1 Akute Dyspnoe

1.1 Ätiologie

Akute Dyspnoe

Kardiovaskuläre Genese

  • Akutes Koronarsyndrom (ACS)

  • Linksherzinsuffizienz → Asthma cardiale, u. a. zusätzlich reflektorische Bronchokonstriktion

  • Arrhythmien (supraventrikulär, ventrikulär)

  • Schrittmacherdysfunktion

  • Arterielle Hypertonie, Cor hypertensivum

  • Akutes Vitium, z. B. akutes Mitralvitium durch Sehnenfadenabriss

  • Endokarditis, Myokarditis

  • Perikarderguss, Perikardtamponade

  • Thorakales Aortenaneurysma

Pulmonale Genese

  • AE-COPD („acute exacerbation of chronic obstructive pulmonary disease“) mit und ohne Emphysem

  • Asthma bronchiale (allergisch, nichtallergisch, Mischformen, Churg-Strauss, Karzinoid)

  • Postinfektiöse bronchiale Hyperreaktivität (mit Husten)

  • Restriktive Lungenerkrankungen

  • Lungenembolie

  • Lungenödem

  • Pneumo-, Hämato-, Hydro-, Chylothorax

  • Bronchitis, Tracheobronchitis

  • Pneumonie

  • Alveolitis

  • Pleuraerguss

  • Pleuritis

  • Pleuraschwarte

  • Thoraxtrauma

  • Bronchiale Tumoren

  • Pulmonale Hypertonie

  • Inhalationstrauma (z. B. Rauchgasintoxikation)

  • Lungenblutung

  • Exogen-allergische Alveolitis (EAA)

  • ARDS („acute respiratory distress syndrome“)

Mechanische Genese

  • Fremdkörperaspiration

  • Trachealstenose bzw. Stenosen der zentralen Atemwege

  • Struma, retrosternale Struma

  • Rippenfrakturen, instabiler Thorax

  • Glottisödem, akute Laryngitis, Anaphylaxie

  • Versagen der Atemmuskulatur, z. B. myasthene Krise

  • Abdominelles Kompartmentsyndrom (unphysiologische Erhöhung des intraabdominellen Drucks mit Einschränkung der Atmung, z. B. Aszites, Darmischämie, Pankreatitis, Peritonitis)

Psychogene Genese

  • Hyperventilationssyndrom

  • Panikattacken

  • Angst

Neurologische Genese

  • (Neuro-)muskuläre Erkrankungen

  • Erhöhter Hirndruck

  • Meningitis, Enzephalitis

  • Schlaganfall

  • Intrazerebrale Blutung

  • Intoxikationen

Andere Ursachen

  • Hyperthyreose

  • Anämie

  • Schmerz

  • Urämie

  • Coma diabeticum

  • Fieber, septisches Geschehen

  • Metabolische Azidose

  • „Vocal cord dysfunction“ (funktioneller Laryngospasmus)

  • Kyphoskoliose

  • Säureaspiration bei gastroösophagealer Refluxkrankheit (GERD) assoziiert mit chronischem Husten

  • Abdominelle Raumforderung (z. B. Hepatosplenomegalie, Adipositas)

1.2 Diagnostik

(Tab. 11.1, Tab. 11.2, Tab. 11.3)

Tab. 11.1 Diagnostik bei akuter Dyspnoe
Tab. 11.2 Borg-Dyspnoe-Skala
Tab. 11.3 Skala der American Thoracic Society (ATS) für Dyspnoe

1.3 Therapie

1.3.1 Allgemeinmaßnahmen/Notfallmanagement

  • Sauerstoffgabe: 2‒4 l/min über Nasensonde oder O2-Maske (SpO2 >92–94 %)

  • Lagerung: Oberkörperhochlagerung bzw. aufrecht sitzende Haltung

  • Statuserhebung: SpO2, Blutdruck, Herz-, Atemfrequenz, Temperatur, Auskultation, Perkussion

  • 12-Kanal-EKG (Arrhythmien und akutes Koronarsyndrom?)

  • Anlage eines periphervenösen Zugangs (Blutentnahme, inkl. venöser BGA)

  • Patienten beruhigen, ggf. vorsichtige medikamentöse Anxiolyse (z. B. 1 mg Lorazepam p.o.) und versuchen, eine Anamnese zu erheben, ggf. Fremdanamnese

  • Notfallsonographie , auch in Oberkörperhochlagerung möglich (z. B. modifiziertes „rapid assessment of dyspnea with ultrasound“, sog. RADiUS-Protokoll , s. auch Abschn. 1.20 Abschnitt Notfallsonographie)

    • Fokussierte kardiale Bildgebung (links- und rechtsventrikuläre Pumpfunktion, Perikarderguss, Rechtsherzbelastungszeichen)

    • Fokussierte Beurteilung der V. cava inferior (Volumenstatus)

    • Fokussierte Lungensonographie (B-Linien, Pleuraerguss, Pneumothorax, peripheres Infiltrat)

    • Fokussierte Abdomensonographie (Aszites, freie Flüssigkeit in Pouches)

  • Ggf. nichtinvasive Beatmung (NIV), Indikationen (stets individuell abwägen):

    • Hyperkapnische akute respiratorische Insuffizienz (pH<7,35 bei paCO2 >45–50 mm Hg) bei akut exazerbierter COPD

    • Hypoxämische akute respiratorische Insuffizienz bei kardialem Lungenödem oder Pneumonie (Atemfrequenz >25/min, SpO2<92 %, paO2 <70 mm Hg)

    • Respiratorisches Versagen bei Immunsuppression

    • Palliative Situation (in Fällen, in denen keine Intubation festgelegt/gewünscht wurde)

    • Cave: Absolute Kontraindikationen beachten (fehlende Spontanatmung, hämodynamische Instabilität, Verlegung der Atemwege, gastrointestinale Blutung/Ileus)

  • Ggf. invasive Beatmung, Indikationen (stets individuell abwägen):

    • SpO2 <85 % unter hoher Sauerstoffzufuhr (>10 l/min)

    • Therapieresistente Obstruktion mit respiratorischer Erschöpfung

    • Polytrauma mit instabilem Thorax, Gesichts- und Halsverletzungen

    • Progrediente Tachypnoe >30–35/min bzw. Ateminsuffizienz/unzureichende Atemarbeit oder Schnappatmung/Apnoe

    • Glasgow-Coma-Scale <8 mit Unfähigkeit, die Atemwege frei zu halten bzw. fehlender Schutzreflex

    • Hämodynamische Instabilität (kardiogener Schock)

    • Progrediente respiratorische Azidose (trotz Therapie steigt paCO2 >50 mm Hg)

  • Ggf. flexible Bronchoskopie (Wachbronchoskopie unter leichter Sedierung)

1.3.2 Spezielle Maßnahmen (einige Beispiele)

  • β2-Sympathomimetika und Kortikosteroide bei Bronchoobstruktion

  • Diuretika und ggf. Nitrate bei Verdacht auf akutes Lungenödem bis NIV-Beatmung

  • Sofortige antibiotische Therapie nach vorheriger Abnahme von Blutkulturen bei Verdacht auf Sepsis

  • Dialysetherapie bei klinischen Zeichen der Urämie und/oder der Überwässerung

  • Lysetherapie bei Verdacht auf massive Lungenembolie

  • Perikardpunktion bei nachgewiesenem Perikarderguss

  • Notfallherzkatheteruntersuchung bei Verdacht auf akutes Koronarsyndrom

  • Antiarrhythmische Therapie und/oder Kardioversion/Defibrillation bei Arrhythmien

2 Aspiration

2.1 Definition

  • Transglottisches Eindringen von Fremdmaterial in das Tracheobronchialsystem

  • Penetration bezeichnet den Übergang zur Aspiration, d. h. das Aspirat berührt zwar die supraglottischen Strukturen bzw. tritt in den Aditus laryngis ein, ohne jedoch die Rima glottidis zu passieren.

  • Akute Aspiration von Fremdkörpern oder Flüssigkeiten. Sehr heterogenes Krankheitsbild. Je nach Aspirat entsteht eine chemische Pneumonitis (Säureaspiration), bakterielle Pneumonie, mechanische Obstruktion (Aspiration korpuskulärer Anteile) und ggf. reflektorischer Glottisverschluss (Spasmus) oder eine Kombination der genannten Situationen. Typische Klinik

  • Chronische Aspiration von Fremdkörpern. Wenig typische klinische Symptomatik folgt nach einem symptomarmen Intervall. Ausbildung einer lokalen granulozytären Entzündung als Reaktion auf einen festsitzenden Fremdkörper, ggf. chronische Pneumonie mit Bildung einer Atelektase oder einer Retentionspneumonie. Gehäuft bei neurologischen Krankheitsbildern mit Dysphagie und/oder fehlendem Hustenreflex.

2.2 Allgemeines

  • Inzidenz: Kinder >Erwachsene (Männer : Frauen = 2 : 1)

  • Prädilektionsalter im Kindesalter: während des 2. Lebensjahres

  • Prädilektionsalter im Erwachsenenalter: während der 6. Lebensdekade

  • Häufige Fremdkörper (bei Erwachsenen): Nahrung (meist Fischgräten und Hühnerknochen), Zahnersatz (bei älteren Menschen)

  • Unterscheidung bei Fremdkörpern: versehentliche und intentionale Fremdkörperingestion (sekundärer Krankheitsgewinn)

  • Im Rahmen von Fremdkörperaspiration wird in ca. 80 % der Fälle der Fremdkörper ohne weiteres abgesetzt, und in ca. 20 % der Fälle ist eine endoskopische Intervention notwendig. Eine Operation ist in weniger als 1 % der Fälle indiziert.

  • Risikofaktoren für eine Atemwegsverlegung durch Fremdkörper: eingeschränktes Bewusstsein, Intoxikationen (Alkohol, Drogen), neurologische Erkrankungen mit Störungen der Schluck- und Hustenreflexe (Schlaganfall, Parkinson-Krankheit), Atemwegserkrankungen, geistige Einschränkungen, Demenz, schlechter Zahnstatus, hohes Alter

2.3 Ätiologie

  • Verminderte bis fehlende Schutzreflexe

    • Bewusstlosigkeit!

    • Während epileptischer Anfälle

    • Drogen-, Alkoholabusus

    • Frühzeitige Nahrungsaufnahme nach ambulant-zahnärztlichem Eingriff unter großzügiger Infiltrationsanästhesie

  • Störungen des Schluckaktes bzw. Dysphagie

    • Neurogene Dysphagien: z. B. Apoplexie oder Schädel-Hirn-Trauma mit Schädigung der zentralen Schluckzentren der Formatio reticularis (Pons, Medulla oblongata) und der für den Schluckakt beteiligten Hirnnervenkerne (Ncl. motorius n. trigemini, Ncl. motorius n. facialis, Ncl. ambiguus, Ncl. tractus solitarii, Ncl. dorsalis n. vagi)

    • Neuromuskuläre Erkrankungen: z. B. Achalasie

    • Tumoren des Pharynx oder des Larynx

    • Dysphagie nach Operationen: z. B. Tumoren in Mund- und Halsregion

    • Erkrankungen des oberen Gastrointestinaltrakts: Strikturen, Malignome, ösophageale Ringe, Achalasie

  • Störungen des Glottisverschlusses oder des oberen Ösophagussphinkters

    • Tracheostoma oder liegende Magensonde (Pflegeheim-Patienten)

    • Rezidivierendes Erbrechen

2.4 Klinik

  • Symptomatik abhängig von Lage und Größe des Fremdkörpers

  • Leitsymptome: plötzlicher Reizhusten und akute Dyspnoe

  • Erstickungsangst, Unruhe bis Panik

  • Atmung

    • Flache und frequente Atmung mit oder ohne thorakale Schmerzen

    • Dyspnoe bis Orthopnoe (mit Einsatz der Atemhilfsmuskulatur)

    • Frustrane Atemexkursionen bis Apnoe beim Bolusgeschehen

  • Evtl. inverse Atmung

  • Zyanose (Warnsignal, d. h. ≥5 g/dl deoxygeniertes Hämoglobin)

  • Stridor

    • Inspiratorischer Stridor: hochsitzender Fremdkörper oder Stenosen im laryngotrachealen Bereich

    • Exspiratorischer Stridor: tief sitzender Fremdkörper oder bronchiale Obstruktion

  • Bronchospasmus mit bronchialer Hypersekretion: bei Magensaft-Aspiration

  • Hämodynamik: Tachykardie, initiale Hypertonie bis Hypotonie

  • Bewusstlosigkeit : Eine Bolusaspiration (z. B. verschlucktes Wurststück) kann innerhalb kürzester Zeit zu zerebralen Krampfanfällen bis hin zum reflektorischen Herz-Kreislauf-Stillstand führen.

  • Chronische Fremdkörperaspirationen: das Aspirationsereignis bleibt zunächst klinisch unbemerkt, später (Wochen/Monate!) treten wenig charakteristische Zeichen auf wie chronischer Reizhusten, rezidivierende bronchopulmonale Infekte und evtl. Ausbildung sekundärer Bronchiektasen, ggf. mit Bildung einer Atelektase oder einer Retentionspneumonie.

2.5 Diagnostik

  • Anamnese:

    • Akuter Verlauf: evtl. nur Fremdanamnese möglich

    • Vorerkrankungen: neurologische Krankheitsbilder mit Schluckstörungen

    • Hinweis: rezidivierende Pneumonien gleicher Lokalisation können durch chronische Aspiration (festsitzender Fremdkörper) entstehen

  • Körperliche Untersuchung:

    • Inspektion: Mundhöhle und Pharynx (bei Bewusstlosigkeit zusätzlich Laryngoskopie), äußerliche Verletzungen, Struma, atypische bzw. asymmetrische Thoraxexkursionen, Haut (ggf. Zyanose)

    • Auskultation der Lunge: fortgeleitete Atemgeräusche wie Giemen und Brummen, einseitig abgeschwächtes Atemgeräusch bei Atelektasenausbildung, unerklärbare seitendifferente Befunde oder grobe Rasselgeräusche bei Aspiration von Flüssigkeiten (DD: kardiales und nicht-kardiales Lungenödem; Aspiration überwiegend in die rechte Lunge [Unterlappen])

  • Bildgebung: Röntgen-Thorax in 2 Ebenen und evtl. CT-Thorax

  • Ggf. Endoskopie

2.6 Differenzialdiagnostik

  • Akute Dyspnoe

  • Inspiratorischer Stridor: Ursachen der Obstruktion der oberen Atemwege (Hypopharynx, Larynx, Subglottis)

    • Beispiele: hochsitzender Fremdkörper, Krupp (Synonyme: Epiglottitis, Laryngitis supraglottica), Pseudokrupp (Synonyme: stenosierende Laryngotracheitis, Laryngitis subglottica), Larynxödem (entzündlich-toxisch oder angioneurotisch, Quinke-Ödem), funktioneller Laryngospasmus („vocal cord dysfunction“), Retropharyngealabszess, Nasopharynxtumor (benigne oder maligne [Schmincke-Regaud]) oder Larynxtumor (ein Drittel supraglottisch, zwei Drittel glottisch, selten subglottisch)

  • Inspiratorisch-exspiratorischer Stridor: Trachealstenose, z. B. Struma-bedingt

  • Exspiratorischer Stridor: Ursachen der Obstruktion der unteren Atemwege (Bronchien, Bronchiolen)

    • Beispiele: tief sitzender Fremdkörper, akutes Asthma bronchiale, Asthma cardiale, AE-COPD, toxisches Lungenödem, Bronchitis, Bronchiolitis

2.7 Notfallmanagement bei Aspiration von Fremdkörpern

Bei der Fremdkörperaspiration werden eine milde und eine schwere Atemwegsverlegung unterschieden, sodass initial eine Differenzierung stattfinden sollte.

Den Patienten direkt ansprechen und fragen: „Haben Sie sich verschluckt? Geht es Ihnen nicht gut?“ Während der Patient bei der milden Obtruktion antwortet, hustet und atmet, so antwortet der Patient im Falle einer schweren Obstruktion nicht, zudem fehlen ein Husten und ein eigenständiges Atmen (Perkins et al. 2015 [ERC-Leitlinien]).

Die schwere Atemwegsverlegung wiederum sollte in zwei Szenarien unterschieden werden: a) kreislaufstabiler und nicht-bewusstloser Patient, und b) kreislaufinstabiler und bewusstloser Patient.

2.7.1 Milde Atemwegsverlegung

  • Patienten zum Husten anregen, da der Husten einen hohen und anhaltenden Atemwegsdruck erzeugt, sodass der Fremdkörper ausgestoßen werden kann.

  • Patienten solange beobachten, bis es ihm besser geht, da sich eine schwere Verlegung noch entwickeln kann.

