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Teilansicht einer Destillationskolonne für Bioethanol in Brasilien. (© Usina Nova Gália Ltda.)

Die Ausbildung bioökonomischer Wertschöpfungsketten hat Implikationen für Unternehmen, Regionen, Arbeitsplätze und Konsumenten. Die wichtigsten Faktoren, von denen die erfolgreiche Transformation zu einer nachhaltigen Bioökonomie abhängt, sind Rohstoffversorgung, Produktionskosten, ökologische Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Akzeptanz . Der Übergang von der fossilbasierten Wirtschaft zur Bioökonomie wird Jahrzehnte in Anspruch nehmen und in dieser Phase stehen die meisten biobasierten Wertschöpfungsketten im Wettbewerb mit fossil basierten. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass nicht alle heute von der fossil basierten Wirtschaft dominierten Bereiche durch biobasierte Verfahren abgelöst werden. So sind beispielsweise in der Energiewirtschaft auch nichtbiobasierte Prozesse nachhaltig zu entwickeln, etwa durch Wind-, Wasser- und Sonnenenergie. Der Übergang in stärker biobasierte Wirtschaftsformen muss sich an den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit orientieren und dabei die zunehmende Konkurrenz zahlreicher Wirtschaftsbranchen um knappe Biomasseressourcen berücksichtigen. Daraus ergeben sich grundsätzliche Zielkonflikte, die zu lösen sind, wenn der Übergang gelingen soll. An diese Lösung knüpfen sich die beiden wichtigsten allgemeinen Erfolgsvoraussetzungen zukünftiger Bioökonomien an. Ihre Produkte müssen auf den Märkten konkurrenzfähig sein. Damit einhergehend müssen ihre Innovationen sowohl im Business-to-Business-Bereich (B2B) als auch im Business-to-Customer-Bereich (B2C) von den Kunden aktiv gestaltet und angenommen werden.

8.1 Zielkonflikte und deren potenzielle Lösung mittels Eco-Innovation

Eine nachhaltige Entwicklung des Lebens auf unserer Erde muss wirtschaftliche, soziale und ökologische Zielsetzungen einbeziehen. Daran orientiert sich auch der Wandel zu einer biobasierten Wirtschaft.

Die Bioökonomie kann wichtige Beiträge für die wirtschaftliche Nachhaltigkeit liefern. Sie birgt das Potenzial, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Sektoren zu erhalten und gleichzeitig Verbesserungen in der Produktivität, Innovationsfähigkeit und Ressourceneffizienz zu erzielen. Um dies zu erreichen, werden innovative, biobasierte und nachhaltige Produkte und Produktionswege benötigt, um die europäischen Volkwirtschaften im Verlauf des Übergangs weg von fossilen Rohstoffen davor zu schützen, „verwundbar und unsicher gegenüber abnehmender Versorgung und volatilen Märkten“ zu sein (EC 2012).

In Bezug auf die soziale Nachhaltigkeit verspricht die Bioökonomie, Arbeitsplätze auf lokaler und regionaler Ebene zu schaffen. Dadurch können soziale Standards gehalten und gegebenenfalls Armut verringert werden. Es besteht auch eine Chance auf größere Verteilungsgerechtigkeit, insbesondere durch die wirtschaftliche Entwicklung von ländlichen und küstennahen Gebieten. Die produktive Nutzung von Nebenprodukten wie z. B. Tomatenpflanzenabfällen und Weizenstroh als Rohstoffe für biobasierte funktionale Inhaltsstoffe bzw. Verpackungen legt die Grundlage für stärker regional integrierte Netzwerke (EBP 2014; EC 2014).

Die Bioökonomie bietet ferner die Chance, die weltweit wachsende Nachfrage nach Nahrungsmitteln , Bioenergie , Textilien und anderen Endprodukten nicht mehr überwiegend aus fossilen Ressourcen zu decken (OECD 2009). Damit schwächt sie die Folgen des Klimawandels ab und verbessert die Ressourceneffizienz . Eine wesentliche ökologische Komponente der Bioökonomie ist auch das Schließen von Stoffkreisläufen in nachhaltiger Art und Weise (EC 2015; Kap. 7). So kann eine mit dem Ziel der Nachhaltigkeit entwickelte Bioökonomie entscheidend zur Erreichung der Ziele der ökologischen Nachhaltigkeit beitragen.

Andererseits stehen all diejenigen Ressourcen, die biobasierten Sektoren zugute kommen, anderen Nutzungen der Wertschöpfung nicht zur Verfügung. Dabei konkurrieren die Unternehmen in den biobasierten Sektoren nicht nur mit ihren fossil basierten Alternativen. Auch innerhalb der verschiedenen Bereiche der Bioökonomie selbst gibt es einen Wettbewerb um die begrenzte Biomasse und andere Produktionsmittel. Die Notwendigkeit, die vorhandenen Biomasseressourcen zwischen vielen unterschiedlichen Anwendungsbereichen aufzuteilen, führt zu Zielkonflikten. Einer davon ist der mögliche Konflikt zwischen dem Ziel der Ernährungssicherheit und dem Ziel der energetischen Nutzung von Biomasse. Allgemein entstehen Zielkonflikte dann, wenn das Erreichen eines Ziels die Erreichung eines anderen Ziels beeinträchtigt (Springer Gabler Verlag 2015).

Zur Lösung solcher Zielkonflikte können Prinzipien für die Bioökonomie aufgestellt werden, nach denen der Wandel zur biobasierten Wirtschaft erfolgen soll. Diese Prinzipien legen die Prioritäten fest, nach denen die Akteure des Wandels ihre Entscheidungen treffen sollten. Ein gutes Beispiel dafür sind die übergeordneten Grundsätze, die vom Standing Committee of Agricultural Research (SCAR) erarbeitet wurden. Als ein wichtiges Beratungsgremium der Forschungs- und Innovationspolitik in der Europäischen Union übernimmt SCAR mit seinen Vorschlägen eine wegweisende Rolle für den Übergang zu einer biobasierten Wirtschaft. Dass der Ernährungssicherheit und nachhaltigen Erträgen höhere Priorität gegenüber der stofflichen und energetischen Nutzung von Biomasse eingeräumt wird, stellt sicher, dass die Bioökonomie ihre vielfältigen Ziele nicht nur in naher Zukunft, sondern auch auf lange Sicht verwirklichen kann.

SCAR (2015): Fünf Prinzipien für die Bioökonomie

  1. 1.

    Nahrungsmittel zuerst: das Primat der Ernährungssicherheit gewährleisten

  2. 2.

    Nachhaltige Erträge: dafür sorgen, dass Erntemengen nicht die Regenerationsfähigkeit der Anbauflächen beeinträchtigen

  3. 3.

    Kaskadennutzung: die Biomasse zuerst für das nutzen, was den höchsten Wert erzielt

  4. 4.

    Kreislaufwirtschaft: Produktionsabfälle reduzieren, wiederverwenden und recyceln

  5. 5.

    Vielfältigkeit: den Ausstoß, das Ausmaß, die Verfahren und die Technik der Produktion diversifizieren

Neben der Befolgung dieser Prinzipien, deren erfolgreiche Umsetzung mit einer freien Marktwirtschaft nur dann vereinbar ist, wenn sie auch wirtschaftlich sind, können auch Eco-Innovationen mögliche Konflikte zwischen verschiedenen Zielen überwinden (Exkurs 8.1). Der Begriff der Eco-Innovation wird in der Literatur unterschiedlich definiert. So heißt es z. B. (Kemp und Pearson 2007): „Eco-innovation is the production, assimilation or exploitation of a product, production process, service or management or business method that is novel to the organisation (developing or adopting it) and which results, throughout its life cycle, in a reduction of environmental risk, pollution and other negative impacts of resources use (including energy use) compared to relevant alternatives.“ Im Vergleich dazu heißt es an anderer Stelle, Eco-Innovation sei „… a change in economic activities that improves both the economic and the environmental performance of society“ (Ekins 2010). Dieser Definition ist zu entnehmen, dass bei einer Eco-Innovation Zielkongruenz (Abb. 8.1) zwischen der ökologischen und ökonomischen Dimension der Nachhaltigkeit besteht (Hasler et al. 2016).

Abb. 8.1
figure 1

Eco-Innovation: Zielkongruenz zwischen zwei Dimensionen der Nachhaltigkeit

8.1 Exkurs 8.1: Phytase als Eco-Innovation

Der klassische Zielkonflikt zwischen der ökologischen und ökonomischen Dimension der Nachhaltigkeit lässt sich durch Eco-Innovationen prinzipiell lösen. Ein Beispiel einer solchen Innovation, die sowohl die Wettbewerbsfähigkeit von biobasierten Produkten erhöht als auch Vorteile für die Umwelt bringt, ist das Enzym Phytase . Dieses Enzym wird im Futtermittelbereich eingesetzt, um die Bioverfügbarkeit von Phosphor zu erhöhen. Phosphor ist einer der Nährstoffe, die z. B. für den Aufbau starker Knochen notwendig sind. Ein wesentlicher Teil des natürlich vorkommenden Phosphors in Pflanzen ist als Phytat oder Phytinsäure gespeichert. Das als Phytat gebundene Phosphor kann von monogastrischen Tieren, wie Geflügel und Schweinen, nicht verdaut werden, sodass ein großer Teil des Phytats wieder ausgeschieden wird und die Umwelt belastet. Wird aber Phytase in der Fütterung eingesetzt, so verbessert sich nicht nur die Futternutzungseffizienz (Abschn. 2.1), was zu einer besseren Wirtschaftlichkeit durch geringeren Ressourceneinsatz führt – auch die Gesamtauswirkungen auf die Umwelt werden positiv beeinflusst, da weniger Phytat ausgeschieden wird.

