Zusammenfassung
(Gruppen-)Identitäten interessieren mich. Das Zusammenleben von Gruppen in einer Gesellschaft interessiert mich. Vor allem aber interessieren mich Minderheiten in der Mehrheitsgesellschaft. Ihre Identifikations- und Abgrenzungsmechanismen interessieren mich. Also das Spannungsfeld zwischen Integration und gleichzeitig geforderter Heterogenität in der Schweizer Gesellschaft interessiert mich. So viel wusste ich. Aber nun? Mit welcher Thematik setze ich mich bei meiner Bachelor-Arbeit auseinander? Am Tag der „Roma, Sinti und Jenischen“ an der Expo 2002 hörte ich das erste Mal von der jenischen Minderheit in der Schweiz. Erstaunt darüber, dass ich über diese Gruppe mit geschätzten 35.000 Personen in meiner gesamten Schulzeit noch nie etwas gehört hatte, befasste ich mich bereits in meiner Maturaarbeit mit den Jenischen und deren Geschichte im Rahmen des „Hilfswerks für die Kinder der Landstrasse“. Aber wer sind die Jenischen genau? Immer wieder wurde ich mit derselben Frage konfrontiert, deren Beantwortung meine Argumente in Bedrängnis brachte. Sind die Jenischen „Schweizer Zigeuner“? Leben die Jenischen einfach etwas anders? Aber was bedeutet „anders“ leben? Anders im Vergleich zu wem oder was? Gibt es eine jenische Gruppenidentität und auf was begründet sich diese? Mein Forschungsinteresse war mit diesen Gedankengängen geweckt und entschieden. Doch viel mehr, als dass ich mich mit der Situation der jenischen Minderheit in der Schweiz auseinandersetzen möchte, wusste ich zunächst nicht. Die Inspiration und Motivation für die Thematik waren da, aber in welche Richtung meine Arbeit genau zielen würde, galt es zuerst herauszufinden.
This is a preview of subscription content, log in via an institution.
Buying options
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Learn about institutional subscriptionsNotes
- 1.
Die Anzahl der Jenischen in der Schweiz wird unterschiedlich geschätzt und ist nicht statistisch belegt. Die Zugehörigkeit zur jenischen Bevölkerungsgruppe wird in den Volkszählungen ebenso wenig erfasst, wie die Verwendung der jenischen Sprache. Dazu kommt die Tatsache, dass viele Gruppenangehörige wegen allfälligen Ressentiments ihre Herkunft nicht preisgeben oder einfach nicht mehr davon wissen (Roth 2001, S. 23). In der Schweiz leben mehr als 90 % der Jenischen als sogenannte „Betonjenische“; je nach Angaben zwischen 2500 und 5000 leben als Fahrende (Eigenmann et al. 2011, S. 29).
- 2.
Mit dem Ziel der Beseitigung der nichtsesshaften Lebensweise wurden zwischen 1926 und 1973 durch die Stiftung Pro Juventute organisiert, vom Bund subventioniert und von den Kantonen und Gemeinden unterstützt 586 Kinder aus jenischen Familien in Pflegefamilien, Kinder- und Erziehungsheimen sowie in psychiatrischen Anstalten fremdplatziert (Galle und Meier 2009; Leimgruber et al. 1998).
Literatur
Bohnsack, & Ralf (2003). Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden. Opladen: Leske & Buderich
Dazzi, G., Galle, S., Kaufmann, A., & Meier, T. (2008). Puur und Kessler. Sesshafte und Fahrende in Graubünden. Baden: Hier + Jetzt. Institut für Kulturforschung Graubünden (Hrsg.)
Eigenmann, T., Eugster, R., & Gaudenz, J. (2011). Fahrende und Raumplanung. Standbericht 05. St. Gallen: Stiftung „Zukunft für Schweizer Fahrende“.
Flick, U. (2009). Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
Galle, S., & Meier, T. (2009). Von Menschen und Akten. Die Aktion „Kinder der Landstrasse“ der Stiftung Pro Juventute. Zürich: Chronos.
Keller, R. (2008). Michel Foucault. Konstanz: UVK.
Kruse, J. (2014). Qualitative Interviewforschung. Ein integrativer Ansatz. Weinheim: Beltz.
Leimgruber, W., Meier, T., & Sablonier, R. (1998). Das Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse. Historische Studie aufgrund der Akten der Stiftung Pro Juventute im Schweizerischen Bundesarchiv. Bern: Schweizerisches Bundesarchiv Dossier 9.
Nobel, V. (2003). Jenische Geschichte und die Betonjenischen. In H. K. Becker (Hrsg.), Jenische, Sinti und Roma in der Schweiz Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft, (Bd. 176, S. 103–120). Basel: Schwabe.
Roth, H. (2001). Jenisches Wörterbuch: Aus dem Sprachschatz Jenischer in der Schweiz. Frauenfeld: Huber.
Schär, B. C., & Ziegler, B. (2014). Antiziganismus in der Schweiz und in Europa. Geschichte, Kontinuitäten und Reflexionen. Zürich: Chronos.
Author information
Authors and Affiliations
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2016 Springer-Verlag Berlin Heidelberg
About this chapter
Cite this chapter
Labudde, C. (2016). „Ich bin einfach ein Jenischer und ein Schweizer“. In: Wintzer, J. (eds) Qualitative Methoden in der Sozialforschung. Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-47496-9_20
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-662-47496-9_20
Published:
Publisher Name: Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg
Print ISBN: 978-3-662-47495-2
Online ISBN: 978-3-662-47496-9
eBook Packages: Social Science and Law (German Language)