  • Kurze Anamnese/Fremdanamnese und differenzialdiagnostische Abklärung

  • Körperliche Untersuchung: Inspektion der Mundhöhle und Lungenauskultation

  • Ggf. weitere Untersuchungen veranlassen

2.7.2 Schwere Atemwegsverlegung → Kreislaufstabiler und nicht bewusstloser Patient

  • Patienten beruhigen, ggf. Sedation (ggf. 1–2 mg Midazolam i.v.)

  • Analgesie (Opioide) bei Schmerzen, z. B. bei Fischgrätenaspiration

  • Oberkörperhochlagerung oder aufstellen lassen

  • Kurze Anamnese/Fremdanamnese und differenzialdiagnostische Abklärung

  • Körperliche Untersuchung: Inspektion der Mundhöhle und Lungenauskultation

  • Handlungsablauf bei Ersticken

    • Schritt 1: Patienten zum Husten auffordern

    • Schritt 2: bis zu 5 Rückenschläge verabreichen (zwischen die Schulterblätter, den Brustkorb mit einer Hand halten und den Patienten nach vorne beugen lassen), ggf. wiederholen

    • Schritt 3: bis zu 5 Oberbauchkompressionen verabreichen (Heimlich-Handgriff)

    • Schritt 4: Wiederholen von Schritt 2 und Schritt 3

    • Schritt 5: Thoraxkompressionen bei Bewusstlosigkeit

  • Bolusentfernung durch kräftige Schläge zwischen die Schulterblätter oder durch Anwendung des Heimlich-Handgriffs

    • Durchführung: Ausübung eines subdiaphragmalen bzw. epigastralen nach kranial gerichteten Druckstoßes, der über eine intrathorakale Druckerhöhung den Fremdkörper bzw. Bolus herausschleudern soll

    • Indikation: Schwere Atemwegsverlegung durch Fremdkörperaspiration

    • Kontraindikationen: fortgeschrittene Gravidität, extreme Adipositas, Säuglingsalter

    • Gefahr: Verletzung innerer Bauchorgane und Strukturen (Leber, Milz, Aorta etc.), daher sollen alle Patienten, bei denen dieses Manöver durchgeführt wurde, auf innere Verletzungen untersucht werden.

  • Ggf. Optimierung der Oxygenierung: Nasensonde (bis 6 l O2/min: FiO2 0,2‒0,4) oder besser Maske (>6‒15 l O2/min: FiO2 0,4‒0,7)

  • Ggf. empirische Gabe von Glukokortikoiden

  • Ggf. initial flexible Bronchoskopie, Fremdkörperextraktion in starrer Bronchoskopietechnik

  • Hinweis: im Röntgen-Thorax werden strahlentransparente Fremdkörper oft übersehen!

2.7.3 Schwere Atemwegsverlegung → Kreislaufinstabiler oder bewusstloser Patient

  • Kontrolle von Bewusstsein (Schmerzreiz setzen), Atmung (Sehen, Fühlen, Hören, SpO2) und Hämodynamik (Puls, Blutdruck)

  • Bei Herz-Kreislauf-Stillstand : sofortiger Beginn der kardiopulmonalen Reanimation: bedingt durch die Herzdruckmassage gelingt es in einigen Fällen, den tief sitzenden Fremdkörper bzw. Bolus zu lockern und in Richtung Pharynx zu mobilisieren (Thoraxkompressionen erzeugen im Vergleich zu Oberbauchkompressionen einen höheren Atemwegsdruck)

  • Verdacht auf hochsitzenden Fremdkörper: Notfalltracheotomie

  • Mund- und Racheninspektion: bei ersichtlichem Aspirat (z. B. Erbrochenes)

    • Digitale Ausräumung des Rachenraumes

    • Oropharyngeales Absaugen in Kopftieflage

    • Fremdkörperextraktion aus Larynx mittels Magill-Zange und Absaugung unter laryngoskopischer Sicht

    • Bei Massenaspiration Freisaugen mittels Endotrachealtubus und anschließende endotracheale Intubation

  • Absaugmanöver unter ständiger Kontrolle der Vitalparameter und pulmonaler Auskultation

  • Atemwegsmanagement bei fehlender Eigenatmung:

    • Endotracheale Intubation und ggf. Fremdkörper mit dem Tubus vor- bzw. tiefer schieben, sodass zumindest eine Lunge beatmet werden kann

    • Oft sind hohe Beatmungsdrücke notwendig

    • Ggf. manuelle Exspirationshilfe durch Thoraxkompression

    • Vorsichtige Maskenbeatmung falls keine endotracheale Intubation möglich: eine langsame und kräftige Beatmung unter anteroposteriorem Krikoiddruck (Sellik-Handgriff) kann eine Luftinsufflation neben dem Fremdkörper erlauben

  • Endoskopie:

    • Möglichkeiten: flexible/starre Tracheobronchoskopie oder Ösophagogastroduoendoskopie (ÖGD)

    • Starre Bronchoskopie unter Anästhesie als Methode der Wahl bei hochgradigem Verdacht auf Aspiration

    • Ggf. Inspektion der oberen (Laryngoskopie) und der tiefen Atmwege (Tracheobronchoskopie) in flexibler Bronchoskopietechnik und Lokalanästhesie, Extraktion von Fremdkörpern nach Wechsel auf starre Bronchoskopietechnik und Vollnarkose, Einsatz von z. B. Fangkorb oder Fasszange, ggf. sind blutstillende Maßnahmen notwendig (endobronchiale Spülungen mit verdünnter Adrenalinlösung oder Einlegen eines Bronchusblockers bis maximal 48 h)

    • Nur kleine, gut fassbare Fremdkörper können in ausschließlich flexibler Bronchoskopietechnik geborgen werden.

    • ÖGD bei Bolusimpaktion mit kompletter Okklusion des Ösophagus sowie bei spitzen Fremdkörpern

    • Eine routinemäßige Gabe eines Antibiotikums (z. B. Ampicillin/Sulbactam 1,5 g/8 h i.v.) wird für zumindest 3 Tage empfohlen.

  • Operation/Thorakotomie: als Ultima ratio bei Versagen der endoskopischen Techniken

3 Inhalationstrauma

3.1 Definition

Unter einem Inhalationstrauma versteht man die thermische und chemisch-toxische Schädigung der Atemwege und des Lungenparenchyms durch Einatmen von Hitze, Rauch- und Reizgasen.

3.2 Allgemeines

  • Obwohl im Rahmen von Verbrennungen viele Organe beteiligt sein können, sind Hitzeschäden der Lunge am gravierendsten.

  • Ca. 20‒30 % aller Brandverletzten erleiden ein Inhalationstrauma.

  • Bei ca. 80 % aller Brandverletzten ist das Inhalationstrauma die Todesursache.

  • Die Kohlenmonoxidintoxikation spielt im Rahmen des Inhalationstraumas durch Brandunfälle eine dominante Rolle.

  • ARDS-Häufigkeit beatmeter Brandopfer: über 50 %

  • Mortalität des Inhalationstraumas alleine: ca. 10 %

  • Mortalität des Inhalationstraumas bei schwerer Verbrennung: über 50 %

  • Arten des Inhalationstraumas: thermisches, chemisches und systemisches Inhalationstrauma

Zum Management des Inhalationstraumas existieren keine nationalen noch internationalen Leitlinien, sodass auf die Erfahrung des jeweiligen Verbrennungszentrums zugegriffen werden muss.

3.3 Ätiologie

3.3.1 Inhalation von „Komponenten des Brandrauchs“

  • Rauchpartikel: Ruß, Schädigung abhängig von Partikelgröße (<1 bis >5 µm)

  • Hitze- und Flammeninhalation (thermisches Inhalationstrauma): lokale supraglottische Schädigung, nur zu 5 % subglottisch, Gefahr von Larynx- und Glottisödem (max. nach 12‒24 h)

  • Reizgase (chemisches Inhalationstrauma): lokal toxisch in tiefen Atemwegen, Spätmortalität durch Reizgase vom Latenztyp und Sofortmortalität durch hydrophile Reizgase

  • Erstickungsgase (systemisches Inhalationstrauma): CO, CO2, Zyanide, Schwefelwasserstoff

3.3.2 Chemisches Inhalationstrauma: Inhalation von Reizgasen

  • Entstehung bei Schwelbränden, Bränden in geschlossenen Räumen und Bränden mit starker Rauchentwicklung

  • Reizgase vom Soforttyp (hydrophile Stoffe): Ammoniak, Chlorwasserstoff, Fluor-, Schwefelwasserstoff → Schädigung der oberen Atemwege, zentrale Verätzungen, Larynxödem → bei massiver Exposition ödematöse Bronchitis und ggf. Lungenödem

  • Reizgase vom Spättyp (lipophile Stoffe): Aldehyde, Nitrosegase oder Stickstoffoxide (NO, NO2, N2O3, N2O4), Ozon (O3), Phosgen (COCl2) → Schädigung der unteren Atemwege → schwere ödematöse Bronchitis/Bronchiolitis mit unstillbarem Husten bis zur Orthopnoe

  • Reizgase vom intermediären Typ , d. h. Verbindungen mit mittlerer Wasserlöslichkeit: Chlor (Cl2), Brom (Br2), Schwefeldioxid (SO2)

3.3.3 Systemisches Inhalationstrauma: Inhalation von Erstickungsgasen

  • Systemische Inhalationsintoxikation: Erstickungsgase (CO, CO2, Zyanide) und O2-Mangel (Asphyxie) führen zur Abnahme der O2-Transportkapazität sowie zur Störung der inneren Atmung und sind für die hohe Frühmortalität des Inhalationstraumas verantwortlich.

  • Häufig kombinierte CO-Zyanid-Mischintoxikation (synergistische Toxizität)

3.3.4 Thermisches Inhalationstrauma: Inhalation von „Hitze“

  • Temperatur (Hitzeentwicklung) und Expositionszeit bestimmen den Schweregrad der thermischen Schädigung.

  • Folgen der thermischen Schädigung: muköse/submuköse Ödeme, Erytheme, Blutungen bis Ulzerationen/Nekrosen der oberen Atemwege.

  • Bei der Inhalation von heißem Dampf kann es auch zu Schädigungen der tiefen Atemwege kommen.

3.4 Einteilung

  • Frühphase des Inhalationstraumas:

    • Auftreten: ≤72 h nach dem Ereignis

    • Organmanifestation: meist obere Atemwege bis Carina tracheae, selten untere Atemwege (frühes ARDS)

    • Klinik: Schwellung von Gesicht, Hals, Larynx mit inspiratorischem Stridor

  • Spätphase des Inhalationstraumas:

    • Auftreten: >72 h nach dem Ereignis

    • Organmanifestation: meist untere Atemwege

    • Klinik: akute obstruktive Bronchitis bis bakterielle Superinfektion, ggf. multilokuläre pneumonische Infiltrate bis Sepsis (25‒30 % der Fälle)

3.5 Klinik

  • Husten/Hustenreiz, Heiserkeit

  • Dyspnoe

  • Inspiratorischer Stridor bis Bronchospasmus

  • Ggf. Larynxödem

  • Retrosternale Schmerzen

  • Zeichen der Reizgasbeteiligung :

    • Reizgasbeteiligung vom Soforttyp (stechender Charakter) mit pharyngolaryngealer Symptomatik: Reizhusten, Würgen, Nausea, Augentränen (Konjunktivitis), Rhinitis, Kopfschmerzen, Larynxödem

    • Reizgasbeteiligung vom Latenztyp (teilweise vom süßlichen Charakter) mit „symptomfreiem Intervall“ bis zu 36 h, danach: Dyspnoe, Fieber, toxisches Lungenödem (blutig-schaumig), Bronchospasmus bis Schock

3.6 Diagnostik

  • Anamnese/Erhebung des Unfallhergangs: Verbrennung im geschlossenen Raum

  • Körperliche Untersuchung:

    • Inspektion von Haut und Schleimhäuten: Mundhöhle, Pharynx, Nase (Schwärzung), Rötungen, Blässe oder Rußablagerungen der oropharyngealen Schleimhäute, Ödembildung (Gefahr des Glottisödems), verbrannte Wimpern und Nasenhaare

    • Auskultation: evtl. Rasselgeräusche, inspiratorischer Stridor, Giemen und Brummen

  • Labor: venöse/arterielle BGA (!), inklusive Bestimmung von CO-Hb-Anteil, Met-Hb, pH-Wert und Laktat

  • Röntgen-Thorax (meist unauffällig)

  • Flexible Bronchoskopie zur Diagnose einer „burnt lung“ (Tab. 11.4)

Tab. 11.4 Bronchoskopische Schweregraduierung des Inhalationstraumas (Endorf u. Gamelli 2007)

Die flexible Bronchoskopie gilt als Goldstandard für die Diagnose eines Inhalationstraumas (Nugent u. Herndon 2007; Endorf u. Gamelli 2007; Dries u. Endorf 2013).

Cave

Falsch-hohe Werte in der Pulsoxymetrie , da viele Pulsoxymeter nicht zwischen O2-Hb und CO-Hb differenzieren kann (partielle O2-Sättigung). Mittels arterieller BGA (fraktionelle O2-Sättigung) lässt sich der CO-Hb-Anteil bestimmen. Dies bedeutet, dass z. B. trotz eines hohen CO-Hb-Anteils in der BGA (z. B. 70 % CO-Hb und 30 % O2-Hb) die pulsoxymetrische O2-Sättigung immer noch über 90 % liegen kann.

3.7 Differenzialdiagnostik

  • Zyanid-, CO-Monointoxikation

  • Reizgasintoxikation

  • Schwerer Asthmaanfall

3.8 Therapie

  • Adäquate Oxygenierung: >6 l O2/min über Maske

  • Analgosedierung: z. B. Fentanyl (Fentanyl-Janssen)

  • Intubation und Beatmung

    • Indikation: sicheres Inhalationstrauma, zirkuläre thorakale Verbrennungen (Compliance ↓), begleitende 2.- bis 3.-gradige Gesichtsverbrennung (schnelles Anschwellen der Halsweichteile), Bewusstlosigkeit, zunehmender inspiratorischer Stridor, therapierefraktäre Hypoxämie und Dyspnoe, Verbrennungen von mehr als 50–60 % der Körperoberfläche

    • Wenn möglich „nasale“ Intubation mittels großlumigem Tubus

    • Keine „prophylaktische“, sondern „notwendig frühzeitige“ Intubation (Gefahr: oropharyngeales Schleimhautödem)

    • Ggf. Koniotomie falls aufgrund einer massiven Schleimhautschwellung eine orotracheale Intubation unmöglich

    • Frühzeitige Tracheotomie, insbesondere bei problematischer tracheobronchialer Absaugung, u. a. weniger Sedierung, bessere Patiententoleranz und frühere Mobilisation

  • Flüssigkeitsmanagement

    • Insbesondere bei Inhalationstrauma mit dermaler Beteiligung.

    • Ab 20–25 % verbrannter Körperoberfläche kommt es wenige Minuten nach dem Brandunfall zu einer mediatorengetriggerten Ausbildung der sog. Verbrennungskrankheit mit massivem Capillary-leak-Syndrom.

    • Folgen: generalisiertes Ödem und intravasale Hypovolämie

    • Maßnahmen: Volumensubstitution, z. B. nach der Baxter-Parkland-Formel (meist zu hohe Volumina mit der Gefahr des Lungenödems) oder – besser – individuell angepasstes, „ultrasound- and clinical guided“ Flüssigkeitsmanagement

  • Glukokortikoide beim Inhalationstrauma

    • Inhalative Glukokortikoide: Obwohl die prophylaktische Gabe von inhalativen Glukokortikoiden primär nicht empfohlen wird, kann in Einzelfällen und bei sicheren Zeichen eines Inhalationstraumas die Applikation z. B. von Beclometason (Junik, Ventolair) eine symptomatische Besserung schaffen.

    • Systemische Glukokortikoide hochdosiert, umstritten (!); die Zufuhr von Hydrokortison ist nur noch im therapierefraktären septischen Schock des Schwerbrandverletzten indiziert.

    • Ggf. Hydroxocobalamin (Cyanokit, Vitamin B12b, 70 mg/kg KG) bei Rauchgasintoxikation (Zyanid-CO-Mischintoxikation) ; die Kombinationstherapie aus 4-DMAP und Natrium-Thiosulfat ist nur bei gesicherter Zyanid-Monointoxikation indiziert

  • Prophylaktisches Antibiotikum bei schwerem Mukosa-Schaden, umstritten:

    • Ampicillin/Sulbactam 1,5 g/8 h i.v.

