FormalPara Praxisrelevante Fakten auf einen Blick

Das Hauptsubstrat der Gerinnung ist Fibrinogen (FI). Bei akuter Blutung ist es zumeist der erste Gerinnungsfaktor, der kritische Grenzwerte erreicht (150–200 mg/dl). FI kann hervorragend mittels point-of-care-tauglicher viskoelastischer Methoden (Thrombelstographie oder Thrombelastometrie) monitiert werden. Die Substitution kann mittels Frischplasma, Cryopräzipitat oder Fibrinogenkonzentrat erfolgen. Frischplasma ist nicht besonders effektiv, mit einer erhöhten Morbidität, insbesondere bei kritisch Kranken, sowie mit Volumenbelastung assoziiert. Cryopräzipitat wird in einigen europäischen Ländern nicht angeboten. Die Gabe von Fibrinogenkonzentrat wird in verschiedenen Leitlinien empfohlen. Als Akut-Phase-Protein kann FI physiologischerweise bei Entzündungsprozessen, schweren Verletzungen sowie nach großen Operationen in kurzer Zeit auf über 1000 mg/dl ansteigen; wobei hier Fibrinogenspaltprodukte anti-inflammatorische und sogar antibakterielle Eigenschaften haben.

4.1 Fibrinogen–Grundlagen

4.1.1 Fibrinogen innerhalb der Gerinnungskaskade

Fibrinogen (Faktor I, FI) ist ein, wenn nicht sogar der essentielle Faktor in der Blutgerinnung. Als Akut-Phase-Protein wird Fibrinogen in der Leber synthetisiert. Die Normwerte für Fibrinogen liegen im menschlichen Körper zwischen 150 und 450 mg/dl, in der Schwangerschaft physiologisch bedingt sogar bis 600 mg/dl. Es ist somit nach Albumin das mengenmäßig häufigste Protein im Blutkreislauf. Als Akute-Phase-Protein kann es bei Entzündungsprozessen in kurzer Zeit auf über 1000 mg/dl ansteigen. Die Halbwertszeit von Fibrinogen im Blutplasma beträgt unter normalen Bedingungen 3–5 Tage.

Im Rahmen der Gerinnungsaktivierung kommt es zum sog. „thrombin burst “, welcher die Bildung eines stabilen Fibringerinnsels ermöglicht (Abb. 4.1). Außerdem aktiviert Thrombin neben Thrombozyten den Faktor XIII, der die (noch löslichen) Fibrinpolymere durch Bildung kovalenter Bindungen in das unlösliche (quervernetzte) Fibrin umwandelt. Das Fibringerinnsel wird in der Folge verfestigt. Dieser Prozess ist für die Gerinnselfestigkeit verantwortlich, die vor allem bei blutungsassoziierten Gerinnungsstörungen beeinträchtigt ist. In der Nachphase der Blutgerinnung kommt es zur Retraktion des Blutgerinnsels. Klinisch wichtig in dieser Phase sind die Thrombozytenzahl und -funktion sowie eine ausreichende Fibrinpolymerisation in Anwesenheit von Faktor XIII . Im Rahmen der Lyse kommt es zur Auflösung des Fibringerinnsels. Unter physiologischen Bedingungen findet eine moderate Lyse statt, um eine überschießende Thrombusbildung zu verhindern.

Abb. 4.1
figure 1

Thrombin initiiert die Gerinnselbildung, wobei für eine ausreichende Gerinnselfestigkeit Fibrin (mit) verantwortlich ist

4.1.2 Fibrinpolymerisation

Fibrinogen ist ein Glykoprotein, welches aus je zwei α-, β- und γ-Untereinheiten besteht. Diese Untereinheiten sind über Disulfidbrücken miteinander verbunden. Die Carboxylgruppen an der Außenseite werden D-Domäne genannt. Die Abspaltung der beiden Fibrinogenpeptide A (fpA) und B (fpB) von den beiden N-termini der α- and β-Ketten durch Thrombin ist der initiale Prozess zur Entstehung der nicht löslichen Form von Fibrinogen, dem Fibrin (FIa). Durch die Abspaltung des fpA kommt es zur Exposition eines am N-Terminus gelegenen GPR-Motifs (Knoten A), das aus den Aminosäuren Glycin, Prolin und Arginin besteht. Mittels dieses Motifs kommt es zu einer stabilen A:a-Wechselwirkung mit den komplementären „a“-Domänen in den γ-Knoten anderer Fibrin-Moleküle. Während die Abspaltung des fpA der Auslöser für die Ausbildung der Protofibrillen ist, kommt es durch die Abspaltung des fpB zu einer lateralen Aggregation.

Eine wichtige Rolle bei der Ausbildung eines Fibrin-Netzwerkes spielt die Ca2+-Konzentration. Kalzium wird über zwei in den β- und γ-Knoten gelegenen Bindungsstellen gebunden. Hohe Kalziumkonzentrationen führen zu einer verstärkten lateralen Aggregation und führen somit zu einer Erhöhung des Durchmessers der Fibrinfasern. Der durchschnittliche Durchmesser der Fibrinfasern beträgt 100 nm [1].

Von Bedeutung für die Ausbildung der Fibrinfaser ist die αC-Region, die sich am C-Terminus der Aα-Ketten (Aα32-610) befindet. Zu ihr gehört auch die flexible αC-verbindende Region (Aα221-391) [2]. Zu Beginn der Fibrin-Polymerisation ist die αC-Region nicht-kovalent an die E-Region gebunden. Nach der Fibrinpeptidabspaltung wird die αC-Region freigegeben und kann somit Interaktionen mit anderen αC-Regionen eingehen.