8.2 Wettbewerbsfähigkeit

Unabhängig vom Endprodukt hängt die Etablierung der Bioökonomie maßgeblich von einem Kriterium ab: Sie muss den Wettbewerb mit einer etablierten Rohstoffbasis am Markt bestehen. Ihr Ausgangspunkt ist die heutige Wirtschaft. Idealistische Motive allein werden relativ wenig zum Erfolg bioökonomischer Produkte beitragen – sie müssen im Vergleich zu etablierten Produkten, die auf fossilen Rohstoffen beruhen, wettbewerbsfähig sein. Was das bedeutet, soll nachfolgend dargestellt werden.

8.2.1 Theoretische Wettbewerbsvorteile der Bioökonomie

Wie Unternehmen aller Wirtschaftsbereiche streben auch Unternehmen in der Bioökonomie gegenüber ihrer Konkurrenz einen Wettbewerbsvorteil an. Dieser liegt vor, wenn: „A firm is said to have a sustained competitive advantage when it is implementing a value creating strategy not simultaneously being implemented by any current or potential competitors and when these other firms are unable to duplicate the benefits of this strategy“ (Barney 1991). Die Umsetzung einer wertschöpfenden Strategie, die nicht gleichzeitig von konkurrierenden Unternehmen umgesetzt und von ihnen auch nicht ohne Weiteres kopiert werden kann, ist demnach die Voraussetzung eines nachhaltigen Wettbewerbsvorteils. Notwendig zur Erlangung und zum Ausbau von Wettbewerbsvorteilen ist eine inhärente strategische Orientierung, die sämtliche unternehmerische Entscheidungen und Aktivitäten leitet.

Aus ressourcenorientierter Perspektive (Penrose 1959; Wernerfelt 1984) sind die Wettbewerbsvorteile eines Unternehmens mit dessen Fähigkeit verbunden, sich dynamisch an sich verändernde Marktbedingungen anzupassen (Prahalad und Hamel 1990; Teece et al. 1997). Jene viel zitierten dynamic capabilities sind damit auch für das dynamische Umfeld der Bioökonomie unabdingbar (vgl. Teece et al. 1997). Mithilfe solcher Fähigkeiten könnten auch biobasierte Unternehmen überdurchschnittliche Gewinne erwirtschaften. Sie müssten sich im Wettbewerb mit fossilbasierten Unternehmen also nicht mehr nach deren Regeln richten, sondern könnten durch die Umsetzung ihrer neuen Strategien disruptiv auch neue Spielregeln für den Wettbewerb schaffen. Damit würden sie etablierte technologische Plattformen herausfordern und bestehende Marktgewohnheiten in Frage stellen (Christensen 1997; Nameroff et al. 2004).

De facto bestimmen aber die Standards, die gegenwärtig die relevanten Märkte dominieren, die Regeln des Wettbewerbs. Viele fossilbasierte Produkte nehmen die Position eines dominanten Designs ein (Utterback und Abernathy 1975). Diesen Vorteil muss man verstehen, um zu erkennen, dass biobasierte Produkte initial nicht versuchen sollten, gegen das dominante Design zu konkurrieren. Die Entstehung eines marktbeherrschenden Designs hat einen grundlegenden Einfluss auf die Art des Wettbewerbs in der betreffenden Branche und entscheidet darüber, welche Unternehmen darin erfolgreich sind und sich durchsetzen können. Einmal etabliert, schafft ein solches Design als Industriestandard zusätzliche Markteintrittsbarrieren, z. B. in Form von technischen Spezifikationen, welche eingehalten werden müssen, oder Erwartungen des Marktes, an denen neue Produkte sich messen müssen. Infolgedessen gibt es in einer Branche etablierte Geschäftsprozesse, ein etabliertes Netzwerk von Lieferanten und Kunden und etablierte Wege der Rohstoffbeschaffung. Jede Einführung innovativer Produkte ist somit notwendigerweise mit Umstellungskosten verbunden. Bezogen auf die Bioökonomie muss es für potenzielle Nachfrager somit erhebliche Anreize geben, die Umstellung auf biobasierte Produkte oder Verfahren durchzuführen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche strategischen Optionen ein Unternehmen hat, um im Wettbewerb zu bestehen? Hier ist zunächst festzustellen, dass Unternehmen verschiedene Wettbewerbsstrategien verfolgen. Grundsätzlich geht es dabei um die Positionierung eines Unternehmens gegenüber seiner Konkurrenz auf dem für das Unternehmen relevanten Markt. Legt man die klassische Einteilung der „generischen Wettbewerbsstrategien“ von Porter (1980) zugrunde, können Unternehmen grundsätzlich zwischen drei Strategien wählen (Abb. 8.2). Diese drei Strategien unterscheiden sich in Bezug auf die Grundlage des Wettbewerbsvorteils (Einzigartigkeit vs. Kostenvorsprung) und den Umfang des angestrebten Marktes (branchenweit vs. segmentspezifisch):

Abb. 8.2
figure 2

Generische Wettbewerbsstrategien. (Verändert nach Porter 1980)

  1. a.

    Strategie der Kostenführerschaft: Bei dieser Strategie besteht der Wettbewerbsvorteil in einer relativ gesehen besseren Kostenstruktur. Die vom Unternehmen erstellte Leistung kann dadurch zu einem im Vergleich zur Konkurrenz niedrigeren Preis am gesamten Markt angeboten werden. Diese Strategie bietet sich dort an, wo aufgrund von Standardisierungen von Produkten ein großes Produktionsvolumen und eine hohe Effizienz möglich ist. Man spricht auch von der Erfahrungskurve, welche beschreibt, dass die Stückkosten bei jeder Verdopplung der Produktionsmenge um 30 % sinken (Henderson und Gälweiler 1984). Aufgrund der vorteilhaften Kostenstruktur der etablierten rohölbasierten Produktionszweige erscheint die Strategie einer Kostenführerschaft in der Bioökonomie zunächst problematisch. Jedoch kann es über neue Produktionsplattformen in der industriellen Biotechnologie z. B. bei der Herstellung essenzieller Aminosäuren für Futtermittel deutliche Kostenvorteile geben. Nach Aufskalierung der entsprechenden Fermentationsverfahren können sich hier deutliche Wettbewerbsvorteile gegenüber den etablierten Synthesewegen ergeben, sodass eine Kostenführerschaftsstrategie auch in der Bioökonomie möglich ist.

  2. b.

    Differenzierungsstrategie: Wenn ein Unternehmen entscheidet, eine führende Position in den meisten oder allen Bereichen einer Branche zu erlangen, indem es eine überlegene Leistung in Bezug auf ein bestimmtes Attribut erbringt (z. B. höhere Produktqualität oder verbesserter Service), verfolgt es eine Strategie der Produktdifferenzierung. Es versucht, sich von der Konkurrenz dort zu unterscheiden, wo eine Verbesserung wünschenswert ist und erreicht werden kann. Gleichzeitig ist es bestrebt, Kosten in den Bereichen zu minimieren, die für die Differenzierung nicht relevant sind. Ein Beispiel aus dem Kontext der Bioökonomie sind Lebensmittelverpackungen aus Polylactid (PLA). Hinsichtlich seiner Leistung als Verpackung (Dichtigkeit, Gewicht etc.) unterscheidet sich das Material kaum von fossilen Alternativen, es weist aber einen deutlich geringeren Kohlenstofffußabdruck auf. Wenn die Kunden das als Leistungsmerkmal honorieren, hat das betreffende Unternehmen die Möglichkeit, sich mittels PLA-Produkten von seinen Wettbewerbern abzuheben. Eine weitere Differenzierung findet über die verwendete Rohstoffbasis für PLA statt. So strebt derzeit ein PLA-Produzent die Herstellung auf Basis von Lignocellulose an, also unter Verwendung von Rohstoffen, die nicht als Lebensmittel geeignet sind.

  3. c.

    Fokusstrategie: Wenn ein Unternehmen nur in wenigen Bereichen seiner Branche wettbewerbsfähig ist, kann es eine Fokusstrategie verfolgen, in der es sich auf ein oder wenige Kundensegmente beschränkt. Innerhalb dieser Nische kann es seine Produkte zu geringeren Preisen als die Konkurrenz anbieten, also einen Kostenfokus verfolgen, oder sich durch Produktdifferenzierung profilieren, also einen Differenzierungsfokus verfolgen. Trotz der enormen Schwierigkeit, im Wettbewerb mit Ölraffinerien eine Kostenführerschaft für biobasierte Grundchemikalien zu erreichen, hat z. B. Braskem in Brasilien in eine Bioethylenanlage investiert. Energochemika hat für 2017 eine solche Produktion in der Slowakei angekündigt. Derartige Anlagen fokussieren zum einen den Nischenmarkt, der trotz höherer Kosten biobasiertes Ethylen abnimmt, und starten zum anderen „die Lernkurve“. Sie sammeln Erfahrungen mit den neuen Rohstoffen und Transformationsverfahren und helfen, Kosten zu optimieren.

