Skip to main content

Liberalisierung der vertragsärztlichen Tätigkeit – mehr Freiheit oder nur mehr Freiheit für den Missbrauch?

  • Chapter
  • First Online:
Festschrift für Franz-Josef Dahm
  • 2313 Accesses

Zusammenfassung

Der Beitrag befasst sich mit den Veränderungen der Regeln über die vertragsärztlichen Versorgung in den letzten Jahren, die einer Liberalisierung der vertragsärztlichen Tätigkeit dienen sollen. Behandelt werden die Veränderungen bei der Bildung von Berufsausübungsgemeinschaften, die Erleichterungen bei der Eröffnung von Zweigpraxen und die Verbesserungen der Rahmenbedingungen für Medizinische Versorgungszentren (MVZ). Untersucht werden jeweils die Vorstellungen im Gesetzgebungsverfahren, die Umsetzung durch die Rechtsprechung sowie die Veränderungen in der Praxis. Die Perspektive ist jeweils darauf gerichtet, ob sich für die Versorgung der Versicherten relevante Verbesserungen ergeben haben.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Chapter
USD 29.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
eBook
USD 109.00
Price excludes VAT (USA)
  • Available as EPUB and PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Hardcover Book
USD 139.99
Price excludes VAT (USA)
  • Durable hardcover edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free shipping worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Institutional subscriptions

Notes

  1. 1.

    MedR 2006, 555 (zusammen mit Rudolf Ratzel).

  2. 2.

    Exemplarisch etwa Dahm/Bäune, MedR 2012, 77 zum VStG und Bäune/Dahm/Flasbarth, MedR 2016, 4 zum VSG.

  3. 3.

    Franz‐Josef Dahm hat über viele Jahre als Justiziar der Verbandes der Knappschaftsärzte die Versorgung der Versicherten aktiv mitgestaltet.

  4. 4.

    Exemplarisch die leicht ironische Wendung, es sei nicht bekannt, inwieweit bislang Patienten und „das Versorgungssystem“ darunter gelitten hätten, dass in Praxen keine nicht fachgebietsgleichen Ärzte angestellt werden konnten (MedR 2006, 555); diese Anstellungsmöglichkeit besteht seit 2007 auf der Grundlage des § 95 Abs. 9 SGB V.

  5. 5.

    Hier ist nur auf die Umsetzungsprobleme der durch das VSG im Juli 2015 eingeführte Regelung des § 103 Abs. 4 Satz 10 SGB V hinzuweisen, nach der im Falle der Bewerbung eines MVZ auf einen frei werdenden Vertragsarztsitz auch „die Ergänzung des besonderen Versorgungsangebotes des MVZ“ anstelle der Kriterien des Satzes 5 (u. a. berufliche Eignung und Dauer der ärztlichen Tätigkeit) berücksichtigt werden kann. Wie sich Versorgungsaufträge ohne Bezug zu einem bestimmten Arzt zu personenbezogenen Qualifikationsmerkmalen verhalten, hätte in der Gesetzesbegründung zum VSG näher erläutert werden sollen, was aber nicht geschehen ist (BT Drucks. 18/ 4095 S. 114 zu Art. 1 Nr. 44); sehr kritisch dazu – sogar im Sinne der Unwirksamkeit der Norm im Hinblick auf die Ungleichbehandlung von MZV und fachgebietsübergreifenden Berufsausübungsgemeinschaften – Bäune/Dahm/Flasbarth, MedR 2016, 4, 7.

  6. 6.

    Überblick bei Ratzel/Lippert, Kommentar zur Musterberufsordnung der Deutschen Ärzte, 6. Aufl. 2015, §§ 18, 18a, Rdnr. 1‐5

  7. 7.

    Gesetzentwurf der Bundesregierung zum VÄndG, BT Drucks. 16/2474 S. 16; im Allgemeinen Teil der Begründung ist das große Programm der „Liberalisierung der ärztlichen Berufsausübung“ niedergelegt.

  8. 8.

    Dahm/Ratzel, MedR 2006, 557 mit dem Hinweis, dass die gemeinsame Tätigkeit am Patienten hier völlig in den Hintergrund tritt, so dass die Annahme naheliege, dass solche Zusammenschlüsse in erste Linie nicht mehr patientenorientiert erfolgen.

  9. 9.