    • Cephalosporin der 2. Generation (z. B. Cefuroxim 1,5 g/8 h)

  • Bronchospasmolytika

    • Theophyllin (Euphyllin), unterstützt u. a. die mukoziliare Clearance

    • Inhalative β2-Sympathomimetika (z. B. Salbutamol, Inhalationen bis zu 5 × tgl.): antiinflammatorische Wirkung, bessere Mobilisation von Atemwegssekreten, Stimulation der Reparatur der Epithelialzellen

    • Reduktion des „airway obstructing cast“ (fibrinhaltiges zellreiches Atemwegsexsudat → Atemwegsobstruktion): Vernebelung von Heparin zusammen mit Antithrombin und/oder ACC

  • Bei Verdacht auf ein Inhalationstrauma sollte auch bei Beschwerdefreiheit aufgrund der latenten Gefahr des toxischen Lungenödems eine Überwachung für mindestens 24 h erfolgen.

  • Bei Entwicklung eines ARDS: Kap. 11.7

  • Bei sicherem Inhalationstrauma:

    • Kontaktaufnahme mit Verbrennungsklinik

    • Vermittlung über die „Zentrale Anlaufstelle für die Vermittlung von Krankenhausbetten für Schwerbrandverletzte “ der Feuerwehr Hamburg (Tel.: 040/42851–3998/9; leitstelle@feuerwehr.hamburg.de)

4 Asthma bronchiale

4.1 Definitionen

  • Asthma bronchiale :

    • Akute variable und reversible Atemwegsobstruktion

    • Auf einer bronchialen Hyperreagibilität und (chronischen) Entzündung der Bronchialschleimhaut beruhend

  • Schweres Asthma :

    • Asthma bronchiale, welches in den letzten 12 Monaten entweder gemäß der GINA-Therapiestufen 4–5 oder mit systemischen Steroiden während mindestens 50 % der letzten 12 Monate behandelt wurde. Die Bezeichnung „schweres Asthma“ ist dann zulässig, wenn die genannten Therapiemaßnahmen notwendig waren, um die Entwicklung eines unkontrollierten Asthmas zu verhindern oder wenn trotz dieser Maßnahmen ein unkontrolliertes Asthma persistierte.

    • Kontrolliertes Asthma, das sich verschlechtert beim Reduktionsversuch von inhalativen oder systemischen Steroiden (oder ergänzenden Biologika)

  • Brittle-Asthma : Subgruppe des lebensbedrohlichen Asthma bronchiale mit sehr rascher und unvorhersehbarer Entwicklung (hohes Mortalitätsrisiko)

4.2 Allgemeines

  • Inzidenz: ca. 0,4‒1,2 % pro Jahr

  • Prävalenz: 5 % bei Erwachsenen und 10 % bei Kindern

  • Mortalität schwerer Asthmaanfälle: 10 %

  • Asthmaformen (Tab. 11.5)

    • Allergisches Asthma bronchiale

    • Nichtallergisches Asthma bronchiale

    • Mischformen aus extrinsischem und intrinsischem Asthma („mixed asthma“); im Verlauf eines initial allergischen Asthma bronchiale kann die intrinsische Komponente in den Vordergrund treten

  • Mortalität: ca. 0,5‒1/100.000 (oft junge Erwachsene)

Zum Management des Asthma bronchiale existieren sowohl eine nationale Versorgungsleitlinie (http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/nvl-002.html; letztes Update 2013) als auch eine internationale GINA-Leitlinie (Global Initiative for Asthma, www.ginasthma.org; 2016); das schwere Asthma bronchiale wird über eine separate internationale Leitlinie abgedeckt (Chung et al. 2014).

Tab. 11.5 Asthmaformen

4.3 Ätiologie

  • Polyätiologisches Krankheitsbild: genetische Prädisposition (Atopie, verschiedene Genpolymorphismen), Lebensstil (Ernährung) und Umweltfaktoren

  • Auslöser/Trigger: Antigenexposition, vorausgehender Atemwegsinfekt (Viren, Mykoplasmen), körperliche oder psychische Anstrengung, Kälte, Medikamente (z. B. NSAR, β-Blocker), mangelnde Compliance, Inhalation von Zigarettenrauch

  • Allergene : saisonale (z. B. Gräserpollen) oder perenniale (ganzjährig, z. B. Hausstaubmilben, Tierhaare, Schimmel)

  • Komorbiditäten: Rhinosinusitis, nasale Polypen, psychologische Faktoren (Angst, Depression), „vocal cord dysfunction“, Adipositas, mit Tabakrauchkonsum assoziierte Erkrankungen, schlafbezogene Atemstörungen (z. B. obstruktive Schlafapnoe), Hyperventilationssyndrom, hormonelle Einflüsse (z. B. Menopause, Schilddrüsenerkrankungen), gastroösophageale Refluxerkrankungen (symptomatisch), Medikamente (Azetylsalizylsäure, NSAR, β-Blocker, ACE-Hemmer).

Vier Mechanismen der Atemwegsobstruktion

  • Kontraktion der glatten Bronchialmuskulatur

  • Mukosaödem der Atemwegswände

  • Verstopfen der Bronchiolen durch viskösen Schleim („mucus plugging“)

  • Irreversible Umbauvorgänge („remodeling“)

Phasen des Asthma bronchiale

  • Sofortreaktion („early phase response“) oder Mediatoren-vermittelte Reaktion

    • Reaktion: innerhalb von Minuten nach Antigenkontakt

    • Dominierende Zellen: Mastzellen und basophile Granulozyten

    • Voraussetzung: vorangegangene Sensibilisierung

    • Klinik: Bronchospasmus, Schleimhautödem und Hypersekretion

  • Spätreaktion („late phase response“) oder Zell-vermittelte Immunantwort

    • Reaktion: ca. 2‒24 h nach der Sofortreaktion

    • Dominierende Zellen: eosinophile/basophile Granulozyten, Monozyten und T-Lymphozyten

    • Klinik: bronchiale Inflammation und Bronchospasmus

  • Chronische Reaktion bzw. Chronifizierung

    • Klinik: Atemwegsremodeling („Asthmafixierung“) und bronchiale Hyperreagibilität

4.4 Klinik

(Tab. 11.6, Tab. 11.7)

Tab. 11.6 Management des Asthmaanfalls (Klinik und Maßnahmen, Global Initiative for Asthma, GINA: www.ginasthma.org, 2016; AWMF 2013: http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/nvl-002.html)
Tab. 11.7 Formen des fatalen Asthmas

Risikofaktoren bzw. Hinweise für ein potenziell fatales Asthma bronchiale

  • Vorgeschichte eines beinahe fatalen Asthmaanfalls („near-fatal asthma“)

  • Notfallmäßige und stationäre Behandung des Asthmas im zurückliegenden Jahr

  • Vorherige Intubation und mechanische Beatmung wegen Asthma

  • Laufende systemische Steroidtherapie oder kürzliches Absetzen einer systemischen Steroidtherapie

  • Übermäßiger Einsatz von β2-Sympathomimetika zur Symptomlinderung

  • Psychosoziale Probleme oder Negation des Asthmas oder seines Schweregrades

  • Mangelnde Adhärenz zum Therapieplan in der Vergangenheit

4.5 Komplikationen

  • Zerebrale Hypoxämie

  • Akutes Cor pulmonale (Rechtsherzversagen bis kardiogener Schock)

  • Lungenversagen („respiratory arrest“)

    • Hypoxämisches Lungenversagen: paO2 ↓, Lungenparenchymversagen

    • Hyperkapnisches Lungenversagen : paCO2 ↑, Atempumpenversagen

  • Arrhythmien: hypoxiebedingt und/oder medikamentös verursacht (z. B. β2-Mimetika)

  • Pneumothorax : durch massive Lungenüberblähung bei erhöhtem intrathorakalem Gasvolumen

  • Andere: Pneumomediastinum, Pneumoperikardium, tracheoösophageale Fistel, Pneumonie/pneumogene Sepsis

4.6 Diagnostik

Die Diagnose des Asthma bronchiale stützt sich auf die charakteristische Klinik und den Nachweis einer (partiell) reversiblen Atemwegsobstruktion und/oder einer bronchialen Hyperreagibilität.

  • Anamnese/Fremdanamnese:

    • Husten (meist unproduktiver Reizhusten): Gelegentlich ist ein chronischer, nicht produktiver Husten einzige klinische Manifestation (!)

    • Pfeifende Atemgeräusche („Giemen“)

    • Wiederholtes Auftreten anfallsartiger, oftmals nächtlicher Luftnot und/oder thorakales Engegefühl und/oder Intensität und Variabilität (typischerweise variable Ausprägung der Symptome im Vergleich zur COPD: mal stärker, mal schwächer)

    • Allergien/Atopie in der Anamnese

    • Ggf. Atemwegserkrankungen („spastische Bronchitis“)

    • Gehäuft im Kindesalter, jedoch auch bei Erwachsenen nicht selten

    • Auslöser: Atemwegsreize (z. B. Exposition gegenüber Allergenen, thermischen [kalte Luft] und chemischen Reizen, Rauch und Staub), Tages- und Jahreszeit (z. B. Tag-Nacht-Rhythmus, Allergenexposition), Aufenthaltsort und Tätigkeit (z. B. Arbeitsplatz), Auftreten während/nach körperlicher Belastung, enge Assoziation mit Atemwegsinfektionen sowie psychosoziale Faktoren

Je lauter die Atemgeräusche (Giemen), desto harmloser die Situation; bei fehlendem Atemgeräusch handelt es sich um die ernstere Situation .

  • Körperliche Untersuchung

    • Inspektion: Dyspnoe („pfeifendes Atemgeräusch“), Orthopnoe, „silent chest“, Sprechunvermögen, Zyanose

    • Palpation: Tachykardie, Pulsus paradoxus (Abfall des systolischen Blutdrucks >10‒25 mm Hg während der Inspiration; physiologisch ≤10 mm Hg)

    • Perkussion: hypersonorer Klopfschall

    • Auskultation: verlängertes Exspirium (bis stumme Auskultation), exspiratorisches Giemen

  • Monitoring: EKG, Blutdruck, SpO2 (respiratorische Insuffizienz, SpO2 <90 % bei Raumluft)

  • Labordiagnostik:

    • Notfalllabor einschließlich Differenzialblutbild, D-Dimere (Lungenembolie?), Herzenzyme und Troponin (Myokardinfarkt?), BNP (dekompensierte Herzinsuffizienz, Asthma cardiale?)

    • BGA: Monitoring des Gasaustausches und des pH-Wertes bei schwerem Asthma

  • 12-Kanal-EKG: Zeichen der Rechtsherzbelastung (Lungenembolie?), Myokardinfarkt mit akuter Linksherzinsuffizienz (Asthma cardiale)

  • Röntgen-Thorax: Ausschluss/Nachweis anderer Differenzialdiagnosen

  • Ggf. Echokardiographie: Ausschluss/Nachweis anderer Differenzialdiagnosen

  • Im Verlauf → Lungenfunktionsanalyse:

    • Nachweis einer Obstruktion: FEV1/VC <70 %

    • Reversibilität nach SABA („short acting beta agonists“, kurzwirksame β2-Mimetika): nach Inhalation von ≤4 Hüben eines SABA → Zunahme der FEV1 ≥12–15 % (mindestens 200 ml des Ausgangswerts) bzw. positiver Akut-Bronchospasmolyse-Test oder Reversibilität nach 4-wöchiger inhalativer Glukokortikosteroidtherapie

    • Bronchiale Hyperreagibilität (unspezifische Provokation mit z. B. Methacholin) und/oder PEF-Variabilität (bei asthmatypischer Anamnese, aber normaler Lungenfunktion): z. B. Methacholin-Inhalation mit Abfall der FEV1 ≥20 % und/oder PEF-Variabilität („peak expiratory flow“, variabel: typisch sind Schwankungen von >20 % über einen Zeitraum von 3–14 Tagen, mindestens 4 Messungen pro Tag, Eigenmessungen mit Peak-Flow-Meter, Führen eines Peak-Flow-Protokolls: Asthmatagebuch; PEF-Variabilität [%] = [höchster – niedrigster Wert] / höchster Wert × 100 [%])

  • Im Verlauf → allergologische Stufendiagnostik

    • Allergieanamnese, inklusive Berufsanamnese

    • Nachweis der allergenspezifischen, IgE-vermittelten Sensibilisierung

      • Prick-Hauttest oder

      • Bestimmung des spezifischen Serum-IgE, ggf. RAST (Radio-Allergo-Sorbens-Test)

      • Ggf. allergenspezifische Allergenprovokation unter stationären Bedingungen

      • Ggf. Nachweis der Diaminooxidaseaktivität bei Histaminintoleranz oder Basophilendegranulationstest

Diagnostik des Asthma bronchiale:

  • Lungenfunktioneller Nachweis einer bronchialen Hyperreagibilität ohne typische Klinik: kein Asthma bronchiale

  • Verbesserung der FEV 1 ≥12–15 % (Rspez >20 %) nach Akutbroncholyse (alternativ: die 4-wöchige Steroidinhalationstherapie): Asthma bronchiale

  • Eine normale Spirometrie schließt ein Asthma nicht aus.

4.7 Differenzialdiagnostik

Die akute Exazerbation der COPD (AE-COPD) stellt die wichtigste Differenzialdiagnose beim Erwachsenen dar. Die Differenzialdiagnose beim Kind ist dagegen stark altersabhängig (z. B. Bronchiolitis im Säuglingsalter, Krupp-Syndrom im Kindesalter oder Fremdkörperaspiration während des 2. Lebensjahres) .

  • Kardiovaskulär: Asthma cardiale (Linksherzinsuffizienz beim älteren Patienten)

  • Pulmonal-vaskulär: Lungenembolie, Spontanpneumothorax, Bronchopneumonie, COPD-Exazerbation, postinfektiöse bronchiale Hyperreaktivität (mit Husten), Bronchiektasen, Fremdkörperaspiration, Tumorerkrankung mit Obstruktion etc.

  • Andere: gastroösophagealer Reflux häufig assoziiert mit chronischem Husten oder mit intermittierenden in- oder exspiratorischen Laryngospasmen („vocal cord dysfunction“), Medikamentennebenwirkungen (z. B. ACE-Hemmer induzierter Husten)

  • Siehe Differenzialdiagnose „Dyspnoe“ (Abschn. 11.1).

4.8 Akuttherapie

4.8.1 Allgemeines

  • Aufrechterhaltung und Stabilisierung der Vitalfunktionen

  • Lagerung: sitzende Position, beengende Kleidung öffnen

  • Sedierung:

    • Für Ruhe sorgen (Umgebung, Gespräch)

    • Hypnotika bzw. Sedativa (z. B. Midazolam) sollten wegen ihrer atemdepressiven Wirkung möglichst vermieden werden (Tab. 11.8, Tab. 11.9).

  • Adäquate Oxygenierung

    • O2-Gabe über Maske (>6‒10 l O2/min: FiO2 0,7 ohne und FiO2 0,9 mit Reservoir)

    • Evtl. NIV (Masken-CPAP), Ziel: SaO2 ≥92 %

    • Ansonsten frühzeitige Intubation bei Zeichen der Dekompensation

  • Medikamentöse Therapie (Tab. 11.8, Tab. 11.9)

    • Wiederholte Gabe eines kurzwirkenden β2-Sympathomimetikums (ideal über ein O2-betriebenes Verneblersystem)

    • Frühzeitige Gabe eines systemischen Glukokortikoids

Tab. 11.8 Medikamente beim akuten Asthmaanfall

Die inhalative Gabe von Ipratropiumbromid in Kombination mit Salbutamol oder sogar verdünntem Adrenalin durch Vernebelung (z. B. O2-betriebene Vernebler) ist meist von großem klinischem Nutzen.

Tab. 11.9 Additive Maßnahmen („second-line treatment“)
4.8.1 Methylxanthine und Asthmaanfall

Cave

Die Akutbehandlung des Asthmaanfalls mit einem β2-Sympathomimetikum plus zusätzlich von intravenösem Theophyllin führt zu keiner weiteren Bronchodilatation. Vielmehr können mehr unerwünschte Arzneimittelwirkungen auftreten.

Methylxanthine besitzen somit keine nennenswerte Rolle mehr in der Akuttherapie des Asthmaanfalls. Lediglich in sehr schweren Fällen kann die intravenöse Applikation von Theophyllin erwogen werden (Initialdosis: 4–5 mg/kg KG [ohne Vorbehandlung] bzw. 2–3 mg/kg KG [mit Vorbehandlung] als i.v.-Kurzinfusion; Erhaltungsdosis: 0,5–0,7 mg/kg KG/h).

