Zusammenfassung
Im gewöhnlichen Sprachgebrauch versteht man unter Wahrsagen das Ermitteln künftigen Geschehens. Diese Definition ist zunächst insoferne zu eng gezogen, als den Gegenstand des Wahrsagens nicht nur Zukünftiges, sondern auch Vergangenes und Gegenwärtiges bilden kann. Man erforscht nicht nur das künftige Geschick, sondern auch: wer einen Diebstahl begangen hat und wie es einem in der Ferne weilenden Verwandten geht. Die Definition ist daher vorerst hinsichtlich des zeitlichen Bereiches zu erweitern. Auf der anderen Seite erscheint sie zu weit gezogen. Das Erforschen gegenwärtiger, vergangener und zukünftiger Dinge ist Aufgabe jeder Wissenschaft. Der Historiker forscht nach den Geschehnissen längst vergangener Zeiten, der Arzt diagnostiziert nach äußeren Symptomen Erkrankungen im Inneren des Körpers und der Chemiker vermag mit größter Promptheit den Verlauf einer Reaktion vorauszubestimmen. Doch all dies sind logische Schlüsse und Urteile. Aber auch das tägliche Leben ist reich an solchen: Der Himmel bewölkt sich und wir schließen auf kommenden Regen. Das Licht der elektrischen Lampe nimmt langsam ab und erlischt schließlich; wir schließen daraus, daß die Dynamomaschine zum Stehen gebracht wurde. Oder wir sehen morgens, daß die Straßen und Dächer naß sind und schließen, daß es nachts geregnet hat. Auch das sind Schlüsse, die wir auf Grund der Wahrnehmung und Erfahrung ziehen. Letztere sind die Prämissen, von denen wir induktiv oder deduktiv auf ein Glied der Kausalreihe schließen.
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Dieses Kapitel ist Teil des Digitalisierungsprojekts Springer Book Archives mit Publikationen, die seit den Anfängen des Verlags von 1842 erschienen sind. Der Verlag stellt mit diesem Archiv Quellen für die historische wie auch die disziplingeschichtliche Forschung zur Verfügung, die jeweils im historischen Kontext betrachtet werden müssen. Dieses Kapitel ist aus einem Buch, das in der Zeit vor 1945 erschienen ist und wird daher in seiner zeittypischen politisch-ideologischen Ausrichtung vom Verlag nicht beworben.
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Streicher, H. (1926). Der Begriff „Wahrsagen“. In: Das Wahrsagen. Kriminologische Abhandlungen, vol 1 . Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-41829-1_1
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