Zusammenfassung
Die somatische Medizin hat es mit dem Menschen nur als einem Naturwesen zu tun. Sie untersucht und erforscht seinen Körper nicht anders als einen tierischeni). Die Psychopathologie sieht sich dauernd vor die Tatsache gestellt, daß der Mensch außerdem auch Kultur wesen ist, daß sein seelisches Leben nur besteht in der Wechselwirkung mit der menschlichen Gesellschaft. Hat der Mensch seine körperlichen und seelischen Veranlagungen durch Vererbung, so gewinnt er doch sein tatsächliches Seelenleben nur durch die Tradition, die durch die Umwelt der menschlichen Gesellschaft auf ihn kommt. Wir würden völlig kenntnislos, sprachlos, hilflos sein, wenn wir ohne Tradition aufwachsen würden. Taubstumme, denen nur das Sinnesorgan fehlt, das die Aufnahme der seelischen Einflüsse möglich macht, bleiben, solange sie nicht den ihnen angemessenen Sprachunterricht erhalten, auf der Stufe tierischen, idiotischen Seelenlebens stehen, während sie nach der Belehrung seelisch vollwertige Menschen werden können. Unser Lernen, Übernehmen, Nachahmen, unsere Erziehung und unser Milieu macht uns seelisch überhaupt erst zu Menschen.
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Literatur
Natürlich schafft jede soziale Lage auch eigentümliche physische Bedingungen, die wiederum — aber gerade so wie Naturumstände — auf die Gesundheit ihren Einfluß haben. Vorwiegend über diese Beziehungen ist ein zusammenfassendes Werk erschienen: Krankheiten und soziale Lage, herausgegeben von Mosse und Tugendreich: München 1912. Siehe ferner A. Grotjahn: Soziale Pathologie. Berlin 1912.
Vierkandt: Naturvölker und Kulturvölker, Leipzig.
Simmel: Über soziale Differenzierung, Leipzig 1890. Soziologie, Leipzig 1908.
Le Bon: Psychologie der Massen, deutsch Leipzig 1911.
Fouillée: Esquisse psychologique des peuples européens. — Psychologie du peuple français. — Sehmoller: Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre 1, S. 148ff., Leipzig 1900.
Vgl. u. a. Lebensschicksale, München 1910ff. (Popp, Forel, Winter, Viers beck -Bleuler). — Levenstein: Proletariers Jugendjahre; Aus der Tiefe: Arbeiterbriefe; Die Lebenstragödie eines Tagelöhners; Arbeiter-Philosophen und -Dichter. Sämtlich Berlin, Morgenverlag 1909 Die Arbeiterfrage, München 1912.
Die Daten der „Moralstatistik“ sind hier von Interesse. Zur Einführung: S chnapper -Arndt: Sozialstatistik, Volksausgabe Leipzig 1912. Für genaueres Studium v. Mayr: Sozialstatistik, Bd. 3 von „Statistik und Gesellschaftslehre”, davon erster Teil: Moralstatistik, Tübingen 1909–1912.
Vocke: Psych. Wochenschr. 1907, Nr. 47. Hacke: Das Anwachsen der Geisteskranken in Deutschland, München 1904. Gruna u: Leber Frequenz usw., Halle 1905 (zit. nach Bumke)
Allg. Zeitsehr. f. Psychiatr. u. psych.-gerichtl. Med. 70 S. 809.
Gaupp: Über den Selbstmord, München 1910.
Fishberg: Die Rassenmerkmale der Juden. München 1913. S. 165.
Bumke: Uber nervöse Entartung, S. 84ff.
Hecker, J. F. C.: Die großen Volkskrankheiten des Mittelalters, Berlin 1865, S. 124ff, S. 57ff. Aug.
Hirsch: Handbuch der histor.-geographischen Pathologie III. Artikel Hysterie und Chorea. Stuttgart, Enke 1886.
Siehe die Literaturangaben oben auf S. 239.
Stoll: Suggestion und Hypnotismus in der Völkerpsychologie, 2. Aufl. 1904. Rohde: Psyche, Bd. 2, S. 4/27, 41/43, 47 usw.