4.8.2 Beatmungsmanagement bei akutem Asthma bronchiale

(Tab. 11.10)

Allgemeines

  • Asthmamortalität unter maschineller Beatmung: bis 10 % (hohes Risiko für Barotrauma und Hypotonie bei einem VEL >20 ml/kg KG)

  • Druckkontrollierte Beatmung

  • Initial hoher PEEP, trotz hoher Auto-PEEP

  • Plateaudruck PPlat<35 mbar

  • Spitzeninspirationsdruck PPeak ≤40 mbar

  • Druckanstiegsgeschwindigkeit: steile Rampe ≤0,2 s

  • Permissive Hyperkapnie: Ziel: pH-Wert >7,2 (paCO2-Werte um ca. 90 mm Hg können initial toleriert werden)

  • Zum Stellenwert der nichtinvasiven Beatmung (NIV) beim akuten Asthma bronchiale kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine gesicherte Aussage getroffen werden, obwohl erste Studien zeigen, dass NIV beim akuten Asthma bronchiale sich günstig auswirkt.

Indikationen zur Beatmung (relativ)

  • Hohe Atemfrequenzen ≥35/min und progrediente Dyspnoe mit respiratorischer Erschöpfung

  • Respiratorische Azidose pH <7,35

  • Progrediente Hyperkapnie (paCO2 >55 mm Hg)

  • Zeichen der respiratorischen Globalinsuffizienz: paO2 <55 mm Hg, paCO2 >55 mm Hg, SaO2 <88 % trotz adäquater O2-Gabe

  • Bewusstseinsstörung/Konfusion

  • Koma (GCS <8) oder Atemstillstand

Tab. 11.10 Vorschlag zur Einstellung der Beatmungsparameter

4.9 Einleitung einer Langzeittherapie

(Tab. 11.11)

  • Risikofaktoren meiden (Allergenkarenz!), insbesondere Rauchen (inklusive Nikotinentwöhnung)

  • Symptomatische medikamentöse Therapie:

    • Reliever“ (Bedarfsmedikamente): Broncholytika , wie kurzwirksame β2-Mimetika : Fenoterol, Salbutamol, Terbutalin; Anticholinergika: Ipratropiumbromid

    • Controler“ (Dauermedikamente, regelmäßige Gabe): Entzündungshemmer wie Kortikosteroide, langwirksame β2-Mimetika (z. B. Formoterol) oder Anticholinergika oder retardiertes Theophyllin

    • Ggf. fixe Kombinationen: z. B. Formoterol/Budesonid (Symbicort), Salmeterol/Fluticason (Viani)

    • Evtl. systemische Glukokortikosteroide: z. B. Prednisolon

    • Methylxanthin: Theophyllin (Präparate mit verzögerter Wirkstofffreisetzung)

    • Langwirkende β2-Sympathomimetika: z. B. Formoterol

    • Langwirksame Anticholinergika: z. B. Tiotropiumbromid

    • Leukotrienrezeptorantagonist: Montelukast (Singulair, 1 × 10 mg abends)

    • Omalizumab (anti-IgE, Xolair) bei IgE-vermittelter Pathogenese (Dosis nach Körpergewicht und IgE im Serum vor Therapiebeginn, alle 2–4 Wochen, s.c.-Gabe)

    • Mepolizumab (anti-IL5, Nucala) bei schwerem eosinophilen Asthma bronchiale (Eosinophilie >300/µl, alle 4 Wochen, s.c.-Gabe)

  • Kausaltherapie: spezifische Immuntherapie (SIT, Hyposensibilisierung)

  • Gewichtsreduktion bei Adipositas

  • Strukturierte Patientenschulung

  • Prävention von Exazerbationen

  • Behandlung in Disease-Management-Programmen (DMP)

  • Physikalische Therapie (Atemgymnastik; Asthmasportgruppen) ‒ körperliches Training verringert Asthmasymptomatik und verbessert Belastbarkeit/Lebensqualität

  • Stationäre Behandlung in spezialisierten Kurkliniken

Tab. 11.11 Stufentherapie des Asthma bronchiale. (Global Initiative for Asthma, GINA: www.ginasthma.org, 2016; AWMF 2013: http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/nvl-002.html)

Die Therapie mit einem inhalativen Kortikosteroid (ICS) bildet ab der Therapiestufe 2 die Basis der Langzeitherapie des Asthma bronchiale. Inhalative Steroide – auch in niedriger Dosierung – reduzieren Symptomatik, Anzahl der Exazerbationen, Atemwegsüberempfindlichkeit und den Verlust der Lungenfunktion (Tab. 11.12, Tab. 11.13). Keine Monotherapie mit einem langwirksamen β2-Agonisten (Formoterol, Salmeterol).

Tab. 11.12 Inhalative Kortikosteroide – Tagesdosierungen in µg (Global Initiative for Asthma [GINA] 2016)
Tab. 11.13 Control-based Asthma Management: Asthmakontrolle bzw. Dauertherapie nach „Kontrollstatus“ (Global Initiative for Asthma, GINA: www.ginasthma.org, 2016; AWMF 2013: http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/nvl-002.html)

4.10 Besonderheiten

4.10.1 Therapie der Infektexazerbation

  • Therapieintensivierung nach Stufentherapie (Global Initiative for Asthma, GINA: www.ginasthma.org, 2016; AWMF 2013: http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/nvl-002.html)

  • Systemische Kortikoidtherapie: 40–50 mg Prednisolon für 5–7 Tage

  • Antibiotische Therapie: In der Regel sind infektionsbedingte Exazerbation en viralen Ursprungs; bei klinischen Zeichen einer bakteriell bedingten Exazerbation/Superinfektion mit purulentem Sputum sollte eine antibiotische Therapie initiiert werden (z. B. Ampicillin 0,5 g/8 h p.o.), ggf. Umstellung auf gezielte Therapie nach Vorliegen eines Antibiogramms

4.10.2 Asthmatherapie in der Schwangerschaft

  • Prinzipiell: Weiterführung der bisherigen Therapie

  • Aufgrund der Datenlage: inhalative Kortikosteroide und inhalative kurzwirksame β2-Agonisten bevorzugt einsetzen

  • Eine frühzeitige inhalative Steroidtherapie ist mit dem besten klinischen Langzeiteffekt und einer Mortalitätssenkung assoziiert. Fetale Missbildungen sind unter einer topischen Kortikosteroidanwendung mit einer Wahrscheinlichkeit von 1,09:1 (KI 1,03–1,15) beschrieben und daher in praxi zu vernachlässigen.

5 Akute Exazerbation der COPD (AE-COPD)

5.1 Definition

Unter AE-COPD versteht man eine akute Verschlechterung der COPD-Symptomatik mit Zunahme von Dyspnoe und Husten sowie vermehrter Sputummenge und/oder Sputumpurulenz.

5.2 Allgemeines

  • Vorkommen akuter Exazerbationen: vorwiegend in Wintermonaten

  • Akute Exazerbationen gehen mit einer erhöhten Morbiditäts- und Mortalitätsrate einher.

  • Während der akuten Exazerbation kommt es im Vergleich zur stabilen COPD zu einer deutlich gesteigerten Inflammation und damit zu einer verstärkten lokalen sowie systemischen Immunantwort.

  • Der klinische Schweregrad einer akuten Exazerbation wird durch die Anzahl vorausgegangener Exazerbationen, schlechten BODE-Index , die Komorbidität (z. B. Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz) und durch höheres Lebensalter negativ beeinflusst.

Zum Management der COPD existieren sowohl eine nationale Versorgungsleitlinie (http://www.leitlinien.de/mdb/downloads/nvl/copd/copd-vers1.9-lang.pdf; letztes Update 2012) als auch eine internationale GOLD-Leitlinie (Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease, www.goldcopd.org; 2016).

5.3 Ätiologie/Trigger bzw. Auslöser

  • Infektiöse Ursachen (häufig):

    • Virale Genese! (ca. 55 %): Rhinoviren, RSV („respiratory syncytial virus“), Influenza-, Coronaviren und humane Metapneumoviren (HMP)

    • Bakterielle Genese (ca. 45 %): Haemophilus influenzae, Streptococcus pneumoniae, Moraxella catarrhalis, Enterobacteriaceae und Pseudomonas aeruginosa

    • Atypische Erreger (5‒10 %): Mykoplasmen und Chlamydien

  • Nicht infektiöse Ursachen (selten)

    • Verschlechterung der Herzinsuffizienz

    • Unfälle mit Thoraxbeteiligung

    • Medikamente (β-Blocker-Neueinnahme oder Non-Compliance)

    • Temperaturveränderungen

    • Inhalation von Irritanzien

  • Unklare Genese: in 20‒30 % der Fälle

5.4 Risikofaktoren

  • Schlechte Lungenfunktion mit Ausgangswert FEV1 <1 l oder <30 % des Sollwerts

  • Hoher Verbrauch von β2-Sympatikomimetika

  • Hoher Steroidbedarf

  • Hohe Exazerbationsfrequenz (>3/Jahr)

  • Unzureichende O2-Therapie

  • Fortgesetzter Nikotinabusus

  • Schwere chronische Begleiterkrankung

  • Pneumonien, Sinusitiden

  • Alter >70 Jahre

5.5 Klinik

(Tab. 11.14, Tab. 11.15, Tab. 11.16, Tab. 11.17)

Die Klinik einer AE-COPD entspricht in etwa derjenigen eines akuten Asthmaanfalls: Dyspnoe, Orthopnoe (unter Einsatz der Atemhilfsmuskulatur) bis zentrale Zyanose (Tab. 11.14).

Tab. 11.14 Klinische Klassifikation der AE-COPD nach Anthonisen/Winnipeg
Tab. 11.15 Schweregrade der AE-COPD nach Celli und Mac Nee
Tab. 11.16 Klinische Einteilung der AE-COPD nach Stockley
Tab. 11.17 Kriterien zur stationären und intensivmedizinischen Aufnahme einer AE-COPD

5.6 Diagnostik

Die Schweregraduierung der AE-COPD basiert im Wesentlichen auf der Klinik (Dyspnoe, Husten und/oder purulenter Sputum). Folgende Untersuchungen werden empfohlen: BGA (paO2 <60 mm Hg und/oder paCO2 >50 mm Hg), Röntgen-Thorax, EKG, Labor (Blutbild, CRP).

  • Anamnese/bekannte COPD: Häufigkeit und Schwere der Exazerbationen, Rauchgewohnheiten (auch Passivrauchen), Berufsanamnese, Infektanfälligkeit, progrediente Atemnot mit Zunahme von Husten und/oder Auswurf

  • Körperliche Untersuchung:

    • Inspektion: veraltet Blue Bloater (pyknischer und zyanotischer Typus), Pink Puffer (asthenischer und nichtzyanotischer Typus) ohne prognostischen Stellenwert, ggf. periphere Ödeme (bedingt durch Rechtsherzinsuffizienz bzw. Cor pulmonale)

    • Palpation: Tachykardie, Pulsus paradoxus (Abfall des systolischen Blutdrucks >10 mm Hg während der Inspiration; hämodynamische Instabilität)

    • Perkussion: hypersonorer Klopfschall bei Lungenüberblähung mit tief stehenden und wenig verschieblichen Zwerchfellgrenzen

    • Auskultation: abgeschwächtes vesikuläres Atemgeräusch, verlängertes Exspirium, trockene/feuchte Rasselgeräusche, Giemen, Brummen oder Pfeifen

  • Monitoring: EKG (Tachykardien, Arrhythmien), Blutdruck, SaO2 (respiratorische Insuffizienz: SaO2 <90 % bzw. paO2 <60 mm Hg bei Raumluft)

  • Labordiagnostik:

    • Notfalllabor einschließlich Differenzialblutbild, D-Dimere (Lungenembolie?), Herzenzyme und Troponin (Myokardinfarkt?), BNP (dekompensierte Herzinsuffizienz, Asthma cardiale?), CRP/PcT

    • BGA: initial genügt eine venöse BGA (pH-Wert, Bikarbonat und Sättigungswerte)

  • 12-Kanal-EKG: Zeichen der Rechtsherzbelastung (Lungenembolie?), Myokardinfarkt mit akuter Linksherzinsuffizienz (Asthma cardiale)

  • Röntgen-Thorax und Notfallsonographie (insbesondere Notfallechokardiographie und Thoraxsonographie): Ausschluss/Nachweis anderer Differenzialdiagnosen

  • Mikrobiologie:

    • Sputumkultur: In der Regel ist eine mikrobiologische Sputumdiagnostik bei purulentem Sputum entbehrlich.

    • Eine mikrobiologische Sputumuntersuchung (Gramfärbung, Bakterienkultur mit Resistenztestung) wird bei ≥3 Exazerbationen pro Jahr, Therapieversagen und/oder bei besonders schweren Erkrankungen mit Verdacht auf multiresistente Erreger empfohlen.

    • Ggf. Tracheal- (über Absaugkatheter) oder Bronchialsekret (über Bronchiallavage bzw. BAL)

  • Lungenfunktionsanalyse: nur in stabiler Phase und nicht während der Exazerbation

    • Nachweis einer obstruktiven Ventilationsstörung (FEV1/VC <70 %)

    • Keine Reversibilität nach Bronchodilatation: FEV1 <15 % des Ausgangswerts bzw. <200 ml 30 min nach einem β2-Sympathomimetikum (z. B. bis zu 400 μ g Salbutamol) bzw. Anticholinergikum (bis zu 160 μ g Ipratropium) oder einer Kombination

    • Und/oder nach Kortison: 30–40 mg Prednisolonäquivalent/Tag über 7–10 Tage oder inhalativ mindestens mittelhohe Kortisondosen über 4–6 Wochen

Die Schweregraduierung und Behandlung der COPD erfolgt anhand von: Spirometrie (FEV1), Klinik (z. B. COPD Assessment Test [CAT, 8 Fragen]) und Exazerbationsanamnese (Anzahl der Exazerbationen pro Jahr) (Tab. 11.18).

Tab. 11.18 COPD-Stadieneinteilung (inklusive Therapieempfehlungen)
Tab. 11.19 Inhalative Pharmakotherapie der stabilen COPD

5.7 Differenzialdiagnostik

  • Asthma bronchiale (Tab. 11.20)

  • Asthma-COPD-Overlap-Syndrom: 10–20 % der Patienten leiden unter einer Erkrankung, die sowohl die Aspekte von Asthma bronchiale als auch die einer COPD aufweisen

  • Kardiovaskulär: Asthma cardiale bei Linksherzinsuffizienz, hypertensive Krise/Cor hypertensivum, Arrhythmien

  • Pulmonal-vaskulär: Lungenembolie, Pneumothorax, Pneumonie, postinfektiöse bronchiale Hyperreaktivität (mit Husten), pulmonale Hypertonie, Bronchiektasien, Pleuraergüsse, Thoraxtrauma, Tuberkulose, diffuse Panbronchiolitis

  • Des Weiteren: Hyperthyreose, metabolische Azidose, Adipositas

Tab. 11.20 Gegenüberstellung akutes Asthma bronchiale und AE-COPD

5.8 Therapie

Die Basistherapie der COPD-Exazerbation besteht in der Intensivierung der Therapie mit Bronchodilatatoren, der systemischen Gabe von Steroiden und Antibiotika (Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease [GOLD] 2016). Im Rahmen des Managements der AE-COPD sollte die Mitbehandlung der Komorbiditäten (arterielle Hypertonie und KHK) stets mitberücksichtigt werden, d. h. β-Blocker nicht absetzen.

5.8.1 Allgemeine Maßnahmen

  • Aufrechterhaltung und Stabilisierung der Vitalfunktionen

  • Lagerung: Oberkörperhochlagerung, beengende Kleidung öffnen

  • Adäquate Oxygenierung :

    • Titration von 2‒6 l O2/min über z. B. Venturi-Maske

    • Ziel: SpO2 88–92 %, paO2 ≥60 mm Hg

    • Sonst: nichtinvasive Beatmung (NIV)

    • Nur als Ultima ratio: Intubation und Beatmung (Komplikationen: ventilatorassoziierte Pneumonie, Barotrauma, „weaning problems“)

  • Medikamentöse Therapie (s. unten: kurzwirksame β2-Sympathomimetika mit oder ohne Anticholinergika; Prednisolon 40 mg p.o. für 5 Tage [REDUCE-Studie]; Antibiotikatherapie)

  • Niedermolekulares Heparin

    • Indikation: Thromboembolieprophylaxe und antiinflammatorische Wirkung

    • Lungenembolien treten gehäuft bei AE-COPD auf (15–20 %)

5.8.2 Medikamentöse Therapie

(Tab. 11.19, Tab. 11.21, Tab. 11.22, Tab. 11.23, Abb. 11.1)

Tab. 11.21 Medikamente zur Behandlung der AE-COPD (AWMF-Leitlinie 2012: http://www.leitlinien.de/mdb/downloads/nvl/copd/copd-vers1.9-lang.pdf; GOLD-Leitlinie 2016: www.goldcopd.org)
Tab. 11.22 Management der AE-COPD: Schweregradeinteilung und Indikationsstellung zur Antibiotikatherapie
Tab. 11.23 Antibiotikatherapie bei AE-COPD
Abb. 11.1
figure 1

Management der AE-COPD

5.8.3 Antibiotikatherapie bei AE-COPD

„The presence of purulent sputum during an exacerbation can be sufficient indication for starting empirical antibiotic treatment“ (Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease [GOLD] 2016). Bezüglich der aktuellen Antibiotikatherapie bei AE-COPD sei auf die Leitlinien und Empfehlungen der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e. V. hingewiesen (http://www.p-e-g.org).

