Zusammenfassung
Wenn man von der Philosophie gesagt hat, sie sei selbst das erste ihrer Probleme, so kann man von der Soziologie sagen, daß sich die Geltung ihrer Erkenntnisse erst sichern läßt, wenn sie ihren wissenschaftlichen Ort eindeutig bestimmen kann. Dabei besteht eine große Gefahr darin, daß sie zuweilen meint, sie habe sich über ihre Position dann klar ausgewiesen, wenn sie sich auf bestimmte konkrete Standorte bezieht oder sich sonstwie als ideellen Ausdruck besonderer gesellschaftlicher Mächte versteht. In diesem Fall ist sie weit davon entfernt, sich zu unanfechtbaren Grundlagen ihrer Forschung zu verhelfen. Sie dogmatisiert vielmehr bestimmte Einzelerkenntnisse und verkennt es, daß diese nur dann als allgemein gültig anerkannt werden können, wenn es als ihren Träger eine soziologische Wissenschaft gibt, die selbst nicht standortlich eingeschränkt ist. Erst im Rahmen einer allgemeinen Soziologie kann die Gültigkeit besonderer Theoreme gesichert erscheinen, und nur unter dieser Voraussetzung lassen sich bestimmte und begrenzte Richtungen des soziologischen Denkens auf sachlich und objektiv erkannte spezielle gesellschaftliche Positionen hin relativieren. Nur wenn es möglich ist, das Wesen und den Aufbau der Gesellschaft ohne Einschränkungen durch eine klassenmäßige oder sonstwie vorweggegebene Gebundenheit zu erkennen, läßt sich mit sachlicher Gültigkeit die Bedeutung auch der Klassenbildung in der Gesellschaft bestimmen, und erst dann läßt sich sagen, in welchem Umfang und auf weiche Welse bestimmte soziologische Theoreme mit Bezug auf klassenmäßige Standorte Gültigkeit besitzen. Andererseits ist es möglich, zu einer objektiven Erkenntnis begrenzter soziologischer Zusammenhänge aus diesen selbst heraus zu gelangen, sofern man sich selbstkritisch über die Methode, mit der man diese Erkenntnisse gewinnt, Rechenschaft gibt. Auch wenn der Forscher mit seinem Leben und Denken ganz mit einer bestimmten gesellschaftlichen Wirklichkeit verbunden ist und aus ihr heraus lebt, ist es ihm möglich, diese so auszulegen und zu deuten, daß das Ergebnis seines Nachdenkens unabhängig davon gültig ist, ob ein anderer, den er belehren will, seinen Standort teilt. Die Objektivität der soziologischen Erkenntnis beruht in ihrer Methode und in der gegen sich selbst kritischen Rechenschaft, die sich der Forscher über ihre Anwendungsmöglich-keiten und den sachlichen Sinn der erzielten Ergebnisse gibt1.
Eine soziologische Forschungsweise im Sinne des in diesen Bemerkungen entwickelten Kategorien hat der Verf. in seiner Reihe „Lebendige Soziologie“. Verlag de Gruyter, Berlin 1948 ff. erprobt. Siehe vor allem W. Ziegenfuß, Die bürgerliche Welt.
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Ziegenfuß, W. (1950). Der soziologische Weltbegriff. In: Bauer, K.H., et al. Studium Generale. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-38240-0_15
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