8.2.2 Der Status quo: die etablierte fossilbasierte Ökonomie

Die fossilbasierte Ökonomie stützt sich im Wesentlichen auf Öl, Gas und Kohle. Diese Kohlenstoffquellen enthalten fast ausschließlich Kohlenstoff (Tab. 8.1); der jährliche Verbrauch entspricht insgesamt 11 Mrd. t Kohlenstoff pro Jahr.

Tab. 8.1 Zusammensetzung (%) und Heizwert (MJ/kg) von Kohle, Öl, Gas (C: Kohlenstoff; H: Wasserstoff; N: Stickstoff; O: Sauerstoff). (Quelle: Kircher 2016)

Mehr als 95 % davon werden für die Erzeugung verschiedener Formen von Energie verbraucht: Strom, Wärme, Treibstoff und den Betrieb energieintensiver Industrien. An Öl, dem wichtigsten Rohstoff der Chemieindustrie, werden weltweit 3,9 Mrd. t pro Jahr gefördert. Bei einem Kohlenstoffanteil von 85 % entspricht das 3,3 Mrd. t Kohlenstoff. Auch davon geht mit 92 % der allergrößte Teil in die Energieerzeugung. Nur 8 % oder 300 Mio.  Kohlenstoff werden stofflich zu Chemieprodukten verwertet. Die Ölproduktion wird von sehr großen Unternehmen kontrolliert: Die Nummer eins ist die staatlich kontrollierte Saudi-Aramco, die mit über 400 Mio. t Erdöl pro Jahr 11 % der Weltproduktion stellt. Das größte private Unternehmen ist Exxon Mobil (USA), das auf Rang fünf folgt.

Erdöl wird in wenigen Regionen der Welt gefördert. 52 % aller förderbaren Ressourcen liegen im Mittleren Osten und Nordafrika, 20 % in Lateinamerika und der Karibik und 13 % in Nordamerika (World Energy Council 2011). Dementsprechend sind die wichtigsten ölexportierenden Nationen Saudi-Arabien, Russland und Iran. Die größten Ölverbraucher sind dagegen die USA, China und Japan. Zwischen Produzenten und Verbrauchern hat sich eine sehr effiziente logistische Infrastruktur entwickelt, weil Öl flüssig und damit leicht zu handhaben ist, eine hohe Kohlenstoff- und Energiedichte aufweist, stabil lagerbar ist und unabhängig von der Herkunft eine relativ homogene Zusammensetzung hat. 60 % des Rohöls werden per Schiff zwischen Seehäfen transportiert. 40 % werden über Land durch Pipelines gepumpt. In Deutschland sind beispielsweise 2400 km Pipeline verlegt, die an die Häfen Rotterdam (Niederlande), Genua und Triest (Italien) und an die Ölquellen in Adamovo (Russland; 3000 km entfernt) angeschlossen sind. Sie versorgen 15 Ölraffinerien . Die führenden Cluster der Chemieindustrie sind dort entstanden, wo der logistische Anschluss an die Ölversorgung gewährleistet ist: ARRR-Region (Antwerpen-Rotterdam-Rhein-Ruhr-Region in den Niederlanden, Flandern in Belgien, Nordrhein-Westfalen); Houston (USA), Schanghai (China), Jurong (Singapur) und Jubail (Saudi-Arabien).

In den Raffinerien wird Rohöl zu Flüssiggas (Propan, Butan), Treibstoff (Benzin, Diesel), Naptha, Schweröl und Bitumen raffiniert. Damit ist die Wertschöpfungskette für die Gase und Treibstoffe sehr kurz: Der Rohstoff Öl wird gefördert, wird in die Raffinerie transportiert und von dort geht es direkt in den Vertrieb zu den Endverbrauchern:

Die langkettigen Kohlenwasserstoffe Bitumen und vor allem Naphtha sind die Rohstoffe für die Chemieindustrie. Sie werden im Cracker zu kürzeren Alkanen, Cycloalkanen und Aromaten gespalten. Die überschaubare Zahl von rund 300 Raffinerieprodukten ist das Ausgangsmaterial für die enorme Vielfalt organischer Grund-, Fein- und Spezialchemikalien. Ein Beispiel bieten die volumenmäßig bedeutendsten Grundchemikalien Ethylen (> 150 Mio. t) und Propylen (85 Mio. t), die durch Raffination mit einer Rohstoffausbeute von rund 95 % aus Erdöl oder Erdgas gewonnen werden. Grundchemikalien werden chemisch zu Chemieprodukten, weiter zu Komponenten und schließlich zu den Endprodukten weiterverarbeitet, mit denen wir im Alltag umgehen (Kap. 4). Das sind z. B. Schmiermittel, Waschmittel oder die reflektierende Straßenmarkierung. Solche Produkte haben also eine spezifische Funktion und dadurch einen Mehrwert. Stoffliche Chemieprodukte erreichen deshalb durchschnittlich einen um den Faktor sieben höheren Mehrwert als Energieträger. Mit ihrer im Vergleich zur energetischen Verwertung wesentlich längeren stofflichen Wertschöpfungskette ist auch ihr Arbeitsplatzpotenzial wesentlich größer:

Die Ölwirtschaft ist also durch eine sehr effiziente Logistik, große Raffinerien und Chemie-Cluster gekennzeichnet, was ihr im Sinne von Porters Wettbewerbsstrategien die optimale Grundlage einer Strategie der Kostenführerschaft bietet. Damit hat sie erhebliche Wettbewerbsvorteile und ist durch hohe Markteintrittsbarrieren gekennzeichnet.

8.2.3 Herausforderungen und Anforderungen an eine wettbewerbsfähige Bioökonomie

8.2.3.1 Logistik

Genauso wie die Ölökonomie kann die Bioökonomie Energie, Treibstoff und Chemikalien liefern. Ihr Rohstoff, die Biomasse, hat aber im Vergleich zu Öl eine wesentlich geringere Kohlenstoff- und Energiedichte. Ohne Trocknung ist er wasserhaltig und deshalb biologisch instabil. Zudem ist er chemisch sehr komplex und je nach pflanzlicher Herkunft unterschiedlich zusammengesetzt (Tab. 8.2).

Tab. 8.2 Zusammensetzung (%) und Heizwert (MJ/kg) von Biomasse und -komponenten (C: Kohlenstoff; H: Wasserstoff; N: Stickstoff; O: Sauerstoff). (Quelle: Kircher 2016)

Auch hinsichtlich der Biomasse sind bestimmte Weltregionen besonders produktiv. Für die Zuckerproduktion ist das beispielsweise der Bundesstaat São Paulo in Brasilien. In den USA fährt der Bundesstaat Iowa 20 % der Maisernte ein. Mehr als 20 % des weltweiten Weizens wachsen in Russland, der Ukraine und Kasachstan. Als Palmölproduzent ist Malaysia führend. Auch wenn es in der Bioökonomie besonders produktive Rohstoffregionen gibt, so ist die landwirtschaftliche Produktion anders als die Ölförderung jahreszeitlich begrenzt und auf sehr große Flächen verteilt, die von zahllosen unabhängigen Landwirten bestellt werden. Das Erntegut wird per Traktor und Lastwagen, also in Chargen von etwa 25 t, von der Ackerfläche abtransportiert, was den Transportradius zur Weiterverarbeitung auf etwa 50 km begrenzt. Die Produktionsanlagen müssen deshalb in nicht allzu großer Entfernung von der Biomasseproduktion errichtet werden (Kap. 7). In Brasilien werden 350 Zucker- und in Malaysia 70 Palmölraffinerien betrieben. Die Bioökonomie wird deshalb überall dort, wo primäre Biomasse anfällt und verarbeitet wird, einen stark regionalen Charakter entwickeln. Allerdings bleibt die Kapazität von Bioraffinerien deswegen relativ gering und erreicht in der Regel nur etwa 1 % der Kapazität einer Öl-Raffinerie, was einen erheblichen Kostennachteil mit sich bringt. Erst die Extrakte dieser frühen Aufarbeitungsstufen weisen eine Kohlenstoff- und Energiedichte auf, die den Transport zu weiter entfernten Standorten wirtschaftlich macht. Wie in der fossilbasierten Wirtschaft sind also produzierende und verbrauchende Regionen nicht identisch und müssen durch eine – allerdings wesentlich kostenintensivere – Logistik verbunden werden. Diese aufwendige Logistik ist einer der wesentlichen Unterschiede der bio- zur fossilbasierten Ökonomie.