    Meine Perspektive für eine solche Beurteilung ist naturgemäß die richterliche: bei den Sozialgerichten landen die Fälle, in denen es Streit über die Rechtmäßigkeit bestimmter Kooperationen gibt, und nicht die, in denen alles für die Beteiligten Ärzte gut läuft. Das prägt selbstverständlich die Einschätzungen und soll hier deshalb ausdrücklich – auch im Sinne einer möglichen Relativierung von Bewertungen – benannt werden.

  10. 10.

    Das BSG hat sich mittelbar im Urteil vom 16.12.2015 – B 6 KA 26/15 R – mit dem Status einer überörtlichen BAG befasst; es ging um die Frage, ob für die Versendung von zytologischen Untersuchungsmaterial zwischen zwei Standorten einer solchen BAG die Versandkostenpauschale nach Nr. 40100 EBM‐Ä. Die Berechnung dieser Erstattungsposition ist nach der Präambel 40.3 EBM‐Ä für den Versand innerhalb einer BAG ausgeschlossen, und das BSG hat – entgegen der Auffassung des SG Kiel als Vorinstanz – entschieden, dass auch eine überörtliche BAG als BAG in diesem Sinne zu verstehen ist. Ärzte können schwerlich diese Form der Kooperation wählen, weil sie sich davon wirtschaftliche Vorteile versprechen, und die damit zwangsläufig verbundenen Kosten der Logistik zwischen den verschiedenen Standorten auf die KÄV abwälzen.

  11. 11.

    Zu Konflikten dürfte es erst kommen, wenn sich zeigt, dass die Voraussetzungen des § 33 Abs. 2 Satz Ärzte‐ZV in der Realität nicht umgesetzt werden, etwa weil die beteiligten Ärzte mehr an einem attraktiven Standort eines Partners der BAG als an ihrem eigenen Vertragsarztsitz praktizieren. Noch nicht abschließend geklärt ist, auf welcher Rechtsgrundlage in einem solchen Fall der Zulassungsausschuss die Genehmigung widerrufen kann. § 45 SGB X, der generell für die Rücknahme eines Genehmigungsbescheides herangezogen wird (Schallen, Zulassungsverordnung, 8. Aufl. 2012, § 33, Rdnr. 139), passt jedenfalls nicht, weil die Genehmigung ursprünglich rechtmäßig war. Näher liegt die Anwendung des § 47 SGB X, soweit die Genehmigung ausdrücklich oder sinngemäß mit dem Vorbehalt ihres Widerrufs für den Fall verbunden war, dass die Beteiligten die Vorgaben des § 33 Abs. 2 Satz 3 Ärzte‐ZV beachten. § 48 SGB X kommt in Betracht, wenn sich die örtliche Präsenz der Partner der BAG im Laufe der Zeit immer weiter von den Vorgaben des § 33 Abs. 2 Satz 3 Ärzte‐ZV entfernt.

  12. 12.

    Die selbstreferentielle Zitatkette läuft offenbar über Flenker, DÄ 2004, A‐1551, Steinhilper/Weiner, GesR 2006, 203 zu BT Drucks. 16/2474 S. 31 zurück zu Dahm/Ratzel, MedR 2006, 557/558 mit dem finalen Hinweis in Fn. 34: „viel mehr fällt dazu offenbar nicht ein“.

  13. 13.

    BT Drucks. 16/2474 S. 31 mit dem Beispiel der Kooperation eines Gynäkologen mit einem Laborarzt.

  14. 14.

    Schallen, a. a. O. § 33 Rdnr. 43 formuliert so pointiert, dass mit § 33 Abs. 2 Satz 3 Ärzte‐ZV ein etwaiger Verstoß gegen das berufsrechtliche Verbot der Zuweisung gegen Entgelt legalisiert werde.

  15. 15.

    Exemplarisch Rothfuß, in: Bäune/Meschke/Rothfus, Kommentar zur Zulassungsverordnung für Vertragsärzte und Vertragszahnärzte (Ärzte‐ZV, Zahnärzte‐ZV), 2008, § 33 Rdnr. 56.

  16. 16.

    Der Gesetzgeber spricht von einer „Klarstellung“ (BRat Drucks. 456/11 S. 131 zu Art. 9 Nr. 13).

  17. 17.

    Näher zur Systematik BSG v. 25.03.2015 – B 6 KA 24/14 R, Rdnr. 26.

  18. 18.