Während der Ausbildung eines Fibrinnetzwerkes kommt es auch zu Abzweigungen, die für die dreidimensionale Struktur des Netzwerkes wichtig sind. Das Wechselspiel zwischen lateraler Aggregation und Ausbildung von Seitensträngen ist letztendlich dafür entscheidend, ob sich vorwiegend unverzweigte dickere Fibrinstränge oder ein dichtes, stark verästeltes Netzwerk mit dünnen Fibrinfasern ausbilden (Abb. 4.2).

Abb. 4.2
figure 2

Visualisierung von Fibrinnetzwerken mittels „Real Time Live Confocal Microscopy“. Das Fibrinnetzwerk wurde durch die Zugabe von Fluoreszenz-markiertem Fibrinogen visualisiert. (Objektiv: 63 x Öl-Immersion)

Der letzte Schritt in der Ausbildung des Fibrinnetzwerkes ist die Thrombin-mediierte Aktivierung der Plasma-Transglutaminase (FXIII). Der aktivierte FXIII (FXIIIa) katalysiert die kovalente Quervernetzung der Fibrin-α- und γ-Ketten. Durch den Einfluss von FXIII kommt es zur Ausbildung eines stabileren und elastischeren Blutgerinnsels, das auch resistenter bezüglich einer Fibrinolyse ist. Die Bindung von FXIIIa an Fibrin erfolgt an der αC-Region. Das Zymogen FXIII ist im Plasma in einer Konzentration von 2.16 mg/dl vorhanden. Neben Plasma ist FXIII auch in Thrombozyten vorhanden. Factor XIII ist ein 325.8-kDa-Heterotetramer, das aus 2 Einheiten (A2B2) besteht. Die Aktivierung durch Thrombin entsteht durch die Hydrolyse der Peptidbindung Arg37-Gly38 in der A Untereinheit von FXIII. Dies führt zur Ausbildung der aktivierten Form von FXIII. Das aktivierte Molekül FXIIIa bildet ε-(γ-glutamyl)-lysyl-Quervernetzungen zwischen den Fibrin-Monomeren (γ-γ-Dimere, α-γ-Heteromere und α-Polymere), wodurch benachbarte αC-Regionen des Fibrins verbunden werden und somit ein stabileres und Lyse-resistenteres Netzwerk entsteht [3].

Fibrinogen ist sowohl an der zellulären als auch flüssigen Phase des Koagulationsprozesses beteiligt: Während der zellulären Phase erleichtert Fibrinogen die Aggregation der Thrombozyten, da es über die auf der Oberfläche der Thrombozyten lokalisierten Fibrinogenrezeptoren Glykoprotein IIb/IIIa gebunden wird. Während der flüssigen Phase wird Fibrinogen von Thrombin gespalten, wodurch es zur Bildung von Fibrin-Monomeren kommt, die anschließend miteinander polymerisieren und somit das „Gerüst“ des Blutgerinnsels bilden (Abb. 4.3).

Abb. 4.3
figure 3

Visualisierung eines Blutgerinnsels mittels „Real Time Live Confocal Microscopy“. Bei dieser Methode werden sog. „Live Stains “ der zu analysierenden Probe zugegeben und mittels konfokaler Mikroskopie visualisiert. Wichtig hierbei ist das Verwenden eines Systems, das auch die Visualisierung nicht fixierter Proben ermöglicht. Im obigen Beispiel wurde Fluoreszenz markiertes Fibrinogen verwendet, um das Fibrinnetzwerk zu visualisieren (grün). Mittels Hoechst-Farbstoff wurden in blau die Zellkerne dargestellt. Fluoreszenz-markiertes Weizenkeimlektin visualisiert die Erythrozyten (rot). Im Bildausschnitt unten rechts sind alle 3 Einzelkanäle gemeinsam dargestellt. Objektiv: (63 x, Öl-Immersion)

4.1.3 Fibrinogen – Schlüsselmolekül der Blutgerinnung?

Zahlreiche Publikationen belegen die zentrale Rolle von Fibrinogen im Rahmen der Blutgerinnung.

Die präoperative Messung der Fibrinogenkonzentration im Plasma kann als prädiktiver Parameter für peri- und postoperative Blutungen verwendet werden. Bei postpartalen Blutungen weisen niedrige Fibrinogenwerte auf eine zu erwartende schwere Blutung hin. Einhergehend mit dem besseren Verständnis bezüglich der Fibrinogenkonzentration im Blut als prädiktiver Parameter kam die Idee der prophylaktischen Supplementierung mit Fibrinogen (und anderen Koagulationsfaktoren) vor Eingriffen, bei denen mit Blutungen zu rechnen ist. Ziel einer solchen Prophylaxe ist die Verzögerung/Minimierung/Verhinderung einer Koagulopathie . Der Erfolg einer solchen prophylaktischen Fibrinogen-Supplementierung konnte bisher lediglich in kleinen klinischen Untersuchungen gezeigt werden. Rezente Studien aus dem herzchirurgischen Bereich sowie bei Frauen mit peripartalen Blutungen konnten diese Hypothese nicht bestätigen, wobei diese Untersuchungen schwere methodische Schwächen aufweisen.

Die Autoren sind der Meinung, dass eine Substitution nicht prophylaktisch, sondern bei klinischer Notwendigkeit (akute Blutung oder große Gefahr einer bedrohlichen Blutung bzw. Blutungskomplikation) indiziert ist. In den aktuellen europäischen Empfehlungen zur Behandlung von Trauma-assoziierten Blutungen sowie in europäischen Richtlinien zur Behandlung schwerer perioperativer Blutungen wird lediglich eine Substitution bei erniedrigten Werten empfohlen [4, 5].