8.2.3.2 Verfügbarkeit von Biomasse

Pflanzliche Biomasse besteht zu 40 bis 55 % aus Cellulose, 10 bis 35 % aus Hemicellulose und 18 bis 41 % aus Lignin. Daraus lässt sich ein durchschnittlicher Kohlenstoffgehalt von rund 45 % abschätzen. Die gesamte Photosynthese der Natur fixiert jährlich etwa 105 Mrd. t Kohlenstoff, was etwa 210 Mrd. t Biomasse pro Jahr entspricht. 14 Mrd. t dieser Biomasse werden landwirtschaftlich erzeugt (das entspricht 7 Mrd. t Kohlenstoff) und für die Ernährung, als Fasermaterial, für Chemie- und Treibstoffprodukte verbraucht. Der Vergleich der landwirtschaftlich erzeugten Kohlenstoffmenge mit dem heutigen Kohlenstoffverbrauch aus Öl, Kohle und Gas von 11 Mrd. t pro Jahr macht die Dimension der Herausforderung deutlich, die allein schon für die Bereitstellung des Rohstoffs Biomasse besteht, insbesondere unter Berücksichtigung der wachsenden Weltbevölkerung mit steigendem Nahrungsmittelbedarf (Kap. 3).

8.2.3.3 Produktionskosten

Biobasierte Rohstoffe haben in direktem Wettbewerb mit Erdöl eine schwierige Position. Das sei am Beispiel von Ethylen erläutert. Für Bioethylen ist die Route von Zucker zu Bioethanol , das katalytisch zu Ethylen hydriert wird, etabliert. Rein technisch ist also die Umstellung von fossil- auf biobasiertes Ethylen kein Problem. Allerdings wirkt die verlängerte Wertschöpfungskette kostentreibend:

Zudem werden die Kosten der ohnehin aufwändigen Logistik aus der landwirtschaftlichen Fläche dadurch erhöht, dass im Vergleich zu Öl wesentlich mehr Rohstoff transportiert werden muss. Die Ursache dafür ist die im Allgemeinen geringere Rohstoffausbeute biobasierter Verfahren. So liegt die theoretische Ausbeute von Ethanol aus Glucose bei 51 %, das wiederum mit einer theoretischen Ausbeute von 61 % zu Ethylen dehydriert werden kann. Bezogen auf den ursprünglich eingesetzten Zucker liegt die theoretische Ausbeute deshalb bei nur 31 % (verfahrensbedingte Verluste sind nicht berücksichtigt):

  • ■ 100 kg Glucose ergeben 51 kg Ethanol und 49 kg CO2.

  • ■ 51 kg Ethanol ergeben 31 kg Ethylen und 20 kg H2O.

Verwendet man statt Zucker Lignocellulose als Rohstoff, dann wird die Wertschöpfungskette weiter verlängert, denn ihr Aufschluss bedingt zusätzliche Verfahrensschritte und Kosten.

Einen Überblick über die Kosten von Ethanol auf Basis von Lignocellulose gibt (Tab. 8.3). Um mit zuckerbasierten Verfahren wettbewerbsfähig zu sein, müssen die Kosten der enzymatischen Hydrolyse durch Kostenvorteile des Lignocelluloserohstoffs ausgeglichen werden.

Tab. 8.3 Kostenaufschlüsselung der kombinierten Herstellung von Ethanol auf Basis von Rohrzucker und Bagasse (Rohrzucker-Lignocellulose). (Quelle: Junqueira et al. 2016)

Zudem ist zu berücksichtigen, dass nur die Cellulose und Hemicellulose, die 70 bis 80 % der Lignocellullose ausmachen, verzuckert werden können. 20 bis 30 % sind Lignin und dementsprechend sinkt die theoretische Rohstoffausbeute im Vergleich zu reinem Zucker von 31 auf rund 23 %.

8.2.3.4 Anforderungen an die Produktqualität

Zahlreiche biobasierte Produkte sind erfolgreich am Markt, weil sie nur biobasiert zugänglich sind und es für sie keine fossilbasierten Alternativen gibt. Dazu zählen z. B. Enzyme , L-Aminosäuren und enantiomerenreine Pharmawirkstoffe. Auch biobasierte Produkte, die gegenüber ihren fossilbasierten Wettbewerbern inkrementell verbesserte Eigenschaften aufweisen, können sich in einer Strategie der Produktdifferenzierung allerdings im Markt behaupten (Abschn. 8.2.1).

Ein Beispiel dafür ist Polyethylenfuranoat (PEF), ein Biopolymer, das sich auf dem großen Markt der Getränkeflaschen im Wettbewerb mit dem etablierten und fossilbasierten Polymer Polyethylenterephtalat (PET) wegen seiner höheren Gasdichtigkeit und Materialstabilität bewährt (Kap. 7).

Eigenschaft

PEF im Vergleich zu PET

Sauerstoffbarriere

10-mal besser

Kohlendioxidbarriere

4-mal besser

Wasserbarriere

2-mal besser

Auch PLA Abschn. 8.2.1, Kap. 5 und 7 ist ein biobasiertes Polymer, das mit fossilbasierten Polymeren wie Polyethylen (PE) und Polycarbonat (PC) konkurrieren kann. Seine Dauerhaftigkeit macht es für Autoinnenteile und Gehäuse von Haushaltsgeräten geeignet. Die Atmungsaktivität von PLA-Geweben macht sie für Sportbekleidung attraktiv. Die Transparenz und Kompostierbarkeit von PLA ist für Verpackungsmaterialien gefragt. Besonders überzeugend ist PLA, wenn es um den ökologischen Fußabdruck geht (Tab. 8.4).

Tab. 8.4 Ökologischer Fußabdruck von verschiedenen Polymeren. (Quelle: Corbion 2016)

8.2.3.5 Priorisierung biobasierter Produkte

Vor dem geschilderten Hintergrund begrenzter Ressourcen und aufwendiger Logistik stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Bioökonomie die Ölökonomie substituieren kann. Ein einfaches Umschwenken von fossilen Rohstoffen auf Agrarrohstoffe wird nicht möglich sein. Es würde bedeuten, die heutige landwirtschaftliche Produktion mehr als verdoppeln zu müssen, um über genügend Kohlenstoffquellen zu verfügen (Abschn. 8.2.3.2). Aber welche Wirtschaftsbereiche sind überhaupt zwingend auf Kohlenstoff angewiesen und wo gibt es Alternativen? Unstrittig hat der Bereich der Ernährung erste Priorität. Allein um der Herausforderung Nahrungsmittelsicherheit gerecht zu werden, ist bereits eine erhebliche Ausweitung des Produktionsvolumens nötig – zusätzlich zu dieser Nachfrage käme dann noch weiterer Bedarf durch den Verbrauch von Biomasse für die stoffliche und energetische Nutzung (Kap. 3). Aber für den Bereich der Energie, den größten Verbraucher fossiler Rohstoffe, lassen sich wichtige andere Quellen nennen, die von Kohlenstoff und damit auch von Biomasse unabhängig sind. Weltweit wird vor allem die Nutzung von erneuerbaren Energien aus Sonne und Wind vorangetrieben, auch Wasserkraft und Erdwärme spielen eine Rolle und selbst die in Deutschland nicht akzeptierte Kernkraft ist für manche Länder eine Option. Mit Bezug auf die Umsetzung der EU Richtlinie 2009/28/EG zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen hat Deutschland sich z. B. zum Ziel gesetzt, bis 2020 18 % seines Primärenergiebedarfs mit erneuerbaren Energien zu decken. Heute beträgt der Anteil erneuerbarer Energien 12,6 %; etwas mehr als die Hälfte davon ist biobasiert (BMU und BMELV 2010; Abb. 8.3).

Abb. 8.3
figure 3

Primärenergieverbrauch in Deutschland nach Rohstoffquellen. (Nach BMWi 2012)

Keine Alternativen zum Kohlenstoff gibt es aber für die stoffliche Umsetzung in der organischen Chemie. Sie ist auf Kohlenstoffquellen angewiesen. Der heutige Bedarf an Kohlenstoff für Produkte der organischen Chemie erscheint mit rund 300 Mio. t pro Jahr überschaubar im Vergleich zur landwirtschaftlichen Weltproduktion von jährlich 7 Mrd. t. Zudem sind Wertschöpfung und Arbeitsplatzpotenzial der stofflichen Verwertung ungleich größer als für die energetische Nutzung. Aus diesen Gründen ist es sinnvoll, für die Nutzung der begrenzten Ressource Biomasse die Herstellung biobasierter Chemie zu priorisieren und die energetische Verwertung in einer Kaskadennutzung nachzuordnen und erst nach allen möglichen stofflichen Verwertungen mit den verbleibenden Abfällen vorzunehmen (Kircher 2015; Kap. 7).

Wie weit Deutschland allerdings noch von einer optimalen Kaskadennutzung biobasierter Rohstoffe entfernt ist, zeigt das Rohstoffspektrum der Biogasproduktion. Sie beruht zu 50 % auf Energiemais aus landwirtschaftlicher Produktion und damit auf einem Rohstoff und einer Landnutzung , die auch primär der Ernährung und sekundär der stofflichen Nutzung dienen könnte. Industrielle, kommunale und landwirtschaftliche Reststoffe gehen heute aber erst zu rund 5 % als Substrat in die Biogasfermentation ein (Abb. 8.4).