    BSG v. 25.03.2015 – B 6 KA 24/14 R, Rdnr. 29.

  19. 19.

    BSG v. 25.03.2015 – B 6 KA 21/14 R, Rdnr. 30.

  20. 20.

    Überblick bei Engelmann, GesR 2004, 113 ff.

  21. 21.

    BRat Dr. 456/11 S. 160.

  22. 22.

    MedR 2006, 563.

  23. 23.

    Die möglichen Verwerfung im Zuge der Eröffnung von Zweigpraxen in überversorgten Gebieten werden in der ersten Entscheidung des BSG zu § 24 Abs. 3 Ärzte‐ZV deutlich benannt: Urteil v. 28.10. 2009 – B 6 KA 42/08 R (BSGE 105, 10, Rdnr. 37‐39 = MedR 2010, 511, 518 f.).

  24. 24.

    So der Vorschlag von Dahm/Ratzel, MedR 2006, 563 mit dem diskreten Zusatz „unbeschadet der Hinweise in der Begründung zum VÄndG“.

  25. 25.

    BSG v. 16.12.2015 – B 6 KA 37/14 R, Rdnr. 19.

  26. 26.

    BT Dr. 16/2474 S. 30.

  27. 27.

    BSG v. 28.10.2009 – B 6 KA 42/08 R; (BSGE 105, 10 = MedR 2010, 511).

  28. 28.

    BSG v. 16.12.2015 – B 6 KA 37/14 R.

  29. 29.

    So ausdrücklich schon die Begründung zur Einführung der Altersgrenze durch das GSG (BT‐Drucks. 12/3608 S. 93).

  30. 30.

    BVerfG v. 31.03.1998 – 1 BvR 2167/93 = MedR 1998, 323, 325; SozR 3‐ 2500 § 95 Nr. 17 S. 59

  31. 31.

    BRat Drucks. 353/06 S. 46.

  32. 32.

    Dazu BSG v. 14.11.1993, 6 RKa 26/91 (SozR 3‐ 5520 § 25 Nr. 1) und v. 18. 12. 1996, 6 RKa 73/96 (SozR 3‐ 2500 § 98 Nr. 4 für die vertragszahnärztliche Versorgung).

  33. 33.

    BT Drucks. 1672474 S. 30; näher Dahm/Ratzel, MedR 2006, 564.

  34. 34.

    BT Drucks. 16/3157 S. 17.

  35. 35.

    Sie wurden zunächst durch eine Übergangslösung für Ärzte ersetzt, die im Jahr 2008 das 68. Lebensjahr vollendet haben (BT Drucks. 16/10609 S. 9).

  36. 36.

    BT Drucks. 16/10609 S. 55.

  37. 37.

    Ganz unverständlich ist das Argument, die Aufhebung der Altersgrenze habe „mehr Planungssicherheit“ zur Folge. Das Gegenteil ist der Fall, weil sich jeder auf den Tag der Vollendung des 68. Lebensjahres einstellen kann, so dass die Praxisübergabe für diesen Zeitpunkt langfristig – genau: schon mit Beginn der Tätigkeit, weil sich an dem Geburtstag eines Menschen in der Regel nichts mehr ändert – geplant werden kann. Dass (auch) die Justizverwaltungen immer wieder davon überrascht werden, dass Richterinnen und Richter plötzlich die für sie geltende Altersgrenze erreichen, so dass erst danach mit Überlegungen zur Nachbesetzung ihrer Stelle begonnen wird, beweist nur die (partiellen) Defizite dieser Verwaltungen, nichts sonst.

  38. 38.

    § 48a BNotO.

  39. 39.

    MedR 2006, 564.

  40. 40.

    BT Drucks. 16/2474 S. 21.

  41. 41.