4.2 Fibrinogen in der akuten Blutung

Die wesentlichen Faktoren, die eine blutungsbedingte erworbene Gerinnungsstörung verursachen, sind:

  1. 1.

    Verlustkoagulopathie

  2. 2.

    Dilutionskoagulopathie

  3. 3.

    Hyperfibrinolyse

  4. 4.

    Azidose

  5. 5.

    Hypothermie

  6. 6.

    Anämie

  7. 7.

    Elektrolytstörung

In Abhängigkeit vom Ausmaß des Blutverlustes und der Schwere der Verletzung/des Traumas bzw. der Operation tritt i. d. R. eine Kombination der oben angeführten Störungen auf. Alle o. g. Störungen interagieren mit der Fibrinpolymerisation.

4.2.1 Verlust- und Dilutionskoagulopathie

Die Kombination aus Verlust- und Verdünnungskoagulopathie führt in der Regel zu einer gesteigerten Blutungsneigung. Das verlorene Blutvolumen wird zumindest initial durch Kristalloide, Kolloide und Erythrozytenkonzentrate ersetzt, wodurch eine Dilution aller plasmatischer Gerinnungsfaktoren resultiert. Eine Verlustkoagulopathie geht daher nahezu immer mit einer Verdünnungskoagulopathie einher. Das Ausmaß der Gerinnungsstörung ist abhängig von der Menge und Dynamik des Blutverlustes, von der Menge und Art der verabreichten Volumenersatzmittels sowie von der Ausgangskonzentration des Fibrinogens. Unterschreitet Fibrinogen einen kritischen Wert von 150–200 mg/dl ist eine suffiziente Blutstillung nicht mehr gewährleistet. Dies kann zu einer diffusen Blutungsneigung inklusive dem Auftreten von Schleimhautblutung und Blutungen neben Einstichstellen von intravasalen Kathetern führen, ohne dass eine therapierbare chirurgische Blutung vorliegt. Bei schwerverletzten Patienten wurde bei einem Fibrinogenwert von unter 100 mg/dl eine erhöhte Mortalität beobachtet [6].

Bereits eine relativ mäßige Dilution stört in erster Linie die Fibrinpolymerisation. Dies wurde in einer Arbeit an 60 Patienten während Kniegelenksersatz-Operationen gezeigt. Die Patienten erhielten entweder ausschließlich Ringerlaktat (Fresenius, Pharma Austria GmbH), die Kombination aus Ringerlaktat mit Gelatine (4 % Gelofusin® Braun, Maria Enzersdorf, Österreich) oder die Kombination aus Ringerlaktat mit Hydroxyethylstärke (6 % Isohes 200/0.5®, Fresenius, Pharma Austria GmbH). Den Patienten der Kristalloidgruppe wurden im Mittel 4801 ml Ringerlaktat infundiert, den Patienten der Kolloidgruppen 1970 ml Ringerlaktat und 1242 ml Hydroxyethylstärke bzw. 1794 ml Ringerlaktat und 1435 ml Gelatine. Trotz eines geringen Blutverlustes von ca. 10 % des geschätzten Blutvolumens in allen Gruppen und den moderaten Mengen an verabreichten Kolloiden konnte eine Beeinträchtigung der Fibrinpolymerisation in den beiden Kolloidgruppen thrombelastometrisch detektiert werden, wobei die Beeinträchtigung der Fibrinpolymerisation bei den HES-Patienten statistisch signifikant am ausgeprägtesten war [7]. Die gleiche Beobachtung wurde auch bei orthopädischen Patienten gemacht, die sich großen Wirbelsäulenoperationen unterzogen haben [8]. Der klinisch bedeutsame Abfall der Fibrinogenkonzentration konnte auch in einem mathematischen Modell nachvollzogen werden. Singbartl et al. zeigten, dass im Rahmen einer normovolämen Dilution bei einem Ausgangs-Fibrinogen von ≤ 300 mg/dl die kritische Fibrinogenkonzentration von 100 mg/dl erreicht wird, bevor ein kritischer Hämatokrit die Gabe von Erythrozyten erfordern würde [9].

Die Frage nach dem optimalen Volumenersatzmittel, um den Verlust intravasalen Blutvolumens zu ersetzen, wird weiterhin kontrovers diskutiert. Der Einsatz von Humanalbumin hat bisher in klinischen Untersuchungen keinen signifikanten Vorteil zeigen können. Dextrane haben kaum noch eine Bedeutung zur Volumenersatztherapie. Aufgrund ihrer ausgeprägten negativen Auswirkungen auf das Gerinnungssystem lassen sie sich allenfalls als Antikoagulans, nicht jedoch zur Volumentherapie sinnvoll einsetzen.

Ob kolloidale Infusionslösungen generell gegenüber kristalloiden Lösungen einen Vorteil haben, ist noch nicht schlüssig geklärt worden. In verschiedenen Meta-Analysen konnte gezeigt werden, dass die Verabreichung von Kolloiden mit einer erhöhten Mortalität assoziiert war [10]. Inwieweit diese Meta-Analysen für europäische Bedingungen schlüssig sind, ist fraglich. Bei den eingeschlossenen Untersuchungen handelt es sich in erster Linie um nordamerikanische Studien, in denen Dextrane und hochmolekulare Hydroxyethylstärkepräparate mit hohem Substitutionsgrad eingesetzt wurden, die in Mitteleuropa aufgrund ihres hohen Nebenwirkungspotenzials insbesondere auf das Gerinnungssystem seit langem nicht mehr verwendet werden.