Abb. 8.4
figure 4

Substrateinsatz in Biogasanlagen in Deutschland 2014 (Masse in Prozent). (Nach FNR 2015)

8.2.3.6 Vielfalt und Effizienz der Rohstoffe

Wollte man die derzeitige europäische konventionelle Ethylenproduktion von 24,5 Mio. t jährlich durch Bioethylen ersetzen, dann bräuchte man dafür – angesichts der oben dargestellten relativ geringen Ausbeute – mindestens 79 Mio. t Zucker, eine Menge, die die derzeitige jährliche Zuckerproduktion von rund 17 Mio. t in der Europäischen Union deutlich übersteigt. Offensichtlich kann die Landwirtschaft, wie sie heute betrieben wird, nur einen Teil des bioökonomischen Rohstoffbedarfs decken. Eine größere Rohstoffvielfalt und eine bessere Rohstoffeffizienz bieten Auswege aus diesem Dilemma. Die Biomasse muss mit höherer Ausbeute als bisher verarbeitet werden, man muss also auch bisher vernachlässigte Biomassefraktionen und Abfallströme für die Verarbeitung erschließen. So bietet Lignocellulose, deren Verzuckerung seit wenigen Jahren Eingang in die industrielle Praxis findet, großes Potenzial. Allein in Deutschland wird die Menge des jährlich als potenzieller Rohstoff anfallenden Weizenstrohs auf 8 bis 13 Mio. t geschätzt (DBFZ 2012). In Malaysia bleiben auf Palmölfarmen und in Ölmühlen Blätter, Stämme, leere Fruchtstände und Fruchtschalen mit einer Masse von 70 Mio. t pro Jahr ungenutzt. In Kanada produziert die Provinz Alberta ein Drittel des kanadischen Weizens, Raps, Flachs, Hanf und Zuckerrübe. Jährlich fallen dort 64 Mio. t bisher ungenutzte Agrar- und 2 Mio. t Forstreststoffe an. In Russland könnten jährlich 35 Mio. t Reststoffe aus der Weizen- und 150 Mio. t aus der Holzverarbeitung genutzt werden (Kircher 2012).

Diese wenigen Beispiele zeigen, dass in der Land- und Forstwirtschaft noch große Reserven an Biomasse zu heben sind. Auch marine Ressourcen, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, haben Potenzial.

Gasfermentation kann weitere Rohstoffe erschließen, indem Synthesegas auf Basis von Biomasse oder Siedlungsabfällen und gasförmige Kohlenstoffquellen wie die CO-Emission von Stahlwerken sowie die CO2-Emmission von Kraft- und Zementwerken in Reichweite kommen. Wenn es gelingt, das Anwendungsspektrum der Gasfermentation entsprechend zu erweitern (Kap. 5 und 7) dann

  • ■ wird die Rohstoffeffizienz insbesondere von Lignocellulose um bis zu 30 % verbessert,

  • ■ ist das der Einstieg in die Kohlenstoff-Kreislaufwirtschaft, in der industriell prozessierter Kohlenstoff nicht erst über die pflanzliche Photosynthese nach seiner Emission in die Atmosphäre, sondern direkt im technischen Prozess recycliert wird,

  • ■ wird die Landwirtschaft bezüglich der Produktion industrieller Rohstoffe entlastet,

  • ■ lässt sich sowohl fossiler als auch biobasierter Kohlenstoff industriell nutzen. Das ist ein in der langen Übergangsphase von der fossilbasierten Ökonomie in die Bioökonomie nicht zu unterschätzender Vorteil, weil dadurch auch Unternehmen, die heute noch mit fossilen Rohstoffen umgehen, als Investoren für Verfahren gewonnen werden, die langfristig in der Bioökonomie Anwendung finden. In der beginnenden Übergangsphase sollten Verfahren, die heute mit fossilen und morgen mit biobasierten Kohlenstoffquellen arbeiten können, besonders gefördert werden.

8.2.3.7 Flächennutzung, Biodiversität und Umweltschutz

Die zunehmende Nutzung biobasierter Rohstoffe geht mit einer Intensivierung der land- und forstwirtschaftlichen Flächennutzung einher. Dabei darf die Umwelt nicht durch die diversen Produktionsformen der Landwirtschaft weiter belastet werden. – die Landwirtschaft verursacht weltweit bis zu 30 % der Treibhausgasemissionen (BMBF 2009) und die Biodiversität muss erhalten werden (Kap. 9). Wie bioökonomische Produkte und Verfahren dazu beitragen können, landwirtschaftliche Flächen zu entlasten, zeigen die folgenden Beispiele.

Insgesamt 33 % der weltweiten Agrarflächen dienen der Herstellung von Tierfutter (Steinfeld et al. 2006). Die Effizienz von dessen Verwertung durch die Tiere zu erhöhen, hat also direkten Einfluss auf den Flächenbedarf. Eine Schlüsselrolle spielen dabei die essenziellen Aminosäuren, denn Nutztiere können diese Aminosäuren nicht selbst synthetisieren, sondern müssen sie mit dem Futter aufnehmen. Das Aminosäureprofil des pflanzlichen Futters entspricht allerdings nicht dem der Tiere. Sie müssen Futter aufnehmen bis der Bedarf der meist limitierenden Aminosäure gedeckt ist. Veranschaulicht wird das dabei entstehende Problem im Bild des Liebig’schen Fasses (Abb. 8.5).

Abb. 8.5
figure 5

Liebig’sches-Fass-Minimumgesetz : Die Länge der Dauben des Fasses in der Mitte entspricht dem durchschnittlichen Aminosäuregehalt pflanzlichen Tierfutters. Für die Verwertung, symbolisiert durch den Wasserspiegel, ist L-Methionin limitierend, gefolgt von L-Lysin. Links wird Methionin zugefüttert und die Verwertung aller Aminosäuren steigt. Rechts wird mehr Futterprotein gefüttert. Das Aminosäureangebot steigt zwar, aber die Ausnutzung des Futters wird nicht verbessert. (Nach Evonik 2014)

Die Tiere nehmen zwangsläufig andere Aminosäuren im Überfluss auf, können diesen in ihrem Stoffwechsel aber nicht verwerten und scheiden ihn aus. Das führt zu einer hohen Stickstofflast in der Gülle. Vor allem wird das Futter nur unvollständig in tierische Biomasse umgesetzt. Diese reduzierte Rohstoffeffizienz kann durch Ergänzung des Futters mit limitierenden Aminosäuren verbessert werden, denn so wird das Futter dem Aminosäurebedarf des Tiers angepasst. Die am meisten limitierende Aminosäure ist L-Methionin. Es kann mit Fischmehl, das einen hohen Anteil dieser Aminosäure hat, zugefüttert werden. Alternativ wird DL-Methionin eingesetzt, das pro Kilogramm 54 kg Fischmehl einspart. DL-Methionin wird chemisch synthetisiert und fällt deshalb als Racemat (Gemisch der D- und L-Form) an. Die Fütterung des Racemats ist möglich, weil Tiere mittels einer körpereigenen Racemase die D-Form in die benötigte L-Form umwandeln können. Für andere Aminosäuren fehlt allerdings eine solche Racemase. Weltweit werden jährlich 750.000 t DL-Methionin verfüttert. Die bezüglich der Limitierung auf Methionin folgenden essenziellen Aminosäuren L-Lysin, L-Threonin, L-Tryptophan und andere müssen in der L-Form gegeben werden. Das Racemat wird nur zu 50 % verwertet. Weil nur das biotechnologische Produktionsverfahren ausschließlich die L-Form liefert, bleibt die mikrobielle Fermentation das Verfahren der Wahl. Jährlich werden rund 1,5 Mio. t L-Lysin produziert (IBVT/TU Braunschweig 2016), die als Tierfutterzusatz pro Kilogramm 17 kg Sojamehl (Evonik 2014) einsparen. Müsste diese Menge ausschließlich in Form von Sojaeiweiß gefüttert werden, würde theoretisch eine Anbaufläche von rund 70 Mio. ha benötigt. Zum Vergleich: Die weltweite Sojaanbaufläche beträgt 110 Mio. ha (WWF Deutschland 2016). Ein weiteres biotechnologisches Produkt, dass die Rohstoffeffizienz von Tierfutter erhöht und die Umweltbelastung der Tierhaltung reduziert ist das Enzym Phytase (Exkurs 8.1), das die Verwertung pflanzlichen Phosphats ermöglicht.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Bioökonomie auf unterschiedlichen Ebenen (Technologie, Produkt, Wertschöpfungskette) auf komplexe Herausforderungen trifft und dabei von vielen Faktoren abhängt. Für die Wettbewerbsfähigkeit auf Produktebene – also den Erfolg biobasierter Produkte – ist ein Schlüsselfaktor deren Akzeptanz bei Kunden und Konsumenten und damit letzten Endes in der gesamten Gesellschaft.