    BSG v. 11.02.2015 – B 6 KA 11/14 R = MedR 2015, 837; das Verfahren betraf den vertragszahnärztlichen Versorgungsbereich. Der zum Verfahren beigeladene Zahnarzt wollte seinen Versorgungsauftrag am Standort seiner bisherigen Praxis in Thüringen auf die Hälfte reduzieren und zugleich in einem benachbarten Ort in Sachsen eine schon bestehende Praxis mit hälftigem Versorgungsauftrag übernehmen und weiterführen. Warum dieses – in der vorliegenden Konstellation auch aus der Perspektive der Versicherten in dem sächsischen Ort – sinnvolle Konzept nicht über eine Ermächtigung zur Führung einer Zweigpraxis nach § 24 Abs. 3 Zahnärzte‐ZV realisiert werden konnte, blieb unklar: Der für Sachsen zuständige Zulassungsausschuss hatte das Begehren des Zahnarztes jedenfalls abgelehnt, so dass dieser konsequent den Weg über zwei Teilzulassung gewählt hat, statt die Entscheidung des ZA in Sachsen anzugreifen. Das Urteil betrifft grundsätzlich auch den ärztlichen Versorgungsbereich, doch sind stets die Einschränkungen zu beachten, die das BSG unter dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung der Versorgung an beiden Standorten fordert (a. a. O. Rdnr. 44 = MedR 2015, 837, 841 f.).

  42. 42.

    BSG v. 16.12.2015 – B 6 KA 5/15 R zu einem Transfusionsmediziner; das Parallelurteil vom selben Tag im Verfahren B 6 KA 19/15 R ist zu einem Pathologen ergangen. Das BSG hat daran festgehalten, dass ungeachtet der Möglichkeit der Zulassung mit hälftigem Versorgungsauftrag und der Erleichterung der Kombination von vertragsärztlicher Tätigkeit und anderen ärztlichen Tätigkeiten durch die Neufassung des § 20 Abs. 1 Ärzte‐ZV durch das VStG zum 01.10.2012 eine vertragsärztliche Tätigkeit nicht neben einer Vollzeitbeschäftigung als Chefarzt und Hochschullehrer im Beamtenverhältnis nicht ausgeübt werden kann. Für die Versorgung der Versicherten ergeben sich daraus keine Einschränkungen, denn die Kläger in den beiden vom BSG entschiedenen Verfahren waren jeweils in begrenztem Umfang zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt; Hinweise darauf, dass diese Ermächtigungen nicht hätten verlängert werden können, haben sich in den Verfahren nicht ergeben.

  43. 43.

    Nach der im April 2016 veröffentlichen Ärztestatistik der Bundesärztekammer für 2015 waren 120.733 Ärztinnen und Ärzte in freier Praxis niedergelassen und 29.373 Ärztinnen und Ärzte im ambulanten Bereich im Anstellungsverhältnis tätig; der Anstieg der Zahl der im Anstellungsverhältnis im ambulanten Bereich tätigen Ärztinnen und Ärzte ist der höchste Anstieg, der überhaupt in der Statistik für eine Gruppe verzeichnet wird.

  44. 44.

    Die transparente Reduzierung eines Versorgungsauftrags durch einen Arzt oder eine Ärztin, die tatsächlich nicht in größerem Umfang tätig werden kann oder will, ist nunmehr die gebotene Alternative zur faktischen Verminderung der Behandlungstätigkeit auf die Hälfte des durchschnittlichen Tätigkeitsumfangs. Zumindest in gesperrten Planungsbereichen sind die KÄVen gehalten, in solchen Fällen intransparenter Reduzierungen der Tätigkeit auf die Entziehung des hälftigen Versorgungsauftrags hinzuwirken, um ein Auseinanderfallen von realer Versorgungslage und Ergebnis der Bedarfsplanung zu verhindern (in diesem Sinne explizit auch Dahm/Ratzel MedR 2006, 564).

  45. 45.

    Ein hausärztliches MVZ in Niedersachsen ist im Frühjahr 2016 in die Insolvenz gegangen, wohl auch, weil es nicht gelungen ist, dauerhaft Hausärzte zu binden (Ärzte‐Zeitung v. 13.04.2016); das könnte darauf hindeuten, dass Ärzte u. U. die Tätigkeit im Anstellungsverhältnis als passend für die Phase des beruflichen Einstiegs ansehen, nach Gewinnung einer gewissen Behandlungsroutine zumindest im hausärztlichen Bereich dann aber doch eine Niederlassung bevorzugen.

  46. 46.

    Zutreffend Schallen, Zulassungsverordnung, 8. Aufl., 2012, § 19a Rdnr. 27.

  47. 47.