Kristalloide beeinträchtigen in erster Linie durch ihren Verdünnungseffekt das Gerinnungssystem. In einigen Arbeiten wurde erstaunlicherweise postuliert, dass Kristalloide, aber auch Gelatine in milder Dosierung eine Hyperkoagulabilität verursacht. Bei diesen Arbeiten handelt es sich aber in erster Linie um in-vitro-Studien mit nicht-aktivierten thrombelastographischen Messungen. Trotz verkürzter Gerinnselbildungszeiten und angestiegener Gerinnselfestigkeiten konnten aber keine Änderungen der aktivierten Gerinnungsmarker (Thrombin-Antithrombin-Komplex) gefunden werden. Vermutlich handelt es sich bei diesem Phänomen um einen in-vitro-Effekt, der durch den Einfluss der Sedimentation roter Blutkörperchen in verdünnten Proben bei langer Messzeit zustande kommen kann. Messungen mit aktivierten Proben mit deutlich verkürzter Messzeit konnten dieses Phänomen jedenfalls nicht bestätigen. Zusammenfassend haben Kristalloide lediglich einen geringen verdünnenden Effekt auf die Fibrinpolymerisation, der im Vergleich zu den Kolloiden als gering zu beurteilen ist [8]. Den günstigen Eigenschaften der Kristalloide auf das Gerinnungssystem verglichen mit synthetischen Kolloiden steht jedoch der geringe Volumeneffekt gegenüber.

Gelatinepräparate haben neben ihrem Verdünnungseffekt auch spezifische Effekte auf das Gerinnungssystem. Sie verursachen in erster Linie eine Beeinträchtigung der Fibrinpolymerisation sowie eine gestörte Quervernetzung der Fibrinmonomere. Darüber hinaus wurde eine verminderte Gerinnselelastizität sowie eine vermindertes Gerinnselgewicht unter Gelatinesubstitution beschrieben [11]. Im Vergleich zu Hydroxyethylstärkepräparaten sind die Auswirkungen auf die Fibrinpolymerisation jedoch weniger ausgeprägt.

Hydroxyethylstärkepräparate (HES), v. a. Lösungen mit hohem Molekulargewicht und hohem Substitutionsgrad verursachen dosisabhängig eine verstärkte Blutungsneigung. HES-Lösungen verursachen ein von Willebrand-Typ-1-ähnliches Syndrom, welches durch erniedrigte FVIII-Aktivität und verminderte vWF-Plasmaspiegel charakterisiert ist. Daneben beeinträchtigt HES ebenfalls die Fibrinpolymerisation. Die Auswirkungen auf die Fibrinpolymerisation sind deutlich ausgeprägter als die bei Gelatine. Der zugrundeliegende Mechanismus bei der HES-induzierten Fibrinpolymerisation scheint zu sein, dass es durch HES zu einer gestörten Querverbindung der einzelnen Fibrinfibrillen kommt. Die einzelnen Fibrinfäden wirken dann aufgedunsen und dicker, sind jedoch durch eine beeinträchtigte Gerinnselfestigkeit gekennzeichnet (Abb. 4.4).

Abb. 4.4
figure 4

Visualisierung eines Blutgerinnsels mittels „Real Time Live Confocal Microscopy“ A: Normales Blutgerinnsel. B: Gerinnsel nach 60%-tiger Dilution mittels 6 % HES 130/0.4. Aufgrund einer HES-induzierten Störung der Quervernetzung der einzelnen Fibrinfibrillen erscheinen diese dicker, sind jedoch deutlich weniger stabil

4.2.2 Fibrinolyse und Hyperfibrinolyse

Bei der Fibrinolyse handelt es sich mitunter um einen physiologischen Vorgang, der einer überschießenden Gerinnung und Fibrinbildung entgegenwirkt. Während bei kritisch-kranken Patienten eine milde Aktivierung der Fibrinolyse mit einem verbesserten Outcome assoziiert ist, kann bei akut blutenden Patienten die Häufigkeit sowie die deletären Auswirkungen einer Hyperfibrinolyse leicht unterschätzt werden. Betroffen sind vor allem schockierte Patienten, insbesondere nach einer kardiopulmonalen Reanimation (CPR). Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma (SHT), Thoraxtrauma und Verletzungen des Urogenitaltraktes sind ebenfalls häufig betroffen. Die durch Gewebe- und Endothelschäden bedingte Aktivierung des Gerinnungssystems führt zur Freisetzung von Gewebe-Plasminogen-Aktivator (t-PA) und dessen Gegenspieler Plasminogen-Aktivator-Inhibitor Typ 1 (PAI-1). Der Anstieg von t-PA scheint den von PAI-1 zu übertreffen, was eine mögliche Erklärung einer Hyperfibrinolyse ist. Im Routine- und Notfalllabor stehen keine molekularen Marker zum Nachweis einer Hyperfibrinolyse zur Verfügung. D-Dimere sind in der Diagnostik unzuverlässig. Zur Detektion einer akuten Hyperfibrinolyse eignet sich das ROTEM®/TEG®. Für das ROTEM®-System steht hierfür der sog. ApTEM®-Test (Aprotininzusatz) zur Verfügung (Abb. 4.5).

Abb. 4.5
figure 5

Beispiel einer thrombelastometrischen Messung mit Nachweis einer Hyperfibrinolyse. Der ApTEM®-Test reversiert „in vitro“ die Hyperfibrinolyse

Die Wirksamkeit von Antifibrinolytika ist vor allem in der Herzchirurgie, Orthopädie und Lebertransplantationschirurgie, Gynäkologie sowie bei schwerverletzten Patienten gut untersucht worden.