8.3 Kunden- und Konsumentenakzeptanz

Die Bioökonomie lebt von einer Innovationstätigkeit, die in nachhaltige Stoff- und Energiekreisläufe eingebunden ist. Damit sich die daraus entstehenden Vorteile voll entfalten können, müssen ihre Innovationen Akzeptanz finden, was sowohl für produzierende Unternehmen als auch Verbraucher gilt. Das Kriterium „Akzeptanz “ muss also auf allen Stufen einer Wertschöpfungskette erfüllt sein, damit die Bioökonomie sich etablieren kann. Nur wenn biobasierte Produkte oder Prozesse akzeptiert werden, ist der viel zitierte Transformationsprozess möglich. Denn nach Rogers Diffusionstheorie ist die Akzeptanz die Vorstufe zur Adoption oder Anwendung einer innovativen Technologie oder eines Produktes und sie bestimmt letztlich den Grad der Diffusion, also der Etablierung bestimmter Produkte oder der Technologie selbst am Markt (Rogers 1983). Dabei hängen Technologie und Produkt eng zusammen, wie man am Beispiel der für die Produktion von Biomasse und damit für die gesamte Bioökonomie sehr bedeutsamen Grünen Gentechnik sehen kann. Haben Konsumenten eine negative Einstellung gegenüber der Technologie (z. B. Biotechnologie), mit deren Hilfe ein Produkt gefertigt wurde, dann hat das auch einen negativen Einfluss auf die Akzeptanz des Produkts, also seinen tatsächlichen Absatz. Sollten die Konsumenten als Resultat ihrer Gesamtabwägungen jedoch den Nutzen einer Technologie höher einschätzen als deren Risiken und daraus entstehende Produkte einfach zu gebrauchen sein, dann kann ihre Einstellung bezüglich dieser Produkte positiv beeinflusst werden, sodass sie diese mit großer Wahrscheinlichkeit akzeptieren, also kaufen und konsumieren werden (Adoption). Der Grad der Diffusion auf Makroebene entspricht dem Ausmaß der Adoption auf Mikroebene. Wird ein Produkt oder eine Technologie häufig gekauft oder angewendet, ist auch ihre Diffusion hoch.

8.3.1 Die Grundlagen der Akzeptanz und Adoption von Innovationen

Die Adoption von innovativen Technologien lässt sich zunächst gut mithilfe der degrees of innovativeness (Innovationsgrad ) erklären. Continuous innovations (inkrementelle Innovationen) bauen auf existierenden Systemen auf, in denen einzelne Teile verändert werden. Disruptive innovations (radikale Innovationen) hingegen sind gekennzeichnet durch die Einführung neuer Systeme auf Basis neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse aus Forschung und Entwicklung. Während die Adoption von inkrementellen Innovationen meist hoch ist (z. B. Rapspresskuchen), werden radikale Innovationen oft zum gesellschaftlichen und politischen Streitthema (z. B. Gentechnik). Leicht abgeänderte oder einfach zu verstehende Produkte bedürfen keiner extensiven Evaluation durch den Konsumenten, wohingegen Neues zunächst ausprobiert werden muss. Für radikale Innovationen ist der Prozess der Adoption daher komplexer als für die inkrementellen.

Die Mehrzahl aller Studien zur Akzeptanz von Technologie fokussiert auf die letzte Stufe einer Wertschöpfungskette, den Endverbraucher bzw. Konsumenten. Trotz aller Unterschiede in Bezug auf die verschiedenen Erklärungsfaktoren, haben viele Studien über Akzeptanz und Adoption Gemeinsamkeiten. So wurden allgemeine Bestimmungsfaktoren identifiziert (z. B. Vorteile, Risiken, Kosten, Vertrauen, Involvement), die relevant für den Entscheidungsprozess des Konsumenten sind. Durch die Integration dieser Faktoren in einen gemeinsamen Rahmen oder ein gemeinsames Modell ist es möglich, besser vorauszusagen, unter welchen Bedingungen ein bestimmtes Verhalten auftritt und mit welcher Wahrscheinlichkeit ein bestimmter Konsumententyp welche Entscheidungen trifft. So hat der Faktor „Vertrauen“ möglicherweise eine besondere Bedeutung für Konsumentenentscheidungen in Bezug auf den Einsatz der Biotechnologie bei der Lebensmittelherstellung. Auch lässt sich vermuten, dass sich unterschiedliche Lebensumstände und soziodemografische Faktoren wie Geschlecht und Alter auf das Entscheidungsverhalten von Konsumenten auswirken.

Viele innovative Produkte und Prozesse im Bereich der Bioökonomie sind bisher aber noch gar nicht oder noch nicht flächendeckend in den Markt eingeführt worden. Akzeptanzstudien über sie sind zwangsläufig hypothetisch und unterscheiden sich eventuell vom späteren tatsächlichen Verhalten der Verbraucher. In diesem hypothetischen Kontext beziehen sich Überlegungen zum Adoptions- und Akzeptanzverhalten also nicht notwendigerweise auf Handlungen. Vielmehr beziehen sie sich auf den Wunsch oder die Absicht von Konsumenten, unter gewissen Umständen ein bestimmtes Verhalten an den Tag zu legen. Diese Vorverhaltensvariablen lassen sich als Einstellungen (attitudes), Präferenzen (preferences) und Absichten (intentions) definieren und messen (Kahnemann et al. 1999):

  • ■ Präferenzen sind Bewertungen von zwei (oder mehr) potenziellen Alternativen und beschreiben den Wert, welchen ein Individuum einem bestimmten Ereignis oder Objekt beimisst. In einer echten Einkaufssituation können solche Alternativen konkrete Produkte sein, die das Individuum kauft oder nicht kauft.

  • ■ Einstellungen drücken eine Bewertung von Ereignissen oder Dingen aus, in die Attribute wie etwa Gefallen oder Abneigung einfließen (Eagly und Chaiken 1993). Anders als Präferenzen vergleichen Einstellungen nicht direkt zwischen verschiedenen Alternativen, sondern stellen eher eine emotionale Haltung (affektive Komponente) und Überzeugung (kognitive Komponente) als direkte Reaktion auf ein Objekt dar (Ajzen 2001).

  • ■ Absichten beschreiben die Motivation, sich im Sinne eines bewussten Plans zu verhalten, oder die Entscheidung, sich darum zu bemühen, ein planvolles Verhalten zu zeigen (Conner und Armitage 1998).

Diese Variablen finden sich zum Teil auch in der Theorie des geplanten Verhaltens wieder, einem der am häufigsten verwendeten Modelle für das Verhalten von Konsumenten (Abb. 8.6). Dieses Konzept wurde zuerst von Icek Ajzen (1985, 1991) eingeführt und erklärt, wie individuelle Absichten mit spezifischen zielgerichteten Verhaltensweisen zusammenhängen. Dazu bedient es sich dreier Faktoren: Einstellungen, subjektiver Normen und empfundener Verhaltenskompetenz. Die zentrale Idee ist, dass die Gesamtbewertung eines Produkts (attitude), die gefühlte Wahrnehmung sozialer Standards (subjective norms) und die individuell empfundene Fähigkeit, sich in einer gewünschten Weise zu verhalten (perceived behavioural control) zusammengenommen die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Verhaltens vorhersagen können, weil sie nämlich den bewussten Wunsch (intention) zu diesem Verhalten verstärken.

Abb. 8.6
figure 6

Theorie des geplanten Verhaltens. (Verändert nach Ajzen 1991)

In der Tat hat sich die Theorie des geplanten Verhaltens in einer Reihe von entscheidungsbezogenen Kontexten als nützlich erwiesen, etwa bei Entscheidungen zur Verbesserung des Selbstmanagements und der eigenen Gesundheit (Ajzen und Madden 1986; Brewer et al. 1999), wie auch bei Entscheidungen zur Nachhaltigkeit und zum Umweltschutz (Bamberg und Schmidt 2003; Harland et al. 1999). Auch die Adoptionsentscheidungen von landwirtschaftlichen Erzeugern kann diese Theorie erklären (Beedell und Rehman 1999; Lynne et al. 1995). Trotz einer zunehmend positiven Einstellung (pro-environmental attitude) gegenüber dem Schutz unserer Umwelt und der Bereitschaft vieler Einzelner dafür etwas zu tun, nehmen umweltschädliche Emissionen dennoch stetig zu (Bamberg und Möser 2007). Dieses Ausbleiben eines Verhaltens, das ausgehend von der Einstellung eines Individuums zu erwarten gewesen wäre, wird als attitude-behavior gap bezeichnet (Kollmuss und Agyeman 2002). Das Phänomen der Einstellungs-Verhaltens-Lücke lässt sich sowohl auf Akzeptanzentscheidungen von Konsumenten beziehen als auch auf der Ebenen der Technologieadoption und -implementierung von Organisationen feststellen.

8.3.2 Konkrete Faktoren der Konsumentenakzeptanz

Das Konsumentenverhalten ist ein dynamischer Prozess, der sich aus dem Zusammenspiel von Emotionen, Denkprozessen und Absichten ergibt und von persönlichen sowie Umweltfaktoren beeinflusst wird. Dieser Abschnitt soll verdeutlichen, welche Faktoren Einfluss auf die Konsumentenakzeptanz nehmen.

8.3.2.1 Produktattribute

Biobasierte Produkte sind in vielerlei Hinsicht innovativ. Genau aus diesem Grund werden die Konsumenten anfangs unsicher darüber sein, was diese Produkte ihnen eigentlich zu bieten haben. Wenngleich viele Faktoren die Konsumentenakzeptanz beeinflussen, sind doch Bildung und die Vermittlung von Informationen besonders wichtig. Denn wenn Konsumenten die Vorteile biobasierter Produkte nicht verstehen können, dann ist die Aussicht gering, dass sie diese kaufen, zumal sie mit fossilbasierten Produkten vertraut sind. Abgesehen davon werden biobasierte Produkte wie beschrieben aufgrund ihrer höheren Herstellungskosten wahrscheinlich teurer sein. Um die Bereitschaft der Konsumenten zu erhöhen, Premiumpreise für biobasierte Produkte zu zahlen, empfiehlt es sich, diese mit ähnlichen Qualitätssiegeln auszuzeichnen, wie sie im wachsenden Markt für umweltfreundliche Produkte schon erfolgreich verwendet werden. Solche Siegel vermitteln den Verbrauchern Zusatzinformationen und signalisieren ihnen die Einhaltung zuverlässiger Qualitätsstandards (Carus et al. 2014).