    Davon kann wohl nur ausgegangen werden, wenn sich in der Praxis zeigen sollte, dass dem Anliegen einer zeitweiligen Reduzierung der vertragsärztlichen Tätigkeit aus familiären Gründen nicht durch ein hälftiges Ruhen der Zulassung nach § 26 Abs. 1 Ärzte‐ZV Rechnung getragen werden kann. Eine der Gewährleistung des Art. 6 Abs. 2 GG angepasste, flexible Gestaltung der Ruhensregelung hat jedenfalls aus systematischen Gründen Vorrang vor einer etwaigen Änderung des § 19a Abs. 3 Ärzte‐ZV. Die „Richtschnur“ des BSG, dass im Hinblick auf die Betreuung von Kindern das Ruhen der Zulassung für maximal drei Jahre in Betracht kommt (Vgl. Schallen, a. a. O., § 26, Rdnr. 8; Meschke, in: Bäune/Meschke/Rothfuß, Kommentar zur Zulassungsverordnung für Vertragsärzte und Vertragszahnärzte (Ärzte‐ZV, Zahnärzte‐ZV), § 26, Rdnr. 27 jeweils unter Hinweis auf einem vor dem BSG im Verfahren B 6 KA 12/06 R geschlossenen Vergleich), mag für das lediglich hälftige Ruhen der Zulassung noch nicht das letzte Wort sein. Jedenfalls in überversorgten Planungsbereichen bedürfte es wohl einer eingehenden Begründung, warum Ärztinnen und Ärzten in ihren Rollen als Mütter und Väter nicht auch ein längerer als drei Jahre umfassender Zeitraum zur Reduzierung ihre Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ermöglicht werden sollte. In unterversorgten Bereichen stellt sich die Lage natürlich anders dar, aber mit einer Versagung des Ruhens ist dort nichts verbessert: wenn der Hausärztin in der Uckermark oder im Hunsrück das hälftige Ruhen wegen der Betreuung von Kindern versagt wird, verzichtet sie eben auf die Hälfte des Versorgungsauftrags und beantragt nach Abschluss der Familienphase nach § 19a Abs. 3 Ärzte‐ZV die Aufhebung der Beschränkung und dürfte dann vom Bürgermeister zumindest einen halb so großem Blumenstrauß zur Begrüßung (als „Vollzeitärztin“) bekommen wie die Ärztin, die sich dort erstmals niederlässt.

  48. 48.

    Dass der ärztliche Beruf seiner Natur nach ein freier Beruf sei, wie in § 1 Abs. 1 Satz 3 MBO‐Ä formuliert wird, ist für die Qualifizierung von beruflichen Tätigkeiten als „abhängige Beschäftigung“ oder „selbständige Tätigkeit“ im Arbeits‐, Sozialversicherungs‐ und Steuerrecht ohne Bedeutung. Die ärztliche Tätigkeit kann selbstverständlich auch im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werden; das ist im Rahmen der stationären Versorgung schon immer so praktiziert worden und gilt jetzt eben auch in der ambulanten Versorgung für Ärztinnen und Ärzte, die in einem MVZ oder bei Vertragsärzten angestellt sind. Dass Ärzte, die in einem Anstellungsverhältnis tätig sind und für deren Handlungen der Anstellungsträger (Krankenhaus, MVZ) nach außen gegenüber dem Patienten haftet, an Weisungen auch hinsichtlich ihrer genuin ärztlichen Tätigkeit gebunden sind, kann nicht in Frage gestellt werden. § 2 Abs. 4 MBO‐Ä bestimmt deshalb auch lediglich, dass Ärztinnen und Ärzte hinsichtlich ihrer ärztlichen Entscheidungen keine Weisungen von Nichtärzten entgegennehmen dürfen. Insoweit besteht schon ein Unterschied zwischen der ärztlichen Freiheit im Sinn des § 1 MBO‐Ä und der richterlichen Unabhängigkeit im Sinne des Art. 97 GG, die beide unter Verdacht stehen, mehr ideologieträchtige Leerformeln als rechtlich verbindliche Vorgaben zu sein. Auch wenn die richterliche Unabhängigkeit bisweilen als Mythos verspottet wird (auf hohem Niveau, aber ohne eindeutige Belege für klare Verletzungen: Lamprecht, Vom Mythos der Unabhängigkeit, 1995), bleibt normativ und in der Praxis unzweifelhaft: kein Präsident kann einen Richter anweisen, wann er ein Verfahren laden und wie er entscheiden soll. Das ist grundsätzlich bei Ausübung der ärztlichen Tätigkeit in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis anders: wenn in einem orthopädisch‐unfallchirurgisch tätigen MVZ auf der Grundlage einer Anweisung des ärztlichen Leiters alle Patienten mit (potenziellen) Verletzung erst geröntgt werden sollen, bevor sie einem Arzt vorgestellt werden, muss der dort angestellte Arzt das hinnehmen oder sich einen anderen Arbeitsplatz suchen, wenn seine Kritik an diesem überaus fragwürdigen Vorgehen MVZ‐intern nicht aufgenommen wird. Lippert beschränkt deshalb richtigerweise die aus § 1 Abs. 1 Satz 3 MBO‐Ä abzuleitende therapeutische Verantwortung des Arztes für die Patienten im Rahmen des Budgets auf „leitende Ärzte“, die allerdings nach seiner Einschätzung wegen ihrer Einbindung in die Strukturen eines Krankenhauses und ihrer Bindung an wirtschaftliche Vorgaben auch (schon) keinen freien Beruf (mehr) ausüben (Ratzel/Lippert, Kommentar zur Musterberufsordnung der Deutschen Ärzte, 6. Aufl. 2015, § 1, Rdnr. 7).