Aprotinin wurde aufgrund von Komplikation bei herzchirurgischen Patienten vom Markt genommen und ist nicht mehr erhältlich. (Hrsg.: In Deutschland ruhte die Zulassung von 2007–2013; aktuell ist Aprotinin in der Kardiochirurgie unter bestimmten Prämissen wieder für definierte Eingriffe zugelassen, Kap. 3).

Das aktuell am meisten eingesetzte Antifibrinolytikum ist Tranexamsäure . Tranexamsäure blockiert irreversibel die Lysinbindungsstelle des Plasminmoleküls, wodurch die zur Aktivierung notwendige Bindung von Plasminogen an t-PA und an Fibrinogen blockiert wird. Dank des Einsatzes von Tranexamsäure konnten in der Leber- und Herzchirurgie sowie in der Orthopädie, Urologie und Gynäkologie allogene Bluttransfusionen eingespart werden. In einer großen prospektiven multinationalen randomisierten doppelblinden Studie konnte mithilfe von TXA sogar die Mortalität bei Traumapatienten reduziert werden. Die Ergebnisse weiterer großer Studien bei Frauen mit peripartalen Blutungskomplikationen (WOMAN TRIAL) und Patienten mit traumatischen Hirnblutungen (CRASH-3) sind noch ausständig. Mögliche gefährliche Komplikationen von Tranexamsäure sind neben thromboembolischen Komplikationen die Bildung eines obstruktiven Koagels in den ableitenden Harnwegen sowie eine erniedrigte Krampfschwelle. Bei akuten Blutungen mit nachgewiesener oder klinischem Verdacht auf Hyperfibrinolyse verwenden die Autoren eine Dosis von 20 mg/kg KG, die ggf. repetiert werden muss. Da Tranexamsäure renal eliminiert wird, muss berücksichtigt werden, dass es bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion zu einer Akkumulation kommen kann und damit toxische Konzentrationen erreicht werden können. Im Rahmen sehr hoher Konzentrationen oder im Zuge von Akkumulationen muss berücksichtigt werden, dass es hier zu Krampfanfällen kommen kann.

Aminokapronsäure wird vor allem im angloamerikanischen Raum verwendet. Im Vergleich zu Tranexamsäure bietet diese Substanz keine Vorteile.

4.2.3 Fibrinogen in der Hypothermie

Hypothermie ist mit einer gesteigerten Mortalität und Blutungsneigung verbunden. Unter 33–34°C ist mit einer Beeinträchtigung der plasmatischen Gerinnung zu rechnen.

Die Auswirkungen einer Hypothermie auf die Fibrinpolymerisation ist bisher nicht gut untersucht worden. In mehreren experimentellen Untersuchungen konnte kein wesentlicher Einfluss auf die Fibrinpolymerisation gefunden werden. In tierexperimentellen Untersuchungen konnte bei Temperaturen um 32°C ebenfalls kein vermehrter Fibrinogenabbau gefunden werden. Allerdings war der Fibrinogenmetabolismus gestört. Es konnte unter diesen niedrigen Temperaturen kein Fibrinogen nachgebildet werden. Aufgrund des grundsätzlich sehr langsamen Fibrinogenstoffwechsels ist mit messbaren Fibrinogenabfällen (> 10 %) erst nach 6 Stunden unter schwerer Hypothermie zu rechnen. In der klinischen Praxis ist Hypothermie jedoch oft mit Blutung assoziiert [12]. Wenn es aufgrund einer Blutung und/oder einer zusätzlichen Infusionstherapie beispielsweise durch HES-Präparate zu einer zusätzlichen Dilutionskoagulopathie kommt, wird diese hypothermiebedingte Koagulopathie klinisch relevant. In in-vitro-Untersuchungen konnte durch Verabreichung von Fibrinogen und Faktor XIII eine Kombination aus Hypothermie und Dilution teilweise kompensiert werden. Neben der plasmatischen Störung kommt es bei Körperkerntemperaturen unter 34°C zu einem verstärkten Pooling von Thrombozyten in der Milz sowie zu Thrombozytenadhäsions- und Aggregationsstörungen, wobei die Thrombozytenaggregation zumindest bei milder Hypothermie zunächst gesteigert ist.

Diese Effekte sind bei therapeutischer Hypothermie zu beachten, allerdings scheinen Temperaturen bis 34°C vertretbar. Bezüglich des Monitorings muss bedacht werden, dass Routinegerinnungstests standardisiert bei 37°C durchgeführt werden, während ROTEM®-/TEG®-Analysen temperaturadaptiert durchgeführt werden können.

4.2.4 Fibrinogen und Azidose

Hypovolämie/Schock, Ischämie und Reperfusionsphänomene sind neben iatrogenen Faktoren (Citratbelastung im Rahmen einer Massivtransfusion plasmahaltiger Blutderivate und/oder großer Mengen von unbalanzierter „physiologischer“ Kochsalzlösung) als Ursache für die Entstehung einer Azidose anzusehen, welche ihrerseits zu einer Beeinträchtigung des hämostatischen Potentials führt. Die Kombination aus Hypothermie, Azidose und Gerinnungsstörung („lethal triad“) erhöht die Mortalität, wobei das Ausmaß der Azidose ebenfalls mit dem Grad der Gerinnungsstörung sowie der Mortalität korreliert.