  • Indikationsstellung zur Antibiotikatherapie erfolgt nach dem Schweregrad der AE-COPD (Kriterien nach Anthonisen/Winnipeg):

    • Zunahme der Dyspnoe, Zunahme der Sputummenge und Zunahme des eitrigen Sputums (Hauptkriterien nach Anthonisen/Winnipeg)

    • Zunahme des eitrigen Sputums und ein anderes Hauptkriterium

    • Mechanische Beatmung

  • Neben dem Schweregrad der AE-COPD kann für die Therapieentscheidung mit Antibiotika auch die Bestimmung von Procalcitonin (PcT) im Serum herangezogen werden.

  • Erregerspektrum der AE-COPD: Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae, Moraxella catarrhalis, ggf. Enterobacteriaceae, Pseudomonas aeruginosa

  • Therapiedauer (5–10 Tage)

    • Kein Nachweis bzw. kein Risiko für Pseudomonas: 7 Tage; Ausnahmen: Moxi-/Levofloxacin (5 Tage) und Azithromycin (3 Tage)

    • Nachweis bzw. Risiko für Pseudomonas: 8–10 Tage

  • Kriterien des Therapieansprechens

    • Rückgang der Dyspnoe

    • Rückgang der Sputummenge

    • Entfärbung eines initial eitrigen Sputums

    • Besserung der respiratorischen Azidose

    • Besserung des Bewusstseinszustands

    • Stabilisierung der komorbiden Dekompensation

    • Rückgang der Entzündungsparameter (CRP, PcT)

  • Kriterien des Therapieversagens

    • Persistierende Symptomatik trotz adäquater Therapie von mindestens 48–72 h

    • Maßnahmen: Erregerdiagnostik forcieren (Bronchoskopie mit BL/BAL), Echokardiographie (Ausschluss/Nachweis einer Linksherzdekompensation/pulmonalen Hypertonie), Röntgen-Thorax (Ausschluss/Nachweis einer Pneumonie), ggf. Angio-CT (Ausschuss/Nachweis einer Lungenembolie)

5.8.4 Beatmungstherapie der COPD-Exazerbation

(Tab. 11.24, Tab. 11.25, Tab. 11.26)

Beatmung bei AE-COPD

  • Eine invasive Beatmung bei COPD-Patienten ist mit einer hohen Krankenhausletalität (15‒30 %) assoziiert, weil sich zum einen das Weaning schwierig gestaltet und zum anderen ventilatorassoziierte Infekte häufig auftreten.

  • Der frühzeitige Einsatz von NIV-Beatmung bei AE-COPD reduziert die ventilatorassoziierte Pneumonierate, die Intubationsrate, die Beatmungsdauer, die Dauer des Krankenhausaufenthalts und die Mortalität.

  • Die Indikation zur Beatmung hängt im Wesentlichen vom pH-Wert des arteriellen Blutes ab. Die hyperkapnische AE-COPD wird anhand des pH-Wertes ≤7,35 und des paCO2 ≥45 mm Hg definiert.

  • Nichtinvasive Beatmung (NIV) (Tab. 11.24) Kap. 3

    • Indikationen für den Einsatz von NIV bzw. Empfehlungen zur NIV-Beatmung bei AE-COPD (Westhoff et al. 2015)

    • Bei der Indikation „leicht- bis mittelgradige AE-COPD“ mit pH 7,30–7,35 sollte NIV frühzeitig eingesetzt werden.

    • Besonders während der Adaptationsphase, d. h. innerhalb der ersten 1–2 h der NIV, soll eine ausreichende Ventilation sichergestellt werden und sich der Effekt der Beatmung zeigen.

    • Auf niedrigem Niveau stabile pH-Werte und ein stabil erhöhter paCO2 können während der NIV-Adaptation auch länger als 2 h toleriert werden, wenn sich der klinische Zustand des Patienten und die NIV-Erfolgskriterien bessern.

    • Bei NIV-Versagen soll die NIV umgehend beendet und unverzögert intubiert werden, sofern keine palliative Gesamtsituation vorliegt.

    • Auch bei Patienten mit schwergradiger respiratorischer Azidose (pH <7,30) kann ein Therapieversuch mit NIV als Alternative zur invasiven Beatmung unternommen werden, wenn die notwendigen Voraussetzungen gewährleistet sind.

    • Bei Patienten mit mehrfacher Hospitalisation infolge AE-COPD und bei akut auf chronischer ventilatorischer Insuffizienz sollte die Indikation einer Langzeit-NIV in Form der außerklinischen Beatmung evaluiert werden.

    • Bei leichtgradiger AE-COPD mit einem pH-Wert >7,35 besteht keine Indikation für eine akute Beatmung.

    • Bei NIV-Fähigkeit sollten invasiv beatmete Patienten mit COPD möglichst frühzeitig extubiert und auf NIV umgestellt werden.

    • Kontraindikationen für den Einsatz von NIV beachten (Tab. 11.25)

    • Methode der Wahl: Mund-Nase-Masken-CPAP, ggf. Nasen-Maske

    • Alternative: Beatmungshelm

      • Vorteile: keine Augenirritation, keine Läsionen im Gesichtsbereich

      • Nachteile: großer Totraum, Klaustrophobie (!), Hautläsionen im Nackenbereich

    • Erfolgrate der NIV-Behandlung: 80–85 %

    • Beurteilung der NIV-Ansprechbarkeit innerhalb der ersten 1–2 h nach Therapiebeginn (Non-Responder oder Responder), sog. NIV-Erfolgkriterien:

      • Abnahme der Dyspnoe

      • Vigilanzbesserung

      • Abnahme der Atemfrequenz

      • BGA: pH-Anstieg, paCO2-Abnahme sowie Zunahme der SaO2 ≥85 %

      • Abnahme der Herzfrequenz

    • Weaning von der NIV: stufenweise oder direkte Entwöhnung möglich

    • Lagerung: Bei spontan atmenden oder NIV-Patienten kann die Lagerung gemäß dem individuellen Wunsch des Patienten erfolgen, da die Effekte einer 45°-Oberkörperhochlagerung auf die Atemarbeit nicht ausreichend belegt sind (Bein et al. 2015)

    • NIV vs. invasive Beatmung

      • kürzere Entwöhnungszeit (prolongiertes Weaning)

      • Reduktion der Aufenthaltsdauer auf Intensivstation

      • Reduktion der Häufigkeit nosokomialer Pneumonien

      • Prognoseverbesserung

  • Weitere Informationen: s. Abschn. 3.3 sowie S3-Leitlinie NIV bei akuter respiratorischer Insuffizienz (Westhoff et al. 2015)

Tab. 11.24 Kriterien zur Beatmungstherapie bei hyperkapnischem Atemversagen
Tab. 11.25 Kontraindikationen für den Einsatz von NIV

“The risk of dying from an exacerbation of COPD is closely related to the development of respiratory acidosis, the presence of serious comorbidities, and the need for ventilatory support.”

Tab. 11.26 Vorschlag zur Einstellung der Beatmungsparameter unter NIV-Beatmung

5.8.5 ECCO2R-Behandlung bei AE-COPD

Eine venovenöse extrakorporale CO2-Elimination (ECCO2R, „extracorporeal CO2 removal“) führt bei AE-COPD mit pulmonaler Hypertonie über eine Abnahme der paCO2-Werte (CO2 wirkt vasokonstringierend) und der pH-Werte zur Reduktion des pulmonalarteriellen Druckes. Über die Option einer extrakorporalen CO2-Elimination „kann“ bei drohendem NIV-Versagen, um eine endotracheale Intubation zu verhindern, in Zentren diskutiert werden.

Randomisiert kontrollierte Studien zu dieser Thematik sind initiiert, z. B. ClincalTrials.gov NCT02086084.

6 ARDS („Acute Respiratory Distress Syndrome “)

6.1 Allgemeines zu ARDS

  • 1967 erstmalige Beschreibung des ARDS von Ashbaugh et al. als eigenständiges Syndrom.

  • 1994 wurde die Definition des ARDS durch die „North American-European Consensus Conference“ vorgestellt, heute gilt die Berlin-Klassifikation

  • Inzidenz (Europa): 5–7 Fälle/100.000/Jahr

  • Häufigste Ursache ist mit ca. 50 % die Pneumonie und mit ca. 30 % die nicht-pulmonale Sepsis

  • Durchschnittliche Mortalität: 40–50 %

  • Überlebende können Gasaustauschstörungen und generalisierte Beschwerden („wasting“) behalten.

  • Pathophysiologischer Hintergrund: direkte oder indirekte Schädigung der kapillar-alveolären Barriere durch inflammatorische Reaktionen

6.2 Beatmungsinduzierte Lungenschädigung

  • Beatmungsinduzierte Lungenschädigung: VILI („ventilator induced lung injury“) bzw. VALI („ventilator associated lung injury“)

  • Jede Form der mechanischen Beatmung führt zu einer pulmonalen Inflammationsreaktion; iatrogen – durch maschinelle Beatmung – induzierte Lungenschädigung bei gesunder oder bereits vorgeschädigter Lungenstruktur (VILI/VALI → ARDS)

    • VILI ohne ARDS: Risikofaktoren z. B. restriktive Lungenerkrankung, Bluttransfusionen, pH-Wert <7,35, hohe Tidalvolumina, Alkohol-/Nikotinabusus, Aspirationspneumonie

    • VILI mit ARDS: Die „Babylunge“ (gesunde Lungenbezirke der ARDS-Lunge) ist besonders prädisponiert ein VILI zu erleiden.

      • Barotrauma/Stress: hohe Beatmungsdrücke, Pneumothoraxgefahr bedingt durch zu hohe transpulmonale Drücke (PPlat-PPleura); nicht der Atemwegsmittel- oder Spitzendruck ist die entscheidende Determinante der Beatmungsschädigung, sondern der transpulmonale Druck!

      • Volutrauma: inadäquates Tidalvolumen (optimal VT bezogen auf die FRC [funktionelle Residualkapazität]); zu hohe endexspiratorische Lungendehnung mit Überdistension des (gesunden) Lungengewebes, ggf. Lungenödem

      • Atelektrauma: inadäquater PEEP; zu rasche Re-/Derekruitmentmanöver mit Surfactantschädigung oder zyklisches Kollabieren und erneute Wiedereröffnung von Alveolen

      • Biotrauma:mechano-sensing“, „injury-sensing“ → Parainflammation (milde Entzündung ohne Gasaustauschstörung) → Inflammation (deutliche Entzündung mit Gasaustauschstörung)

  • Im Detail nur tierexperimentell belegbar, da in der intensivmedizinischen Praxis meistens eine Lungenschädigung vorliegt.

  • Multiple Hit-Hypothese

    • 1st Hit: Vorliegen einer Lungengrunderkrankung, z. B. Pneumonie, Aspiration, Sepsis, Trauma, Exazerbation einer chronischen Lungenerkrankung

    • 2nd Hit: nicht-protektive Beatmung (hohe Tidalvolumina, hohe Beatmungsdrücke und hohe FiO2)

    • 3rd Hit: ventilatorassoziierte Pneumonie (VAP)

  • Minimierung des VILI-Risikos durch lungenprotektive Beatmung (Brower et al. 2004)

    • Optimale Tidalvolumina (VT≤6 ml/kg KG [am besten unter Berücksichtigung der FRC])

    • Positiver endinspiratorischer Druck (PEI) ≤30 cmH2O

    • Idealer hoher PEEP (PEEP/FiO2-Tabelle, Best-PEEP-Prinzip, Stressindex oder Bestimmung des transpulmonalen Drucks [über Ösophagussonde])

    • FiO2 <0,65 (keine Luxusoxygenierung!)

6.3 Ätiologie und Berlin-Definition des ARDS

(Tab. 11.27, Tab. 11.28)

Tab. 11.27 Schweregraduierung des ARDS. (Nach Ranieri et al. 2012), Berlin-Definition
Tab. 11.28 Ursachen des akuten Lungenversagens

6.4 Klinische Folgen

  • Veränderung der Atemmechanik: Schrumpfung und Versteifung der Lunge → Abnahme der Lungencompliance

  • Störung des Gasaustausches: Atelektasen (dorso-basal), entzündliche Infiltrate → intrapulmonaler Rechts-Links-Shunt, vermindertes Herzzeitvolumen → Vergrößerung des funktionellen Totraumes

  • Hämodynamik: präkapilläre pulmonale Hypertonie, Abnahme des Herzzeitvolumens

Pathomorphologische Stadien des ARDS

  • Akute inflammatorisch-exsudative Phase (1. Woche)

  • Subakute exsudativ-proliferative Phase (2. Woche)

  • Chronische fibroproliferative Phase (Wochen bis Monate)

  • Rückbildungsphase (Monate)

Anmerkung: Obwohl der Krankheitsverlauf häufig in zeitlich gestafelte Stadien eingeteilt wird, so geht man heute davon aus, dass diese Stadien nebeneinander ablaufen.

6.5 Klinik

  • Progrediente Dyspnoe und Tachypnoe, Zyanose, Unruhe/Verwirrtheit (Erschöpfung)

  • Kein ausgeprägter pathologischer Auskultationsbefund trotz ausgeprägter Veränderungen im Röntgenbild

  • Fehlender adäquater Anstieg der SaO2 auch unter hoher O2-Zufuhr (Rechts-Links-Shunt) → respiratorisches Versagen

6.6 Diagnostik

  • Beurteilung des Schweregrades eines ARDS nach den Berlin-Stadien (Tab. 11.27) und ggf. nach dem Lung Injury Score nach Murray (Tab. 11.29)

  • BGA: Hypoxämie; kalkulierter Rechts-Links-Shunt 20‒50 %

  • Bildgebung

    • Röntgen-Thorax: bilaterale Infiltrate (Verschattungen) → Latenz bis zu 24 h

    • Thoraxsonographie: Nachweis von B-Linien (als Zeichen der Hyperhydratation), Infiltrate/Konsolidierungen, Pleuraergüssen

    • CT-Thorax: typischerweise Lungenvolumenverkleinerung, bilaterales Lungenödem (symmetrisch/asymmetrisch, ggf. mit positivem Bronchopneumogramm, „weiße Lunge“), Konsolidierungen in den abhängigen Lungenabschnitten (dorso-basale Lungenkompartimente). Unterscheidung zwischen Lobär-Typ (Zweikompartment-Lunge ) und diffuser Typ (Monokompartment-Lunge )

  • Transpulmonale Thermodilution mit Pulskonturanalyse: insbesondere zur Bestimmung des extravaskulären Lungenwassers und der Hämodynamik

Tab. 11.29 Lung Injury Score nach Murray

6.7 Differenzialdiagnose

  • Kardiales Lungenödem (Linksherzversagen, hochgradiges Mitralvitium)

  • Diffuse alveoläre Hämorrhagie (DAH)

  • Akute interstitielle Pneumonie (Hamman-Rich)

  • Idiopathische akute eosinophile Pneumonie

  • Ventilatorische Insuffizienz

  • Status asthmaticus

  • Lungenembolie

  • Fulminanter Verlauf von Malignomen (Leukämie, Lymphom, solide Tumoren)

6.8 Therapie

(Abb. 11.2)

Abb. 11.2
figure 2

Therapieoptionen des ARDS („acute respiratory distress syndrome“). (Mod. nach Ferguson et al. (2012) Abkürzungen: ARDS = acute respiratory distress syndrome, PEEP = positiver endexspiratorischer Druck, EECO2R = „extracorporeal CO2 removal, ECMO = extrakorporale Membranoxygenierung, NO = Stickstomonoxid

Behandlungssäulen des ARDS

  • Therapie der Grunderkrankung: Fokussanierung/Antibiotikatherapie

  • Lungenprotektive Beatmung

  • Adjuvante Therapie, insbesondere Bauchlagerung

6.8.1 Nasale High-flow-Sauerstofftherapie (NHF)

  • „Low-flow Devices“ (normale O2-Sonden/-Brillen): FiO2 = 0,2 + (Sauerstofffluss [l/min] × 0,04)

  • „High-flow-Devices“: Venturi-Mund-Nasen-Maske, nasale High-flow-Sauerstofftherapie

  • Prinzip der NHF: Über eine großlumige Nasenkanüle werden bis zu 60 l erwärmter und befeuchteter Sauerstoff pro Minute appliziert; es entsteht eine Art Frischgasreservoir der oberen Atemwege mit Reduktion des effektiven Totraums

  • Effekte der NHF:

    • Erzeugung eines minimalen PEEP (ca. 1–3 mbar)

    • Reduktion der Atemarbeit über Auswaschung von CO2 und der assoziierten Verkleinerung des Totraums

  • Indikationen: akutes hypoxämisches Lungenversagen, Extubation nach Pneumonie

  • Kontraindikationen: isoliertes hyperkapnisches Lungenversagen

  • Keine Evidenz: Extubation adipöser Patienten nach herzchirurgischen Eingriffen, Präoxgenierung vor Notfallintubation

  • Studienlage: FLORALI-Studie (Frat et al. 2015: signifikante Abnahme der beatmungsfreien Tage und 90-Tage-Sterblichkeit durch High-flow-Therapie im Vergleich zur Standardsauerstofftherapie)

6.8.2 Lungenprotektive Beatmung („baby lung concept” : “low volume and high PEEP ventilation”)

Säulen der lungenprotektiven Beatmung

  • Druckkontrollierte Beatmung (z. B. BiPAP)

  • Niedrige Tidalvolumina („low tidal volume concept“, VT≤6 ml/kg KG)

  • Plateaudruck (Pinsp) ≤30 mbar (begrenzte inspiratorische Drücke)

  • Sauerstoffsättigung >90 %

  • Permissive Hyperkapnie (pH-Wert bis 7,2 tolerieren)

  • Driving pressure <15 mbar

  • Idealer hoher PEEP

Die lungenprotektive Beatmung mit niedrigen Tidalvolumina und die Bauchlagerung sind mit einem Überlebensvorteil assoziiert (Tonelli et al. 2014).