Informationsvermittlung allein ist aber nicht ausreichend, um die Konsumenten von den Vorteilen biobasierter Produkte zu überzeugen. Es kann nämlich vorkommen, dass sie das Qualitätsversprechen der Nachhaltigkeit wie eine belastende Verpflichtung empfinden, bestimmte Erwartungen im Umgang mit dem Produkt zu erfüllen, sodass dessen Wert dadurch für sie paradoxerweise eher sinkt als steigt (Luchs et al. 2010). Es kann also sein, dass die wahrgenommene „Performance“ (z. B. Reinigungskraft von Waschmitteln) von nachhaltig positionierten Produkten geringer als die konventioneller Produkte ist. Auch sind die Qualitätsversprechen biobasierter Produkte, z. B. ein umwelt- und gesundheitsbezogener Nutzen, für die Konsumenten nicht direkt zu verifizieren. Es handelt sich also um Vertrauensattribute, die erklärungsbedürftig sind (Darby und Karni 1973; Tab. 8.5).

Tab. 8.5 Evaluation der Attribute durch die Verbraucher. (Eigene Darstellung nach Nelson 1970; Darby und Karni 1973)

Im Gegensatz zu den Such- und Erfahrungsattributen (Nelson 1970, 1974) von Produkten, die die Konsumenten evaluieren können, ist das für sie bei Vertrauensattributen nicht möglich, wenn sie den Produktionsprozess selbst nicht kennen. Das aber würde eine Expertise erfordern, die sie in der Regel nicht haben. Weil die Verbraucher immer mehr Wert auf Gesundheit und Nachhaltigkeit legen, werden jedoch Vertrauensattribute in diesem Bereich zunehmend wichtiger (Cuthbertson und Marks 2007; Moser et al. 2011). Unternehmen kommunizieren diese Attribute zunehmend mithilfe von Qualitätssiegeln. Zu diesen gehören beispielsweise das EU Ecolabel, das EU Bio-Siegel und in Deutschland der Grüne Punkt für Produkte, die von Unternehmen hergestellt wurden, die am gleichnamigen Recyclingprogramm beteiligen.

Wenn die Konsumenten die Informationen, die ihnen über Qualitätssiegel vermittelt werden, für glaubwürdig halten, dann übersetzen sie infolgedessen Vertrauensattribute in Suchattribute. In Märkten, die von Vertrauensattributen dominiert werden, suchen sie nach entsprechend ausgezeichneten und mit Siegeln versehenen Produkten, um zwischen verschiedenen Produkten und Anbietern zu differenzieren und ihre Kaufentscheidung zu treffen (Boehlje 2016; Cuthbertson und Marks 2007; Löbnitz und Bröring 2015). Zu den Kommunikationsstrategien von Bioökonomieunternehmen sollte es also gehören, potenziellen Kunden die Überlegenheit und den Premiumpreis ihrer Produkte dadurch deutlich zu vermitteln, dass sie deren Vertrauensattribute sichtbar werden lassen und in Suchattribute verwandeln.

8.3.2.2 Nutzen-Risiko-Wahrnehmung

Allgemein betrachtet hängt die Konsumentenakzeptanz vom Verhältnis des erwarteten Nutzens zu den wahrgenommenen Risiken eines Produktes oder einer Technologie ab (Cardello 2003; Lusk et al. 2004). Als generelle Akzeptanzhürde erweist es sich dabei, dass es stark vom Grad des Wissens über den Nutzen einer neuen Technologie abhängt, als wie gefährlich man sie empfindet. Risikowahrnehmung ist also kein unabhängiger Faktor (Ueland et al. 2012).

Die Grüne Gentechnik, also die Anwendung der Technologie auf Pflanzen, wird oft als das „schwarze Schaf“ der Biotechnologie bezeichnet. In einer repräsentativen Umfrage der Europäischen Kommission wird Technologie als solche von der europäischen Bevölkerung eher positiv betrachtet und auch Biotechnologie und Gentechnik im Allgemeinen werden von 53 % der Bevölkerung positiv betrachtet (Gaskell et al. 2010). Lediglich 20 % erwarten negative Effekte auf unseren Lebensstandard in 20 Jahren. Doch bei der expliziten Anwendung von Gentechnik auf Nahrungsmittel kehrt sich dieses Bild um. Ganze 61 % der Bevölkerung denken demnach, dass Gentechnik nicht zum Zweck der Nahrungsmittelproduktion verwendet werden sollte, wohingegen nur 23 % solche Anwendungen unterstützen würden. Diese Haltung hat sich seit dem Jahr 2005 leicht verstärkt. Betrachtet man diese Wahrnehmung allerdings in Relation zu anderen Risiken in der Nahrungsmittelproduktion, wie z. B. Pestizidbelastung, wird die Gentechnik als weniger riskant gesehen. Bieten gentechnisch veränderte Nahrungsmittel zudem konkrete Vorteile, kann die Unterstützung sogar höher sein als die Bedenken in diesem Zusammenhang (Desaint und Varbanova 2013). Es scheint also, dass die Konsumentenakzeptanz von verschiedenen miteinander korrelierten Aspekten, wie dem Anwendungsgebiet oder dem Kontext, sowie dem Nutzen und den Risiken abhängt.

Das Risikoempfinden mancher Menschen lässt sich zum Teil auch mit dem Phänomen der Neophobie (Cox und Evans 2008; Pliner und Salvy 2006) erklären, so z. B., wenn es um Vorbehalte gegenüber der Anwendung der Nanotechnologie (Matin et al. 2012; Schnettler et al. 2013) oder gegenüber genetisch modifizierten Lebensmitteln geht (Vidigal et al. 2015). Auch spielt eine tief verwurzelte Vorstellung von Natürlichkeit eine Rolle bei der Entstehung des großen Argwohns, den manche Menschen gegenüber Nahrungsmitteln hegen, die nicht auf traditionelle Weise produziert worden sind (Rozin 2005; Tenbült et al. 2005).

Die Wahrnehmung von Risiken kann verstärkt oder vermindert werden. Die Theorie der Schutzmotivation (Protection Motivation Theory) beschreibt menschliches Verhalten in Bedrohungssituationen im Allgemeinen (Exkurs 8.2). Gefahren, denen sie ohne eigene Zustimmung ausgesetzt sind (z. B. bei der Erzeugung von Atomenergie) werden von Menschen als höheres Risiko wahrgenommen als diejenigen Gefahren, die sie selbst zu kontrollieren glauben (z. B. Rauchen), selbst wenn diese objektiv gesehen wesentlich höher sind (Slovic 1987; Leikas et al. 2009). Zur Reduzierung des Risikos bedienen sich Menschen heuristischer Hilfestellungen (Kahnemann und Tversky 1974, 1979). Heuristiken sind auf Erfahrung basierende Wenn-dann-Regeln, die den Entscheidungsprozess vereinfachen. Im Fall von neuen und unbekannten Produkten wäre solch eine Regel z. B.: „Ich kaufe niemals neue Produkte, wenn ich niemanden kenne, der damit bereits gute Erfahrungen gemacht hat.“Box-2

8.3.2.3 Vertrauen

Je mehr ein Mensch über neuartige komplexe Produkte oder Technologien weiß, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er sie als weniger riskant empfindet – zumindest wenn die tatsächliche Gefahr nicht objektiv als hoch einzustufen ist. Der Durchschnittskonsument verfügt in der Regel aber nicht über detailliertes Wissen und muss sich meist auf Expertenwissen verlassen. Eine Studie, die diesen Aspekt anhand des Beispiels der Gentechnik aufgreift, kommt zu dem Ergebnis, dass das Vertrauen der Verbraucher (trust, vgl. Siegrist 2000, 2008) zu den Unternehmen und Institutionen, die mit Gentechnik arbeiten, deren Akzeptanz maßgeblich beeinflusst. Generell herrscht unter Verbrauchern zwar großes Vertrauen in die Wissenschaft in Deutschland, jedoch gibt es Forschungsbereiche und Technologien wie die synthetische Biologie, denen viele Menschen negativ gegenüberstehen, was deren Einführung erschwert (Hacker und Köcher 2015). Die synthetische Biologie beinhaltet die zunehmende Verwendung von genetischen und genomischen Erkenntnissen, um grundlegende Veränderungen an biologischen Systemen vorzunehmen und synthetische Organismen zu konstruieren, die einer Vielzahl von Zwecken dienen können (Abschn. 5.2). Die Umwandlung von spezialisierten Molekülen in mikroskopisch kleine, in sich geschlossene Fabriken kann eine besondere Bedeutung für die Bioökonomie haben, da sie potenziell dazu beitragen kann, Medikamente und saubereren Kraftstoff zu produzieren und sogar Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu filtern (Specter 2009). Das niedrige Interesse der breiten Öffentlichkeit an der synthetischen Biologie spiegelt sich in dem niedrigen Wissensstand wider und mag womöglich daher rühren, dass Verbraucher die Anwendungen der Technologie nicht mit den Sorgen ihres Alltags in Verbindung stehen sehen. Tatsächlich reicht der einfache Hinweis auf die möglichen Vorteile spezieller Anwendungen der synthetischen Biologie aus, um die Menschen mehr zu begeistern und positiver bezüglich der Entwicklung dieser Technologien zu stimmen (Hacker und Köcher 2015; Pauwels 2013). Daher führt die Vermittlung von Information zu mehr Unterstützung, aber auch zu größerer Risikowahrnehmung. In solchen Situationen ist emotionale Vertrauensbildung oft wichtiger als Wissensvermittlung, um die Akzeptanz zu erhöhen. Wenn der Verbraucher die Verantwortlichen für vertrauenswürdig, verantwortungsbewusst und sachkundig hält, dann verringert sein Vertrauen zu ihnen die Komplexität des Themas (Lusk et al. 2014) und erleichtert ihm die Zustimmung zu einer Technologie, auch wenn er sie nicht genau versteht. Deshalb ist das Vertrauen in die Wissenschaft und Politik und der Glaube daran, dass diese die Interessen und die Sicherheit der Gesellschaft im Sinn haben, von entscheidender Bedeutung, um diese Schwierigkeiten zu überwinden.