  49. 49.

    Die Öffnung der Zulassung für MVZ erfolgte durch das GMG zum 01.01.2004; mit dem VÄndG wurden wichtige Klarstellungen vorgenommen (Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, 2008, § 15, Rdnr. 18). Mit der Aufgabe des für das MVZ bislang konstitutiven Merkmals „fachübergreifend“ in § 95 Abs. 1 Satz 2 SGB V durch das VSG zum 23. 07. 2015 (jetzt heißt es nur noch „ärztlich geleitete Einrichtungen“), ist klar, dass es beim MVZ nur noch um die Organisation der ärztlichen Tätigkeit und nicht um ein besonderes Versorgungsangebot für die Versicherten geht, denen – so die Vorstellung vielleicht bei Einführung der MVZ – eine Versorgung „aus einer Hand“ bei der Behandlung von Gesundheitsstörungen auf verschiedenen medizinischen Fachgebieten zur Verfügung gestellt werden soll (ähnliche Tendenz zur Bewertung der Neuregelung durch das VSG bei Bäune/Dahm/Flasbarth, MedR 2016, 4, 6).

  50. 50.

    In den „Zahnärztlichen Mitteilungen“ 2015, 2205 wird ein Sachverständiger für die Bewertung von Praxen (Prof. Dr. Wolfgang Merk) so zitiert: „Im humanmedizinischen Bereich betreibt beispielsweise Fresenius über seine Kliniktöchter Helios und Rhön eine Vielzahl vom MVZ. Gekauft werden insbesondere nephrologische Praxen. Das ist dann eine Vorwärtsverteidigung. Mit diesen Praxen ist der Absatzkanal von Fresenius im Bereich der Dialysetechnik für die kommenden Jahre gesichert – selbst wenn die Praxis an sich keinen Profit abwerfen sollte“.

  51. 51.

    Berufsausübungsgemeinschaften nach § 33 Abs. 2 Ärzte‐ZV sind vertragsarztrechtlich mit dem Tag aufgelöst, an dem einer der Partner erklärt, die gemeinsame Ausübung der vertrags(zahn)ärztlichen Tätigkeit nicht fortsetzen zu wollen (BSG SozR 3‐2200 § 368c Nr. 1 S. 4). Es gibt langjährig gewachsene, große Berufsausübungsgemeinschaften, die hinsichtlich ihrer Stabilität und Kontinuität nicht hinter MVZen zurückbleiben dürften; in der typischen Konstellation bietet das MVZ in der Trägerschaft einer juristischen Person aber deutlich mehr Sicherheit für einen dort tätigen Arzte als eine BAG, die immer auf die Bereitschaft zur Kooperation aller Mitglieder angewiesen und bei Streitigkeiten auch schnell – und ohne statusrechtliche Konsequenzen für ihre Mitglieder – aufgelöst werden kann: die Vertragsärzte können nach der Auflösung der BAG alleine oder in einer neuen Kooperationsform weiterarbeiten, die angestellten Ärzte bleiben vielleicht auf der Strecke.

  52. 52.