CT-morphologische Zonen der ARDS-Lunge

  • H-Zone – („healty“): gesunde Lungenbezirke, sog. „baby lung

    • Die „noch“ gesunden Areale machen bei schwerem ARDS maximal 20–30 % der ehemaligen Atemoberfläche aus, sodass bildlich gesprochen nur noch eine „Babylunge“ für den gesamten Gasaustausch zur Verfügung steht.

    • Ein Tidalvolumen von 6 ml/kg KG scheint für dieses Lungenareal sogar zuviel (Überblähung der Babylunge → Volutrauma!).

  • R-Zone („recruitable“): potenziell rekrutierbare Lungenbezirke (Atelektasen)

    • Ein Tidalvolumen von 6 ml/kg KG ist häufig auch für dieses Lungenareal zuviel (Atelektrauma!).

  • D-Zone („diseased“): konsolidierte Areale, Shuntbezirke oder alveolärer Totraum

  • NIV bei ARDS:

    • Obwohl NIV eigentlich beim hyperkapnischen Lungenversagen die Beatmungsmethode der Wahl darstellt, so existieren kleinere Studien, welche zeigten, dass durch die frühzeitige Initiierung der NIV-Therapie beim „leichten ARDS“ eine Intubation verhindert werden konnte.

    • Im Rahmen der NIV bei ARDS scheint die Helm-CPAP-Beatmung der Masken-CPAP-Beatmung überlegen (Patel et al. 2016). Bei Helmträgern war die Rate der endotrachealen Intubation seltener (18,2 % vs. 61,5 %) und die 90-Tage-Mortalität (34,1 % vs. 56,4 %) signifikant reduziert.

  • Kleines Tidalvolumen (VT, „low tidal volume concept“)

    • Zielwert: VT ≤6 ml/kg KG (Standardkörpergewicht)

      • Berechnung des Standardkörpergewichts für Männer: GewichtMann (kg) = 50 + 0,91 • (Größe [cm] – 152,4)

      • Berechnung des Standardkörpergewichts für Frauen: GewichtFrau [kg] = 45,5 + 0,91 × (Größe [cm] – 152,4)

    • Mit zunehmender Adipositas nimmt das Lungenvolumen nicht zu, d. h. das Lungenvolumen eines Adipösen ist nicht größer als das eines Normalgewichtigen.

    • Bei allen Beatmungspatienten sollte das Standardkörpergewicht routinemäßig bestimmt werden.

    • Bei ca. 30 % der Patienten mit schwerem ARDS können auch Atemzugvolumina von 6 ml/kg KG zu einer Überblähung führen; diese Patienten sollten mit einem niedrigeren Tidalvolumen beatmet werden.

    • Vorbestehende Lungenerkrankungen und CT-Morphologie sollten im Einzelfall mitberücksichtigt werden.

  • Permissive Hyperkapnie :

    • Zielwerte: paCO2 >45 mm Hg, pH-Wert >7,2 ohne Pufferung

    • Pufferung mit Tris ab einem pH-Wert ≤7,2

    • Anmerkung: Bei Patienten mit erhöhtem intrakraniellem Druck besteht eine relative Kontraindikation für eine permissive Hyperkapnie. Bei diesem Patientenkollektiv wird empfohlen, eine Behandlung nur unter Kontrolle des intrakraniellen Drucks und Abwägen der Risiken durchzuführen.

  • Plateaudruck:

    • Zielwert: ≤30 mbar

    • Niedriger Inspirationsdruck (unterhalb des oberen Inflektionspunktes)

  • Driving-Pressure (Lungencompliance ):

    • Zielwert: ≤15 mbar (Amato et al. 2015)

    • Berechnung: ΔP = VT/C = Plateaudruck (Pinsp) – PEEP

    • Abschätzung der Mortalität: für das Langzeitüberleben von ARDS-Patienten ist ein niedriger Driving-Pressure am günstigsten.

    • Fazit: nach dem Driving-Pressure Prinzip ist nicht der Absolutwert des PEEP oder des Pinsp ausschlaggebend, sondern das ΔP (Pinsp-PEEP)

  • Atemfrequenz:

    • Ausreichend hoch (bis zu 35/min)

    • Ziel: ausreichend hohes AMV (da VT klein, muss infolgedessen die AF [20‒35/min] höher gewählt werden: AMV = VT × AF)

    • Cave: Erhöhung der Totraumventilation.

  • Aufrechterhaltung/Optimierung der Oxygenierung:

    • FiO2: initial 100 %, später Reduktion (sonst Resorptionsatelektasen, Alveolitis)

    • Zielwerte der Oxygenierung: SaO2 ≥90 %

  • „Inversed-ratio ventilation“:

    • Inspiration zu Exspiration 2 : 1 bis 3 : 1 (bessere Belüftung und Aufbau eines regional unterschiedlichen hohen Intrinsic (Auto)-PEEP in den langsamen Lungenkompartimenten mit Alveolar-Rekruitment

    • Zunahme der FRC und Shuntabnahme

  • Höhe des PEEP (Tab. 11.30):

    • Der PEEP soll die initial nicht ventilierten Lungenabschnitte rekrutieren (Verbesserung des Gasaustausches) und den endexspiratorischen Kollaps der Lunge verhindern.

    • Durch den Einsatz von PEEP soll der paO2 verbessert werden, sodass der FiO2 gesenkt werden kann und so die Lunge durch hohe FiO2-Werte weniger geschädigt wird (u. a. Resorptionsatelektasen, Alveolitis).

    • Zur Höhe des PEEP gibt es keine klaren Empfehlungen.

    • Zur Orientierung dient der benötigte O2-Bedarf.

    • Die Höhe des PEEP („higher versus lower levels of PEEP“) ist nicht mit einer Verbesserung der Mortalität assoziiert.

    • Ein Nutzen für hohe PEEP-Werte ab einem moderaten ARDS (Horovitz-Index ≤200 mm Hg) konnte in der Metaanalyse von Briel et al. (2010) gezeigt werden.

Tab. 11.30 Voraussichtlicher PEEP in Abhängigkeit von der notwendigen FiO2
  • Idealer PEEP:

    • Der ideale PEEP ist derjenige, bei dem es zu einer maximalen Rekruitierung dorsobasaler Kompartimente bei minimaler Überdehnung (Gefahr von Baro- bzw. Volutrauma) von ventralen Lungenabschnitten kommt. Eine beatmungsinduzierte rechtsventrikuläre Dysfunktion sollte zudem vermieden werden.

    • Die Frage nach dem idealen PEEP ist bis dato noch nicht abschließend beantwortet (Express-Studie: Mercat et al. 2008)

    • Anhaltswerte: 10‒20 mbar, maximal 25 mbar, d. h. oberhalb des unteren Inflektionspunkts (LIP, „lower inflection point“) und unterhalb des oberen Umschlagspunkts (UIP, „upper inflection point“) auf der Druck-Volumen-Kurve

    • Ermittlung mittels Best-of-PEEP/Compliance-Verfahren → Verbesserung des „repetitive alveolar collaps“ und Verhinderung von Derekruitment (alveoläres Rekruitment: „open up the lung and keep the lung open“)

    • Alternative Verfahren zur optimalen PEEP-Titrierung:

      • Bettseitige elektrische Impedanztomographie: bildmorphologische adaptierte PEEP-Einstellung (Limitation: ein Schnittbild für die gesamte Lunge), noch nicht für den Routinegebrauch empfohlen

      • Lungenultraschall-guided PEEP-Titration, noch nicht für den Routinegebrauch empfohlen

      • Bestimmung der individuellen statischen Druck-Volumen-Beziehung

      • Ösophagusdruckmessung über spezielle Ösophagusballonsonde: transpulmonaler Druck = Alveolardruck minus Pleuradruck (Ösophagus), noch nicht für den Routinegebrauch empfohlen

      • LPP („lung protective package“, Evita XL von Draeger)

  • Rekruitmentmanöver:

    • Ziel: rasche Öffnung atelektatischer Lungenareale durch temporäre Erhöhung des Beatmungsdrucks (bis 60 mbar) und Offenhalten durch einen adäquaten PEEP

    • Durchführung: Rekruitmentmanöver nach Lachmann (schrittweise Erhöhung von Pinsp auf 40‒60 mbar für etwa 5‒10 Atemhübe bei paralleler Erhöhung des Gesamt-PEEP), Blähmanöver (CPAP-Rekruitmentmanöver) oder intermittierende Seufzer

    • Häufige Komplikationen: Hypotonie und O2-Sättigungsabfall (Barotrauma eher selten)

    • Kontraindikationen: hämodynamische Instabilität, erhöhtes Risiko für Barotrauma, akute Erkrankungen des ZNS

    • Aktuelle Empfehlung: Ein routinemäßiges Rekruitmentmanöver wird nicht empfohlen (Suzumura et al. 2014).

  • Frühzeitige Spontanatmung durch augmentierte Beatmung sformen (BiPAP/ASB):

    • Spontanatmung → Alveolarrekruitment dorsobasaler Lungenkompartimente

    • Maschinelle Beatmung → Alveolarrekruitment anteriorer Lungenkompartimente

    • Bei schwerem ARDS führte der Erhalt einer minimalen Spontanatmung während drucklimitierter Beatmung mit Airway Pressure Release Ventilation (APRV) im Vergleich zur kontrollierten Beatmung zu einer signifikanten Verbesserung des intrapulmonalen Shunts, der Oxygenierung und des Herzzeitvolumens.

    • In der S3-Leitlinie zur Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin (Baron et al. 2015) wird ein konsequentes Monitoring gefordert: Das Behandlungsziel und der aktuelle Grad von Analgesie (z. B. visuelle Analogskala oder CPOT [Critical Care Pain Observational Tool] oder BPS [Behavioral Pain Scale]), Sedierung (meist RASS, Ziel-RASS: 0 bis –1), Angst und Delir (CAM-ICU [Confusion Assessment Method for the Intensive Care Unit] oder ICDSC [Intensive Care Delirium Screening Checklist]) sollen mindestens einmal pro Schicht (in der Regel 8-stündlich) evaluiert und dokumentiert werden. Eine tägliche Sedierungsunterbrechung ist einer protokollbasierten Sedierung nicht überlegen.

  • Spezielle Beatmungsverfahren:

    • Hochfrequenzoszillationsventilation (HFOV)

      • Hintergrund: Inspiration und Exspiration können nicht mehr abgegrenzt werden. Vielmehr wird die Lunge durch einen kontinuierlich hohen Distensionsdruck/Atemwegsmitteldruck expandiert und verbleibt in Inspirationsstellung. Hochfrequente sinusoidale Atemgasschwingungen werden mit einer Frequenz von 2–50 Hz (5–8 Hz) erzeugt.

      • Ziel: Rekruitierung kollabierter Lungenareale, ein exspiratorischer Rekollaps unterbleibt, Minimierung des intrapulmonalen Shunts

      • Der Gasaustausch erfolgt im Wesentlichen über komplexe Diffusionsvorgänge.

      • Tiefe Analgosedierung ist notwendig, d. h. keine Spontanatmung möglich.

      • Erschwerte Erkennung von Komplikationen: z. B. Pneumothorax

      • Studienlage: OSCILLATE-Studie (Ferguson et al. 2013); OSCAR-Studie (Young et al. 2013), kein Benefit der HFOV beim ARDS

      • Aktuelle Empfehlung: Keine HFOV beim ARDS.

    • “Neurally adjusted ventilatory assist” (NAVA)

      • Hintergrund: Da die Funktion des Diaphragmas ein wichtiger Faktor im Rahmen des Weaningprozesses darstellt (Zwerchfellatrophie nach bereits kurzzeitiger Beatmung), kommt der Vermeidung eines beatmungsinduzierten Zwerchfellschadens („ventilator-induced diaphragma dysfunction“, VIDD) eine wesentliche Rolle zu. Mit NAVA wird die elektrische Aktivität des Diaphragmas erfasst (Zwerchfell-EMG über Elektrode in Magensonde), an den Ventilator weitergegeben und zur Unterstützung der Spontanatmung des Patienten verwendet. Da Ventilator und Diaphragma dasselbe Signal verarbeiten, kommt eine unmittelbare/synchrone mechanische Kopplung zwischen Diaphragma und Ventilator zustande (neuroventilatorische Kopplung).

      • Ziel: Verbesserung/Förderung der Spontanatmung durch optimierte Synchronisation zwischen Patient und Respirator

      • Aktuelle Empfehlung: Da noch keine prospektiven, randomisierten Studien vorliegen, wird ein routinemäßiger Einsatz nicht empfohlen.

6.8.3 Best-PEEP-Verfahren

(Abb. 11.3)

  • Best-PEEP: Bezeichnet jenen PEEP-Wert, bei welchem die O2-Transportkapazität (DO2 = HZV × CaO2) und die statische Compliance am höchsten sind.

  • Voraussetzung:

    • Hämodynamische Stabilität

    • Adäquate Analgosedierung, ggf. Relaxation

  • Klinisch praktische Methode:

    • Aufsteigende PEEP-Reihe, sog. incremental PEEP-trial (Abb. 11.3)

    • Absteigende PEEP-Reihe, sog. decremental PEEP-trial

  • Durchführung:

    • Patienten absaugen und Durchführung eines inspiratorischen Blähmanövers

    • Bestimmung des individuellen Intrinsic-PEEP

    • Ausgangs-(Start)-PEEP-Wert entspricht dem Intrinsic-PEEP

    • Alle 10(‒15) min: Erhöhung des PEEP um 2 mbar und BGA-Bestimmung

    • Dokumentation (Protokoll): Blutgase, Atemmechanik (Compliance) und Hämodynamik (MAP, Herzfrequenz)

    • Abbruch: Zeichen des hämodynamischen Einbruchs

    • Beginn der absteigenden PEEP-Reihe

  • Nachsorge: Röntgen-Thoraxkontrolle (Pneumothorax?)

  • Folgen eines zu hohen PEEP

    • Abnahme des HZV

    • Steigerung der Totraumventilation

    • Gefahr des Barotraumas

Abb. 11.3
figure 3

Best-PEEP-Prinzip (a = LIP, „lower inflection point“; b = best-PEEP; c = UIP, „upper inflection point“) am Beispiel eines Patienten mit pulmonalem ARDS

6.8.4 Supportive bzw. adjuvante Maßnahmen

  • Verhinderung von Beinvenenthrombosen, gastrointestinaler Blutung und Dekubitus

  • Ernährungstherapie

    • Niedrigkalorische versus hochkalorische Strategie: kein Unterschied

    • Studienlage: EDEN-Studie (Rice et al. 2012)

  • Kinetische Therapie/Bauchlagerung (Bein et al. 2015)

    • Prinzip der Bauchlagerung : alveoläres Rekruitment von Gasaustauschfläche durch Eröffnung dorsobasaler Atelektasen (besonders in der Frühphase und bei extrapulmonal bedingtem ARDS) mit Homogenisierung der Gasverteilung und somit Abnahme der Shuntfraktion, Verbesserung der Oxygenierung, Vermeidung/Minimierung des Lungenschadens und Sekretmobilisation, Veränderung der diaphragmalen Geometrie

    • Durchführung: 3 Personen (1 Person am Kopf, 1 Person links und 1 Person rechts)

    • Indikation: Die Bauchlage soll bei Patienten mit ARDS und Einschränkung der arteriellen Oxygenierung (paO2/FiO2 <150) durchgeführt werden.