8.3.3 Determinanten der Adoption von Technologien

Während die Akzeptanz meist durch Kauf- oder Verhaltensabsichten gemessen wird, hängt die Adoption nur von der tatsächlich getroffenen Entscheidung ab. Dabei muss zwischen Produkten, Prozessen oder Technologien unterschieden werden. Die Konsumentenakzeptanz bezieht sich nur auf das Endprodukt. Sollte dieses Produkt durch eine neuartige Technologie hergestellt worden sein, findet die Evaluierung des Konsumenten nur am Produkt selbst statt, unter der Berücksichtigung aller Risiken und Nutzen in Zusammenhang mit der angewendeten Technologie – sofern er diese kennt oder zur Kenntnis nimmt. Ganz ähnlich verhält es sich bei der Adoption von Technologien und der Etablierung der Produkte am Markt. Davis (1989) beschreibt die Adoption von Informationstechnologie in einem Technologieakzeptanzmodell (TAM) (Abb. 8.8).

Abb. 8.7
figure 7

Protection Motivation Theory. (Verändert nach Maddux und Rogers 1983)

Abb. 8.8
figure 8

Technologieakzeptanzmodell. (Verändert nach Davis 1989)

Im diesem Modell spielen die beiden Faktoren der wahrgenommenen Nutzerfreundlichkeit (perceived ease of use = E) und der wahrgenommenen Nützlichkeit (perceived usefulness = U) die zentrale Rolle. Sie werden von externen Variablen wie z. B. Alter und Geschlecht beeinflusst. Beide Faktoren bestimmen die Einstellung (attitude toward using = A) gegenüber der neuen Technologie, die einer emotionalen Haltung entspricht. Zusammen mit der wahrgenommenen Nützlichkeit bestimmt sie die Stärke der Nutzungsabsicht (behavioral intention to use = BI), aus der sich letztlich die tatsächliche Nutzung bzw. Adoption der Technologie ergibt.

Wendet man das Technologieakzeptanzmodell auf den Markt der Bioökonomie an, muss man zwischen zwei Zielgruppen unterscheiden – zwischen den Produzenten und ihren Geschäftsbeziehungen (B2B) sowie den Konsumenten, die als Anwender der hergestellten Produkte über deren Etablierung am Markt entscheiden (B2C).

Aus der Sicht der Unternehmen ist die Wettbewerbsfähigkeit Voraussetzung dafür, den Schritt in Richtung Bioökonomie zu wagen. Das setzt einerseits eine höhere Nützlichkeit (U) gegenüber der bisherigen Strategie voraus. Ein Beispiel wäre die Biotechnologie , die den Faktor U erhöht, wenn sie etwa eine kostengünstigere Produktion oder die Herstellung neuer Arzneimittel erlaubt. Sowohl die Nützlichkeit als auch die Einstellung gegenüber der Technologie werden durch deren Nutzerfreundlichkeit beeinflusst. Die Umsetzung darf keine unüberwindbaren Hindernisse aufstellen, sondern muss einfach zu handhaben sein (Faktor E). Um beim Beispiel der Biotechnologie zu bleiben, wäre dem Faktor E aus Sicht des Unternehmens Genüge getan, wenn es unter anderem eine transparente Sicherheitsbewertung und klare Regeln für die Vermarktung gäbe, sodass eine Umstellung auf die neue Technologie mit möglichst geringen Kosten einherginge. Wenn die Risiken für die Unternehmen in günstiger Relation zum Nutzen stehen, dann wird das auf eine positive Einstellung gegenüber der Einführung der neuen Technologie hinwirken (Faktor A).

Aus Sicht der Konsumenten gestaltet es sich ähnlich, jedoch liegt der Fokus hier am Ende der Wertschöpfungskette , also beim Produkt. Es muss einfach zu benutzen oder zu konsumieren sein. Als Beispiel können hier Biokraftstoffe genannt werden. Sie werden wie herkömmliche Sorten an den Tankstellen angeboten und können in den meisten Pkw genutzt werden (Faktor E). Das Produkt wurde relativ schnell akzeptiert. Aber wie verhält es sich mit seinem wahrgenommenen Nutzen (Faktor U)? Dieser fließt auf zweierlei Art in die Abwägungen der Konsumenten ein. Zum einen muss das Produkt einen Vorteil bieten, in diesem Fall einen geringeren Preis, zum anderen darf es nicht mit zu hohen Nachteilen verbunden sein (z. B. Konkurrenz der Ausgangsstoffe mit Nahrungsmitteln ). Die Abwägungen der Konsumenten zum Nutzen, zu den Risiken und der Handhabung bestimmen letztlich die Einstellung (A) gegenüber dem Produkt.

Bezogen auf neuartige Produkte oder Technologien muss generell gesehen der Nutzen hoch (weil z. B. auch Risiken als niedrig wahrgenommen werden) und der Konsum des Produktes oder die Anwendung der Technologie mit keinen Schwierigkeiten verbunden sein. Dann wird die Einstellung von Produzenten und Konsumenten positiv beeinflusst, sodass mit großer Wahrscheinlichkeit die Technologie von den Unternehmen angewandt und das Produkt von den Konsumenten akzeptiert und gekauft wird. Diese Erkenntnisse aus der Anwendung des Technologieakzeptanzmodells können uns als Hilfestellung dienen, um die Akzeptanz von Produkten und Technologien der Bioökonomie besser zu verstehen. Insgesamt ist jedoch sehr viel weiterer Forschungsbedarf nötig, da viele Modelle der Technologieakzeptanzforschung bisher kaum Anwendung auf Fragestellungen der Bioökonomie gefunden haben. Ebenso erscheint es nötig, Akzeptanzforschung nicht nur am Endverbraucher durchzuführen, sondern auch vorgelagerte Bereiche einzubeziehen, um Herausforderungen in Bezug auf die Entstehung neuer bioökonomischer Wertschöpfungsketten frühzeitig zu adressieren.

8.3.3 Exkurs 8.2: Theorie der Schutzmotivation

Die Theorie der Schutzmotivation, oder Protection Motivation Theory, bietet einen konzeptionellen Rahmen, um mit Angstgefühlen umzugehen (Rogers 1975; Maddux und Rogers 1983). In diesem Rahmen wird die Bewältigung von Gesundheitsbedrohungen individuell abgebildet. Die Probanden bzw. Patienten beurteilen dabei zum einen ihre Gesundheitsbedrohung und zum anderen ihre Fähigkeit, diese Bedrohung zu bewältigen. Für die Bedrohungsbeurteilung wird gemessen, wie die Befragten den Schweregrad der Gesundheitsbedrohung wahrnehmen (perceived severity) und wie hoch sie die Wahrscheinlichkeit einschätzen, krank zu werden (vulnerability). Für die Bewältigungsbeurteilung wird ermittelt, welche Wirksamkeit die Befragten bestimmten Handlungen zumessen (response efficacy) und inwieweit sie sich kompetent fühlen, diese gesundheitsfördernden Handlungen auszuführen (self-efficacy). Aus dem Ergebnis beider Beurteilungen lässt sich ableiten, wie stark die Intention ist, seine Gesundheit durch geeignetes Verhalten zu schützen (protection motivation). Dieser konzeptionelle Rahmen kommt hauptsächlich in gesundheitsbezogenen Kontexten zur Anwendungen, wenn es z. B. darum geht, den Alkoholkonsum zu reduzieren. Er wird aber auch in anderen Zusammenhängen genutzt, in denen Einflussfaktoren auf menschliches Verhalten untersucht werden, so z. B. zur Analyse des Konsumentenverhaltens gegenüber biofortifizierten, mit Jod angereicherten Hülsenfrüchten (Mogendi et al. 2016). Weil Konsumenten dazu neigen, neue, vor allem gentechnisch modifizierte Lebensmittel als Gesundheitsbedrohung zu empfinden, lässt sich allgemein mithilfe der Theorie der Schutzmotivation (Abb. 8.7) die Akzeptanz neuer Lebensmitteltechnologien näher untersuchen und besser verstehen.