Ideler: Versuch einer Theorie des relig. Wahns, Halle 1848. Leubuscher: Der Wahnsinn in den vier letzten Jahrhunderten, Halle 1848 (Übersetzung des Cal meil). Em min gha us: Allgem. Psychopath., S. 43/60.
Soeur, Jeanne: Memoiren einer Besessenen, Deutsch, Stuttgart 1911. Andree: Ethnographische Parallelen und Vergleiche Neue Folge 1889. S. 1 „Besessene und Geisteskranke“.
Beard: Die Nervenschwäche. Deutsch 1883. Erb, Die wachsende Nervosität unserer Zeit. His: Medizin und Überkultur.
In den prinzipiellen Fragen vgl. Wetzel: Arch. f. Sozialwissenschaft 37. 1913. S. 535.
Dort die wichtigste Literatur. P. Horn: Über nervöse Erkrankungen nach Eisenbahnunfällen, 2. Aufl. Bonn 1918.
Joachim: Allg. Zeitschr. f. Psychiatr. u. psych.-gerichtl. Med. 69. 1912. S. 500.
U. a. aus alten Zeiten: Christian Heinrich Spieß: Biographien der Wahnsinnigen, Leipzig 1795. Magazin zur Erfahrungsseelenkunde, herausg. von K. Ph. Moritz, Berlin 1783–1793.
Ferner die Krankheitsgeschichten in den Büchern von Esquirol, Ideler, Jakobi. Eine alte Selbstschilderung: M. Bernds: Eigene Lebensbeschreibung samt seiner aufrichtigen Entdeckung der größten, obwohl großenteils noch unbekannten Leibes- und Gemütsplage. Leipzig 1738. (konnte ich mir leider nicht verschaffdn).
Vgl. ferner: Mönkemöller: Das Zucht- und Tollhaus zu Celle. Allg. Zeitschr. f. Psychiatr. u. psych.-gerichtl. Med. 68. 1911. S. 155. Morgen thaler: Bernisches Irrenwesen von den Anfängen bis zur Eröffnung des Tollhauses 1749. Bern 1915.
Gaupp: Mönch. med. Wochenschr. 1310. 1906. S. 1250
Stier: Fahnenflucht und unerlaubte Entfernung. Halle 1905. Max Rohde: Allg. Zeitschr. f. Psychiatr. u. psych.-gericht]. Med. 68. 1911. 5.337. Ed. Beck: Über Kriegsvergehen. Zeitschr. f. Psych. u. NeuroL 26, 1921 (Literaturverzeichnis). C. v. Hösslin: Über Fahnenflucht Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psych. 47. 1919. S. 344.
Laehr: Die Nervosität der heutigen Arbeiterschaft. Allg. Zeitschr. f. Psychiatr. u. psych.-gerichtl. Med. 66, S. 1.
Heilig: Fabrikarbeit und Nervenleiden, Wochenschr. f. soziale Medizin 1918, Nr. 31ff.
Hellpach: Berufspsychosen. Psych. neurot. Wochenschr. 1906. Technischer Fortschritt und seelische Gesundheit, Halle 1907.
Vgl. auch L. Stern: Kulturkreis und Form der geistigen Erkrankung, Halle 1913. Der Verfasser vergleicht bei den Aufnahmen in die Anstalt die Berufsgruppen und die diagnostischen Gruppen.
Nach Römer: Allg. Zeitschr. f. Psychiatr. u. psych.-gerichtl. Med. 70 5. 808.
Römer a. a. O. Vgl. auch Pilez: Über Nerven- und Geisteskrankheiten bei katholischen Geistlichen und Nonnen. Jahrb. f. Psych. 34 S. 367.
Jeske: Allg. Zeitschr. f. Psychiatr. u. psych.-gerichtl. Med. 68. 1911. S. 353.
Mönke möller: Zur Geschichte der progressiven Psychose, Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psych. 5 S. 500.
Kirchhoff: Allg. Zeitschr. f. Psychiatr. u. psych.-gerichtl. Med. 68. 1911 S. 125.
Die Literatur findet man in den umfangreichen kritischen Sammelberichten von Birnbaum: Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psych. Referatenteil 11 S. 321; 12 S. 1 und 317; 13 S. 457; 14 S. 193 und 313.