In experimentellen Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass bereits bei pH-Werten von 7,3 zunächst die Thrombingeneration beeinträchtigt ist. In weiterer Folge ist bei pH Werten um 7,1 mit relevanten Fibrinogenabfällen zu rechnen [13]. Eine Puffertherapie alleine ist nicht in der Lage, einen Azidose-bedingten Fibrinogenabfall zu normalisieren. Ist eine Fibrinogensubstitution unter Azidose aus klinischen Gesichtspunkten angezeigt (aktive klinisch relevante Blutung?) ist nach Meinung der Autoren eine Puffertherapie anzuwenden, um den bestmöglichen Effekt der Substitution zu erzielen. Klinische Studien sind diesbezüglich jedoch noch ausständig.

4.3 Fibrinogen-Monitoring

Zur Berechnung kritischer Blutverluste, die zu einer Verlust- bzw. Verdünnungskoagulopathie führen, gibt es mehrere Faustformeln (z. B. Verlust des einfachen totalen Blutvolumens in 4 Stunden bzw. des zweifachen totalen Blutvolumens in 24 Stunden), die jedoch im Hinblick auf ihre klinische Einsatztauglichkeit sehr fragwürdig erscheinen, oftmals noch aus der Vollblutära stammen und klinisch nie evaluiert wurden. Daher sollte die aktuelle Gerinnungssituation verlässlich und sofort monitierbar und damit gezielt therapierbar sein. Standard-Laboranalysen sind aufgrund des zeitlichen Delays von bis zu 45min oder darüber hinaus oft wertlos und nur begrenzt aussagekräftig. In dieser Situation ist der Einsatz eines validen point-of-care-tauglichen Systems von großem praktischem Nutzen. In einer prospektiven Untersuchung konnte durch den Einsatz von POC-Monitoring bei kardiochirurgischen Patienten eine effektivere Gerinnungstherapie mit der Einsparung von Blut- und Gerinnungspräparaten durchgeführt werden. Das optimierte Gerinnungsmanagement hat hier außerdem zu einer verbesserten Überlebensrate geführt [14].

Die Fibrinogenbestimmung ist ein wesentlicher Bestandteil der Gerinnungsdiagnostik beim akut blutenden Patienten (Abb. 4.6). Fibrinogen wird meist durch die Methode nach Clauss bestimmt. Hierbei wird dem zu untersuchenden Plasma Thrombin beigemischt, wobei sich die Fibrinogenkonzentration proportional zur gemessenen Gerinnungszeit verhält. Dieser Test liefert in einem Bereich zwischen 100 bis 400 mg/dl verlässliche Resultate. Sehr niedrige sowie sehr hohe Fibrinogenwerte werden nicht genau erfasst. Dieser Test kann in bestimmten Situationen falsch-hochpositiv sein: Kolloide und Fibrinogenspaltprodukte beschleunigen die optische Trübungsreaktion im Plasma, sodass klinisch relevante Fibrinogenmangelzustände bei Patienten, die große Mengen synthetischer Kolloide erhalten haben, erst sehr spät detektiert werden [9]. Auf der anderen Seite werden bei Patienten nach Einnahme der sog. neuen oralen Antikoagulatien falsch-niedrige Fibrinogenwerte nach Clauss gemessen. Mechanische Gerinnungsmessmethoden, wie beispielsweise die Thrombelastographie bzw. Rotationsthrombelastometrie, sind hier von Vorteil. Die Rotationsthrombelastometrie (ROTEM®, TEM Innovation, Munich, Deutschland) eignet sich auch hervorragend als point-of-care-„Schnelltest“. Die Gerinnselfestigkeit des sog. FiBTEM®-Wertes nach 5 oder 10 Minuten Messdauer (sog. A5- bzw. A10-Wert) kann auf einen Fibrinogenmangel hinweisen. Die rechtzeitige Behandlung bei entsprechender klinischer Symptomatik ist in der Lage, den Transfusionsbedarf zu reduzieren und damit Blutungs- und transfusionsassoziierte Komplikationen zu minimieren [15].

Abb. 4.6
figure 6

Beispiel einer thrombelastometrischen Messung mit Nachweis einer verminderten Gerinnselfestigkeit und der Differentialdiagnose: Fibrinogenmangel – Thrombozytopenie

Bei auffallend niedrigen Fibrinogenwerten muss bei aktiv blutenden Patienten immer auch mit einer Hyperfibrinolyse gerechnet werden. Eine Hyperfibrinolyse kann nicht sicher vorhergesagt werden, korreliert aber mit dem Schweregrad beispielsweise der vorliegenden Verletzung oder dem begleitendem Schockgeschehen und den betroffenen Organsystemen (Schädel-Hirn-Trauma, Urogenitaltrakt, Z. n. mechanischer Reanimation). Der Goldstandard zur sicheren Detektion einer akuten Hyperfibrinolyse sind funktionelle/viskoelastische Methoden, ROTEM®/TEG®. Besteht eine Hyperfibrinolyse, müssen Antifibrinolytika vor entsprechender Substitution gegeben werden. Wirksamkeit und Nebenwirkungen von Antifibrinolytika wurden vor allem in der elektiven Chirurgie (Herzchirurgie, Orthopädie und Lebertransplantationschirurgie) untersucht, während nur wenige Daten über den Einsatz bei polytraumatisierten Patienten vorliegen. Tranexamsäure blockiert irreversibel die Lysinbindungsstelle des Plasminmoleküls, wodurch die Bindung von Plasminogen an t-PA und an Fibrinogen gehemmt wird. Eine rezente Meta-Analyse, in der 20.781 Patienten eingeschlossen wurden, kam zu dem Ergebnis, dass Tranexamsäure die perioperative Transfusionshäufigkeit reduziert.

Das Vorliegen einer Hyperfibrinolyse kann in der Akutsituation nur mittels Thrombelastographie/-metrie bewiesen werden. Steht dies nicht zur Verfügung, sollte auf Verdacht hin bei massiv blutenden Patienten eine antifibrinolytische Therapie indiziert werden.

