer psychologischen oder medikamentösen Behandlung bzw. der Kombination von graduellem Entzug mit psychologischer Behandlung jeweils mit der Routinebehandlung verglichen. Der graduelle Entzug zusammen mit psychologischer Behandlung erwies sich am wirkungsvollsten, während die medikamentöse Behandlung keinen zusätzlichen Vorteil zum graduellen Entzug erbrachte. Abgesehen von dem Entzugserfolg nach der langfristigen Einnahme wurde auch die Wirkung auf die Erholung kognitiver Funktionen in einer Metaanalyse untersucht (Barker et al. 2004). Die Ergebnisse bescheinigten weitgehende Erholung, doch war innerhalb der ersten 6 Monate nach Absetzen des Medikamentes noch keine volle Restitution der Funktionen nachweisbar.

Neben psychotherapeutischen Angeboten wurden auch Ansätze einer pharmakologisch unterstützten Entzugsbehandlung von Sedativa/Hypnotika evaluiert (Überblick bei Elsesser 1996). In erster Linie werden dabei Substanzen eingesetzt, denen eine anxiolytische Wirkung, jedoch kein Abhängigkeitspotenzial zugeschrieben wird. Die Abbruchquoten sind ähnlich hoch wie bei psychologischen Programmen, die unmittelbaren Abstinenzraten sind jedoch, wahrscheinlich auch aufgrund des meist stationären Behandlungssettings, höher. In Replikationsstudien konnte bislang für keine der eingesetzten Substanzen konsistent positive Effekte (z. B. verminderte Entzugssymptome, höhere Abstinenzraten) nachgewiesen werden. Ebenso fehlen Daten zu langfristigen Effekten des pharmakologisch unterstützten Entzugs. Entsprechend wurden pharmakologische Ansätze auch nicht in die Empfehlungen zur Behandlung von Benzodiazepinabhängigkeit der British Association for Psychopharmacology (Lingford-Hughes et al. 2012) aufgenommen.

Prädiktoren des Behandlungserfolges

Aus kognitiv-behavioralen Theorien der Medikamentenabhängigkeit folgt die Vorhersage von Behandlungserfolg, wenn ängstliche Interpretationen von Entzugssymptomen reduziert und das Vertrauen des Patienten in die eigenen, nichtmedikamentösen Bewältigungsfähigkeiten erhöht wird. Die Bedeutung der Variablen »Angst vor den Entzugssymptomen« für den Behandlungserfolg wurde eindrücklich von Bruce et al. (1995) nachgewiesen: bedeutsamster Prädiktor des Behandlungserfolges war die Abnahme der Angstsensitivität, d. h. der Angst vor körperlichen Sensationen, im Verlauf der Therapie. Hohe Ängstlichkeit vor Beginn des Entzugs beeinflusst im psychotherapeutisch begleiteten Entzug – anders als bei pharmakologischer Unterstützung – den Behandlungserfolg nicht (Elsesser und Sartory 1998), was ebenfalls darauf hinweist, dass die psychotherapeutische Komponente der Angstreduktion von besonderer Bedeutung ist.

Eine Verbesserung der Selbstwirksamkeitseinschätzung gilt allgemein als wesentlich für psychotherapeutischen Behandlungserfolg. Patienten, die Verbesserungen ihrer Befindlichkeit in erster Linie auf ihre Medikamente attribuierten, berichteten stärkere Entzugssymptome und hatten ein höheres Rückfallrisiko als Patienten, die Verbesserungen auf ihre eigenen Anstrengungen und Fähigkeiten zurückführten. Allerdings erwies sich hohe internale Kontrollüberzeugung vor Entzugsbeginn als Misserfolgsprädiktor (Elsesser und Sartory 1998). Möglicherweise unterschätzen diese Patienten die Suchtkomponente ihres Einnahmeverhaltens und sind damit zugleich weniger von der Notwendigkeit eines Entzugs überzeugt.

7 Zusammenfassung

  • Zu den Medikamenten mit Abhängigkeitspotenzial gehören Schmerzmittel, Schlaf- und Beruhigungsmittel – meistens Benzodiazepine – und Stimulanzien. Die Abhängigkeit wird in den meisten Fällen iatrogen verursacht.

  • Zu den Symptomen der Abhängigkeit gehören der länger als beabsichtigte Gebrauch der Substanz, der fortgesetzte Gebrauch trotz schädlicher Folgen, die verminderte Kontrolle über den Substanzgebrauch und Toleranz- und Entzugssymptome.

  • Als Toleranz bezeichnet man die mangelnde Wirkung der gewohnten Dosis bzw. die Dosissteigerung, um die gewohnte Wirkung zu erzielen.

  • Entzugssymptome sind zeitlich begrenzte, charakteristische Symptome, die nach der Reduktion oder dem vollständigen Absetzen des Medikamentes einsetzen, nachdem das Medikament längere Zeit eingenommen wurde. Nach dem Absetzen von Opioiden können sich u. a. Muskelschmerzen, abdominelle Spasmen und Hypertonie und nach dem Absetzen von Beruhigungsmitteln, Tachykardie, Insomnie und Unruhezustände einstellen. Beim Absetzen von Stimulanzien kann es zu motorischer Verlangsamung und Müdigkeit kommen.

  • Epidemiologischen Untersuchungen zufolge weisen in Deutschland 3,4 % der Bevölkerung eine Medikamentenabhängigkeit auf.

  • Für die Diagnostik der Medikamentenabhängigkeit bestehen standardisierte Interviewverfahren und Fragebogen. Gleichzeitig müssen komorbide Störungen erfasst und bei der Erstellung des Behandlungsplans berücksichtigt werden.

  • Medikamente mit Abhängigkeitspotenzial interagieren mit Neurotransmittern, indem sie diese blockieren oder die Transmission fördern. Benzodiazepine verstärken die GABAerge Aktivität und Opioide werden an spezifische Opiatrezeptoren gebunden. Es wird vermutet, dass ein Rückgang der Produktion körpereigener Substanzen und Veränderungen der Rezeptormechanismen für die Abhängigkeit und die Entzugssymptome verantwortlich sind.

  • Weiterhin werden soziokulturelle Faktoren und Lernerfahrungen für die Entstehung der Abhängigkeit angeführt. Medikamentenabhängigkeit tritt in erster Linie bei Frauen niedriger sozioökonomischer Schicht und höheren Alters auf. Als unterstützende Lernerfahrungen werden Modelle der verstärkenden Wirkung (Rückgang der Schmerzen, Entspannung) bzw. der Belohnung, die davon ausgeht, und des assoziativen, situationsbedingten Lernens herangezogen.

  • Bei der psychologischen Behandlung zur Stützung des Benzodiazepinentzugs haben sich das Angstbewältigungstraining und das Symptommanagementtraining als wirksam erwiesen. Patienten lernen dabei progressive Entspannung, die sie in der Folge bei Auftreten von belastenden Symptomen einsetzen und so der Anspannung entgegenwirken sollen. Beim Symptommanagementtraining werden zusätzliche Techniken vermittelt, die es den Patienten ermöglichen sollen, gezielt Kontrolle über bestimmte Entzugssymptome zu erlangen. Gleichzeitig wird eine schrittweise Reduzierung der Medikamentendosis durchgeführt. Eine Abbruchrate von 30–50 % und eine Abstinenzrate von 50 % legen nahe, dass der Bereich der Medikamentenabhängigkeit weiterer Anstrengungen hinsichtlich der Entwicklung von psychologischen Behandlungsmethoden bedarf.