Siehe vor allem die ausgezeichneten Re“erate von Gaupp: Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psyh. 34, 1916, Nonne und Oppenheim: Deutsch Zeitschr. f. Nervenk. 56, 1917. Hier sind die entgegengesetzten Anschauungen auf hohem Niveau in objektiver Form kennen zu lernen.
Vgl. oben S. 229 die Arbeiten von Vischer.
Bonhoeffer: Arch. f. Psychiatr. u. Nervenkrankh. 60 S. 721. Fürst: Arch. f. Psychiatr. u. Nervenkrankh. 60 S. 861. Becher: Arch. f. Psychiatr. u. Nervenkrankh. 61 1919. S. 1.
K. Wittig: Die ethisch minderwertigen Jugendlichen und der Krieg. Langensalza, Wundt und Klanwell 1918.
Bumke: Über nervöse Entartung, Berlin 1912, Kap. 6.
S. Schott: Alte Mannheimer Familien, Leipzig 1910. — Gruber und Rüdin: a. a. 0., S. 101ff.
Pathographien nennt man biographische Darstellungen, die das Ziel verfolgen, erstens die dem Psychopathologen interessanten Seiten des Seelenlebens schildernd und genetisch darzustellen und zweitens die Bedeutung dieser Erscheinungen und Vorgänge für. die Genese der Schöpfungen solcher Menschen aufzuklären. Unter den zahlreichen Pathographien ragen hervor die Werke von Moebiusüber Rousseau u. a., ferner Lange: Hölderlin, Stuttgart 1909. Jedoch überschreiten auch diese ihre Grenzen, indem sie mit unzureichenden Mitteln den Wer t der künstlerischen Leistungen interpretieren, d. h. meistens dabei herabsetzen. Selbst wenn man in einer Dichtung katatonische Züge wahrscheinlich machen kann, heißt das durchaus nicht, daß die Dichtung schlecht und unverständlich sei. Urteilt der Psychopathologe darüber, so gibt er als Dilettant ein subjektives Urteil ab, das niemand interessieren, aber manchen empören kann Die Pathographie ist eine heikle Sache. Gründliche psychopathologische Einsicht, Fähigkeit zur historischen Kritik sind Bedingung für vertrauenswürdige Erkenntnisse, Respekt und eine gewisse Scheu, die doch gar nichts zu verschweigen braucht, Forderung für eine pathographische Darstellung, die man nicht widerwillig fortlegen soll. Bei mangelndem Material pathographisch zu arbeiten (z. B. über Jesus, Mohammed) ist lächerlich. — Ich nenne noch meine eigene Arbeit: Strindberg und van Gogh, Versuch einer pathographischen Analyse unter vergleichender Heranzie- hung von Swedenborg und Hölderlin, Leipzig, Ernst Bircher, 1922.
Eine wohl fast vollständige Liste der vorhandenen Pathographien bei Gruhle: Psychologie des Abnormen 1922, S. 149ff.
Snell: Hexenprozesse und Geistesstörung, München 1891, wendet sich anderen Problemen zu.
Vgl. die Schilderungen Bleulers (Die Schizophrenie).
Vgl. die Schilderung Janets (Les obsessions et la psychasthenie).
Kahn: Psychopathen als revolutionäre Führer, Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psych. 52. 1919. S. 90.
Darstellungen einzelner Verbrecher: Pitaval: Causes celébres, Paris 1734ff., in 20
Bänden. Eine Auswahl von Paul Ernst erschien im Inselverlag 1910.
Die Zeitschriften: Hitzigs Annalen 1828ff. Der neue Pitaval 1842ff.
Gross’ Archiv für Kriminalanthropologie 1899ff.
Der Pitaval der Gegenwart 1906ff. enthalten viele Einzelfälle. Ferner Friedreichs Blätter f. gerichtl. Medizin 1850ff. Monatsschr. f. Kriminalpsychol. u. Strafrechtsref. 1905ff.
Feuerbach: Aktenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrechen, 2 Bde., Gießen 1828–1829.
Hagen: Chorinski, Erlangen 1872.