4.4 Fibrinogenersatztherapie

Das Gerinnungsmanagement akut und schwer blutender Patienten muss aggressiv und schnell eingeleitet werden. Ziel ist es, das noch vorhandene hämostatische Potential zu erhalten und zielgerichtet bzw. bedarfsgerecht zu optimieren. Wird beispielsweise eine chirurgische Blutungssituation bei einem polytraumatisierten Patienten durch eine Gerinnungsstörung aggraviert, hat dies mit großer Wahrscheinlichkeit dramatische Auswirkungen auf das Outcome des Patienten. In der Literatur wird berichtet, dass bei Patienten mit identem Injurity Severity Score (ISS) alleine durch das Auftreten einer Koagulopathie nahezu eine Verdoppelung der Mortalität resultiert [17]. Auch bei kardiochirurgischen Patienten ist ein erhöhter perioperativer Transfusionsbedarf mit einer signifikant erhöhten Mortalität assoziiert.

Derzeit gibt es 3 Ansätze zur Fibrinogen Supplementierung:

4.4.1 Fresh Frozen Plasma (FFP)

Fresh Frozen Plasma (FFP) enthält alle Proteine, die in humanem Plasma vorhanden sind. In der Regel wird es bei akuten Blutungen verabreicht. Die Konzentration von Fibrinogen in FFP ist jedoch so gering, dass bestenfalls nur extrem große Mengen von FFP in der Lage sind, einen relevanten Fibrinogenanstieg zu bewirken. Es sollte berücksichtigt werden, dass FFP dosisabhängig die gleichen Komplikationen und Nebenwirkungen (Oxygenierungsstörungen/erhöhte Inzidenz von [nosokomialen] Infektionen/Multiorganversagen) wie alle anderen allogenen Blutprodukte aufweist.

4.4.2 Cryopräzipitate

Cryopräzipitate werden aus FFP hergestellt. Sie enthalten höhere Konzentrationen an Fibrinogen als FFP. Aufgrund der Gefahr immunologischer Reaktionen und Transmission von infektiösen Agentien werden Cryopräzipitate in einigen europäischen Staaten nicht mehr verabreicht [16]. Cryopräzipitate als auch FFP benötigen ein Blutgruppenmatching und Auftauen, wodurch es zu Verzögerungen bei Ihrer Verabreichung kommt.

4.4.3 Fibrinogenkonzentrate

Fibrinogenkonzentrate werden aus humanem Plasma gewonnen und bei Raumtemperatur als pasteurisiertes, lyophilisiertes Pulver gelagert. Da kein Blutgruppenmatching oder Auftauen nötig ist, können sie bei Bedarf sofort verabreicht werden. Sie können in geringen Volumina gelöst werden in Konzentrationen von 20 g/l. Auf diese Art können große Dosen in vergleichsweise kurzer Zeit effektiv verabreicht werden. Auf Grund der viralen Inaktivierung ist das Risiko einer viralen Infektion minimiert. Es konnte bisher kein erhöhtes Risiko für ein erhöhtes thromboembolisches Risiko in Zusammenhang mit der Gabe von Fibrinogen gefunden werden [18].

4.4.4 Massivtransfusionsalgorithmen

Neuere US-amerikanische und skandinavische Behandlungsprotokolle für massive Blutungen empfehlen vielfach den Einsatz von Erythrozytenkonzentraten (EK), Frischplasmen (FFP) und Thrombozytenkonzentraten (TK) in fixen Verhältnissen. Diese Empfehlungen beziehen sich hauptsächlich auf Ergebnisse retrospektiver Studien und sind umstritten. Patienten und Patientinnen, die nach diesem Konzept behandelt werden, weisen eine gesteigerte Exposition gegenüber Fremdblutprodukten sowie eine erhöhte Morbidität auf. Außerdem negiert eine Transfusion von Blutprodukten in fixen Verhältnissen den individuell unterschiedlichen Bedarf sowie die zugrundeliegende Erkrankung. Der Einsatz von Frischplasma wirft in diesem Kontext verschiedene Fragen auf:

4.4.5 FFP und Effektivität

Ein Ungleichgewicht im Gerinnungssystem kann durch den Einsatz von FFP nicht unmittelbar behoben werden. Ausschlaggebend für eine effektive Korrektur ist nicht die Gesamtmenge an Gerinnungsfaktoren die substituiert wird, sonderen deren Konzentration [19]. Die Konzentration insbesondere von Fibrinogen in FFP entspricht bestenfalls physiologischen Verhältnissen und ist damit zu gering, um eine relevante Konzentrationsänderung bei koagulopathischen und blutenden Patienten und Patientinnen zu erzielen. Die Fibrinogenkonzentrationen können außerdem spenderbedingt beträchtlich variieren und sind letztlich nicht bekannt. Darüber hinaus werden die endgültigen Konzentrationen an Faktoren auch durch Produktionsprozesse und Virus-Inaktivierungs-Schritte beeinflusst, was zur Folge hat, dass z. B. beim Einsatz von virusinaktiviertem Plasma (Octaplas® in Österreich als SD-Plasma verfügbar) deutlich größere Mengen verabreicht werden müssen (> 20 %). Außerdem ist zu bedenken, dass mit FFP keine gezielte Korrektur möglich ist, da alle Prokoagulatoren aber auch Antikoagulatoren enthalten sind.