    Für wenige Berufsgruppen ist der Wechsel von der angestellten in eine selbständige Tätigkeit und auch der Wechsel in der umgekehrten Richtung so leicht möglich wie für Ärzte: diese sind sowohl als Selbständige wie als Angestellte im Versorgungswerk ihrer Kammer rentenversichert, so dass zur Sicherung der Kontinuität beim Aufbau der Altersversorgung zweifelhafte Umwege wie derjenige über den Syndikusanwalt bei Rechtsanwälten (zur Kontroverse BSG v. 03.04.2014 – B 5 RE 13/14 R, BSGE 115, 267; zur besonderen Situation der sog. Honorarärzte Wenner, Soziale Sicherheit 2014, 245, 247) unnötig sind. Ihre Krankenversicherung ist nicht zwingend von dem Status abhängig, in dem sie ihre ärztliche Tätigkeit ausüben: während ihrer ersten beruflichen Tätigkeit als Assistenzärzte sind sie in aller Regel als Angestellte tätig und haben deshalb die Möglichkeit, auch bei Überschreitung der Versicherungspflichtgrenze § 6 Abs. 6 SGB V gesetzlich krankenversichert zu sein (§ 9 Abs. 1 Nr. SGB V); haben sie dafür optiert, können sie auch nach Beendigung der Beschäftigung und Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit die freiwillige Versicherung fortsetzen. Im Übrigen dürften sie im Hinblick auf die Höhe ihres Einkommens auch immer für eine private Krankenversicherung optieren können.

  53. 53.

    BSG v. 21. 03. 2012 – B 6 KA 22/11 R, Rdnr. 30 = MedR 2013, 66, 68 unter Hinweis auf Bäune/Dahm/Flasbarh, MedR 2012, 77, 81).

  54. 54.

    Näher etwa Hergt, Zahnärztliche Mitteilungen (ZM) 2015, 2205.

  55. 55.

    Instruktiv die Kontroverse zwischen Kraus und Klingenberger über die praktischen und ordnungspolitischen Vor‐ und Nachteile von MVZ speziell im zahnärztlichen Bereich nach der Freigabe der Grünung rein zahnärztlicher MVZ durch das BSG im Juli 2015 mit dem Wegfall des Merkmals „fachgebietsübergreifend“ in § 95 Abs. 1 SGB V (ZM 2015, 2212–2216).

  56. 56.

    BSG v. 02.04 2014 – B 6 KA 20/13 R.

  57. 57.

    Dorra, ZMGR 2016, 89, 92 vor allem zu § 103 Abs. 4 Satz 10 SGB V in der Neufassung durch das VSG.

  58. 58.

    BSG v. 19. 10. 2011 – B 6 KA 23/11 R, BSGE 109, 182 Rdnr. 17 = MedR 2012, 830, 832 allein zum Ausschluss eines Ausschreibungsverfahrens nach § 103 Abs. 4 SGB V; zum logisch zwingend damit verbundenen Ausschluss des Prüfungsverfahrens nach § 103 Abs. 3a Wenner, MedR 2015, 175, 178.

  59. 59.

    Engels, GesR 2016, 197, 200 bei und mit Fn. 46; Dorra, ZMGR 2016, 89, 92.

  60. 60.

    BSG v. 04. 05. 2016 – B 6 KA 21/15 R zu einer Konstellation, in der ein Arzt auf seine Zulassung verzichtet hatte, und beim MVZ von vornherein nur in einem Umfang einer ¾‐Stelle tätig geworden ist. Das „fehlende Viertel“ ist beim MVZ nie „angekommen“, so dass darauf auch keine Nachbesetzung erfolgen konnte.

  61. 61.

    Im zahnärztlichen Bereich kommen auch Unternehmen der Dentaltechnik in Betracht, die sich über eine kleine Zahnklinik die Möglichkeit schaffen, zahnärztliche MVZ zu betreiben.

  62. 62.

    Auf die Dialyseversorgung insgesamt kann hier nicht näher eingegangen werden; zahlreiche Entscheidungen des BSG u. a. zu Konkurrentenklagen legen die Vermutung nahe, dass es sich insoweit – ganz ohne das Auftreten von konzerngetragenen MVZ – um einen (zurückhaltend formuliert) schwierigen Markt mit schwer durschaubaren Strukturen handelt, u. a. als Folge der Konkurrenz zwischen Vertragsärzten und dem Kuratorium für Heimdialyse (KfH).

  63. 63.