Lebensgeschichte der Giftmörderin Gesche Margarethe Gottfried, herausg. von
L. Voget, Bremen 1831. Scholz: Die Gesche Gottfried, Berlin 1913. Verbrechertypen, herausg. von Gruhle und Wetz el, Berlin 1913ff.
Wetzel: Über Massenmörder. Berlin 1920.
Vgl. Radbruch: Feuerbach als Kriminalpsychologe, Monatsschr. f. Kriminalpsychol. und Strafrechtsreform 4, 1910.
Wetzel: Die allgemeine Bedeutung des Einzelfalls für die Kriminalpsychologie. Arch. f. Kriminalanthropologie 55. 1913. S. 101.
Krauß: Die Psychologie des Verbrechens, Tübingen 1884.
Aschaffenburg: Das Verbrechen und seine Bekämpfung, 2. Aufl. — Lo mbrosos Werke haben zwar historisch eine große Wirkung gehabt. In Methoden, die sich als richtige halten lassen, besitzen sie jedoch keine Eigenart. In den Grundanschauungen, die der Großartigkeit romanischer Leistungen nicht entbehren (geborener Verbredher, Degeneration) sind sie verfehlt. Von den Werken ist u. a. zu empfehlen: Lo mbro s o: Die Ursachen und Bekämpfung des Verbrechens, Deutsch Berlin 1902.
Nach einzelnen Arbeiten von Bonhoeffer: Wilmanns u. a. wollen die Heidelberger Abhandlungen aus dem Gesamtgebiete der Kriminalpsychologie, herausg. von Wilmanns, eine fortlaufende Serie solcher Untersuchungen bringen
Literatur über Landstreicher: Bonhoeffer: Ein Beitrag zur Kenntnis des großstädtischen Bettel- und Vagabundentums, Zeitschr. f. d. ges. Strafrechtswiss. 21. Wilmanns, Zur Psychopathologie des Landstreichers, Leipzig 1906.
Tramer: Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psych. 35 S. 1.
Über Prostituierte: Bonhoeffer, a. a. 0. 23. Sichel: Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psych. 14 S. 445. K. Schneider: Studien über Persönlichkeit und Schicksal eingeschriebener Prostituierter. Berlin, Julius Springer 1921.
Über jugendl. Verwahrlosung: Stelzner: Die psychopathischen Konstitutionen und ihre soziologische Bedeutung, Berlin 1911. Gruhle: Die Ursachen der jugendlichen Verwahrlosung und Kriminalität, Berlin 1912.
Stelzner: Die Frühsymptome der Schizophrenie in ihren Beziehungen zur Kriminalität und Prostitution der Jugendlichen. Allg. Zeitschr, f. Psychiatr. u. psych.-gericht. Med. 71. 1914. S. 60.
Isserlin: Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psych. 12. 1913. S. 465.
Elfriede Barth: Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psych. 30. 1915. S. 145.
A. Gregor und Else Voigtländer: Die Verwahrlosung, Berlin 1918. Dieselben, Ge- schlecht und Verwahrlosung, Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psych. 66 S. 97.
Weyert: Unters. von ehemaligen Fürsorgezöglingen im Festungsgefängnis, Allg. Zeitschr. f. Psychiatr. u. psych.-gerichtl. Med. 69. 1912. S. 180.
Z. B. bei der Frage der verminderten Zurechnungsfähigkeit. Vgl. Wil - manns: Monatsschr. f. Kriminalpsychol. u. Strafrechtsref. 8 S. 136. Wetzel: ebenda 10 S. 689.
Wil manns: Zur Reform des Arbeitshauses. Monatsschr. f. Kriminalpsychol. 10. 1913. S. 346.
Die Arbeit enthält eine psychologisch glänzende Analyse bei tiefer Intuition für die Situationen und Kräfte: „Das Interesse des Staates im Kampf mit dem Recht des Einzelnen“, Monatsschr. f. Kriminalpsychol. u. Strafrechtsref. 12. 1922. 5.346.
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Jaspers, K. (1923). Die soziologischen Beziehungen des abnormen Seelenlebens. In: Allgemeine Psychopathologie. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-36704-9_10
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