4.4.6 FFP und Nebenwirkungen

Um einen klinisch relevanten Anstieg von Gerinnungsfaktoren bei koagulopatischen Patienten zu erzielen, sind FFP-Mengen von ≥ 30 ml/kg KG erforderlich. Die damit verbundene Volumenbelastung kann bei kritisch Kranken zu TACO (=„Transfusion Associated Cardiac Overload“) führen [20] und steigert den Bedarf an EK und TK durch eine dilutionsbedingten Anämie und Thrombopenie. In einer Reihe von retrospektiven Studien und prospektiven Kohortenanalysen konnte gezeigt werden, dass die Rate schwerer Infektionen und respiratorischer Komplikationen unter FFP-Therapie ansteigt [21-23]. Dieser Effekt ist dosisabhängig: Watson et al. haben in einer prospektiven Kohorten-Studie gezeigt, dass das Risiko für nosokomialer Infekte, ARDS und Multiorganversagen mit der Gesamtmenge der transfundierten FFPs korreliert [24]. Darüber hinaus bewirkt FFP in hohen Dosen einen Zitratüberschuss (Koagulopathie, verminderte Ejektionsfraktion, Arrhythmien, erhöhte neuromuskuläre Erregbarkeit). Bei akuten Blutungen muss zudem bedacht werden, dass in der Regel 35–40 min vergehen, bis die benötigten FFP zur Verfügung stehen. In der klinischen Praxis muss FFP daher frühzeitig und oft bereits auf Verdacht geordert und „prophylaktisch“ verabreicht werden – eine Praxis, die in Expertenkreisen durchwegs abgelehnt wird.

4.5 Fibrinogen – ein Akutphaseprotein

Polytraumapatienten sowie Patienten nach großen chirurgischen Eingriffen weisen ein Thromboembolierisiko von bis zu 80 % auf, sofern auf eine Antikoagulation verzichtet wird. In diesem Zusammenhang ist die Sicherheit der Fibrinogensubstitution im Rahmen der Blutung kritisch zu hinterfragen:

Obwohl erhöhtes Fibrinogen in SIRS und Sepsis (auch als Folge des Traumas bzw. einer großen Operation) mit mikrovaskulären Thrombosen und folglich mit Organversagen [4] assoziiert ist, versucht der Körper bei Sepsis/SIRS Patienten ein natürlicher Anstieg der Plasma-Fibrinogenwerte bis weit über die Normwerte zu erreichen. Dieser Anstieg ist unabhängig davon, ob und wie viel Fibrinogen im Vorfeld substituiert worden ist [25].

Der Grund für diesen Anstieg liegt in der Rolle von Fibrinogen als Teil der angeborenen Immunabwehr. Wenn Bakterien in den Körper dringen, so benötigt diese eine Matrix wie z. B. Kollagen, Fibronektin und/oder Fibrinogen [2630], um sich daran zu binden sowie sich im Körper zu verbreiten [31]. Manche Bakterien können Fibrinogen via Fibrinogenbindungsstellen (z. B. dem Clumpingfaktor A des Staphyloccocus aureus) auch dazu nutzen, um zu klumpen und sich somit vor der Abwehr des Körpers sowie dem Zugriff von Antibiotika zu schützen. Diese Bindungsstellen gelten gleichzeitig als ein sog. Virulenzfaktor und können zu einer überschießenden Immunreaktion des Körpers führen.

Fibrinogen dient dem Bakterium aber nicht nur zur Anheftung, Verklumpung und Verbreitung von Pathogenen, sondern es verstärkt die Immunantwort im Körper, um Immunzellen an die Stelle der Pathogene zu locken [31].Diese Immunzellen wiederum fördern die Koagulation hauptsächlich über den extrinsischen Pfad via Gewebefaktor (Tissue Factor), welcher von aktivierten Endothelzellen sowie Monozyten präsentiert werden. Nun stellt sich doch die Frage, was denn der Sinn hinter der Sepsis-abhängigen Hyperfibinogenämie sowie die Propagierung eines tendenziellen hyperkoaglen Status im Körper ist: Erst in den letzten Jahren wurde die antibakterielle Aktivität von Fibrinogen und seinen Spaltprodukten erkannt. Damit Fibrinogen antibakteriell wirken kann, muss es zum einen polymerisieren und ein Fibrinnetz bilden und zum anderen muss die Fibrinolyse stattfinden [32].

Wird ein Fibrinnetz gebildet, so verfangen sich die Bakterien zunächst darin, was eine weitere Verbreitung im Körper verhindert. Dies ist anscheinend nur möglich, sofern die Bakterien Fibrinogenbindungsstellen haben, was hauptsächlich bei grampositiven Bakterien vorkommt. Bakterien wiederum haben Mechanismen sich zu wehren, wie z. B. das Herunterregulieren der Fibrinogenbindungsstellen oder Kapselbildung.

Durch die Polymerisation und Aktivierung der Fibrinolyse werden Fibrinogenspaltprodukte frei, welche antimikrobielle Eigenschaften aufweisen [3238]. Somit wird ein antimikrobielles Milieu im Gerinnsel geschaffen [12, 13, 20, 28]. Das bekannteste Peptid hierbei ist das Bß15-42, welches in der Literatur als GHR28 (im Zusammenhang mit der antimikrobiellen Wirkung) oder als FX06 (ein Arzneimittel in der Entwicklung) bekannt ist.

Das bei der Fibrinolyse freigesetzte Bß15-42 hat neben den antibiotischen Eigenschaften noch eine weitere Funktion. So bindet es an Endothelzellen und vermittelt die Verstärkung der Tight Junctions (Verbindungen zwischen den Endothelzellen). Dadurch wird das Kapillarlecksyndrom verhindert bzw. reduziert, was vor Organversagen und schockbedingten Ischämie in den Organen schützt [3638].