    Die Ärzte‐ZV ist eine Rechtsverordnung im Sinne des Art. 80 GG, die in den letzten Jahrzehnten immer nur durch den parlamentarischen Gesetzgeber geändert worden ist. Daraus hatte das BSG zunächst abgeleitet, dass eine verfassungsrechtliche Prüfung, ob bei Vorschriften der Ärzte‐ZV den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz GG hinsichtlich der Ermächtigungsnorm im SGB V genügt ist, nicht stattzufinden hat. Daran kann im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG, wonach auch eine im Gesetzgebungsverfahren geändert Rechtsverordnung keinen Gesetzesrang hat, nicht länger festgehalten werden (BSG v. 13.05.2015 – B 6 KA 25/14 R, Rdnr. 21); in diesem Sinne ist auch der Beschluss des BVerfG v. 26.9.2016 – 1 BvR 1326/15 – zu verstehen, mit dem § 19 Abs. 3 Ärzte-ZV (Wegfall der Zulassung im überversorgten Gebiet nach unterlassener Aufnahme der Tätigkeit binnen dreier Monate nach der Zulassung) für nichtig erklärt worden ist.

  64. 64.

    BSG v. 30.01.2002 – B 6 KA 20/01 R, BSGE 89, 134 = MedR 2002, 660.

  65. 65.

    Dahm/Ratzel, MedR 2006, 567.

  66. 66.

    Es war stets klar, dass neben Vertragsärzten, die das MVZ als Alternative zur BAG wählen würden, vorrangig Krankenhäuser als Träger von MVZen in Betracht kommen würden. Diesem Umstand hat das BSG erhebliche Bedeutung bei der Entscheidung zugemessen, dass die von § 95 Abs. 2 Satz 6 SGB V geforderte Bürgschaft der Gesellschafter der MVZ‐Träger‐GmbH von der GmbH gestellt werden können, die Trägerin des Krankenhauses ist, dass also nicht erforderlich ist, dass die Bürgschaft von einer natürlichen Person gestellt wird, die (auch) mit ihrem Privatvermögen haftet (BSG v. 22.10.2014 – B 6 KA 36/13 R, SozR 4‐ 2500 § 95 Nr. 28 Rdnr. 25 = MedR 2015, 617, 620).

  67. 67.

    Wer schon einmal – vielleicht als Besucher – die Freude eines Patienten im Krankenhaus erlebt hat, der am dritten Behandlungstag zumindest glaubte, nunmehr erstmalig von einem Arzt aufgesucht zu werden, den er in den Tagen zuvor schon einmal gesehen hatte, dürfte eine realistische Einschätzung von der Chance eines Patienten haben, ambulant im Krankenhaus‐MVZ und stationär im Krankenhaus vom demselben Arzt versorgt zu werden. Damit sind die Zwänge, die sich für jedes Krankenhaus aus der Notwendigkeit eines effektiven Personaleinsatzes und den begrenzten Arbeitszeiten der Ärzte ergeben, nicht in Frage gestellt; es ist nur nicht sicher, ob Marketing und tatsächliches Angebot in Einklang stehen, etwa so wie bei der belegärztlichen Tätigkeit: hier wird der Patient tatsächlich von dem HNO‐Arzt operiert, den er aus der vorangegangen ambulanten Behandlung kennt.

  68. 68.

    Ein instruktives Beispiel ist das St.Josefs‐Hospital in Dortmund‐Hörde, das auf seiner Website unter Abteilungen keine „Klinik für Radiologie“ sondern nur „Radiologie“ ausweist und darauf verweist, dem Krankenhaus sei das radiologische MVZ Prof. Dr.U. „angegliedert“, so dass den Patienten eine „Fachabteilung“ für Radiologie zur Verfügung stehe, die das komplette diagnostische, strahlenheilkundliche und nuklearmedizinische Spektrum umfasse.

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Editor information

Editors and Affiliations

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 2017 Springer-Verlag GmbH Germany

About this chapter

Cite this chapter

Wenner, U. (2017). Liberalisierung der vertragsärztlichen Tätigkeit – mehr Freiheit oder nur mehr Freiheit für den Missbrauch?. In: Katzenmeier, C., Ratzel, R. (eds) Festschrift für Franz-Josef Dahm. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-54115-9_34

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-662-54115-9_34

  • Published:

  • Publisher Name: Springer, Berlin, Heidelberg

  • Print ISBN: 978-3-662-54114-2

  • Online ISBN: 978-3-662-54115-9

  • eBook Packages: Social Science and Law (German Language)

Publish with us

Policies and ethics