Zusammenfassung
Die Vergangenheit stellt sich nicht nur, aber auch in der Psychologie meist als ziemlich widersprüchliches Gefüge dar: Auf der einen Seite lassen sich Psychologie und Medizin in Teilgebieten der Psychiatrie kaum mehr voneinander trennen, auf der anderen Seite wird diese Gemeinsamkeit inklusive ihrer gemeinsamen Vergangenheit in der zeitgenössischen Wahrnehmung in viele kleine Themen und Fragestellungen aufgesplittert. Dies geschieht u. a. auch deshalb, weil die sogenannte fachspezifische Geschichte, eine Vermischung von Ideen, Problemen und Personen, zu einer Art Identitätsressource geworden ist. Inwieweit jedoch eine Darstellung verschiedener fachlich begründeter ▶ Strömungen, die unter Zugrundelegung bestimmter favorisierter Zeitfenster mit dem Ziel abgehandelt werden, aufzuzeigen, welche Problemstellungen und ggf. welche Persönlichkeiten unter welchen soziokulturellen Bedingungen zur Weiterentwicklung des Faches beigetragen haben, darüber herrscht weit weniger Einigkeit.
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Notes
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Im Unterschied zu einer historisch neutralisierenden, sich eines Urteils enthaltenden Geschichtsbetrachtung versucht man mittels der sogenannten Ideengeschichte, die Entstehung und Wandlung von Ideen, u. a. auch wissenschaftlicher, interessengeleitet zu problematisieren. Historische und begriffliche Diskontinuitäten werden dabei in Kauf genommen.
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Wer z. B. behauptete, bereits ▶ I. Pawlow, einer der Gründerväter der physiologischen und experimentellen Psychologie, habe eine weiterführende Aussage über die neuronale Kodierung bedingter Reflexe gemacht, und dabei verschwiege, dass ▶ I. Pawlow eine ganz andere Vorstellung von Erregung und Hemmung verfocht, als wir sie heute haben, argumentierte atheoretisch. Seine Befunde haben vielmehr Bestand, obwohl seine Theorie bereits vor Jahrzehnten verworfen wurde.
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Wer z. B. behauptete, sowohl der berühmte französische Psychiater ▶ J. M. Charcot als auch der bedeutende Psychoanalytiker ▶ S. Freud hätten sich bereits mit sexuell motivierten Ängsten von Frauen in einer männlich dominierten bürgerlichen Gesellschaft im Sinne einer „Frauenfrage“ auseinandergesetzt, argumentierte ahistorisch, denn die „Frauenfrage“, so wie wir sie heute diskutieren, war damals nicht Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzungen.
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Quellen sind hierbei alle Texte, Gegenstände oder Tatsachen, aus denen Kenntnis über die Vergangenheit gewonnen werden kann. Diese können mit Überlieferungsabsicht gebildet oder verfasst worden sein, z. B. Denkmäler oder Autobiografien. Sie können aber auch unbeabsichtigt entstanden sein, z. B. Wirtschaftsbücher einer Armenküche. Quellen brauchen, um als solche zu gelten, eine intersubjektive Überprüfbarkeit; sie müssen einer äußeren Quellenkritik (Entstehungszeit und -ort, Verfasser, Empfänger) und einer inneren Quellenkritik (sprachlicher und sachlicher Aufschlüsselung) standhalten, um interpretiert werden zu können.
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Gemeint ist hier die Zeit vor Einführung psychologisch ausgerichteter Professuren oder Arbeitsgruppen an deutschen Universitäten.
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Dies war der Titel eines einflussreichen Buches von Preyer aus dem Jahr 1882.
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So z. B. geachtete Fachvertreter und -vertreterinnen wie Charlotte und ▶ Karl Bühler und William Stern, aber auch später sehr umstrittene Psychologinnen wie etwa Hildegard Hetzer.
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Z. B. die mathematische Psychologie, Ausdruckspsychologie, ▶ Völkerpsychologie, Willenspsychologie, Werbepsychologie.
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Z. B. ▶ Wehrmachtspsychologie, Luftwaffenpsychologie.
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Z. B. Gesundheitspsychologie.
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Eine ebenfalls geläufige Bedeutung von „normal“ ist die des Natürlichen. In diesem Sinne verstanden, ist es z. B. für viele Menschen normal, eine heterosexuelle Beziehung zu führen, da sie mit den als natürlich apostrophierten Zielen der Natur übereinstimmt. Allerdings braucht diese Neigung, Vertrautes als biologisch verankert und deshalb als normal zu betrachten, aus naturwissenschaftlichen Vorgaben keineswegs ableitbar zu sein.
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Die DGPs, die sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft versteht, bildet zusammen mit dem Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. (BDP) die Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen als Vertretung für alle Fragen, die Wissenschaft und berufliche Praxis gleichermaßen betreffen. Das offizielle Organ der DGPs ist die Psychologische Rundschau. Diese Fachzeitschrift erscheint seit 1949 vierteljährlich im Hogrefe-Verlag (Göttingen). Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Gesellschaft_f%C3%BCr_Psychologie, abgerufen am 29. Juli 2015.
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Aus Sicht der ▶ Philosophie sind Tatsachen z. B. nicht, wie in den empirischen Wissenschaften, etwas Gültiges, sondern bezeichnen lediglich Phänomene, die nicht dadurch geklärt werden können, dass man sie als etwas bestimmtes Gegebenes im Kontext spezieller Eigenschaften als empirisch erfasst bezeichnet.
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Es wird dabei als unmöglich angesehen, den dreifachen Systemwechsel in Deutschland innerhalb der letzten 100 Jahre als eine halbwegs kontinuierliche „Erfolgsgeschichte“ zu deuten.
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Pritzel, M. (2016). Wie eine Wissenschaft ihre Geschichte konstruiert: Ein Streifzug durch einige Problembereiche der Psychologiegeschichte. In: Die akademische Psychologie: Hintergründe und Entstehungsgeschichte. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-48189-9_2
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