    • Kontraindikationen: offenes Abdomen, Wirbelsäuleninstabilität, schweres Gesichtstrauma, erhöhter intrakranieller Druck, bedrohliche Herzrhythmusstörungen und manifester Schock (ggf. Abweichung nach individueller Risiko-Nutzen-Abwägung)

    • Dauer der Bauchlagerung/Bauchlagerungsintervall: mindestens 16 h

    • Beginn der Bauchlagerung: umgehend nach Diagnosestellung

    • Beamtungseinstellung in Bauchlagerung: wie bei Rückenlagerung, Evaluation und Anpassung der Beatmungsparameter nach jedem Lagerungswechsel

    • Voraussetzungen: hämodynamische Stabilisierung des Patienten vor der Bauchlagerung sowie Ausgleich des Volumenstatus (eine Katecholamintherapie ist keine Kontraindikation)

    • Studiengrundlage: PROSEVA-Studie (Guérin et al. 2013: signifikante Mortalitätsreduktion bei Patienten mit moderatem bis schwerem ARDS)

    • Möglichkeiten: Wechsellagerung Bauch-/Rückenlage (Dauer: mindestens 16 h) oder inkomplette Bauchlagerung (Lagerung zwischen 135° und <180°), ggf. kontinuierliche laterale Rotationstherapie (bis 62°) bei Kontraindikationen zur Bauchlagerung

    • Enterale Ernährung während Bauchlagerung: niedrige Flussrate (≤30 ml/h) und regelmäßige Refluxkontrollen

    • Gefahren während der Lagerung beachten: z. B. Dislokation/Obstruktion des Endotrachealtubus

    • Komplikationen: Gesichtsödeme (20–30 %), Druckulzera in den Bereichen Gesicht/Hornhaut, Becken, Knie (ca. 20 %), „Nichttoleranz“ während Bauchlagerung (Husten, Pressen, Beatmungsprobleme, ca. 20 %), kardiale Arrhythmien (ca. 5 %), Tubus- oder Katheterdislokationen (1–2 %)

    • Besonderheit akutes Abdomen: Für das akute Abdomen kann derzeit aufgrund mangelnder Untersuchungen keine Empfehlung bezüglich Art und Dauer einer Bauchlagerung ausgesprochen werden.

    • Besonderheit akute zerebrale Schädigung: Die Indikation zur Bauchlage bei akuten zerebralen Läsionen kann nur nach individueller Abwägung von Nutzen (Verbesserung der Oxygenierung) und Risiko (Hirndruckanstieg) gestellt werden. Während der Lagerungsmaßnahme soll der Hirndruck kontinuierlich überwacht werden.

    • Responder: Anstieg des Horovitz-Oxygenierungsindex (paO2/FiO2) ≥20 %

    • Non-Responderrate: ca. 20 %

  • Optimale Analgosedierung

    • Muskelrelaxation (ACURASYS-Studie, 2010: Cisatracuriumgabe über 48 h) führte zur Verbesserung des adjustierten 90-Tage-Überlebens für Patienten mit einem Horovitz-Quotient <150 mm Hg

    • Pathomechanismus (unklar): Änderung des transpulmonalen Druckes, immunologische Effekte, Substanzklasseneffekt

    • Einige Untersuchungen zeigten, dass es durch eine tiefe Sedierung gleich einer Anästhesie in Kombination mit Muskelrelaxierung durch den intraabdominellen Druck zu einer Verlagerung des Zwerchfells nach kranialwärts kommt, sodass das Lungenvolumen abnimmt.

    • Falls Relaxierung, so scheint Rocuronium gut geeignet, da eine Antagonisierung mit Sugammadex möglich ist.

    • Aktuelle Empfehlung: Schwache Empfehlung, da lediglich eine positive Studie

  • Kortikosteroide

    • Die additive Gabe von Kortikosteroiden beim ARDS bleibt trotz einer mäßig positiven Metaanalyse (niedrigdosierte Kortikosteroide) weiterhin umstritten (Tang et al. 2009).

    • In einer im Jahre 2006 publizierten Studie (Steinberg et al. 2006) konnte keine Reduktion der Sterblichkeit unter Kortikosteroidtherapie nachgewiesen werden. In der Subgruppenanalyse der Patienten die über 14 Tage nach Diagnosestellung behandelt wurden, fand sich sogar eine erhöhte Mortalität.

    • Zudem bestehen Unklarheiten bezüglich Therapiebeginn, Therapiedauer, Dosis und Reduktionsgeschwindigkeit.

    • Im Rahmen eines (auto-)immunologischen pulmonalen ARDS ist eine hochdosierte Kortikosteroidtherapie indiziert.

    • Aktuelle Empfehlung: Umstritten, keine klare Empfehlung

  • Flüssigkeitsmanagement („keep the lung dry, but avoid hypovolemia )

    • Bei Sepsis: eher positive Bilanz anstreben

    • Bei anderen ARDS-Ursachen Versuch der negativen Bilanzierung → Flüssigkeitsrestriktion, Dehydratation (Ultraschall der V. cava inferior, transpulmonale Thermodilution mit Bestimmung des extravaskulären Lungenwasserindex, ELWI <10 ml/kg KG)

    • Voraussetzungen für eine negative Bilanz: ausreichend stabile Hämodynamik und Gewebeperfusion

  • Weitere Maßnahmen (keine Empfehlung):

    • NO-Inhalation (iNO)

      • Prinzip: selektive Vasodilatation pulmonaler Gefäße mit Verbesserung des Ventilation-Perfusions-Mismatches und somit der Oxygenierung; Reduktion des pulmonalen Shunts, indem der Blutfluss in besser ventilierte Lungenareale umverteilt wird

      • 60 % Responder und 40 % Non-Responder

      • Keine Einfluss auf Beatmungsdauer oder Mortalität → daher aktuell keine Empfehlung

      • Indikation: ggf. Bridging vor ECMO, d. h. kurzzeitige Rescue-Therapie bei therapierefraktärer Hypoxämie und/oder pulmonaler Hypertonie und/oder Rechtsherzversagen

      • Studienlage: Die Metaanalyse von Adhikari et al. (2014) zeigte keinen Nachweis eines Überlebensvorteils für iNO bei Patienten mit schwerem ARDS

      • Aktuelle Empfehlung: keine Empfehlung

    • Inhalative Prostaglandine: keine Empfehlung (gff. bei schwersten Oxygenierungsstörungen und/oder pulmonaler Hypertonie, Rescue-Therapie)

    • Substitution von Surfactant: keine Empfehlung

    • Rosuvastatin-Substitution: keine Empfehlung

6.8.5 Extrakorporale Lungenersatztherapie

(Siehe Übersicht)

  • Möglichkeiten der extrakorporalen Lungenersatztherapie

    • Pumpengestützte Verfahren („high flow“) → Indikation bei ARDS mit führender therapierefraktärer Hypoxämie: klassische venoarterielle (va) ECMO oder venovenöse (vv) ECMO

    • Pumpenfreie Verfahren („low flow“) → Indikation bei ARDS mit führender therapierefraktärer Hyperkapnie: pECLA/iLA

  • Haupteinsatzgebiete der klassischen ECMO

    • va-ECMO: kardiogener Schock

    • vv-ECMO: schweres hypoxämisches Lungenversagen

  • Wach-ECMO: ECMO ohne Beatmung als Bridging-Verfahren zur Lungentransplantation zeigte im Vergleich zur ECMO mit invasiver Beatmung einen Überlebensvorteil (Fuehner et al. 2012).

  • Langsame Reduktion der Invasivität der mechanischen Beatmung nach Beginn der extrakorporalen Lungenersatztherapie → Reduktion des Atemminutenvolumens, der FiO2 und des Tidalvolumens

  • Analgosedierung unter ECMO (Baron et al. 2015; DAS-Leitlinien 2015)

    • Besonders unter der ECMO soll ein zielgesteuerter Wachheitsgrad durch regelmäßiges klinisches Monitoring und kontinuierliche Dosisanpassung an den Sedierungsbedarf erreicht werden.

    • Der Ziel-RASS unter ECMO sollte folgende Faktoren berücksichtigen:

      • ECMO-Patienten haben etliche Risikofaktoren für das Auftreten einer posttraumatischen Belastungsstörung.

      • Ein höherer Grad an Wachheit ist mit der Möglichkeit zur aktiven Teilnahme an physiotherapeutischen Übungen (u. a. Delirprophylaxe) verbunden.

    • Ein Ziel-RASS = 0 ist sicher durchführbar (insbesondere unter Wach-ECMO).

  • Weitere Informationen zur ECMO: http://www.ardsnetwork.de/ und http://www.elso.org/

  • Zur strengen Indikationsüberprüfung der ECMO-Therapie bei schwerem, therapierefraktärem Lungenversagen fungieren einige Prognose-Scores, z. B.: http://www.respscore.com/

Das ECMO-Outcome hängt u. a. von der Expertise des Zentrums ab, d. h. je mehr Behandlungen ein Zentrum pro Jahr durchführt, desto besser die Überlebenswahrscheinlichkeit. Eine „kritische Grenze” war die Anzahl von 30 ECMO-Einsätzen pro Jahr (Barbaro et al. 2015). Eine AWMF-Leitlinie zur „Invasiven Beatmung und Einsatz extrakorporaler Verfahren bei akuter respiratorischer Insuffizienz“ ist zurzeit in Bearbeitung.

Extrakorporale Lungenersatztherapie: ECMO („extracorporal membrane oxygen“)

Ziel: Verbesserung der Oxygenierung und Decarboxylierung bei therapierefraktärer Hypoxämie

Einbau: durch Kardiochirurgie/OP (→ venoarterielle ECMO, sog. va-ECMO) oder direkt auf Intensivstation (→ venovenöse ECMO, sog. vv-ECMO) oder durch Kardiologe/Herzkatheterlabor (→ venoarterielle ECMO)

Prinzip:

  • Pumpengestützte, venovenöse (mäßige Oxygenierung aber sehr effizienter CO2-Austausch, inkompletter Lungenersatz) und venoarterielle ECMO (effizienteste Oxygenierung und CO2-Elimination, kompletter Lungenersatz)

  • ECMO als modifizierte Herz-Lungen-Maschine zur temporären Herz-Kreislauf-Unterstützung, extrakorporalen Oxygenierung und CO2-Elimination

  • Komponenten der ECMO

    • Oxygenator (Gasaustauschfläche: 1,8 m2, Gasfluss: 0,5–16 l/min) → Beachte: Biotrauma, Plasmaleckage (Übertritt von Plasma auf die Gasseite → durch Anwendung biokompatibler Membranen heute eher selten), Blutgerinnung (stündliche Kontrollen der ACT: 120–150 s, Ziel-PTT: ca. 60 s)

    • Zentrifugalpumpe/Rotaflow-Konsole (laminärer Blutfluss, Blutfluss: 30–90 % des HZV) → Beachte: Pumpenversagen, Bluttraumatisierung (Hämolyse), Blutgerinnung, Biotrauma

    • Normothermieeinheit/Wärmeaustauscher

    • Kanülenanlage (V./A. femoralis) oder Doppellumenkanüle (rechte V. jugularis interna bei venovenöser ECMO, z. B. Avalon); um eine übermäßige Rezirkulation zu vermeiden, soll der Abstand zwischen den Kanülenenden ca. 20 cm betragen.

Indikationen va-ECMO (www.elso.org)

  • Schwere Hypoxämie (paO2/FiO2 ≤80 mm Hg) und Versagen der konservativen Behandlungsoptionen (fortdauernde Hypoxämie)

  • Schwere respiratorische Azidose (pH<7,15) mit Kreislaufdepression

  • Erhöhte Beatmungsspitzendrücke (>35–40 mbar)

  • Akute Lungenembolie

  • Entwöhnung von der Herz-Lungen-Maschine nach einem herzchirurgischen Eingriff

Indikationen vv-ECMO (Müller et al. 2014)

  • Schweres ARDS (paO2/FiO2 ≤80 mm Hg) und Versagen der konservativen Behandlungsoptionen (fortdauernde Hypoxämie)

  • Rescue-Indikation: lebensbedrohliche Hypoxämie trotz invasiver Beatmung (Horovitz-Index <65 mm Hg, PIP >35 mm Hg, pH-Wert <7,25) und progrediente hämodynamische Instabilität

  • Non-Rescue-Indikation (frühtherapeutisch): lebensnotwendiger Gasaustausch zwar möglich, aber trotz Optimierung aller konventionellen Möglichkeiten unter aggressiver, nichtprotektiver Beatmung keine Besserung innhalb 12–14 h (PIP >32 mm Hg, FiO2 >0,9, VT >6 ml/kg KG)

Absolute Kontraindikationen:

  • Fortgeschrittenes Multiorganversagen

  • Irreversible zerebrale Schädigung

  • Terminalstadium von Malignomen und konsumierenden Erkrankungen

  • Terminale chronische Lungenerkrankung (z. B. COPD-Endstadium)

  • Verbrauchskoagulopathie

  • Schweres Schädel-Hirn-Trauma (<72 h)

  • Schwere aktive Blutung

Relative Kontraindikationen bezüglich va-ECMO:

  • Invasive Beatmung >7 Tage

  • Immunsuppression mit Neutropenie

  • Alter >70 Jahre

  • Akute intrakranielle Blutung

  • Schwerste terminale Komorbiditäten

  • Heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT-II → Verwendung von z. B. Argatroban)

Relative Kontraindikationen bezüglich vv-ECMO:

  • Kardiogener Schock

  • Terminale Lungenerkrankung ohne Aussicht auf zeitnahe Transplantation

  • Leberzirrhose, terminale Nierenversagen

  • Alter >75 Jahre

Ggf. bei va-ECMO zusätzlich IABP-Unterstützung

  • Herstellung eines pulsatilen Flusses → Optimierung der Koronarperfusion

  • Verbesserung des Weanings

Komplikationen:

  • Gefäßverletzungen

  • Infektionen

  • Extremitätenischämie bei venoarterieller ECMO (infolge der Kanülierung der Leistengefäße, 18−French−Kanülen)

  • Thromboembolien (große Fremdoberfläche der ECMO)

  • Blutungen (da therapeutische Heparinisierung) als Hauptkomplikation

Studienlage:

  • CESAR-Studie, 2009 (signifikantes verbessertes Überleben ohne schwere Behinderung nach 6 Monaten), weitere Studien werden derzeit durchgeführt (z. B. EOLIA-Studie: ECMO bei schwerem ARDS, Ergebnisse werden in 2018 erwartet)

Extrakorporale Lungenersatztherapie: Extrakorporale CO2-Elimination (ECCO2R, “extracorporeal carbon dioxide removal”)

Ziele

  • CO2-Elimination bei isolierter, therapierefraktärer Hyperkapnie

  • Etablierung einer (ultra-)protektiven Beatmung bei ARDS

  • Verhinderung einer Intubation/invasiven Beatmung bei Patienten mit hyperkapnischem Lungenversagen (NIV-Versager)

  • Beschleunigung der Beatmungsentwöhnung bei Hyperkapnie

Einbau: durch Intensivmediziner (auf Station)

  • Systeme zur extrakorporalen CO2-Elimination

    • Pumpengestützte venovenöse Systeme:

      • CO2-Eliminierung und Oxygenierung: iLA-activve und PALP CARDIOHELP → Blutflüsse bis 5 l/min möglich (abhängig von Kanülen- und Membrangröße)

      • nur CO2-Eliminierung: Hemolung und DECAP Smart → Blutflüsse bis 1,5 l/min möglich

    • Pumpenfreie arteriovenöse System: z. B. iLA (pECLA, „pumpless extracorporeal lung assist“) → Blutflüsse bis 1,5 l/min

Indikationen:

  • ARDS ohne lebensbedrohliche Hypoxämie (paO2/FiO2 >80 mm Hg)

  • Hyperkapnie und respiratorische Azidose (pH≤7,2) ohne Kreislaufdepression

  • Unterstützung bei Weaning

  • „Bridge to lung transplantation“

  • Vermeidung einer Intubation bei schwerer AE-COPD bei drohendem NIV-Versagen

Prinzip der pumpenfreien iLA:

  • Artifizieller arteriovenöser Shunt mit zwischengeschaltetem Membranoxygenator (Flussraten: 1–1,5 l/min) und MAP (>70 mm Hg) als treibende Kraft für den Blutfluss

  • Austauschgas: Sauerstoff, bis 12 l/min

  • Reduktion des Tidalvolumens (konsekutiver Anstieg des PEEP) und der Atemfrequenz unter iLA

  • Abfall von paCO2 und Anstieg des paO2 und des pH-Wertes bereits 2‒4 h nach iLA

Komponenten der iLA

  • Heparinbeschichtetes Membransystem (Gasaustauschfläche: ca. 1,3 m2) mit O2-Anschluss (notwendige Antikoagulation mit Ziel-PTT von ca. 50–60 s)

  • Dopplersonographische Einheit für die Flussmessung

  • Kanülen (in A. und V. femoralis)

Kontraindikationen der iLA:

  • Eingeschränkte Pumpfunktion/Herzinsuffizienz (obligate Voraussetzung ist eine normale Pumpfunktion [CI>2,5–3 l/min/m2] und MAP >70 mm Hg) → transthorakale Echokardiographie vor iLA-Anlage

  • Therapierefraktäre Hypoxämie, d. h. ein primäres Oxygenierungsversagen muss ausgeschlossen sein (FiO2/paO2 >80 mm Hg)

  • Schwerer septischer und kardiogener Schock

  • pAVK (relativ)

  • Femoraler, arterieller Gefäßdurchmesser ≤5,1 mm

  • Körpergewicht <20 kg

  • Schwere disseminierte intravasale Gerinnungsstörung

  • Heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT-II)

Vorteile der iLA:

  • Effektive Decarboxylierung

  • Druckabfall geringer

  • Pulsatiler Blutfluss erhalten

  • Keine Plasmaleckage, dichte Oxygenatormembran

  • Bluttrauma geringer durch fehlende Blutpumpe

  • Moderate Kosten, geringer personeller und technischer Aufwand

Nachteile der iLA:

  • Abhängig vom Herzzeitvolumen (keine Anwendung bei Herzinsuffizienz)

  • Extremitätenischämien (durch arterielle Kanülierung)

  • Geringerer O2-Transfer

Studienlage:

  • Xtravent-Studie (Bein et al. 2013: iLA vs. konventionelle Beatmung bei moderatem bis schwerem ARDS, Verkürzung der Beatmungszeit, jedoch keine Beeinflussung der Mortalität)

7 Pneumothorax

7.1 Definition

Bei einem Pneumothorax kommt es zu einer Luftansammlung im Pleuraraum, d. h. zwischen Pleura visceralis und parietalis, mit inkomplettem oder komplettem Kollaps der Lunge. Der Begriff des Pneumothorax wurde erstmals von Itard und Laennec 1803 bzw. 1819 definiert.

