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Zusammenfassung

Vor etwa Jahresfrist, einige Wochen vor dem letztverflossenen ersten April fuehrte, wie sich aufmerksamere Zeitungsleser vielleicht noch erinnern, die officioese, inspirierte und ein Theil derjenigen presse, die sich stets sehr beleidigt fuehlt, wenn sie mit jenen beiden Sorten in einen Topf geworfen wird, einen maechtigen Coup aus. Ein sehr ernstes Ereigniss wurde fuer jenen Tag in Aussicht geE stellt; ein Ereigniss, das in der That eigentlich zu ernft war, um zum Gegenstande von officioesen, inspirierten und “unabhaengigen” StilE und Gedankenuebungen gemacht zu werden. Allerdings lag ein mildernder Umstand darin, dass die Art der Behandlung von vorneherein keinen Zweifel darueber bestehen liesz, dasz lediglich ein officioesEinspiriertEunabhaengiger Aprilscherz vorlag, so dass ein Jeder, der von den betreffenden Auslassungen Rotiz nahm, es sich ledigE lich selbst zuzuschreiben hatte. Die Kanzlerkrisis – natuerlich hanE delte es sich um diese zu einem integrierenderen Theile der ReichsE Verfassung als irgend ein geschriebener paragraph gewordene ReichsE einrichtung – war allerdings schon so oft in den officioesEinspiriertE unabhaengigen Spalten erschienen, dass, wenn das abgetriebene Pferd wirklich mit aller Gewalt noch einmal vorgeritten werden sollte, dies anstaendigerweise nur in ganz neuer Aufzaeumung vor sich gehen konnte. Dies geschah, und zwar ueberraschte die Coftuemierung, dem lustigen ersten April entsprechend, durch ihre Heiterfeit. Nach den Darftellungen der gedachten Blaetter, von denen die einen als inE spiriert den wahren Sachverhalt genau kennen mussten, die andern viel zu “unabhaengig” waren, um sich, wie weiland Benedetti eine Note im auswaertigen, so einen Artikel im reichskanzleramt dictieren zu lassen, und deren vereintes Zeugniss also gewiss klassisch ist, war der Zustand des Kanzlers, auf den die Krisis begruendet wurde, ein hoechst seltsamer, an Seltsamkeit im Allgemeinen, wenn auch nicht in den einzelnen Erscheinungen, nur dem einer Stigmatisierten oder dem des schlafenden Ulanen in potsdam vergleichbarer. Der Kanzler befand sich danach nicht mehr, wie gewoehnlich bisher nach den officioesEunabhaengigen Mitteilungen in dem einen oder dem andern der beiden Ertreme, zwischen denen der Gesundheitszustand der Erdensoehne hin und her zu schwanken pflegt, sondern gleichE zeitig in beiden zusammen – gewiss ein Einfall, wie ihn felbst Officioefe und “Unabhaengige” nur selten und nur dann haben, wenn eine grosse Stunde die Geburt eines grossen Gedankens gebieterisch fordert. Der Kanzler war also, um den Wortlaut der ergangenen Kunde moeglichst getreu wiederzugeben, in seiner Nervenzerruettung ploeɐlich auf einen punkt angelangt, der es ihm behufs Vermeidung der Aufloesung seines irdischen Theils zur unbedingten pflicht machte, feine Aemter und Wuerden zum ersten April (boch gab die pnthia zu verstehen, dass es Vielleicht noch ein paar Tage laenger dauern koenne) niederzulegen, ihm jedoch gleichzeitig gestattete: erstans eine rege parlamentarische Thaetigkeit zu entfalten und somit zweitens im Reichstage und drittens im preussischen Herrenhause der MittelE punkt des parlamentarischen Lebens zu werden, in weiterer Folge dann viertens das Schwergewicht des Staatslebens mehr in die parlamentarischen Versammlungen hinueberzuschieben, unbeschadet dessen jedoch fuenftens feinen bisherigen Verrichtungen als staerkste Stueɐe des Thrones meiter obzuliegen und endlich sechstens nicht nur nach wie vor die Zielscheibe Der Ultramontanen in Gedanken, Wort, Schrift, Bild, Druck und That zu bleiben, sondern dass siebentens in noch erhoehtem Maasse zu werden, Dieser Zustand war felbst in officioesen und “unabhaengigen” Blaettern nicht lange haltbar und die Mittheilung liess demgemaess nicht auf sich warten, dass der Kanzler in Folge der rechtzeitig angelangten Encyclica nicht nur gesuender sei wie je, sondern eigentlich nie krant gewesen war. Die ganze Feinheit und Meifterschaft der Officioesen, InspiE rierten und “Unabhaengigen” bei biesem Streiche ist leider gar nicht erkannt worden. Diese personen hatten in Wirklichkeit nichts GeEringeres gethan, als dem papste und dem vat쪡nischen Concile ein gehoeriges paroli geboten und gezeigt, dass sie dasselbe koennten, wie jene. Ebenso wie der papft viele Jahrhunderte hindurch nur im Vereine mit dem Concil unfehlbar gewesen war, im Jahre 1870 aber durch das Vaticanum fuer seine Person allein unfehlbar wurde, und zwar gleich dermassen, dass er es schon von jeher gewesen war, also auch hatten die Officioesen, Jnspirierten und “Unabhaengigen” den Reichskanzler aus schwerem Leiden mit einem Schlage derE massen gesund gemacht, dass er ueberhaupt nie krank gewesen war.

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Richtreichsfeinde, E. (1876). Nationalliberale Partei, nationalliberale Prelle und hoeheres Gentlemanthum. In: Nationalliberale Partei, nationalliberale Prelle und höheres Gentlemanthum. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-39719-0_1

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