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§ 2 Staatseigentumssemantiken

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Staatseigentum

Part of the book series: Bibliothek des Eigentums ((BIBLIO,volume 15))

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Zusammenfassung

Von Staatseigentum im eigentlichen Sinne ist im Grunde erst seit dem 18. Jahrhundert zu sprechen, in den meisten europäischen Staaten sogar erst im Anschluss an die Französische Revolution. Zuvor gab es unterschiedliche Formen obrigkeitlichen Eigentums, insbesondere das Krongut, also das der Krone zur Verfügung stehende Gut aus Domänen, Gewerben und Vorrechten, sowie das Kammergut, was den persönlichen Besitz der jeweiligen Herrscherfamilien umfasste. Zwischen Kron- und Kammergut wurde zudem nicht sehr genau unterschieden. Es dauerte lange bis im Zuge der „Versachlichung“ der politischen Organisation eine klare Trennung zwischen dem öffentlichen Eigentum des entstehenden Staates und dem persönlichen Eigentum der jeweiligen Fürstenfamilien gezogen wurde. Der Umfang des obrigkeitlichen Eigentums, das lange Zeit wesentliche Basis ihrer Handlungsfähigkeit war, schwankte, ging jedoch im Laufe der Zeit durch Verkauf, Verpachtung oder Aufgabe tendenziell zurück. Vor allem die Reformation mit der umfassenden Einziehung des vormaligen kirchlichen Besitzes bedeutete eine Vergrößerung des Krongutes; häufig war diese Vergrößerung selbst Zweck der reformatorischen Bestrebungen, was im Falle Englands offensichtlich ist. Legitimation dieser Form von Eigentum war in der Regel die Herrschaft selbst, die als von Gott eingesetzte „gute Herrschaft“ nur möglich war, wenn sie dazu die nötigen materiellen Ressourcen besaß. Diese Legitimation verlor freilich mit den Anfängen der Besteuerung und deren schließlicher Dominanz weitgehend an Bedeutung; nun ging es vor allem um Aushandlungsprozesse zwischen Obrigkeiten und Untertanen um die Steuerpflicht, mehr aber noch um deren jeweilige Höhe, sodass die Begründungen sich ausdifferenzierten. Wurde die Steuerpflicht generell noch als Existenzbedingung des Staates angesehen, in zunehmendem Maße aber bereits mit gestalterischen Impulsen der Obrigkeit im Sinne des „gemeinen Nutzens“ begründet,1 so war die jeweilige Steuerhöhe stets umstritten und musste sich in den konkurrierenden Perspektiven von Obrigkeit und Untertanen behaupten können, wobei sehr schnell sowohl Fragen der sozialen Gerechtigkeit wie das Problem der ökonomischen Nützlichkeit bzw. Schädlichkeit eine große Rolle spielten2 und die Steuerfrage zu einem Dauerstreitthema, ja wiederholt zum Anlass von Bürgerkriegen bzw. Revolten und Aufständen machten.3 Monarchien, wie etwa die preußische oder die skandinavische, die sich auf umfangreiche Domänen stützen konnten, waren insofern in einer besseren Lage als Frankreich oder England, in denen die Steuer seit dem 16. Jahrhundert als Einnahmequelle dominierte. Hier war freilich die Separation schwieriger, doch setzte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts in etwa eine Aufteilung durch, nach der die königlichen Domänen und Betriebe zu Staatsbesitz wurden, während der größere Teil des Kammergutes in den persönlichen Besitz der Fürsten überging, die im Gegenzug nun vom Staat alimentiert wurden (Zivilliste). Diese Abgrenzung war aber – zumindest bezogen auf den deutschen Raum – keineswegs präzise und eindeutig, was, solange die jeweiligen Fürstenhäuser regierten, nicht zum Streit wurde, da der Zugriff etwa auf Teile des Domänenbesitzes mit den öffentlichen Aufgaben der regierenden Häuser begründet werden konnten. Nach 1918 und der erzwungenen Abdankung der Fürstenhäuser führte diese Gemengelage dann zu einer Vielzahl von politischen und juristischen Auseinandersetzungen, die im Volksbegehren zur entschädigungslosen Enteignung der Fürstenhäuser von 1926 ihren Höhepunkt fanden.4 Während in Österreich die Fürsten mit der Konstituierung der Republik entschädigungslos enteignet wurden, schreckte die Weimarer Republik hiervor aus einer Vielzahl von Gründen zurück, nicht zuletzt, weil diese Frage auf Reichsebene keine Rolle spielte. In den einzelnen Ländern kam es zu teilweise langwierigen Verhandlungen, da nicht nur zu klären war, welchen Besitz die ehemaligen Fürstenhäuser überhaupt beanspruchen konnten, sondern auch die Frage offen war, wie sie für den jeweiligen Entzug des Eigentums, das 1918/19 lediglich beschlagnahmt worden war, entschädigt werden sollten. Die mehr oder weniger hohe Entschädigung war der Regelfall, zum Teil blieben aber umfangreiche Bestände im Eigentum der Familien, namentlich Grundbesitz, Schlösser und Paläste und Kunstsammlungen. Freilich änderten sich dadurch ihr Charakter; nach den Verständigungen handelte sich nicht mehr um „öffentliches Eigentum“; vielmehr war es nunmehr vollständig in den Privatbesitz der ehemals regierenden Häuser übergegangen.

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Notes

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  8. 8.

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    Den hatte es so in der Tat nicht gegeben, aber die Kritik war gleichwohl sehr wirkungsvoll; zur neueren Merkantilismus-Diskussion siehe Moritz Isenmann (Hg.), Merkantilismus. Wiederaufnahme einer Debatte, Stuttgart 2014. Zur Praxis der merkantilistischen Wirtschaftspolitik vgl. die Beiträge in: Guillaume Garner (Hg.), Die Ökonomie des Privilegs. Westeuropa 16.-18. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2016.

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    Rudolf Walther, Wirtschaftlicher Liberalismus, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hg. von Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck, Bd. 3, Stuttgart 1982, S. 795-806.

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    Werner Plumpe, Der Gründerkrach, die Krise des liberalen Paradigmas und der Aufstieg des Kathedersozialismus, in: Werner Plumpe, Joachim Scholtyseck (Hg.), Der Staat und die Ordnung der Wirtschaft. Vom Kaiserreich bis zur Berliner Republik, Stuttgart 2012, S. 17-42. Siehe auch Gottfried Eisermann, Die Grundlagen des Historismus in der deutschen Nationalökonomie, Stuttgart 1956.

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    Ob es sich insbesondere bei Wilhelm Roscher, Karl Knies und Bruno Hildebrandt um eine regelrechte „ältere historische Schule“ handelt, wie lange angenommen, wird inzwischen bezweifelt, David F. Lindenfeld, The Myth of the Older Historical School of Economics, in: Central European History 26, 1993, H. 4, S. 405-416.

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    Werner Plumpe, Otto von Bismarck und die soziale Frage – Überlegungen zu einem alten Thema der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, in: Tilman Mayer (Hg.), Bismarck: Der Monolith. Reflexionen am Beginn des 21. Jahrhunderts, Hamburg 2015, S. 178-201.

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Plumpe, W. (2017). § 2 Staatseigentumssemantiken. In: Depenheuer, O., Kahl, B. (eds) Staatseigentum. Bibliothek des Eigentums, vol 15. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-54308-5_2

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