Ein Hämopneumothorax ist definiert als Pneumothorax mit Nachweis von mehr als 400 ml Blut im Pleuraraum.

7.2 Epidemiologie, Ätiologie und Pathogenese

(Tab. 11.31)

Tab. 11.31 Pneumothorax ‒ Einteilung

Risikofaktoren für eine Spannungspneumothorax

  • Beatmete Patienten auf Intensivstation

  • Patienten mit Thoraxtrauma

  • Patienten nach kardiopulmonaler Reanimation (insbesondere unter Anwendung mechanischer Reanimationshilfen)

  • Bekannte Lungenerkrankung (insbesondere COPD und Lungenemphysem)

  • Patienten mit abgeklemmter, verstopfter oder dislozierter Thoraxdrainage

Bei beatmeten Intensivpatienten tritt der Pneumothorax relativ häufig auf (5–15 %).

(MacDuff et al. 2010)

7.3 Klinik

  • Thoraxschmerz (meist stechend) auf der betroffenen Seite mit/oder ohne Ausstrahlung → DD: akutes Koronarsyndrom

  • Dyspnoe, Husten, Tachypnoe → ggf. auch asymptomatisch

  • Hals-(Jugular)-Venenstau (ZVD-Anstieg) bzw. obere Einflussstauung

  • Zyanose

  • Subkutanes Hautemphysem

  • Spannungspneumothorax (mit Mediastinalverlagerung): zusätzlich Tachykardie, Hypotonie, Schock, Zyanose

Bei jedem akuten Beatmungsproblem sollte an die Möglichkeit eines Pneumothorax gedacht werden. Gerade ein Spannungspneumothorax unter maschineller Beatmung präsentiert sich meist dramatisch.

7.4 Diagnostik

7.4.1 Notfalldiagnostik

Die Diagnose eines Pneumothorax ist primär klinisch zu stellen und kann mittels Thoraxsonographie einfach und schnell diagnostiziert werden. Die Thoraxsonographie weist hinsichtlich der Diagnostik eines Pneumothorax im Vergleich zur Röntgen-Thoraxuntersuchung eine deutlich höhere Sensitivität und negativen Vorhersagewert auf, sodass die Thoraxsonographie in den meisten Fällen optimal zur Ausschlussdiagnose angewandt werden kann.

  • Anamnese und körperliche Untersuchung

    • Bei Frauen → Pneumothorax im Zusammenhang mit der Menstruation? Sog. katamenialer Pneumothorax

    • Nikotinabusus → Risikofaktor für die Enstehung eines Spontanpneumothorax

    • Inspektion: ggf. Fehlen von Atemexkursionen auf der betroffenen Seite

    • Perkussion: tympaner, hypersonorer Klopfschall auf der betroffenen Seite

    • Palpation: Weichteilemphysem (insbesondere beim iatrogenen/traumatischen Pneumothorax)

    • Auskultation: abgeschwächtes/fehlendes Atemgeräusch auf der betroffenen Seite

  • Beatmeter Patient

    • Volumenkontrollierte Beatmung: Anstieg des Beatmungsdrucks bei korrekter Tubuslage

    • Druckkontrollierte Beatmung: Abnahme des Tidalvolumens und damit des Atemminutenvolumens bei korrekter Tubuslage

  • Monitoring (EKG, Puls, Blutdruck, SpO2)

    • Pulsoxymetrie: plötzlicher O2-Sättigungsabfall

    • Abfall des Herzminutenvolumens: Hypotonie und Tachykardie

  • Notfallsonographie → Thoraxsonographie

    • Fehlendes Lungengleiten (Stratosphären-Zeichen im M-Mode)

    • Fehlende B-Linien

    • Fehlender Lungenpuls im M-Mode (normalerweise zeigt sich eine passive pulssynchrone Bewegung der Subcutis und der Lunge)

    • Nachweis des Lungenpunkts (Übergang des Pneumothorax zur belüfteten Lunge, Grenzzone zwischen belüfteter und unbelüfteter Lunge [Pneumothorax])

  • Röntgen-Thorax (wenn möglich in Exspiration)

    • Darstellung der (konvexen) abgehobenen Pleura visceralis

    • Aufgehobene Gefäßzeichnung und fehlende Lungenstruktur außerhalb der Pleura-visceralis-Projektion

    • Objektivierung der Pneumothoraxgröße

      (kleiner oder großer Pneumothorax) in der a.p.-Röntgen-Thorax-Aufnahme

      • Amerikanische Guidelines: Separation beider Pleurablätter → Lungenapex und Thoraxkuppel, Cut-off-Wert von 3 cm

      • Britische Guidelines: Separation beider Pleurablätter auf Höhe des Lungenhilus, Cut-off-Wert von 2 cm

    • Beim liegenden Patienten mit partiellem Lungenkollaps und anteriorer Luftansammlung kann ein Pneumothorax übersehen werden.

    • Ggf. CT-Thorax, insbesondere bei unklarem Befund und vorbestehender Lungenerkrankung

„Ultrasonography is emerging as the diagnostic procedure of choice for the diagnosis and management guidance and management of pneumothoraces“ (Yarmus u. Feller-Kopmann, 2012).

7.4.2 Ausschlussdiagnostik

  • Labordiagnostik: Notfalllabor inklusive BGA, Herzenzyme, Troponin und D-Dimere

  • 12-Kanal-EKG: Ausschluss/Nachweis eines akuten Koronarsyndroms

  • Thoraxsonographie: Ausschluss/Nachweis eines Pleuraergusses und Lungenödems

  • Notfallechokardiographie: Ausschluss/Nachweis eines Perikardergusses

  • Ggf. (Low-dose-) CT-Thorax: wesentlich höhere Trefferquote kleinerer lokalisierter Pneumothoraces

Ein Pneumothorax kann sich erst Stunden bzw. Tage nach einer Punktion (z. B. Pleurapunktion) entwickeln.

7.5 Differenzialdiagnose

  • Lungenemphysem

  • Atelektasen (normale Beatmungsdrücke → jedoch schlechte Oxygenierung)

  • Perikarderguss (stets Echokardiographie durchführen)

  • Pleuritis, Pneumonie

  • Pleuraerguss (groß, auslaufend)

  • Lungenembolie

  • Akutes Koronarsyndrom (insbesondere bei linksseitigem Pneumothorax)

  • Infusionsthorax (z. B. nach ZVK-Anlage über V. subclavia und Befahren des ZVK ohne vorherige radiologische Überprüfung der korrekten ZVK-Lage)

  • Groß-zystische Prozesse oder extreme Rarefizierung des Lungengerüsts bei Emphysem können in der Röntgen-Thorax-Bildgebung einen Pneumothorax vortäuschen (ggf. (Low-dose-) CT-Thorax)

7.6 Therapie

(Tab. 11.32, Tab. 11.33, Abb. 11.4)

Bei signifikanter Dyspnoe, hohem klinischem Verdacht auf einen Pneumothorax und hämodynamischer Instabilität sollte unabhängig von weiterer Diagnostik eine Drainagentherapie eingeleitet werden.

Tab. 11.32 Therapeutische Strategien beim Pneumothorax (MacDuff et al.; British Thoracic Society, 2010)
Tab. 11.33 Indikationen zur Drainagen- und thoraxchirurgischen Behandlung
Abb. 11.4
figure 4

Management des Spontanpneumothorax. (Mod. nach MacDuff et al. 2010)

Thoraxdrainage

Legen einer Thoraxdrainage

  • Anteriorer Zugangsweg nach Monaldi

    • Zugang der Wahl bei Pneumothorax

    • Lage des Patienten: Oberkörperhochlagerung

    • Lokalisation der Punktion im Notfall → 2.‒3. ICR medioklavikulär

    • Niemals unterhalb der Mammillarlinie (5. ICR) → Gefahr der abdominellen Fehllage

  • Minithorakotomie (Methode der Wahl) oder Trokar-Technik nach Bülau

    • Zugang der Wahl bei Hämatothorax oder Pleuraerguss

    • Lokalisation: 4.‒6. ICR mittlere bis hintere Axillarlinie → „triangle of safety”, d. h. subaxillär dorsal des M. pectoralis major, ventral des M. latissimus dorsi und kaudal der Mammillarlinie

    • Lage des Patienten: Flachlagerung mit Fixierung des jeweiligen Armes über den Kopf hinaus

    • Durchführung: Infiltrationsanästhesie (ca. 20 ml Lokalanästhetikum, subkutan, peri-/interkostal; nicht notwendig bei adäquat analgosediertem Patienten) oder i.v.-Analgosedierung → Hautschnitt 2–3 cm am Rippenoberrand → stumpfes Durchtrennen der Interkostalmuskulatur und der Pleura parietalis oder direkt mittels Trokar → Zeige-/Mittelfinger schließt das Loch → digitale Austastung (Verwachsungen?) → Einlage der Thoraxdrainage (20–32 Ch) durch den präparierten Kanal nach apikoventral oder ggf. nach dorsal-kaudal bei Sero-/Hämopneumothorax → U- oder Tabaksbeutelnaht der Muskulatur/Haut

    • Unterdruckbehandlung (kontinuierlich): Anschluss an ein meist „Drei-Flaschen-Sogsystem“ mit Flasche zur Sogregulierung, Wasserschloss und Sekretauffangflasche → Sog: ca. –10 bis –20 cm H2O (keine routinemäßige Anwendung von Sog)

    • Röntgenkontrolle

    • Therapieerfolgskontrollen: radiologisch oder sonographisch

  • Nadeldekompression : lange Kanüle oder Katheter mit aufgesetzter 50 ml-Spritze unter manueller Aspiration

Komplikationen (Eggeling 2015)

  • Verletzungen bzw. Komplikationen im Bereich der Brustwand: Verletzung der Interkostalgefäße und Interkostalnerven

  • Drainagefehllagen: Fehlpositionierung der Drainage zwischen M. pectoralis major und der knöchernen Brustwand sowie im Weichteilgewebe, Verletzung von großen Gefäßen, Fehlpositionierung im Bauchraum (Leber, Milz)

  • Komplikationen/Verletzungen innerhalb der Pleurahöhle: Verletzung des Lungenparenchyms mit intrapleuralen Blutungen bis Hämoptysen bei zentralen Lungenverletzungen (inbesondere bei Anwendung der Trokartechnik)

  • Komplikationen assoziiert mit Drainage(-anlage): Wundinfektionsrisiko (ca. 7 %), aszendierende pleurale Infektion bis Pleuraempyem (1–25 %), pleurale Fistel, Drainagefehlmanagement (Abknicken, Verstopfung durch Koagel), Hautemphysem („surgical emphysema“ durch passagere Insuffizienz des pleuralen Drainagesystems), Reexpansionsödem (Ausbildung eines Lungenödems nach Pneumothoraxentlastung; Mortalität bis zu 20 %; meist Patientenalter >40 Jahre, weibliches Geschlecht, länger bestehender und ausgedehnter Lungenkollaps; Klinik: asymptomatisch bis ARDS)

Entfernen der Thoraxdrainage und Nachsorge

  • Dauer der Sogbehandlung: ca. 3–5 Tage (individuell)

  • Maßnahmen vor Drainageentfernung: zuvor 12–24 h abklemmen und Röntgen-Thorax → Frage der Progression eines Pneumothorax oder Pleuraergusses (Sekretmengen ≤150‒200 ml sind bedingt durch Pleurairritationen)

  • Wenn keine Progression: dann Ziehen der Drainage (bei Endinspiration), zuvor Anlage einer Tabaksbeutelnaht → sicherer chirurgischer Verschluss

  • Eine Routinenachsorge wird in der Regel nicht empfohlen.

  • Rezidivrate nach 1–2 Jahren: Ipsilaterales Rezidivrisiko bei Spontanpneumothorax 30–80 %, kontralaterales Rezidivrisiko bei Spontanpneumothorax 10–15 %.

  • Beim Pneumothoraxrezidiv besteht i. Allg. eine Operationsindikation.

  • Die Inzidenz eines chronischen, neuropathischen Schmerzsyndroms nach Thoraxdrainage liegt zwischen 0,2 und 5 % und nach thorakoskopischen Operationen zwischen 1 und 10 %.

  • Eine Aufklärung über ein Rezidivrisiko, ein neuropathisches Schmerzsyndrom sowie Rauchstopp bei Nikotinkonsum wird empfohlen.

Cave

Bei beatmeten Patienten – auch während eines Transportes – darf wegen Gefahr des Spannungspneumothorax die Thoraxdrainage niemals abgeklemmt werden. Des Weiteren muss das Thoraxdrainagesystem immer unterhalb des Patiententhoraxniveaus platziert sein, da ansonsten Drainageflüssigkeit in den Thorax zurückfließen kann.

7.7 Therapie von Komplikationen

  • Reexpansionsödem: Unterbrechung der pleuralen Unterdruckbehandlung, anschließend symptomatische Therapie mit Sauerstoffgabe bis hin zur Beatmung und ggf. Katecholamintherapie. Die Gabe von Diuretika, Steroiden oder nichtsteroidalen Antiphlogistika ist nicht evidenzbasiert und wird daher nicht empfohlen.

  • Organverletzung: CT-Diagnostik und interdisziplinäre Entscheidung bezüglich Notfalloperation.

  • Pleuraempyem: Interdisziplinäre Behandlung mit Thoraxchirurgen: Spüldrainage mit/ohne Antibiotikazusatz (mindestens 3 × tgl. oder permanente Spülung, ggf. Streptokinaseinstillation), thorakoskopisches Débridement (VATS), ggf. Empyemektomie bis Thoraxfensterung

  • Weichteilemphysem: Neuanlage der Thoraxdrainage, ggf. bei ausgeprägtem Weichteilemphysem zusätzliche Drainage in das Subkutangewebe

  • Persistierende Luftleckage/Fistelung: Anlage einer zweiten oder sogar dritten Thoraxdrainage; Applikation von pleural-sklerosierenden Substanzen über die liegende Thoraxdrainage (z. B. Tetrazyklin, Minocyclin und Bleomycin, ggf. Eigenblutpleurodese mit 1–4 ml Eigenblut pro kg KG; Prozedur ggf. nach 48 h wiederholen, Erfolgsraten: 60–100 %) oder videothorakoskopische Operation (parietale Pleurektomie über 4.–7. ICR, Applikation von Talkumpuder, Resektion des fistelnden Lungengewebeabschnittes), ggf. bronchoskopische Implantation von endobronchialen Ventilen bei inoperablen Patienten mit massiver bronchopleuraler Fistelung infolge eines perforierten zentralen Lungenkarzinoms.